"Chropfleerete" im Schweizer Dressursport Drucken
Geschrieben von: Sascha Dubach   
Montag, 01. April 2019 um 11:26

Zürich. Die Schweizer Dressurreiter waren einmal eine Großmacht im Sandviereck oder auf Rasen, neben den Deutschen und der Auswahl der ehemaligen UdSSR. Das ist längst Geschichte, die sich nicht wiederholte. Nun regte sich etwas in Helvetia, das keine Leitfigur in dieser Disziplin mehr besitzt. Chefredakteur Sascha Dubach befasste sich in der PferdeWoche mit der Problematik.

 

 

Vor einer Woche trafen sich im Tierspital Zürich rund 100 Interessierte zur OKV-Podiumsdiskussion rund um die Dressur. Dabei kam es zu einer großen Aussprache mit allen Involvierten der Szene. Es fielen auch kernige Aussagen, ohne dabei die Gürtellinie zu unterschreiten. Was bleibt ist die Hoffnung auf Veränderung, um den sportlichen Anschluss in dieser Disziplin wieder zu finden.

Im Vorfeld der Veranstaltung, die vom Verband Ostschweizer Kavallerie- und Reitvereine OKV initiiert wurde, hat das Thema «Quo vadis Schweizer Dressur» vor allem in den sozialen Medien hohe Wellen geworfen. Mit ein Auslöser dafür war auch eine Medienmitteilung des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport (SVPS), in welchem er sich vom Anlass distanzierte. Die Voraussetzungen für einen konstruktiven Dialog seien nicht gegeben. Wie dies zu interpretieren ist, sei jedem selbst überlassen.

OKV-Präsident Michael Hässig begrüsste die Teilnehmer und nahm kurz Replik, wie es zu diesem Anlass gekommen sei. Von verschiedenen Seiten habe der OKV Kenntnis erhalten, dass es im Dachverband SVPS rund um die Disziplin Dressur «rumo­re». Es sei ein bisschen nach dem Motto gegangen «Jeder gegen jeden». Dabei gehe es um verschiedene Dinge, pri­mär aber auch um die kostspielige Entsendung und das schlechte Abschneiden des Schweizer Dressurteams an der Weltmeisterschaft in Tryon (USA) im September. Damals belegte man den 13. Platz bei 15 Startern.

Wie kann die Schweizer Dressurszene – die jahrzehntelang an der Weltspitze mitmischte – den Anschluss wieder finden? Das war eine der zentralen Fragen, die man an diesem Podiumsgespräch versuch­te zu beantworten. Zu dieser und weiteren Fragen – welche durch die Moderatorin Angelika Nido Wälty gestellt wurden – äußerten sich Susanne Hunziker (OKV-Chefin Dressur), Kaderreiterin Anna-Mengia Aerne, der niederländische Trainer Ton de Ridder, Franz Häfliger (designierter Chef Wettkampf-Sport SVPS) und Catherine Fankhauser (Verantwortliche CDI Genf). Auch Fragen aus dem Plenum wurden zugelassen.

Bedeutungslosigkeit

«Man kann zweifelsfrei konstatieren, dass die Schweizer Dressur international nurmehr in der zweiten oder gar dritten Liga spielt», so der ausländische Gast Ton de Ridder, langjähriger Trainer von Marcela Krinke Susmelj eröffnend. Da gäbe es nichts zu beschönigen. Der Sport habe sich innerhalb weniger Jahren enorm weiterentwickelt. Mit den aktuell erreichten Prozentpunkten der Schweizer Elitereiter schaffe man es nicht mehr bei großen Turnieren den Anschluss zu halten. Nido sprach De Ridder auf die vergangene WM an, vor allem auf die im Vorfeld von Equipenchefin Geneviève Pfister formulierte Zielsetzung – ein Platz im ersten Viertel. «Vorher etwas zu prognos­tizieren, war noch nie gut. Das war total falsch. Ich bin aber auch nicht für das direkte ‘Köpfe rollen’. Man muss im Nachhinein alle zusammen an einen Tisch setzen und konstruktiv nach Lösungen suchen», so der Experte. Er selbst habe eher ein «gespaltenes» Verhältnis zu Equipenchefs. «Ich habe auf einem Turnier schon gesehen, dass der Privattrainer quasi zur Seite geschoben wurde und die Equipenleitung übernahm.» Das käme aus seiner Sicht einem Berufsverbot gleich und ginge gar nicht. Er lobte rückblickend die Zeit mit Evelyne Niklaus, die das Amt «ad interim» ausführte. Sie sei immer zurückhaltend gewesen und habe Kontakte top gepflegt, was auch wichtig sei. Er könne auch nicht verstehen, wieso sich die Schweiz nicht vermehrt im Ausland zeige. Man solle doch mit breiter Brust gegen die «Großen» antreten und zwar an Nationenpreisturnieren wie Aach­en, Rotterdam oder Hickstead. Eines sei dabei auch klar, «nur mit schön reiten, kommt man keinen Schritt weiter.» Da müsse man auch einmal ans Limit gehen. Er stellte aber auch generell ein Fragezeichen zur heutigen Aufgabenstellung und Bewertung. Ob es wirklich richtig sei, bei Piaffen einen hohen Multiplikator zu setzen, sei aus seiner Sicht fragwürdig.

Einigen aus dem Plenum wurden die Ausführungen etwas zu ausschweifend. Entsprechend kam das Votum, was konkret zu tun sei, um den Anschluss an die Spitze wieder zu schaffen. Dazu nahm Kaderreiterin Anna-Mengia Aerne Stellung. «Wir müssen wieder mehr Fachkompetenz in das entsprechende Leitungsgremium bringen. Leute die von der Materie etwas verstehen.» Ein Leitungsteam sei doch zur Unterstützung da. Wie sieht das bei Aerne aus? «Zu Beginn, als ich in den Kader kam, war es mit der Disziplinleitung ganz gut.  Aus verschiedenen Gründen wurde jedoch leider von gewissen Leuten der Bettel hingeworfen. Für uns wird es immer dann schwierig, wenn Leute Vorgaben machen, die wenig Rücksicht auf das ‘Hometeam’ - Reiter, Pferd, Trainer, Veterinär und so weiter nehmen. Da gibt es Handlungsbedarf, dass wir hier mehr Unterstützung erhalten, respektive dass dies mehr gepflegt wird.» Sie monierte auch, dass man angehalten wurde, die individuelle Turnierplanung an eine Sitzung mitzunehmen, welche dann nicht einmal beachtet wurde. Stattdessen erhielt man «Pflichttermine». Das sei eine Einschränkung, die nicht optimal sei. «Hier wünschte ich mir eine vermehrte Mitsprache. Dabei vermisse ich auch eine gewisse Feinfühligkeit, und der Tonfall war auch nicht immer korrekt.» Was sie sich konkret in Zukunft wünsche? «Mehr Leute mit Fachwissen und Erfahrung im Leitungsteam und kompetente Equipenchefs. Es geht auch um Feingefühl gegenüber Veranstaltern und dem gesamten Netzwerk.»

Aus dem Plenum meldete sich Elena Fernandez – selbst Mitglied des Perspektivkaders: «Was fehlt denn aktuell konkret? Wir haben mit Gareth Hughes einen super Trainer, gute monatliche Trainingseinheiten und eine Equipenchefin, die an jedem Turnier dabei ist. Sie verfolgt alles.» Dazu meldete sich Ton de Ridder zu Wort: «Ein Equipechef ist für Championate und für CDIOs zuständig und hat auf normalen Turnieren nichts verloren.» Als Equipechef könne man sich nicht vor einen Trainer stellen und sagen, wie es laufen soll. Er habe seine Hausaufgaben gemacht, schmunzelte der Niederländer. «Gareth Hughes macht einen super Job, keine Frage. Aber wieso reitet er auf dem gleichen Turnier, wie die Reiter, die er eigentlich betreuen sollte?» Hier setzte er zu recht ein großes Fragezeichen. Entweder man betreue seine Schützlinge oder man reitet selbst. Beides zusammen gehe nicht. «Wie kann ich jemanden beurteilen, den ich gar nicht gesehen habe?» Es könne auch nicht sein, dass jemand aus dem «Kompetenzteam» an den Weltmeisterschaften während der Vorbereitungen weglaufe, nur weil er noch einen «Nebenjob» habe. Das seien massive Probleme, die es – positiv – zu klären gäbe. De Ridder ermuntert die involvierten Parteien auch, eine finanzielle Auslegeordnung zu machen. «Stehen die Kosten für den Trainer in Relation zu dem was er bringt?»

Dann gibt er den Anwesenden noch etwas mit auf den Weg. In Frankreich wurden beispielsweise die Selektionskriterien (Prozentpunkte) derart drastisch angehoben, das kaum mehr jemand für ein Championat in Frage kam. Und auf einmal startet eine Frau im Weltcupfinal. «Warum soll ich mich anstrengen und ans Limit gehen, wenn ich auch mit 66 Prozent an die Championate kann?»

Strukturelles Problem?

Eine Person, die sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht äußerte war Franz Häfliger. Der designierte Chef Wettkampfsport des SVPS – er übernimmt das Amt von Peter Chris­ten – machte sich viele Notizen. Auf ihm las­tet nun auch eine große Verantwortung und der Druck nach Veränderung. «Es ist wichtig, dass wir einen Dialog füh­ren. Wir alle hier wissen, es braucht gute Pferde, gute Reiter und gute Trainer. Und was ich nun alles gehört habe, da sehe ich im Moment keinen Konsens. Es braucht weitere Gespräche und zwar kontinuierlich. Wenn ich zurückblicke, sind sicher Fehler passiert, die gilt es in Zukunft zu vermeiden, daran werden wir arbeiten.» Eine weitere Erkenntnis, die ihm am Herzen liege, sei die Leistungsbereitschaft: «Es braucht zuerst Leis­tung, dann kann ich mich empfehlen, dann werde ich wahrgenommen, dann kommen auch die Sponsoren. Aber ich kann doch keine Unterstützung verlangen, wenn ich selbst noch nichts gezeigt habe. Es ist und bleibt ein beschwerlicher und langer Weg.»

Aus dem  Publikum ein Votum, welches im Bereich Fachkompetenz einen weiteren heiklen Punkt ansprach – die Richter. Auch da gäbe es Mängel, vor allem auch im internernationalen Vergleich. Ein Reiter gäbe sich doch schnell zufrieden, wenn im eigenen Land die Bewertung stimme. Das große Aha-Erlebnis käme dann erst im Ausland. Es sei ein Teufelskreis. Hat die Dressur in der Schweiz ein strukturelles Problem, wollte Moderatorin Nido Wälty wissen. Dazu Häfliger: «In gewisser Weise ja. Die Richter sind im Verband auch ein Thema. Diesbezüglich werden wir in Zukunft in Punkto Ausbildung sicherlich auch etwas unternehmen.»

LT-Chef stellte sich

Obwohl sich der SVPS sträubte, sich gar von der Veranstaltung distanzierte, kam Markus Flisch trotzdem. Auch er konnte zu den Diskussionsthemen Stellung beziehen. Er sei erst seit dem 1. Dezember 2018 im Amt, könne also für viele Sachen, die in der Retrospektive diskutiert wurden, keine Verantwortung übernehmen. «Es waren zwei Generationen von Vorgängern, die die entsprechenden Entscheidungen gefällt haben. Es wird sehr schwierig sein, aus den Voten Strategien zu entwick­eln. Ich werde aber sehr viel Zeit inves­tieren, um die Dressur wieder nach vorne zu bringen», so der 65-jährige Zollikofer. Es sei als positives Zeichen zu werten, dass er den Dialog suche und diesen zusammen mit Franz Häfliger aufrecht erhalten wolle. Was könne er denn konkret von dieser Veranstaltung mitnehmen? «Ich habe mir mehrere Seiten Notizen gemacht. Es war sehr interessant. Wir müssen im Gespräch bleiben!»

 Aus dem Saal kam eine weitere Wortmeldung: «Sie haben ein Schnittstellenproblem», war zu vernehmen. Es gäbe Leute, die haben Geld, es gäbe Leute die Reiter suchen, es gäbe Reiter die Pferde suchen und so weiter. Alle wollen nur das Beste. Ein großer «Haufen» an motivierten Leuten, «aber keiner der führt!» Häfliger entgegnet: «Das ist ein Thema, das wir angehen müssen, da gebe ich Ihnen recht.» Manfred Geiger – Vizepräsident der Dressurakademie Iklé – meldete sich ebenfalls zu Wort. Es werden viele Erwartungen an Verband und Disziplin gestellt, zum Teil auch nicht wirklich realistische. Er habe einen Wunsch für die Zukunft, und zwar «dass die Disziplin vermehrt auch von Angeboten von externer Kompetenz Gebrauch macht. Wir haben in unserem Verein viele Initiativen ergriffen zur Unterstützung des Schweizer Dressursports – beispielsweise mit Seminaren oder Prüfungssimulationen mit FEI-Richtern. Von Seiten des SVPS haben wir aber nur Ignoranz erfahren oder sogar aktive Behinderung. Man hat uns als Konkurrenz gesehen. Das war aber nie unsere Intension. Wir hatten nie Unterstützung, im Gegenteil, es wurde sogar Training angesetzt, das zeitlich mit unseren Seminaren kollidierte. Es wurde heute viel von mangelnder Fachkompetenz gesprochen, wieso holt man diese nicht von extern?»

Sponsorengeld ausgeschlagen

Zum Abschluss des rund zweieinhalbstündigen Gespräches wurde das Wort an Martin Kroll (Stall Hofor Eggenwil), seines Zeichens Sponsor, erteilt. «Ich möchte nicht zusammenrechnen, was wir seit dem Einstieg 1999 ausgegeben haben. Wir haben Turniere organisiert oder unsere Pferde Reitern zur Verfügung gestellt. Vor rund zwei Jahren kam der damalige Chef Martin Wyss auf uns zu, man habe zu wenig Geld. Innerhalb von nur einem Monat haben wir ein Netzwerk mit 80 Personen aufgebaut, die bereit waren, 1000 Franken pro Jahr im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zur Verfügung zu stellen. Zudem haben wir unsere Anlage für Trainingeinheiten zur Verfügung gestellt, haben Trainer bezahlt. Dank dem Sponsorenclub stehen 80.000 Franken zur Verfügung. Ein Teil ging dabei an die Reiter für Auslandstarts.» Dann wurde er konkret in Bezug auf den SVPS: «Wir wurden derart mit Füßen getreten. Wir wurden mehrfach in Bern vorstellig. Wir hätten unser Geld dem Perspektiv- und Elitekader zur Verfügung gestellt. Und was ist passiert? Es passte gewissen Personen nicht, und man hat uns das Kadertraining weggenommen. Wir wurden richtiggehend angefeindet.» Er sprach den neuen Leitungsteamchef direkt an. «Herr Flisch, wir haben seit dem letzten Mai vom Leitungsteam nichts mehr gehört. Es liegen immer noch 50.000 Franken bei uns auf dem Konto – zweckgebunden für die Kaderreiter. Aber es interessiert keine Sau.» Ein bedenkliches Schlusswort.

Was beibt? Als Fazit kann  man konstatieren: Es war dringend nötig, dass die Exponenten der Disziplin ihrem Ärger einmal Luft verschaffen konnten und zwar öffentlich. Eine richtiggehende «Chropfleere­te» - Leren des Kropfes - fand statt, ohne dass dabei jemand unter die Gürtellinie ging. Doch nun, wie weiter? Sowohl Franz Häfliger als auch Markus Flisch haben sich sehr intensiv Notizen gemacht. Wichtig ist nun, dass der Dialog, res­pektive der Wille nach Veränderung, bestehen bleibt. Vielleicht muss in gewissen Bereich­en auch mit dem ganz großen Besen gekehrt werden…

 

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