Jubel, Trubel, heißer Herbst um Michael Jung Drucken
Geschrieben von: Gerd Braun   
Dienstag, 05. Oktober 2010 um 11:59

Horb a.N. Triumph und Erleichterung entluden sich in der geballten Faust des Altheimers, die er nach dem letzten Hindernis nach oben reckte. Gerd Braun beschreibt  im "Schwazwälder Bote" die Ausnahmesituation im Heimatort des neuen Weltmeisters Michael Jung.

Als Rüdiger Rau seinen gewünschten Gesprächspartner dann endlich mal an der Strippe hatte, gingen ihm die Worte aus. "Sensationell, sensationell", klang es hörbar mitgenommen aus ihm heraus, und "brutal, brutal, brutal, brutal."

Der Mann am anderen Ende des mobilen Telefons war kurz zuvor von annähernd der gesamten deutschen Reiterprominenz beglückwünscht worden. Joachim Jung nannte unter anderem die Namen Otto Becker und Paul Schockemöhle – und hörte in Jubel des großen Reitstadions zu Lexington/Kentucky vielleicht auch die Woge der Begeisterung im Altensteiger Reiterstüble, wo Rüdiger Rau ein Public Viewing organisiert hatte.

Soeben, kaum fünf Minuten vor diesem Telefonat, hatte Michael Jung für die bislang vielleicht größte Sensation der Horber Sportgeschichte gesorgt, indem er – cool wie ein Eisblock – das abschließende Springen des Vielseitigkeitswettbewerbs bei den Weltreiterspielen fehlerfrei in 84,82 Sekunden beendet und damit die Goldmedaille gewonnen hatte.

Er konnte auf Sicherheit reiten, denn während die Starter zwischen Rang zwei und elf kaum mehr als ein Abwurf, also vier Strafpunkte trennte, hätte sich der 28-jährige Altheimer auf seinem zehnjährigen Wallach La Biosthetique Sam zwei Springfehler leisten können – und wäre immer noch Weltmeister geworden.

Doch scheinbar hätte das Erfolgsduo auch dann noch fehlerfrei das Ziel erreicht, wenn die Parcoursbauer die Stangen zehn Zentimeter höher gelegt hätten.

Von dieser Souveränität, dieser Selbstsicherheit, dieser nervlichen Meisterleistung und diesem sportlichen Vermögen waren auch die 26 Fans im Altensteiger Reiterstüble sichtlich beeindruckt. Nach dem grenzenlosen Jubel als "Michi" Jung auch das letzte Hindernis noch sauber übersprungen hatte und dem kollektiven Gänsehautgefühl während der Siegerehrung waren viele der Public Viewer in Altensteig vor allem sprachlos.

Gerade für Reitlehrer Rüdiger Rau, bei dem der Weltmeister sein erstes Reiterabzeichen abgelegt hatte und der einen engen Kontakt zu der Altheimer Familie pflegt, war es ein Wettbewerb wie von einem anderen Stern: "Solch eine Dominanz – neun Punkte Vorsprung bei einer Weltmeisterschaft – ist höchst selten", so der Hausherr, der wie alle anderen auch erst einmal verarbeiten musste, was da eben vor den Augen der gesamten Reiterwelt geschehen war.

Noch eine halbe Stunde zuvor hatte prickelnde Anspannung in der gemütlich-rustikalen Stube geherrscht. "So langsam kommt’s", meinte Rau, nervöser werdend, als die Runde der letzten 15 Starter erreicht war und strich sich beruhigend über die Unterarme.

Mit zur Vorbereitung für die Entscheidung gehörte im Altensteiger Reiterstüble auch, unter der Leinwand, die Rau zwischen Theke und Getränkeautomat aufgebaut hatte, eine Deutschlandflagge zu befestigen. Dafür tat es an diesem aufregenden Abend zur Not auch mal klassisches Pflaster.

Einer ersten Welle der emotionalen Anteilnahme beim Ritt von Ingrid Klimke, die von Rang drei auf 13 zurückfiel, folgte eine kurze Phase der Ruhe vor dem Sturm. Und als schließlich Michael Jung ins Stadion einritt grüßte ihn ein Altensteiger Fan mit der selbstbewussten Aussage "Jetzt kommt der Weltmeister" – und er sollte recht behalten.

Zwischen dieser Prophezeiung und der auf die Leinwand projizierten, nach oben gereckte Faust Michael Jungs lagen aber noch einmal atemraubende 100 Sekunden – wobei es eigentlich gar keinen Grund gab, sich derart aufzuregen. Als sei es ein Trainingsritt, spulte der Altheimer mit seinem Württemberger die Runde durch den Parcours ab und nahm auch alle Hindernisse, an denen sich zuvor kleinere und mittlere Dramen abgespielt hatten, mit der Leichtigkeit eines Weltmeisters.

In Altheim liefen gestern die Vorbereitungen für den Empfang des Erfolgsreiters an. Eine Stunde nach seinen Eltern Brigitte und Joachim, kehrt Michael Jung heute gegen 11.30 Uhr aus Lexington zurück auf das heimische Anwesen. Dort haben die drei dann nach dem ersten Trubel sicher ein paar Augenblicke Zeit, ihren Jetlag und den sportlichen Erfolg zu verarbeiten – bevor es am Freitag schon wieder weitergeht zum nächsten Turnier. In Bisingen beim Hohenzollerncup tritt Michael Jung beim S**-Springen an, das zur BW-Cup-Serie gehört.

Und während die sportliche Saison dann allmählich ausklingt, steht der heiße Herbst bevor, in dem es darum geht, noch bis zum Jahresende eine Lösung zu finden, um Sam behalten zu können. Die Besitzerin, die 60 Prozent an ihm hält, gedenkt nämlich, den im Wert kometenhaft gestiegenen Wallach zu verkaufen – wozu sie mit Ablauf des Kalenderjahres 2010 auch vertraglich die volle Freiheit hat.

 

 

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