Was eine Tierärztin Negatives beim Bundeschampionat erlebte... Drucken
Geschrieben von: St.Georg/ DL   
Dienstag, 08. September 2015 um 12:06

Hamburg. Dr. Kirsten Tönnies ist praktizierende Tierärztin und war beim Bundeschampionat in Warendorf Mitglied der Jury, die vor Ort den Tierschutzpreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vergeben hat. Welche Eindrücke sie von dem Turnier gewonnen hat, hat sie in einem offenen Brief an die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) als Veranstalter zusammengefasst. Das Magazin „St.Georg“ hat ihn öffentlich gemacht.

 

In insgesamt 15 Dressur-, Spring- und Reitpferdeprüfungen hat eine Jury bestehend aus dem jeweiligen Richter am Vorbereitungsplatz sowie FN-Vertretern, zu denen Ausbilder und Tierärzte gehörten. die Vorbereitungen der Reiter auf dem Abreiteplatz beobachtet und die Preisträger bestimmt. Dr. Kirsten Tönnies war Teil dieser Jury und erklärt: „Uns wurden vor Ort Experten zur Seite gestellt, die uns Hinweise gegeben haben, wer ihnen positiv aufgefallen ist, und uns Hintergrundinformationen geliefert haben.“ Herr Wassmann, der in diesem Brief erwähnt wird, war einer dieser Experten. Anders die Tierärztin am Abreiteplatz, auf die die Sprache kommt. Sie war dort als Aufsicht eingeteilt worden.

 

Der Brief lautet wie folgt:

 

Sehr geehrte Damen und Herren der Reiterlichen Vereinigung,

vom 04.09.abends bis 06.09.2015 nahm ich im Rahmen der Verleihung des BMEL Tierschutzpreises als Jurymitglied an Ihrer sehr schönen Veranstaltung teil. Für die hervorragende Unterbringung und die Bewirtung möchte ich Ihnen an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank aussprechen.

 

Leider muss ich in diesem Brief aber Probleme ansprechen, die m. E. dringend einer Änderung bedürfen.

 

Erläuterung: ich war für die Dressurponys- und –pferde eingeteilt und fast den kompletten Samstag und Sonntag während der Prüfungen am Abreiteplatz zugegen.

 

Dabei musste ich feststellen, dass die für die Kontrollen der Pferde Zuständige zunächst nicht wissend und im Laufe der weiteren Veranstaltung nicht Willens war, den Sitz der Reithalfter korrekt zu überprüfen. Obwohl am Begrüßungsabend noch eindeutig kommuniziert wurde, WIE der korrekte Sitz des/der Nasenriemen zu erfolgen hat, weigerte sie sich konsequent, es nach diesen Vorgaben durchzuführen; auch nachdem wir ein Gespräch mit Demonstration dazu hatten.

 

Es gab sichtbar etliche Pferde und Ponys, die eine deutlich zu enge Verschnallung mit den Folgen von Schwellungen und Blutgefäßstau aufwiesen. Im Laufe der zwei Tage hatte ich mit dem uns zugeteilten Herrn Wassmann mehrfach Gespräche dazu, warum der korrekte Sitz der Reithalfter so wichtig ist. Weil, im Ggs. zum Gebiss, die Druckwirkung der Riemen ununterbrochen, unabhängig von einem gewünschten Verhalten des Pferdes, auf das Tier einwirken. Diese Wahrnehmung der Einwirkung ist, je nach Stärke des Anzugs der Riemen zwischen gar keiner über unangenehme Wahrnehmung, je nach weiteren, ablenkenden äußeren Einwirkungen, bis hin zu Schmerz anzusiedeln; ein Sachverhalt, der jedem Beteiligten auf dieser hochkarätigen Veranstaltung bekannt sein sollte.

 

Die FN betont in ihrem Reglement ausdrücklich:


„Unsere Richter und Ausbilder stellen sicher, dass auf Turnieren, aber auch in den Vereinen und Pferdebetrieben die Bedürfnisse der Pferde beachtet und eingehalten werden. Sollte dies im Einzelfall einmal nicht so sein, kümmern wir uns um eine pferdegerechte Lösung – zusammen mit allen Beteiligten.“

 

Dass sogar auf dieser Veranstaltung mit dem Anspruch des höchsten, fachlichen Niveaus, die sich noch dazu mit den JUNGEN Tieren beschäftigt, solche Fehlleistungen zum Nachteil der Pferde erbracht werden, ist erschreckend! Hier braucht es dringend Nachschulungen. Es erklärt natürlich gleichzeitig die diesbezüglichen schlechten Bilder, die landauf- landab auf Turnieren zu sehen sind.

 

Dass es ausdrücklich um Nachwuchspferde geht, macht die Angelegenheit besonders wichtig und rückt einen weiteren von mir beobachteten Sachverhalt in den Fokus. Am Samstagnachmittag war mir das während des gesamten Abreitens aufgerollte Pferd von Eva Bitter, das einen leidend-duldenden Eindruck machte, aufgefallen. Deshalb bat ich die anwesenden Platzrichter um die Möglichkeit einer Überprüfung des Reithalfters. Während der Mann überrascht aber hilfsbereit und freundlich reagierte, ist die Reaktion der anwesenden Tierärztin, nach meinen Informationen Frau Dr. Zimmer (?) vorsichtig als abweisend zu bezeichnen. Man erklärte mir, dass man Eva Bitter auf der Liste der für den BMEL Tierschutzpreis auszuzeichnenden Reiterinnen und Reiter führen würde, weil sie durch besonders überlegtes Vor- und nachbereiten einer Prüfung während der gesamten Woche aufgefallen wäre. Ich bekannte, dass ich nur dieses eine, dafür komplette und auffallend schlechte Abreiten beurteilen könne. Unwillig wurde von der Tierärztin die Reiterin Frau Bitter nach dem Ritt zur Überprüfung an das Zelt geholt. Dabei konnte ich feststellen, dass das Pferd einen Zungenstrecker der Art trug, der mit einem separaten Riemen hinter den Ohren fixiert wird. Die äußeren, schwarz umklebten Metallenden drückten gegen die Jochbeine, die Maulwinkel wurden zwischen dem 5 mm starkem Draht noch zusätzlich zum Gebiss ca. 2-3 cm hochgezogen und dabei gedrückt. Das erklärte auch die unwillige Maultätigkeit des Pferdes.

 

Hierzu 2 Bemerkungen:

 

– selbst wenn in S-Springen an Gebisskonstruktionen praktisch alles erlaubt ist, so sollten auch im Sinne einer Öffentlichkeitswirkung Überlegungen angestellt werden, ob auf einer Nachwuchssichtung junger Tiere, die zu den zukünftig Besten der Welt zählen sollen, solche, vermutlich als Tierschutz relevant einzustufenden  Ausrüstungsgegenstände, zugelassen werden müssen

 

– die anwesende Tierärztin verhielt sich weiterhin besonders unfreundlich und reagierte auf meinen Hinweis auf den falschen Druck durch die Metallenden nicht, sondern betonte im Ggt. danach noch einmal das in ihren Augen untadelige Verhalten der Reiterin.

 

Am Sonntag wurde ich zum wiederholten Mal von dem am Dressurplatz uns zugeteilten Herrn Wassmann scharf angegangen, nachdem ich die Preisträgerin für die Dressurponys ausgewählt hatte. Bei der Formulierung für die spätere Bekanntgabe drohte er mir, mich von der Veranstaltung entfernen zu lassen, wenn wir bei der Formulierung langer oder hingegebener Zügel nicht die Formulierung „langer Zügel“ benützen würden, weil „hingegebener Zügel“ die Veranstaltung lächerlich machen würde. Dabei äußerte Herr Wassmann u. a., dass beide Zügelmaße gleichermaßen auf das Maul einwirken würden; meine Erläuterungen, warum das physikalisch verkehrt sei, verbot er.

 

Diese Preisträgerin war von denen von mir Beobachteten die Einzige, die ihr Tier konsequent von der ersten bis zur letzten Minute vorbildlich behandelte. Bei dem Preisträger der Reitpferde am Samstag und am Sonntag setzte Herr Wassmann mehrfach seine favorisierten Kandidaten durch, u. a. mit der Bemerkung, dass der von mir favorisierte Kandidat am Samstag  „zu brav“ geritten sei.

 

Abschließend:

 

Die Idee der Vergabe eines Tierschutzpreises durch das Bundesministerium ist ein schöner, lobenswerter und dabei freiwilliger, möglicher Weg, Verbesserungen für Tiere in Menschenhand herbei zu führen. Nach Freiwilligkeit können Vorschriften kommen. Die FN wird über diesen Brief nicht erfreut sein: Sie sollte aber zur Kenntnis nehmen, dass ich nur der Überbringer der schlechten Nachrichten bin, nicht deren Auslöser. Nach einem blutenden Pferdemaul in Aachen mit z. T. peinlichen oder gar keinen Erklärungen, haben die Aufmerksamkeit und der Unwillen der Öffentlichkeit wieder sprunghaft zugenommen. Die Reiterliche Vereinigung hat sicherlich das Problem der internationalen Einbindung: trotzdem können wir als führende Nation im Reitsport tonangebend im Tierschutz sein; das muss verstärkt genutzt werden. Da vermutlich alle Beteiligten Pferde lieben, sollten sie diese Möglichkeit der Richtungsweisung nutzen und eine sofortige Änderung im Umgang mit Überprüfungen am Abreiteplatz angehen. Für weitere Rückfragen  stehe ich selbstverständlich gerne zur Verfügung,

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Kirsten Tönnies

 

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