| Turniersterben in Deutschland - Ursache und Wirkung |
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| Geschrieben von: Dieter Ludwig |
| Freitag, 14. November 2025 um 21:22 |
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Wassenberg. Deutschland galt bis vor Jahren vor allem in den Wintermonaten als Schlaraffenland des Reitsports, nirgendwo sonst konnte in so vielen Hallen geritten werden wie in Germania, die Dortmunder Westfalenhalle wurde gar als das Aachen unter dem Dach gepriesen – alles Historie. Deutschland als mitgliederstärkste nationale Federation im Weltverband FEI ist auf der Landkarte der Veranstaltungen nur noch ein kleiner Punkt. Bis auf wenige Ausnahmen findet der große Turniersport jenseits der deutschen Grenze statt, das große Geld wird dort verdient. In Deutschland gibt es über 6.200 Reitvereine, von denen etwa die Hälfte jedes Jahr ein oder gar mehrere Turniere veranstalteten. Das änderte sich aber schlagartig, als gar für die von Klubmitgliedern gebackenen Kuchen auch noch Steuern anfielen. Und als noch an Kaffee oder Cola für die eingespannten Mitglieder gespart wurde, erlosch das Turnierinteresse noch mehr auch in den eigenen Reihen. Inzwischen steht die Bundesrepublik nicht mehr vorne weg im Turnierkalender des Weltverbandes. Große Veranstaltungen sind in Deutschland inzwischen Geschichte, ob in Kiel, Bremen, Hannover, Nörten-Hardenberg, Braunschweig, Wolfsburg, Gera, Köln, Düsseldorf, Dortmund oder München, zuletzt gab Donaueschingen auch auf. Aus der Stadt auf der Baar, wo Brigach und Breg zusammenfließen und als Donau die lange Reise zum Schwarzen Meer beginnen, heißt es zwar, 2027 solle ein neuer Anfang werden, doch daran glauben nur wenige bis gar keiner. Berlin ist außerdem die einzige Hauptstadt in Europa, die zu keinem Reitturnier entsprechend dem eigenen Anspruch mehr einlädt. Früher, als die Deutschlandhalle noch stand, traf sich in der ehemals geteilten Hauptstadt die Hautevolee des Spring- und Dressursports aus aller Welt. Nun gibt es nur noch Stuttgart und Leipzig, die Weltpokalveranstaltungen im Spring-Programm haben. Dank Ludger Beerbaum gastiert die Global Champions Tour wenigstens noch in Riesenbeck, ansonsten fährt Tour-Erfinder Jan Tops (Niederlande) an solchen Flecken höchstens vorbei, ohne vielleicht nur einmal, aber unbewusst zu winken. Riesenbeck sei für einen Tops nicht erlesen genug, wie mal einer aus seinem Umfeld erzählte. Im kommenden Jahr gibt es zwar die Weltreiterspiele in der Aachener Soers im August, doch kein Internationales Offizielles Reit- und Fahrturnier (CHIO) von Deutschland auf höchstem Level, 5-Sterne, mit Voltigieren, Fahren, Dressur, Vielseitigkeit und Springen. Nur für die Veranstaltung um den Rolex-Grand Slam der Springreiter fand man Zeit und Raum, nämlich drei Tage im Mai (22. bis 25.05.26). Um ein Internationales Offizielles Dressur-Turnier (CDIO) auf höchstem Niveau im nächsten Jahr hat sich Hagen a.T.W. mit Turnierchef Ulli Kasselmann bei der FEI beworben ("Termin sechs Wochen vor den Weltreiterspielen"), für ein Drei-Sterne-CSIO in Deutschland anstelle von Mannheim wird noch ein Gastgeber gesucht. Dem umtriebigen und geschickten Mannheimer Peter Hofmann (75) war zwar, wie 2015 – Aachen organisierte damals die Europameisterschaften - von der deutschen Föderation angetragen worden, doch für Aachen mit dem Offiziellen Internationalen Springturnier (CSIO-5*) einzuspringen, der Jurist und erfolgreichste deutsche Turnierveranstalter aller Zeiten, musste ablehnen, „können wir finanziell nicht stemmen.“ Ein Drei-Sterne-CSIO wie in den letzten Jahren wird es Mannheim 2026 jedenfalls auch nicht geben. Bei einem CSIO mit 5-Sterne-Charakter sind Preisgelder zwischen 2,3 und 2,5 Millionen Euro üblich, „ohne Extras wie zum Beispiel Unterbringung auf Veranstalterkosten von Prominenten und Team-Mitgliedern“ (Hofmann), dazu gesellen sich die Abgaben an den Internationalen- und nationalen Verband in Höhe von insgesamt etwa 83.000 Euro. Die Veranstaltungs-Misere in Deutschland hat viele Gründe. Kasselmann (77) und Hofmann sind sich in einem Punkt einig: Es wäre ihnen sehr geholfen, würden die 19 Prozent Umsatzsteuer entfallen. Warum beispielsweise Frankreich mehrere Topturniere besitzt, allein drei in Paris, drei Offizielle Springturniere ebenfalls organisiert, „das liegt daran, dass sie dort genügend Sponsoren haben, auch aus dem arabischen Raum, die eben alles bezahlen“, so Peter Hofmann, seit 20 Jahren Vorsitzender im Springausschuss des deutschen Verbandes und seit 1982 Präsident des Mannheimer Reiter-Vereins, der seit 1964 und dem 1. Maimarktturnier eng mit dem Reitsport verbunden ist, damals führte er als Junge das Pony mit den Schleifen für die Platzierten nach einer Prüfung in das Stadion zu den Ehrungen. Dass EU-Gelder zum Beispiel unter dem Titel Touristik von Brüssel nach Portugal und Spanien fließen und dort auf Konten der Veranstalter landen, wird schon lange gemunkelt, doch auf Anfragen gibt es keine Antwort. Ullrich Kasselmann, der jedes Jahr auf seinem Hof in Hagen am Teutoburger Wald und in Ankum im eigenen Klub insgesamt zwölf Turniere und somit die meisten in ganz Deutschland mit seinem Team durchzieht, auf höchstem Niveau, sieht die Probleme wie Peter Hofmann. Kasselmann sagt, die Auflagen seien unglaublich, Mindestlohn, Sicherheitsvorkehrungen, Abgaben an die Verbände, „das alles summiert sich“, einzige Einnahmen wären der Verkauf von Vip-Tischen. Damit mache auch Jan Tops als Erfinder der Global Champions Tour seit 2006 sein Geld, und der wiederum habe ja alles aus den USA übernommen, wo sich die Turniere tragen würden „durch die Startgelder der Reiter, der Pferdebesitzer und Sponsoren“. Und er sagt: „Wir alle, die an diesem Sport hängen, müssen uns etwas einfallen lassen“, sonst würden die Turniere im Nichts versinken. Die immer wieder entfachten Diskussionen um das Wohl der Pferde übertünchen keinesfalls den Ernst der Situation, in der sich dieser Sport nicht gerade erst jetzt bewegt.
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