Der schwere Job der Turnier-Stewards...Katalog soll helfen |
Geschrieben von: Oliver Wehner/ "Die Rheinpfalz" |
Montag, 28. April 2014 um 10:47 |
Ludwigshafen. Aggressives Reiten auf den Vorbereitungsplätzen der Turniere ist ein Reizthema vor allem in der deutschen Szene. Experten haben nun anhand der Dressur einen Kriterienkatalog erarbeitet, der die Beurteilung dem Aufsichtspersonal, aber auch Zuschauern und natürlich den Menschen am anderen Ende der Zügel erleichtern soll - damit nicht nur Momentaufnahmen zählen…
Spätestens seit Hagen warten Zuschauer und oft auch selbst ernannte Foto-Reporter an den Turnierabreiteplätzen nur darauf, bis mal wieder eine Pferdenase hinter die optimal senkrechte Linie rutscht, das Genick nicht mehr wie gewünscht der höchste Punkt ist. (Vor)schnell sind dann Urteile gefällt - und wandern schnurstracks und anklagend ins Internet.
Aber es geht dabei um so viel mehr als „nur“ die Rollkur. „Dieses Thema ist omnipräsent seit vielen Jahren“, weiß Dr. Dennis Peiler, der Sportchef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). 2012 sei die Idee entstanden, sich „in Ruhe mit allen Facetten auseinander zu setzen“. Und nun, da die Ergebnisse eines Expertengremiums aus Tierärzten, Trainern, Reitern, Richtern und Sportwissenschaftlern am Beispiel der Dressur auf dem Tisch liegen, soll ein Kriterienkatalog „zur Beobachtung von Pferd und Reiter“ an allen Vorbereitungsplätzen, also nicht allein in der Dressur, mehr Sicherheit und Transparenz im Umgang mit dem heiklen und so wichtigen Thema geben. „Wir reden über Grenzgängerei“, erläutert Peiler, „ist es noch ertragbar oder nicht? Muss eingeschritten werden oder nicht?“
Stichwort einschreiten. Hier ist das Aufsichtspersonal an den Plätzen gefragt, also Richter oder Stewards. „Der Kriterienkatalog macht es eindeutiger“, findet Klaus Ridder als Vorsitzender der Fachgruppe Dressur in der deutschen Richtervereinigung. Er stellt klar: „Der Richter auf dem Vorbereitungsplatz ist nicht die Polizei!“ Er soll für einen fairen Ablauf sorgen, da „hilft der Katalog sicherlich“.
Thies Kaspareit, Olympiasieger mit der Vielseitigkeitsmannschaft 1988 und heute FN-Ausbildungsleiter, war vor zwei Jahren bei besagtem Abreiten von Totilas in Hagen vor Ort. Er erinnert sich daran, dass sich die Aufsicht führende Richterin spürbar unsicher fühlte. Matthias Rath wurde beim ersten Abreiten nicht angesprochen, obwohl eine Grundlage dafür schon damals vorhanden gewesen wäre, betont Kaspareit: „Es gibt ja keine Regeländerungen, weil die Leistungsprüfungsordnung schon immer alles abgebildet hat.“ Es gehe der FN mit dem Kriterienkatalog, der zur Grünen Saison auf allen nationalen Turnieren - von Klasse E bis Grand Prix - zum Einsatz kommen soll, nicht darum, „mehr Reiter zu verwarnen, sondern den einen oder anderen zum Umdenken zu motivieren und so zu besserem Reiten zu kommen“.
Das klingt nach „Klassiker“ Paul Stecken, den Ausbilderlegende Klaus Balkenhol, selbst in der Expertenkommission tätig, gern so zitiert: „Richtig reiten reicht!“ Der Katalog bündelt natürlich auch die Merkmale für dieses richtige, pferdegerechte Reiten. Und liefert überdies Merkmale für Auffälligkeiten und schließlich nicht-pferdegerechtes, also schlechtes und sogar tierquälerisches Reiten. Dabei geht es eben bei Weitem nicht nur um enge Kopf-Hals-Haltung. Kaspareit: „Das passiert, da entsteht auch mal ein Foto, aber das darf kein Dauerzustand sein.“ Das Pferd müsse in Kombination mit der Reitereinwirkung als Ganzes betrachtet werden - Bewegungsablauf, Maultätigkeit, Augenausdruck, Schweifhaltung, Ohrenspiel, Atmung. „Man möchte losgelassene und zufriedene Pferde sehen“, weiß Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu - nicht nur später im Prüfungsviereck, sondern schon nebenan auf dem Abreiteplatz.
Bei Auffälligkeiten sollen die Aufsichtspersonen das Geschehen im Auge behalten und den Reiter oder seinen Trainer ansprechen und nach den Gründen für seine anhaltende Reitweise ansprechen. Nicht-pferdegerechtes Verhalten macht sofortiges Handeln erforderlich. Ridder: „In aller Regel sprechen wir den Trainer an und rennen nicht publikumswirksam zum Reiter.“ Das Thema ist auch zu wichtig, um daraus eine Richter-Show zu machen. Auch wenn Kaspareit auf die Gelben (Verwarnung) und Roten (Prüfungsausschluss) Karten verweist, die seit 2008 bereits zur Verfügung stehen, aber zumindest in der Dressur, anders als in der Vielseitigkeit, nicht verpflichtend seien. „Wir müssen uns als Verband nun daran messen lassen“, stellt Dennis Peiler mit Blick auf die Vorreiterrolle der FN fest. Der Weltverband FEI beschäftige sich bereits mit dem Katalog, die Schweizer FN wolle ihn gar übernehmen. Und selbst die in der Szene äußerst kritisch beäugten Niederländer zeigen offenbar Interesse ...
Zur Sache: Der Kriterienkatalog - ab hier wird’s kritisch
Auffälligkeiten (Folge für das Aufsichtspersonal/die Richter: Beobachtung und Verlaufskontrolle), u.a.:
Falsche Anwendung der reiterlichen Hilfen oder Techniken
Nicht pferdegerecht (sofortiger Handlungsbedarf), u.a.: Aggressives Verhalten des Reiters, unangemessene emotionale Ausbrüche
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