Qualen von Pferden bis zum Schlachter... Drucken
Geschrieben von: Sascha Dubach/ Sabrina Gurtner/ DL   
Freitag, 04. Dezember 2020 um 17:08

Zürich. Solange der Mensch nach Fleisch auf den Teller verlangt, werden dafür auch Tiere bis zum Schlachten weiter gequält, auch Pferde. Der Profit kennt kein Mitleid oder Mitempfinden. Bewundernswerter Weise hat sich vor allem das Magazin PferdeWoche in der Schweiz in dieses Thema seit Jahren verbissen, nun die neuesten Berichte von Sascha Dubach und Sabrina Gurtner.

 

 

Noch immer Qualfleisch auf Schweizer Tellern

Seit über acht Jahren berichtet der Tierschutzbund Zürich über die Qualproduktion von Pferdefleisch.

Fleisch, das nach wie vor auf den Tellern der Schweizer Konsumenten landet. Einen ersten Erfolg konnten die Tierschützer erreichen, indem der Import aus Mexiko und Brasilien in die EU verboten wurde. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wie aktuelle Recherchen zeigen. Wir haben uns mit York Ditfurth, dem Präsidenten des Tierschutzbundes Zürich (TSB), über den Stand der Dinge unterhalten.

Sascha P. Dubach

Die «PferdeWoche» hat erstmals 2013 über Ihre Recherchen berichtet. Was waren damals die Hauptkritikpunkte?

York Ditfurth: „Wir zeigten ab diesem Zeitpunkt auf, dass Pferdefleisch aus verschiedenen Ländern aus tierverachtender Qualproduktion stammt. Ein unmittelbarer Erfolg war, dass die Großverteiler wie Migros, Coop usw. vom Import ausgestiegen sind. Aber eine Veränderung der Situation vor Ort konnten wir noch nicht herbeiführen. Wir waren damals beispielsweise in regem Austausch mit der Mig­ros, die versuchte, beim Produzenten in Nordamerika die Situation zu verbessern. Doch auch trotz ihrer Marktmacht leider vergeblich. Die Abnahmemenge in der Schweiz ist einfach zu gering, um etwas zu bewirken.“

Sie beschäftigen sich schon mehrere Jahre mit der immer noch vorhandenen Problematik. Was haben Sie schon erreicht?

YD: „Sehr viel! In der Schweiz ist der Konsum von Pferdefleisch aus Übersee um 60 Prozent gesunken. In Nordamerika werden statt 160.000 noch 60.000 Pferde geschlachtet. Zudem verhängte die EU einen Importstopp für Mexiko und Brasilien – das ist mit ein Verdienst von uns. Auch haben Supermärkte von Volg bis Denner oder von Coop bis Aldi kein Pferdefleisch aus Übersee mehr im Angebot. Das ist schon ein großer Erfolg für uns.“

Nach Ihren aktuellen Recherchen landet aber nach wie vor Qualfleisch auf unseren Tellern?

 

YD: „Ja, leider, und zwar in Restaurants und Metzgereien. Unter anderem ist der VPI – der Verband der Schweizerischen Pferdefleischimporteure – dafür verantwortlich. Er setzt weiterhin auf Importe aus Nord- und Südamerika sowie Australien. Und obwohl wir den VPI regelrecht mit Informationen «beschossen» haben, leiden die Pferde in den Schlachthöfen weiter.“

Mit welcher Begründung?

 

YD: „Der VPI und die Importeure denken nach wie vor, mit dem Handbuch könnte man etwas verändern. Das Einzige was sich getan hat, sind Investitionen in Sichtschutze. Alle Schlachthöfe in Argentinien, die wir besuchten, sind außen neu mit großen Planen und Mauern «blickdicht».“

Wird denn nicht geprüft?

YD: „Der VPI hat eigene Auditoren (Externe Prüfer, die Red.), doch denen wird bei ihren Besuchen – die stets angekündigt sind – nur die «heile Welt» vorgegaukelt. Wenn wir selbst vor oder nach den Audits vor Ort sind, zeigt sich uns ein ganz anderes Bild.“

Nehmen wir das Beispiel Argentinien. Da hat sich nichts geändert, oder?

 

YD: „Nein. Ein krankes oder tragendes Pferd hat dort für einen Schlachtpferdehändler weniger Wert als das Medikament, das er anwenden müsste. Also werden kranke Tiere über den Schlachtungsweg «entsorgt». Zudem liegt der Anteil gestohlener Pferde bei rund 50 Prozent. Diebstahl ist kein Aufwand und wird mit den mafiösen Strukturen inklusive Polizei und Gesundheitsbehörde noch unterstützt. Recherchen vor Ort werden für uns deshalb immer gefährlicher. Wir selbst können uns nicht mehr zeigen, man kennt uns. Wir arbeiten nun aber mit lokalen Mitarbeitern, die uns mit Bild- und Informationsmaterial versorgen. Wir haben mehr Infos als jemals zuvor.“

Wie hat der VPI darauf reagiert?

YD: „Wir wurden vom Verband angezeigt, dann zu einem Vermittlungsgespräch eingeladen. Dort zeigten wir unsere Beweise und von diesem Moment an haben wir nichts mehr gehört.“

Beweise?

YD: „Wie Sie im Erfahrungsbericht von unserer Projektleiterin Sabrina Gurtner entnehmen können, herrschen nach wie vor unhaltbare Zustände. Wie kann ein VPI dann behaupten, er kriegt das in den Griff? Das ist doch naiv.“

Ihre grundsätzliche Forderung?

YD: „Ein genereller Importstopp aus Argentinien, Uruguay, Kanada und Australien. Es gibt keine andere Lösung!“

Wenn also im Restaurant auf der Karte beim Pferdefleisch Argentinien als Herkunft steht, ist das immer Qualfleisch?

YD: „Ja, mit Garantie! Sogar Gammelfleisch. Es gibt total vier Schlachthöfe und alle sind schlimm. Was da angeliefert wird, sind alte Arbeitspferde aus den Slums, Blutstuten, ausgediente Polo-, Renn- und Rodeo­pferde. Letztere kriegen auch Phenylbutazon, das darf in Europa beispielsweise gar nicht in die Nahrungskette gelangen. Also nicht nur aus tierschützerischer, sondern auch aus verbraucherschutzrechtlichen Gründen ist Pferdefleisch aus Südamerika indiskutabel. Es geht nur darum, Billigfleisch zu produzieren. Wenn man schaut, mit welchen «Rappen-Beträgen» dort das Fleisch eingekauft wird, das kann nicht aufgehen. Anders sieht es beim Rindfleisch aus, da sind die Bedingungen viel besser, besonders bei Weidehaltung in Uruguay. Das kann man nicht vergleichen.“

Gibt es Pferdefleisch, dass man bedenkenlos konsumieren kann?

 

YD: „Ja, möglichst Schweizer Fleisch, im besten Fall noch vom Hof, den man kennt, oder vom Metzger des Vertrauens. Dort aber immer nachfragen, woher das Fleisch stammt.“

Und im Restaurant?

YD: „Wir hatten etliche Gaststätten «gescreent», die wussten zum Teil gar nicht, woher ihr Fleisch stammt. Oder sie verwiesen auf den Verband der Schweizer-Pferdefleichimporteuren, kurz VPI, von dem sie die Gewissheit erhielten, dass es sich um «sauberes» Fleisch handelt. Aber das ist eine Lüge!“

Aus welchen Ländern ist der Konsum sonst noch bedenkenlos?

YD: „Das kann ich als Tierschutzorganisation so nicht beantworten, da käme ich mit einer «Behauptung» in eine Grauzone. Aber grundsätzlich ist es nur dann bedenkenlos, wenn man weiß, woher das Tier stammt. Umgekehrt weiß man auch, dass Pferde aus Frankreich zum Schlachten nach Polen gefahren werden und dann – in welcher Form, Stichwort Lasagne, auch immer – wieder zurückkommen ... Oder wenn man das Umfeld in Nordamerika kennt, wo es enorm lange Transportwege und regelrechte Mastbetriebe gibt. Das sind keine Rahmenbedingungen, sprich Tierhaltung, die man ethisch vertreten kann. Aber in der Schweiz hat man ja die besten Möglichkeiten, den Hof seines Vertrauens zu finden, so perfekt strukturiert wie unser Land ist.“

Gibt es keine Schweizer Bundesbehörde, die eingreifen könnte?

 

YD: „Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV sagt, man sei an die europäischen Standards gebunden. Heißt aus unserer Sicht, die wollen nichts machen. Das BLV könnte sehr wohl Einfluss nehmen, schiebt den Ball aber an die EU weiter.“

Und die EU selbst?

YD: „Wir haben die EU-Kommission immer wieder unterrichtet. Da­raufhin hat diese Auditoren nach Argentinien geschickt. Nur schon das ist ein Erfolg, bedenkt man, dass es weltweit nur 23 Auditoren gibt. In diesem Jahr waren sie wieder in Argentinien und haben einen Mängelbericht verfasst. Dieser geht dann an das angeprangerte Land, welches ein halbes Jahr Zeit hat, um Stellung zu nehmen. Allein der formale Ablauf kann vom Auditorenbericht bis zu einem möglichen Importstopp vier bis fünf Jahre dauern.“

Was kann ich persönlich als Konsument entscheidend gegen diesen andauernden Missstand beitragen?

YD: „Wie bereits erwähnt, kein Überseefleisch, möglichst Schweizer Fleisch und dann im besten Fall noch vom Hof, den man kennt,  konsumieren. Und das andere was ich persönlich immer wieder sage: Warum so viel Fleisch? Wieso nicht wie früher, sich einfach auf den Sonntagsbraten beschränken? Wir hätten sicherlich generell viel weniger Probleme. Es kann ja auch nicht sein, dass gewisses Importfleisch für den Restaurantbetreiber günstiger zu kaufen ist als Gemüse. Aber ich denke auch, die Schweizer Bevölkerung ist im Grundgedanken «regional einkaufen» schon auf einem guten Weg. Denn «billiger» aus Übersee kann nicht besser sein, das ist ein Irrglaube!“

Statistik Konsum

Gesamtvolumen, Herkunft:

 9.6 %         Schweiz

90.4 %        Ausland

Aufteilung Import Ausland

Import 2019: 2406 Tonnen

47.0 %        EU

22.5 %        Argentinien

18.5 %        Kanada

 6.3 %         Uruguay

 5.5 %         Australien

Quellen: Proviande, Eidgenössische Zollverwaltung

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Erfahrungsbericht

TSB-Projektleiterin Sabrina Gurtner schildert ihre Eindrücke, die sie beim Besuch in Argentinien im Frühjahr 2020 erlebt hat.

Kein Ende? Pferdefleisch aus Qualproduktion

In Argentinien gelten Pferde als Haustiere. Der Verzehr von Pferdefleisch ist gesetzlich verboten. Dennoch werden Hunderttausende Pferde in Schlachthöfen getötet. Für den Pferdefleischexport. Es ist ein Geschäft grenzenloser Grausamkeit, betrieben von einigen wenigen, unter den Augen des Staates, der es geschehen lässt.

Seit 2013 ist der Tierschutzbund Zürich in Argentinien an den Orten, an denen für die Europäische Union (EU) und die Schweiz Pferdefleisch produziert wird. Es wird für uns immer gefährlicher, in Argentinien zu recherchieren. „Hinter diesem lukrativen Geschäft gibt es eine Mafia, die mit den Pferdedieben beginnt, mit den Händlern weitergeht und in den Schlachthöfen endet, die bei der Annahme von gestohlenen Tieren wegschauen,“ schreibt die argentinische Zeitung «Al Sur» im April 2020.

Die Pferdehändler und Schlacht­hofbetreiber kennen unsere Berichte und Filme. Statt die Tierquälerei zu beenden, investieren sie in Sichtschutz. Treibgänge verschwinden hinter Planen, Pferche hinter Mauern. Auffällig ist, dass die Quälerei auch vor den Auditoren (unabhängige Prüfer) der EU und der Importeure versteckt wird.

Die Sammelstellen der Pferdehändler

Damit der Nachschub in den Schlachthöfen nicht ins Stocken gerät, unterhalten die Pferdehändler «Acopios». Von diesen Sammelstellen gibt es Hunderte in Argentinien. Sie liegen häufig versteckt. Auditoren kommen dort nicht hin. Im Februar 2020 fahren wir zu mehreren dieser versteckten Sammelstellen. Kurz darauf ist ein EU-Auditteam in Argentinien. Wir geben ihnen den Hinweis, die argentinische Gesundheitsbehörde «Senasa» zu bitten, eine bestimmte Sammelstelle bis zum Audit unverändert zu belassen. Das heißt, dass alle Pferde, die jetzt dort sind, auch noch dort sein sollen, wenn das Auditteam kommt. Was die Auditoren vorfinden, protokollieren sie im EU-Auditbericht: „... die Tiere in der Sammelstelle waren kürzlich erst angeliefert worden und diejenigen, die zuvor dort waren, waren weggebracht worden.“ Diese Art der Manipulation hat System. Ein Nachteil angekündigter Audits.

Wir sind meist verdeckt unterwegs. Aus Sicherheitsgründen und um die Wirklichkeit in den Sammelstellen und Schlachthöfen zu sehen. Es ist der sechste Februar 2020. Wir fahren zur Sammelstelle in Santiago Temple. Sie ist riesig und weitläufig. Es hat kurz zuvor gestürmt. Umgeknickte Bäume und abgerissene Äste liegen auf der Strasse. Die Pferche und Futterplätze sind matschig. Das wenige Futter liegt im Dreck. Markenzeichen der Sammelstelle ist ein monströser Kadaverhaufen mit hunderten toter Pferde in allen Verwesungsstadien. Direkt neben einem Heuballen liegt ein weiterer Kadaver. Schon länger, Rippen ragen hervor. Dahinter ein Pferd auf drei Beinen. Sein rechtes Hinterbein ist am Fesselgelenk nach hinten geknickt. Nicht weit entfernt davon ein Fuchs mit einer offenen Wunde am Hinterbein. Wir sind versteckt in einem Gebüsch und können nur sehen, was Fernglas und Kameralinse hergeben. Wir bleiben länger und protokollieren so viel wie möglich für eine spätere Anzeige gegen diese Sammelstelle. Die Polizei können wir nicht rufen. Die Gefahr für uns wäre zu groß.

In einem Zeitungsartikel lesen wir später zu diesen Bildern: „An manchen Orten habe ich durchaus Haufen von Tierkadavern gesehen ... In Belgien haben wir dafür die Tierkörperverwertung, aber in Argentinien gibt es so etwas nicht. Dort betreibt man ein natürliches Recycling – das mag auf einige sehr verstörend wirken. Die toten Tiere bleiben auf einer Weide liegen und Insekten oder Geier erledigen den Rest.“ Das sagt Professor Bert Driessen der Universität Leuven (BEL9, veröffentlicht in «Het Belang van Limburg», 2020). Er ist Auditor der europäischen Importeure, die mit der Marketingplattform www.respectfullife.com versuchen, das Image des Importpferdefleisches aufzubessern.

Was wir vor Ort sehen, ist das, was dem Tod und der späteren Entsorgung auf dem Kadaverhaufen vorausgeht. Nur 100 Meter entfernt finden wir zwei Pferde. Ein kleiner Falbe, bis auf die Knochen abgemagert, und ein Brauner mit schwerer Hufverletzung. Ein Teil des Hufes ist weggefault, die Wunde voller Fliegen und Maden. Das Pferd leckt die Wunde. Es ist eine Frage der Zeit, bis diese beiden als Kadaver auf dem Haufen landen oder auf einem Transporter zum Schlachthof.

Die Schlachthöfe

Es gibt vier EU-zertifizierte Schlachthöfe in Argentinien, die größsten sind Lamar, Land L und Infriba. Alle drei werden von uns regelmäßig aufgesucht. Beim Schlachthof Lamar sind wir kurz vor einem Audit der europäischen Importeure. Auch die Schlachthöfe bereiten sich auf die Audits vor. Die Außenpferche sind leer, die neu gebaute Halle leicht gefüllt. Die Pferde sehen gut aus. Nach dem Audit fahren wir nochmals hin. Jetzt sind die Außenpferche voll. Die Pferde stehen in der prallen Sonne, regnet es, tief im Matsch. Das Futter liegt im Dreck, obwohl ein argentinisches Gesetz Raufen vorschreibt. Wir finden verletzte, lahmende, abgemagerte und trächtige Pferde. Auch im Treibgang zum Schlachthof sehen wir trotz Sichtschutzplane wie ihnen mit hartem Wasserstrahl ins Gesicht gespritzt wird und brüllende Arbeiter sie in Panik versetzen.

Schockiert sind wir im Schlachthof Land L. Dort beobachten wir nachts die Anlieferung von Pferden. Es sind Rindertransporter ohne Rampe. Auf zwei Transportern liegen Pferde. Sie können nicht aufstehen. Mit Ketten werden sie von der Ladefläche gezogen. Sie fallen einen Meter tief auf den Boden und bleiben liegen. Wir schleichen uns an, nachdem die Arbeiter weg sind. Beide Pferde sind schwer verletzt, sie bluten, haben offene Wunden. Sie bleiben die ganze Nacht liegen. Eines ist am nächsten Morgen tot. Das andere wird in den Schlachtraum gebracht. So lange das Herz schlägt, wird geschlachtet. Die toten Pferde landen hinter dem Schlachthof in einer Grube. Wir sehen uns dort um und finden noch eine Grube. Ein Bein eines Fohlens ragt heraus. Wir gehen der Sache nach. Der Schlachthof Land L schlachtet trächtige Stuten. Kommen die Fohlen vor der Schlachtung auf die Welt, werden deren Mütter trotzdem geschlachtet. Ein Todesurteil auch für die Fohlen.

 

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