Eine Geschichte aus dem Pferdehimmel... Drucken
Geschrieben von: Johan Grooten/ dl   
Mittwoch, 07. Februar 2024 um 14:55

Der Niederländer Johan Grooten „besucht“ ab und zu den Pferdehimmel, wo er sich diesmal mit Hickstead unterhielt, jenem holländischen Hengst von Hamlet, der ursprünglich Opel hieß und mit 15 Jahren während des Weltcupspringens in Verona am 9. November 2011 unter seinem kanadischen Reiter Eric Lamaze (heute 55) im Parcours zusammenbrach und an den Folgen eines Aoartarisses die irdische Welt verließ.

Liebe Erdenbürger, es ist viel Zeit vergangen, seit ich euch im Jahre 2011 so plötzlich verlassen musste. Leider konnten wir uns nicht verabschieden. Nach einem Ereignis, das mir widerfahren ist, bleibt dafür keine Sekunde Zeit. Diese Erfahrung habt ihr bestimmt auch gemacht. Eine geliebte oder berühmte Person, die plötzlich nicht mehr da ist. Jemanden mit dem man so viel erleben wollte oder mit dem man diese wunderbaren Gespräche nicht mehr führen kann. Dieses Gefühl ist auch bei mir da. Nicht mehr in der Lage zu sein, sich der Herausforderung eines harten Grand-Prix-Kurses zu stellen und dieses euphorische Gefühl nach einem fehlerfreien Ritt zu erleben. Den Stallkameraden nicht wiedersehen. Kollegen nicht mehr sehen auf Reitturnieren. Ich konnte die Pausen, die mir mein Reiter Eric Lamaze gewährte und in der die Pleger alles taten, um mich glücklich zu machen, nicht mehr genießen. Verlauf und Dauer des Lebens sind weder für Menschen noch für Tiere vorhersehbar. Damals ereilte mich selbst ein solches Schicksal. Unmittelbar, nachdem ich beim Turnier in Verona den Parcours fast vollendet hatte, fühlte ich mich plötzlich nicht mehr wohl. Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten und stürzte, ehe wir die Arena verlassen konnten.

Eine geplatzte Aorta bedeutete, dass ich plötzlich nicht mehr in euerer Welt war. In diesem Moment habe ich vielen Menschen in der Halle  wirklich Angst gemacht. In erster Linie natürlich Eric, meinem Reiter, und auch anderen direkt Beteiligten, aber eigentlich allen, die es erlebt haben, auch dem deutschen Goldmedaillengewinner von Atlanta, Ulli Kirchhoff. Ich kann nur im nachhinein zu allen sagen: Tut mir leid. 

Jetzt, in dem Augenblick, dass ich in meinen Erinnerungen krame und meine Gedanken ausspreche, kommt Beethoven vorbei, du weißt schon, lieber Eric, jener Wallach, auf dem David Broome 1970 Weltmeister in La Baule wurde, noch mit Pferdewechsel im Finale der besten Vier aus den Qualifikationen. Beethoven witzelte: Vielleicht habe ich es nicht richtig gehört, aber ich glaube, Du erzählst eine ziemlich dramatische Geschichte. Das ist für Dich als Sohn Hamlets natürlich verständlich. Drama liegt dann in Deinen Genen. Ich habe nur geantwortet: Oh, lieber Beethoven, Du hast offensichtlich nicht alles richtig verstanden, soll ich mich also auf das Drama konzentrieren und Du auf die Musik? Dafür hast du die besten Gene.

Was ich euch beim Lesen nicht vorenthalten möchte, ist mein Empfang, als ich damals durch das Himmelstor ging. Zu meiner Überraschung stand dort ein mir unbekanntes Pferd, das mich herzlich willkommen hieß. Es stellte sich heraus, dass es sich um den Wallach Turvey handelte, den der Italiener Graziano Mancinelli in den 1960er Jahren herausgebracht hatte. Da das ziemlich weit vor meiner aktiven Zeit lag, kannte ich Turvey natürlich nicht. Bald erzählte er mir, dass ihm damals fast das gleiche Schicksal widerfahren wäre wie mir. Seine Rücksicht und sein Mitgefühl halfen mir, mein Schicksal besser zu akzeptieren. Turvey, Danke dafür.

Trotz des traurigen Endes meines irdischen Lebens hatte ich eine wundervolle Zeit mit euch auf Erden. Ich wurde in den Niederlanden im Stall von Jan van Schijndel im Dorf Maren Kessel in der Provinz Brabant geboren. Da ich offenbar auf einen guten Familienstamm zurückblicken konnte, mein Großvater war schließlich Nimmerdor, und der war in der Zucht mehr als ein Begriff, weckte ich natürlich bei den Pferdeleuten Interesse und Begehren.

Über mehrere Zwischenstationen landete ich im Stall von Eric Lamaze in Kanada. Dort war mir vieles mehr als neu, andere Stallkameraden, eine andere Sprache, unterschiedliche Kommandos, aber glücklicherweise war dort das universelle Pferdegefühl zwischen den Menschen und mir so groß, dass ich mich schnell heimisch fühlte. Dazu wurde ich durch die weitere Ausbildung durch Eric auf ein Niveau gehoben, dass wir bald von Turnier zu Turnier reisten, irgendwann auf der ganzen Welt herum. Ja, als Pferd sieht man viel und trifft interessante andere Pferde. Obwohl, das Fliegen habe ich nicht so gemocht. Aber, da muss auch ein Pferd durch.

Und ein gelungener Ritt über einen schweren Parcours entschädigt dann für vieles. Außerdem, man begegnet regelmäßig Pferden und Menschen, aus früheren Phasen des Lebens. Diese Erlebnisse sind für uns Pferde sehr wertvoll. Ich hoffe, dass immer mehr Menschen die Emotionen und das Verhalten der Pferde verstehen. Das erfordert natürlich etwas Aufmerksamkeit, Interesse und Einfühlungsvermögen, Menschen sollten sich manchmal auch verpferdlichern, wie der große deutsche Springreiter Micky Brinckmann mal sagte.

Obwohl ich nicht alles mitbekomme, was auf der Erde passiert, verfolge ich hauptsächlich, was so läuft mit den Pferden und den Menschen, die ich kenne. Leider musste ich die Erfahrung machen, dass es Dir, Eric, in den letzten Jahren nicht so gut ergangen ist. Es tut mir leid, das zu sehen. Wir hatten tolle Zeiten zusammen, mein Freund, wenn ich von hier aus Dir erzähle. Wir sollten für das Erreichte beide dankbar sein.  Ich mehr, weil Du mein Reiter und Herr gewesen bist und mir eine wundervolle und erfolgreiche Karriere ermöglicht hast.

Gemeinsam gewannen wir 2008 Olympisches Gold in Hongkong, wohin die Reitsrepiele von Peking ausgelagert worden waren, übrigens die erste Olympische Goldmedaille für ein kanadisches Reiterpaar, wir siegten beim deutschen CHIO im Großen Preis von Aachen, zweimal holten wir den den Großen Preis von Spruce Meadows in unserem Heimatort Calgary und vieles mehr. Ein schöner Abschluss meiner Karriere waren natürlich die Statue, die ich in Spruce Meadows erhalten habe, und die Aufnahme in die Hall of Fame des kanadischen Sports, zusammen mit Dir, Eric. Alles Gründe, stolz sein zu dürfen. Darauf werden viele unserer Reiter- und Pferdekollegen neidisch sein. Natürlich, Eric, darauf bist Du auch stolz, und andererseits gibt es manchmal Dinge im Leben, die einen aus dem Gleichgewicht bringen können. Manchmal selbst verschuldet, manchmal auch durch äußere Einflüsse.

Aber ich darf Dir unaufgefordert einen Rat geben und sage Dir: Bleibe aufrecht, bleibe bei der Wahrheit und bleibe der gute Eric, wie ich Dich gekannt habe. Das gibt Dir Ruhe und Ausgeglichenheit. In diesem Zusammenhang möchte ich unseren Pferdehimmel-Philosophen Posillipo zitieren: Gute Erinnerungen sind die Inspiration für die Zukunft - und: Rückblick ist die wertvollste Lernerfahrung. Ich möchte immer stolz auf Dich sein, Eric!

 

 

 

 

 

 

 

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