Reiterlegende Hans Günter Winkler ist tot Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Montag, 09. Juli 2018 um 10:05

Hans Günter Winkler mit seiner Ehefrau Debby 2005 bei einer Jubiläumsveranstaltung der Deutschen ReiterlichenVereinigung (FN) in Berlin

(Foto: Raimund Hesse)

Warendorf. Springreiter-Legende Hans Günter Winkler ist unerwartet verstorben. Während eines Essens erlitt der Warendorfer einen Herzstillstand, konnte zwar wiederbelebt werden, erwachte jedoch nicht mehr aus dem Koma. Am 24. Juli wäre er 92 Jahre alt geworden.

 

Er wusste immer, was er wollte, und er tat immer das Richtige. „Er wollte immer noch mehr, er kannte nur eine Richtung: Nach oben“, sagte mal seine erste Ehefrau Inge Theodorescu, die ihn als Tochter des berühmten Landstallmeisters und Pferdemannes Hans Fellgiebel 1957 geheiratet hatte. Und wie kein anderer pflegte er sein Image als Sportler und Mitglied der etwas besseren Gesellschaft, zu der er sich hingezogen fühlte. Der  Name Hans Günter Winkler wurde ein Begriff.

Fast generalstabsmäßig plante er sein Leben. Sein Ziel: „Ich wollte der beste Springreiter der Welt werden.“ Wie auf Knopfdruck konnte er sein Leben aufschlagen wie ein Buch, seine Erfolge, seine Pferde, seine Leiden, die Nackenschläge im Sport und im täglichen Leben. Und ein Datum war vielleicht in seinem Leben richtungweisend für alles, was danach kam: Warendorf, 13. Juli 1950. Er trifft erstmals die Stute Halla. Das Deutsche Olympiadekomitee für Reiterei (DOKR) hatte ihm lediglich kurz mitgeteilt, er solle die Stute reiten und bei einer Military, wie damals noch Vielseitigkeit hieß, in Bad Hersfeld vorstellen. Als er erstmals im Sattel von Halla saß, „merkte ich sofort, dass vor mir wahrlich keine leichte Aufgabe lag. Von Liebe auf den ersten Blick konnte keine Rede sein.“ Halla war eigensinnig, sensibel, manchmal auch stur. Doch Winkler und Halla werden in Bad Hersfeld Zweite. Nach einem weiteren dritten Platz in Bad Harzburg gehört Halla zum Lot der möglichen Olympia-Pferde für die Spiele 1952 in Helsinki, aber nicht unter Winkler, sondern unter Otto Rothe. Hans Günter Winkler war nämlich der Amateurstatus aberkannt worden, weil er in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs amerikanischen Offizieren Reitunterricht erteilte. Und Olympia der Neuzeit blieb Profis bis zum Kongress des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) 1981 in Baden-Baden verschlossen.

Das Ende des Krieges hatte der Flakhelfer Winkler in Thüringen erlebt. Er hörte gerade den Vortrag „Wie verhalte ich mich gegen Vorgesetzte“, als überall um die Einheit der leichten Artillerie Panzergranaten einschlugen. Zwei Tage danach ist er Gefangener der Amerikaner, er flieht, schlägt sich durch zu seiner Mutter Emmi nach Frankfurt/ Main, der Vater, Reitlehrer von Beruf, kommt in den letzten Tagen des Krieges um. Er ist 20 Jahre alt, krank, ausgemergelt, ohne Arbeit. Über einen Freund seines Vaters findet er 1946 einen Job im Reitstall des Schlosses Friedrichshof in Kronberg, wo sich amerikanische Offiziere einquartiert hatten. Winkler darf wieder reiten, den amerikanischen höheren Chargen, darunter der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower, gibt er Unterricht. Ein Amerikaner findet an dem jungen Deutschen derart Gefallen, dass er ihn sogar adoptieren möchte, „die Idee war verlockend, das kaputte Deutschland hinter sich zu lassen und in die USA auszuwandern, wo es alles gab, nur keinen Hunger“, erzählte er später. Er lehnt der Mutter zuliebe ab.

Neues Leben im deutschen Reitsport

In Deutschland lebte auch der Turniersport nach Ende des Krieges wieder auf. Auf einem kleinen Zettel hielt Winkler fest: Am 1. Mai in Nördlingen Sechster in einem S-Springen. Das Pferd hieß Falkner, dann steht auf einem anderen Stück Papier des Privatarchivs: 10. Oktober 1948, 1.Sieg, Hünfeld, auf Falkner. Die Lokalpresse meldete: „Erfolgreichster Teilnehmer war Hans Günter Winkler“. Er kommt 1949 auf 21 Siege, sein Freund und späterer Equipe-Chef Helmut Krah fährt ihn auf seinem Motorrad von einem Turnier zum nächsten, die Pferde werden entweder in Eisenbahnwaggons oder Lastwagen transportiert. Winkler: „Ich musste bei jedem Turnier im Geld sein, um die Kosten zu decken.“ Ansonsten zückte Helmut Krah das Portemonnaie.

In Dillenburg in Hessen wird das DOKR 1949 neu gegründet. Chef: Dr. Gustav Rau. Der große Hippologe, der das Komitee inzwischen nach Warendorf verlegt hatte, sagt Anfang 1950 zu Winkler: „Kommen Sie doch zu uns.“ Winkler folgt dem Ruf. Mit drei Pferden am Strick, ohne Geld. Und Gustav Rau empfängt ihn nicht mit offenen Armen, sondern raunzt: „Was willst Du denn hier?“ Die Zukunft schien düster. Morgens ritt Hans Günter Winkler, der gelernte Bankkaufmann aus Wuppertal-Barmen, Schulpferde am Komitee, nachmittags arbeitete er in einer Bauschreinerei. Die Spitzenpferde des Komitees ritten andere, „was natürlich meinen Ehrgeiz anstachelte“, sagte er. Er erhielt Wohnrecht in der Reitschule, Rau stellt ihm kostenlos drei Boxen für die Pferde zur Verfügung.

„Holen Sie die Stute wieder ab…“

Halla, das Ergebnis der Paarung einer französischen Beutestute und des Traberhengstes Oberst 1943, lässt sich trotz aller Mühe nicht zu einem verlässlichen Military-Pferd ausbilden. Rau ruft Besitzer und Züchter Gustav Vierling in Darmstadt an: „Holen Sie bitte die Stute wieder ab. sie ist für den Sport nicht tauglich.“ Vierling kommt nach Warendorf, widerspricht Rau und bittet Winkler, sich der Stute anzunehmen. Vor dem Hotel Kaiserhof wird das Abkommen per Handschlag besiegelt, „es gab nie einen schriftlichen Vertrag“, so Winkler. Die Stute wurde 34 Jahre alt, sie ging am 19. Mai 1978 aus Alterschwäche bei ihrem Züchter Gustav Vierling ein. Als Denkmal in Bronze gegossen steht Halla in Lebensgröße vor der Reiterzentrale in Warendorf. Kein Pferd darf jemals noch in Deutschland auf den Namen Halla eingetragen werden, wie auch nicht auf Meteor von Fritz Thiedemann.

1952 ist Hans Günter Winkler der Gewinner des deutschen Championats, was der Deutschen Meisterschaft entspricht. Nach Olympia in Helsinki 1952 darf er – wie bereits erwähnt - nicht. Auf Initiative von Willi Daume, dem damaligen Vorsitzenden des Deutschen Sport-Bundes, wird Winkler im Herbst des gleichen Jahres wieder in den Status des Amateurs versetzt, doch Olympia war passe, und das ärgerte ihn bis ans Lebensende, „dass ich in Helsinki nicht reiten durfte, ich hätte wahrscheinlich eine weitere Medaille mehr in der Sammlung gehabt“.

Der Ritt in das Walhall des Sports verläuft für ihn dennoch zügig, ohne störende weitere Paraden. Er wird dank Halla 1954 auf dem Campo in Madrid erstmals Weltmeister, 20.000 Zuschauer applaudieren lebhaft, er ist endgültig in der Weltspitze angelangt. Bundespräsident Theodor Heuß schickt ihm ein Telegramm: „Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen zu dem in Madrid errungenen Erfolg gratulieren zu dürfen." Ende 1954 wird er mit dem Pokal des Königs von Kambodscha als erfolgreichster Springreiter der Welt ausgezeichnet. Wieder Weltmeister 1955, diesmal in Aachen. Er hat seinen Stil umgestellt, ganz auf den italienischen, benutzt als Halt im Sattel vor allem das Knie, lässt die Unterschenkel nach hinten „wischen“. Er verlagert das Gewicht beim Sprung ganz nach vorne, die Knie fangen beim Landen das Körpergewicht weich ab. Winkler hat viel  bei den Gebrüdern Piero und Raimondo d`Inzeo aus Italien abgespickt.

Olympia in Stockholm 1956

Olympia 1956 in Stockholm, wohin die Reiterspiele wegen der harten Quarantänebestimmungen Australiens von Melbourne ausgelagert worden waren. Am 17. Juni reitet Hans Günter Winkler um die Goldmedaille, die eigene und die der Equipe mit Fritz Thiedemann auf  Meteor und Alfons Lütke-Westhues auf Ala, das Springen um Einzelgold als eigene Prüfung begann erst mit den Spielen 1968 in Mexiko City.

Der Parcours in Stockholm ist wie geschaffen für Halla und Winkler. Der Rundfunk-Reporter erzählt den Hörern in Deutschland: „Halla lacht, sie dreht sich um nach ihrem Reiter, als wollte sie sagen: Das ist ja ein Kinderspiel...“ Dann der 13. Sprung, steil, 1,60 m hoch. Im Flug geht ein Ruck durch den Pferdekörper, wie ein Blitz durchzuckt der Schmerz den Reiter. Halla reißt die letzte Hürde. Winkler muss eher tot als lebendig aus dem Sattel gehoben werden. Die Untersuchung ergibt: Muskelriss in der Leiste an der Bauchdecke. Tabletten und Spitzen mindern die Schmerzen. Er gibt nicht auf. Er sagt später: „Da hätten doch einige nur darauf gewartet und die entsprechenden Antworten parat gehabt.“ Eine Rücksetzung des entscheidenden Starts von HGW im zweiten Umlauf ist nach dem Reglement nicht erlaubt, man hilft dennoch ein bisschen nach, verzögert den Hindernisaufbau zum Beispiel. Zweiter Umlauf, 14 Hindernisse, 17 Sprünge, ein Martyrium. Winkler hängt teilweise fast hilflos auf dem Rücken, am Hals, kann kaum Hilfen geben, hat nur Führung zum Pferdemaul über die Zügel. Er schreit ständig auf, die Zuschauer lachen, sie meinen, er wolle seine Stute aufmuntern - Halla geht fehlerlos, Hans Günter Winkler ist Olympiasieger und mit ihm die Equipe. An diesem 17. Juni 1956 wird Winkler unsterblich. Er geht in die Sportgeschichte ein. Er über Halla: „Viele Male hatte ich ihr geholfen – nun half sie mir…“

Das Fernsehen bringt später einen Streifen „Das ist Ihr Leben“, der WDR strahlt einen Film über ihn aus „Die Besten im Westen“, Briefmarken mit seinem Konterfei werden gedruckt, zusammen mit seinem Kollegen Fritz Thiedemann wird er mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, beim Bankett anlässlich des Besuchs von Königin Elizabeth II in Deutschland 1965 wünscht sich die Monarchin als Tischpartner ausdrücklich ihn, zwei Damen verehren ihn so, dass sie ihm ihre Häuser vererben. Warendorf macht ihn zum Ehrenbürger und schenkt ihm ein Grundstück, sein Freund aus Ludwigsburg stellt ihm einen Bungalow darauf, und Jahre später spendiert ein weiterer Gönner eine Reithalle auf seinem Grundstück.

„Ritt immer für Deutschland…“

Er gewann rund 600 schwere Springen, er war zweimal Weltmeister, fünfmal Olympiasieger, zwischen 1952 und 1981 ritt „HGW“ 105-mal für Deutschland in einem Preis der Nationen „und dabei immer für Deutschland, denn ich war immer stolz, Deutscher zu sein.“ Er vergaß auch sich selbst nicht dabei, er hatte immer Freunde, Mäzene und Gönner. Und bei seinen vier Hochzeiten verschlechterte er sich auch nicht finanziell. Zweimal wird er „Sportler des Jahres“ in Deutschland, zweimal des Jahrzehnts, als Erster erhielt er von der Stiftung Deutsche Sporthilfe im Mai 2000 die neu geschaffene „Goldene Sportpyramide“, und „wenn ich sterbe, bringt das Fernsehen in den Nachrichten über mein Leben mindestens drei Minuten“, wie er weitergab.

Winkler war nie ein Mann des Volkes wie Fritz Thiedemann oder der Fußballer Uwe Seeler, er blieb immer scheu, misstrauisch, auch einsam. Leutseligkeit fehlt ihm. An ihm haftete kein Stallgeruch. Und auch seinen Kollegen gegenüber fremdelte er. Das Leben hatte ihm nichts geschenkt, doch daraus lernte er. Und, so antwortete er mal auf die Frage, an was er glaube: „An mich selbst.“ Durch den Umgang mit Pferden sei er selbst umgänglicher geworden, meinte er, und über seine persönliche Beziehung zu Pferden: „Ich habe sie nie vermenschlicht, aber immer respektiert.“ Und über sich selbst sagte er: „Ich war immer Einzelkämpfer, immer Einzelgänger. Wenn man meinte, ich läge am Boden, dann war ich besonders stark.“ Wie 1972, als vor München elf Springreiter gegen ihn revoltierten („Nie mehr mit Winkler in einer Equipe“). Er saß auch diesen „Sprung“ bravourös aus.

Am 13. Juli 1986 ritt er am Schlusstag des CHIO von Deutschland in Aachen die letzte Ehrenrunde, 40.000 Menschen jubelten ihm nochmals zu. Das Kapital des sportlichen und gesellschaftlichen Aufstiegs des Hans Günter Winkler war ein Pferd, war Halla. Den härtesten Schicksalsschlag erlitt er am 21. Februar 2011, als seine Frau Debby den Folgen eines nie geklärten Reitunfalls erlag. Danach war HGW ein seelisch gebrochener Mann, auch wenn er stets Contenance bewahrte.

Sportliche Großerfolge bis 1986

1952, 1953, 1954, 1955 und 1959 Deutscher Meister

1954 auf Orient, 1957 auf Halla und 1969 auf Enigk Gewinner des Großen Preises in Aachen beim CHIO

1959 auf Halla Sieger im Großen Preis des CSIO von Italien in Rom

1957 Europameister

1954 und 1955 Weltmeister

1956, 1960, 1964, 1968, 1972 und 1976 Teilnehmer an sechs Olympischen

Spielen (5 x Gold, 1 x Silber, 1 x Bronze)

1965 und 1968 Gewinner des King George V. Cup

1955 und 1956 „Sportler des Jahres“

1950/ 1960 und 1960/ 1970 jeweils „Sportler des Jahrzehnts“

Auszeichnungen

Silbernes Lorbeerblatt überreicht durch den Bundespräsidenten Prof. Theodor Heuss (1954)

„Goldener Ring“ des CHIO von Deutschland in Aachen (1954)

Ehrenbürger der Stadt Warendorf (24.06.1956)

Goldene Ehrennadel des Internationalen Reiterlichen Vereinigung (1964)

Großes Bundesverdienstkreuz (1975)

Goldenes Ehrenzeichen des Reiter-Weltverbandes (1976)

Ehrenzeichen der nationalen Föderation in Gold mit Olympischen Ringen, Lorbeerkranz und Brillanten 1976

Ehrenmitglied beim Deutschen Olympiade Komitees (DOKR), im Springausschusses des DOKR 1981

Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) und im Ehrenkomitees der Spanischen Hofreitschule Wien 1981

Auszeichnung mit dem Medienpreis Bambi (1990)

Auszeichnung mit dem Spoga-Ehrenpreis für besondere Verdienste im Pferdesport 1990

Ehrenmitglied Aachen-Laurensberger Rennverein (ALRV), RuFV Warendorf und der Reitvereine Ludwigsburg, Herborn, Darmstadt, Bayreuth, Kassel, Frankfurt/Main und Hünfeld jeweils 1990

Landesorden Nordrhein-Westfalen (07.11.1991)

Friedensreiterpreis des Westfälischen Reitervereins von 1835 (1997)

“Goldene Sportpyramide” – 1. Preisträger - für sein Lebenswerk (2000)

Verleihung „Silbernes Pferd“ Kategorie Persönlichkeit (2002)

Deutsches Reiterkreuz in Gold mit Brillanten der deutschen Reiterlichen Vereinigung (2006)

Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (2008)

PSI-Award 2008 für das Lebenswerk

Ehren-FELIX des LandesSportBundes NRW (2009)

Buchautor u.a. von “Meine Pferde und ich” (1956), “Pferde und Reiter in aller Welt” (1957), “Halla - Die Geschichte Ihrer Laufbahn” (1961), “Olympiareiter in Warendorf” (1964), “Springreiten” (1979).

 

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