Nach Corona wird auch der Reitsport ein anderes Image zeigen müssen Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Mittwoch, 13. Januar 2021 um 22:19

Wassenberg. Rund um das Kulturgut Pferd werden im Jahr weltweit rund 260 Milliarden Euro umgesetzt, in Deutschland mit 1,1 Millionen Pferden etwa sieben Milliarden. Dann kam Corona, und darunter leidet vor allem der Reitsport in Deutschland heftig – doch die große Politik diskutiert darüber selten oder gar nicht, dabei wäre er durchaus ein Thema…

 

Weltweit gibt es etwa 50 Millionen Pferde, 3.000 vor Christus wurde das Wildpferd domestiziert und nach und nach zu einem Wirtschaftsfaktor. In Deutschland leben etwa 1,1 Millionen Pferde, vier Millionen Bürger in der  Bundesrepublik steigen regelmäßig in den Sattel, auf den Kutschbock , gehen zum Voltigieren oder beschäftigen sonst mit dem Pferd. 300.000 Menschen leben in Deutschland vom Pferd und allem, was dazu gehört wie die Futtermittelindustrie, die Textilbranche, Leder- und Putzzeugfabrikation sowie bei Herstellern von modischen Accessoires. Die Industrie und Handel setzen jährlich sieben Milliarden damit um, vor allem durch den Sport.

FN mit 5 Millionen Defizit

Laut Statistik der deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Warendorf werden pro Jahr landesweit an die 3.500 Veranstaltungen organisiert mit 68.000 Prüfungen und 1,4 Millionen Starts. Dann kam vor fast einem Jahr die Corona-Pandemie und legte das öffentliche Leben praktisch lahm, vor allem den Sport zu und mit dem Pferd. Es fand 2020 fast nichts statt in deutschen Hallen oder im Freien, was, so der FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach, „zu einem Einnahmeverlust der Föderation von rund fünf Millionen Euro“ führte. Denn am Turniersport verdient die FN mit, Veranstalter haben nämlich für die Durchführung von Turnieren eine Lizenzgebühr nach Warendorf zu überweisen, und auch andere Gebühren fließen der FN zu.

Um das Defizit „unter eine Million zu drücken“ (Lauterbach), wurden Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, Stellen von ausscheidenden Angestellten nicht mehr besetzt. In seinem ersten Rückblick auf die Krise sagt Lauterbach, der Reitsport habe einen dramatischen Einbruch erlebt, Turniere wären ausgefallen, dazu Unterricht, Lehrgänge und Ferienaufenthalte im deutschen Reitsportzentrum, es habe Einschränkungen gegeben bei Produzenten, im Handel und bei Dienstleistern, bei Reitvereinen und Betrieben, „und nicht wenige müssen ernsthaft um ihre Existenz fürchten, je länger die Krise andauert“. Einige Betriebe und Selbständige hätten bereits aufgeben müssen. „Auf der anderen Seite erlebe ich ein Zusammenrücken in der Szene“, so Sönke Lauterbach, „die Pferdeleute wollen ihren Beitrag leisten, damit Corona eingedämmt wird. Die allermeisten halten sich sehr diszipliniert an die Regeln und schränken sich im Stall ein. Wir alle müssen helfen, die Zahlen zu drücken, damit das gesellschaftliche Leben und eben auch der Sport alsbald wieder geöffnet werden können.“  

Fritz Johannsmann optimistisch

Der international überaus bekannte und auch stets klug operierende Pferdetransporteur Fritz Johannsmann (Steinhagen) zeigt Optimimus ohne Überschwang in der Krise. Was Veranstaltungen angeht, werde es sie geben „solange es den Reitsport gibt“, doch nicht jeder könne sein Turnier auf gleichem Level wie gewohnt halten, „andere werden sich steigern“. Als Spediteur habe er Verluste im Bereich `Partner des Pferdesports` zu verzeichnen gehabt, einiges konnte man ausgleichen, „Kurzarbeit oder gar Entlassungen waren bis jetzt noch nicht von Nöten.“ Und das sagte er: „Demjenigen, der ein sicheres Gehalt bezieht, fällt es natürlich leichter, damit umzugehen als demjenigen, dem unverschuldet die Aufträge ausbleiben.“ Er jedenfalls stelle sich auf ein langsames Erwachen der Turnierszene ein.

CHIO-Präsident Kemperman: „Wieder normal“

Frank Kemperman, Vorstandsvorsitzender vom Aachen-Laurensberger Rennverein (CHIO) als Veranstalter des bis auf wenige Ausnahmen alljährlichen Internationalen Offiziellen Reit- und Fahrturniers (CHIO) von Deutschland, glaubt, „dass die Pferdewelt im Laufe des Jahres wieder normal wird“, und er hofft, „dass wir beim kommenden Weltfest des Pferdesports, dem CHIO Aachen, wieder miteinander den tollen Sport und insbesondere die außergewöhnliche Atmosphäre genießen können.“

Der letzte CHIO fiel bekanntlich wegen Corona in Aachen aus, und für viele Veranstalter „war 2020 ein schwieriges Jahr und wird sicherlich hier und da auch Konsequenzen haben. Aber wir sollten positiv nach vorne schauen und kreativ an neuen Konzepten arbeiten“, sagt er. Persönlich sieht er das letzte Jahr „ruhig für Reiter und viele Pferde.“ Viele hätten erlebt, „dass es zuhause bei der Familie gar nicht so schlecht sei, „und hoffentlich wird in Zukunft weniger hin- und hergereist und werden stattdessen mehr Meetings digital abgehalten“.

Kasselmann mit Zukunfts-Blick

Ulli Kasselmann gehört zu jenen, die der Entwicklung immer ein Stück voraus sind. Nicht nur im Sport. Und so meint er in Zeiten der Seuche, die inzwischen auf dem gesamten Erdball 85 Millionen Menschen befiel und woran 1,8 Millionen starben: „Wir, damit meine ich Reiter, Funktionäre und Veranstalter, müssen uns zusammen Gedanken machen, wie der Reitsport mit neuen Formaten in der Zukunft aussieht. Es muss darum gehen, den Reitsport noch interessanter zu machen.“ Und weiter sagte er: „Der Spitzensport wird sich auf einzelne Veranstaltungsorte fokussieren, die auch in der Lage sein werden, mehrere Veranstaltungen durchzuführen.“

Kasselmann, der auf seinem Hof in Hagen a.T.W. 2020 mehrere Turniere absagen musste: „Finanzielle Verluste sind bereits spürbar, doch in welchem Ausmaß sich diese bewegen, können wir aktuell noch nicht benennen. Die Veranstalter, die zurzeit kein geeignetes  Geschäftsmodell haben, sind hart getroffen.“

Im Moment könne man nur abwarten, wie sich 2021 entwickeln werde, „die einzige Möglichkeit aktuell. Wichtig erscheint mir, dass wir der Politik unseren Sport näherbringen und aufzeigen, wie wichtig der internationale Reitsport ist. Insbesondere für die junge Generation und den Breitensport müssen Möglichkeiten geschaffen werden. Wir haben zum Beispiel eine Ponyschule mit einer Reitakademie gegründet, die Nachfrage der Eltern ist enorm.“ Der Ponyhof mit 150 Tieren liegt mitten in Osnabrück, und obwohl wegen Corona zur Zeit kein Unterricht abgehalten werden kann, „hat niemand ein Kind abgemeldet“ (Kasselmann).

Volker Wulff: „Derbyabsage kostete fast 1 Million“

Volker Wulff, Gründer des Veranstalter-Unternehmens „En Garde“, ist u.a. Turnierchef des deutschen Dressur- und Springderbys in Hamburg, der Global Champions Tour in Berlin und des 5-Sterne-Turniers „Partner Pferd“ in Leipzig. Er sagt: „Die großen Traditionsturniere werden auch weiterhin Bestand haben, und es wird weiterhin eine Zukunft für diese Veranstaltungen geben.“ Die Sponsoren würden sich jedoch stärker auf Top-Veranstaltungen konzentrieren, wo sie Kunden etwas Besonderes bieten könnten, „im Allgemeinen wird das Veranstalten von Events jedoch teurer werden“, sagt er, die Eventlocations sowie die Caterer würden sicherlich nach Corona die Preise anziehen, „das wird einige Veranstalter, gerade von nicht sonderlich lukrativen Turnieren, erstmal in die Knie zwingen“.

Das abgesagte Hamburger Derbyturnier war gleichzeitig auch ein herber finanzieller Verlust. Bis März waren bereits im Vorfeld Kosten von 700.000 Euro aufgelaufen, dazu kamen Fixkosten für Platzmiete, Grundsteuern, Instandhaltung und laufende Kosten in Höhe von 200.000 €, „dem gegenüber standen null Euro wirtschaftlicher Ertrag aus der Durchführung des Derbys“.   

Nach seiner Meinung habe die Pandemie der gesamten Welt eine gewisse Hilflosigkeit demonstriert – „so auch dem Reitsport. Fast alle großen Events, Serien und Championate sind in den vergangenen zehn Monaten ausgefallen oder mussten verschoben werden. Auf der anderen Seite gab es viele Initiativen im Reitsport, darunter die von mir entwickelte EQUI-League“.

Die Pandemie hätte vor allem den ländlichen Reitsport stark getroffen, „bei einigen dieser Veranstaltungen sehe ich die Gefahr, dass sie für immer verschwinden werden“, zudem ahne er „ein Schwinden der Motivation in vielen Vereinen, wenn mit dem Turnier der jährliche Höhepunkt fehlt und der Vereinsgeist nicht gefordert wird“.

Peter Hofmann: „Vieles hängt von Wirtschaft ab“

 

Die Vorbereitungskosten für das traditionelle Maimarktturnier in Mannheim seien bereits gedeckt, „weil die Sponsoren zum Turnier stehen“, sagt der ewige Clubpräsident („seit 39 Jahren“) und Turnierveranstalter seit 40 Jahren Peter Hofmann. Das Turniergeschehen ob in Deutschland oder sonst wo wäre abhängig von der Durchführung der Impfung gegen das Virus Covid-19. meint der Jurist, ohne den die größte Freiluft-Veranstaltung im Turniersport in Baden-Württemberg längst Geschichte wäre.

In Zukunft würde im Turniersport alles von der Wirtschaft abhängen, „denn damit entscheidet sich, ob Sponsoren bereitstehen für große Veranstaltungen, die Leuchttürme unseres Sports.“ Auf der anderen Seite sei nicht zu übersehen, dass Probleme beständen, „Ehrenamtliche für Veranstaltungen zu gewinnen, und bei der Akquisition von Sponsoren, um den internationalen Wettbewerbsdruck kompensieren zu können. Aus diesem Grunde wurde ja, und zwar für alle deutschen Turniere, eine signifikante Senkung der Veranstaltungsgebühren zwischen der FN und der Interessengemeinschaft Turnierveranstalter vereinbart“.

Corona sei zunächst natürlich ein schwerer Schlag gewesen, gerade für die Turnierszene, „auf der anderen Seite müssen wir sehen, dass wir gegenüber anderen Sportarten im Breitensportbereich schon dadurch privilegiert sind, dass wir uns um unsere Pferde kümmern müssen. Aus Tierwohl, Tierschutz und Unfallverhütungsgründen. Bei Einhaltung entsprechender Vorkehrung und Beachtung der Hygienekonzepte konnte man zu seinem Pferd, nicht unbedingt reiten, aber betreuen.“ Wenigstens ein kleiner Lichtblick in der Zeit der Corona-Pandemie.

 

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