In der Corona-Krise fiel der FEI bisher wenig ein, ist aber gegen gute Ideen... Drucken
Geschrieben von: Leopold Pingitzer/ DL   
Mittwoch, 13. Mai 2020 um 18:56

Wien. Durch tolle Ideen fiel der Reiterweltverband (FEI) in den vergangenen Jahren kaum, eher gar nicht auf. Und wenn jemand vor allem in der Corona-Zeit nun möglicherweise einen guten Vorschlag unterbreitet, ist in der FEI keiner erbaut darüber, wie Leopold Pingitzer in seinem Kommentar in ProPferd.At feststellt.

 

Die FEI möchte mit rigiden Maßnahmen, die bis zur Sperre von Reitern und Richtern reichen, die Ausbreitung von Online-Turnieren unterbinden. Das ist nicht nur kurzsichtig, sondern vor allem auch ein fundamentaler Denkfehler. Langfristig wird der Pferdesport ohne Online-Turniere nicht überlebensfähig sein – ein Kommentar von Leo Pingitzer.

Das Portal ,Eurodressage’ hat vor wenigen Tagen den Brief des dänischen Fünf-Stern-Richters und Präsidenten des ,International Dressage Officials Club’ Hans-Christian Matthiesen veröffentlicht, der als Memo an sämtliche FEI-Richter verschickt worden war. Darin nahm Matthiesen zur Frage der sogenannten ,Online-Turniere’ Stellung, die seit einigen Jahren in der Pferdesport-Szene für einigen Gesprächsstoff sorgen und die sich auch in Österreich (in Form der ,Virtual Dressage Tour’) großer Beliebtheit erfreut. Dabei reitet man Zuhause bzw. im heimatlichen Stall eine Prüfung, nimmt diese auf Video auf und lädt es anschließend auf einer Online-Plattform hoch, um es von einer Fachjury bewerten zu lassen.

Aktueller Anlass für Matthiesens Schreiben war freilich nicht die ,Virtual Dressage Tour’, sondern die am 6. April erfolgte Ankündigung von ,En Garde Marketing’ des  deutschen Turnierveranstalters Volker Wulff,  in diese aufstrebende neue Szene einzusteigen und gemeinsam mit der Plattform Equi-Score schon demnächst ein neues Online-Turnierportal unter dem Namen ,Equi-League’ zu etablieren. Das klang nicht nur nach einem professionellen Projekt von internationalem Format, sondern für die FEI auch nach einer ernstzunehmenden Alternative zum klassischen Turniersport – und somit nach einer offenen Kampfansage.

In seiner Meldung sprach ,En Garde Marketing’ von „neuen Chancen“ und „grenzenlosen“ Möglichkeiten im Turniersport und darüber hinaus. Aufhorchen ließ vor allem dieser Passus: „Hochkarätige Richter sind dabei der Garant für die faire und kompetente Leistungsbeurteilung. Jeder Reiter erhält für seinen Ritt einen fachgerechten Kommentar sowie Hinweise, wie die Leistungen verbessert werden können, also Tipps für das tägliche Training."

Die Antwort der FEI ließ nicht lange auf sich warten und fiel entsprechend scharf aus: Die Position des Präsidiums ist, dass FEI-Richtern „nicht erlaubt ist, bei nationalen oder internationalen Online-Turnieren zu richten. Diese Art von Bewerben fällt unter die Kategorie der ,nicht genehmigten Veranstaltungen', weil sie nicht die fundamentalen Grundprinzipien der FEI garantieren können", so Hans-Christian Matthiesen. So sei es unmöglich, Fragen des Pferdewohls zu kontrollieren, die in jeglicher pferdesportlichen Disziplin höchste Priorität genießen müssten; auch faire und gleiche Wettkampf-Bedingungen für alle Teilnehmer könnten bei Online-Events nicht gewährleistet werden – und drittens sei es unmöglich, die notwendigen Regeln und Bestimmungen für Turnierveranstalter zu kontrollieren und deren einheitliche Anwendung sicherzustellen, um die Sicherheit und Integrität des Sports zu wahren.

Die Rhetorik der FEI gleicht nahezu wörtlich jener, die vor einiger Zeit auch der Österreichische Pferdesportverband (OEPS) gegen die ,Virtual Dressage Tour' ins Treffen geführt hat – und die…letztlich mit unzutreffenden, unfairen und bisweilen auch unredlichen Argumenten operiert (alles im Detail hier nachzulesen). Umso bedauerlicher ist es, dass sich nun auch die FEI derartiger Methoden und Argumentationen bedient – wobei vor allem der Hinweis auf das angeblich „nicht garantierte" Pferdewohl bei Online-Turnieren einen bitteren Beigeschmack bei einer Vereinigung hinterlässt, die in Sachen Rollkur/LDR die so umstrittene 10-Minuten-Regel eingeführt hat und nach wie vor eine Nasenriemen-Verschnallung toleriert, die allen wissenschaftlichen Erkenntnissen Hohn spricht. …

Gerade in Zeiten, in denen nahezu alle konventionellen Turniere behördlich untersagt sind, wäre es ein naheliegender Schachzug seitens der FEI gewesen, rasch und unbürokratisch für eine Alternative in Form von Online-Turnieren zu sorgen. Die FEI hätte dabei alle Trümpfe in der Hand – sie könnte über die nationalen Verbände für entsprechende Richtlinien sorgen, nach denen solche Online-Events durchzuführen wären, sobald dies die Corona-Beschränkungen wieder zulassen. Die FEI könnte solche Formate genehmigen und damit für alle Turnierreiter und auch für offizielle Richter öffnen – eine wohltuende Alternative, um während der turnierlosen Zeit in Schwung zu bleiben, zu trainieren und einen Anreiz für einen wettkampfähnlichen Vergleich zu schaffen.

Der Erfolg eines solchen Formats wäre garantiert – und würde dem Pferdesport und vielen Pferdesportlern über die schlimmste Zeit hinweghelfen. Junge, noch unerfahrene Richter könnten von den Prüfungs-Videos unendlich viel lernen, ihr Auge schulen und sich wertvolle Routine aneignen. So aber bleiben sie monatelang ,arbeitslos' und müssen sich die Zeit anderweitig vertreiben, solange keine regulären Turniere stattfinden – ebenso wie viele Turnierreiter. Die einmalige Chance, sich auch ohne Turnier-Events pferdesportlich in neuer Form zu betätigen und dazu das Feedback von Experten zu erhalten, wird so völlig sinnlos vertan – es ist eine Schande ...

Vor allem scheint die FEI nicht verstanden zu haben, dass sich die Situation des Pferdesports – und des Sports ingesamt – durch die Corona-Pandemie auch langfristig grundlegend verändern wird. Der Pferdesport wird künftig ein völlig anderer sein – nicht zuletzt aufgrund veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Es soll wahrlich keine Schwarzmalerei sein, aber wir stehen – wie auch Wirtschaftsforscher mittlerweile bestätigen – vor der größten Rezession seit den 1930er Jahren, und diese wird die Lebensbedingungen von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gravierend verschlechtern. Tausende Firmen werden in die Insolvenz schlittern, viele Menschen werden ihren Job oder große Teile ihres Einkommens verlieren – und all das wird auch am Pferdesport nicht spurlos vorübergehen. Viele werden sich – wie schon in der Wirtschaftskrise 2008/2009 – von ihrem Pferd trennen oder ihr Hobby nur noch in reduzierter Form ausüben können.

Wie unendlich wertvoll, wichtig – ja, überlebenswichtig – wäre in solchen heraufziehenden Krisenzeiten die Möglichkeit, ohne großen finanziellen und logistischen Aufwand, ohne mit Pferd, Kind und Kegel aufs Turnier fahren zu müssen die Möglichkeit einer einfachen und pferdesportlichen Betätigung – ganz abgesehen davon, dass man sich viel Transport- und Turnierstress erspart? Der Pferdesport wird sehr bald vor der gewaltigen Herausforderung stehen, seinen Mitgliedern neue, zeitgemäße und niederschwellige Sportangebote zu machen, damit sie weiter „bei der Stange" bleiben und nicht zu anderen Sportarten wechseln. Online-Turniere sind unzweifelhaft ein wichtiger Teil davon.

Die konventionellen Turniere, die bislang für die FEI und sämtliche nationalen Verbände eine so bequeme und verlässlich sprudelnde Einnahmequelle waren, werden weiter an Startern, Sponsoren und an wirtschaftlicher Bedeutung verlieren – und sie werden immer ,elitärer' werden, weil sich vermutlich nur noch Profis oder solvente Amateure eine Teilnahme werden leisten können. Für den vielzitierten ,Otto Normalverbraucher' aber wird es andere Formate und Angebote brauchen, um ihn überhaupt weiter im Kreis der Pferdesportler zu halten. Einer Firma wie ,En Garde Marketing' braucht man das nicht zu erklären – dort hat man es mit einem Wimpernschlag erfasst und verstanden. Bei der FEI hängt man offenbar immer noch an den alten Denkmustern und Reflexen.

Nützen wird ihr das freilich wenig – die Corona-Pandemie wird auch im Pferdesport ein übermächtiger Beschleuniger der geschilderten Entwicklungen sein. Die FEI wollte dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben – hat aber übersehen, dass das Tor von der Wirklichkeit längst eingerannt wurde und sich nicht mehr schließen lässt. Online-Turniere sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung – und sie werden ihren Weg machen, mit oder ohne die FEI, mit oder ohne FEI-Richter. Das sollte irgendwann auch die FEI kapieren – und nicht weiter einen völlig überflüssigen und aussichtslosen Kampf gegen Windmühlen führen…

 

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