Der Traum eines kleinen Mädchens...(111) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 28. Dezember 2011 um 12:38

Applaus für die Quadrille - aber dann...

 

 

Das Weihnachtsfest hatte für Polly tatsächlich einige Überraschungen bereit. Die Geschenke spielten natürlich eine große Rolle. Polly fand unter dem Weihnachtsbaum eine College-Jacke, genau so, wie sie sich gewünscht hatte. Weinrote Ärmel und sonst in Weiß mit vielen Abzeichen drauf. Voll cool! Schade nur, dass sie die nicht in den Reitstall anziehen durfte. Das wäre megacool gewesen. Der Weihnachtsmann hatte ihr dazu noch eine schicke Jeans gebracht. Es passte alles zusammen.

 

Mindestens genau so wichtig blieb die Zehnerkarte für Reitstunden, die von Oma und Opa schon seit vielen Jahren zu Weihnachten kamen. Um eine Überraschung handelte es sich da nicht mehr. Umso schöner war das zusätzliche Geschenk: ein Sweatshirt extra für den Reitstall.

 

Die größte Überraschung kam von Cillys Eltern. Sie hatten ein Päckchen für Polly mit in den Reitstall gebracht und ihr am Vormittag des Heiligen Abends überreicht. Das heißt, Cilly durfte es Polly geben, als käme es von ihr. Polly nahm es mit nach Hause und bat Mama, es zu den anderen Päckchen unter den Weihnachtsbaum zu legen. Vorher hatte sie es genauestens untersucht. Sie wollte wissen, was darin sein könnte. Aber keine Chance! Es schien in einem Karton zu stecken. Was immer es auch sein mochte, schwer war es nicht. Aber es klapperte. Also ein Buch würde es nicht sein. Das Päckchen hatte die Größe eines Akten-Ordners. Ein Kleidungsstück würde auch nicht so klappern. Es musste sich schon um etwas Festes handeln, das genug Spielraum zum Klappern ließ. Es half nichts, Polly musste bis zum Abend warten.

 

Überhaupt hatte sich eine sehr freundschaftliche Beziehung zu der kleinen Cilly und deren Eltern entwickelt. Der Papa von Cilly erschien zwar kaum im Reitstall. Aber Cillys Mama brachte und holte ihr Töchterchen ab. Sie nahm sich bei den Gelegenheiten immer Zeit auch für Polly, um zu hören, ob etwas Besonderes passiert war und wie die Reitstunde für Cilly verlaufen war. Manchmal redeten sie auch „privat“. Cillys Mama fragte dann nach Pollys Schule und was so in der Klasse abging. Nach Pollys Schulnoten fragte sie nicht direkt. Polly erzählte von sich aus, dass ihr die Schule gestohlen bleiben könnte. Ihre Noten waren nur durchschnittlich. Da machte sie keinen Hehl daraus.

 

Bisher hatten Polly, Anne und die beiden kleinen Mädchen immer Glück gehabt, seit sie sich kannten. Es hatte nur selten geregnet, so dass sie immer auf den Reitplatz oder vielmehr auf das Paddock konnten. So kamen sie nie in die Zwickmühle, die regulären Ponystunden in der Reithalle abwarten zu müssen. Anne und Polly, Cilly und Becky mit den Shetties Spotty und Browny fanden sich immer schon sehr früh am Nachmittag bzw. Vormittag in den Ferien im Reitstall ein. Für Anne und Polly hatte diese Regelung den Vorteil, dass sie anschließend selber an dem Ponyunterricht noch teilnehmen konnten.

 

Für Polly wurden die Reitstunden immer wichtiger. Sie sprach nicht mehr von Reitunterricht, sondern vom Training. Dabei hatte sie immer die großen Reitkollegen vor Augen, die für die Teilnahme an Reitturnieren trainierten. Für alles in der Welt würde sie gerne an so einem Training teilnehmen. Aber dafür wurden die Schulponys und Schulpferde nicht hergegeben. Dazu musste man schon ein eigenes Pferd besitzen. Davon war Polly noch weit entfernt.

 

Die Vorbereitungen und das Einstudieren der Weihnachtsquadrille kamen einem ernsthaften Turniertraining schon sehr nahe. Fand Polly jedenfalls. Sie bemerkte, dass sie Fortschritte machte. Sich die Tete der Abteilungen mit Cordula zu teilen war eine tolle Lösung. Sie fühlte sich gleichermaßen als Vorreiter für die anderen Kinder auf den folgenden Ponys, Sie strengte sich an, sich nicht zu verreiten. Gleichzeitig dachte sie ständig daran, korrekt und kerzengerade auf Little Lord zu sitzen und ihn die ganze Stunde über korrekt an den Zügel zu reiten. Immer wieder erinnerte sie sich, vor allen Wendungen und Lektionen mehrere Paraden zu geben. Es gelang ihr immer öfter, die Beine ans Pferd zu drücken und gleichzeitig kurz mit den Händen vorzugehen, also mit dem Zügel nachzugeben. Trotzdem ließ Little Lord den Kopf unten, anstatt ihr wie früher direkt hochzuwerfen und dabei die Anlehnung zu verlieren. Der Rappe war durchlässig und ließ sich gut reiten.

 

Dann kam der erste Weihnachtsfeiertag. Um zehn Uhr ritten die Erwachsenen ihr übliches Sonntagsmorgen-Musikreiten. Um zwölf Uhr waren die Kinder mit ihrer Pony-Quadrille dran. Für sie war es der Höhepunkt dieses Jahres. Das ganze Jahr über kamen sie regelmäßig in den Reitstall. Die letzten Wochen hatte kein einziger von ihnen das Vorbereitungs-Training verpasst. Die Reihenfolge der Weihnachtslieder und Melodien und Texte summten sie beim Durchreiten des Programms mit. Auch die Pferdchen schienen die Musik schon zu kennen. Immer mehr bewegten sie sich in Abstimmung mit dem Takt. Die komplizierten Lektionen waren so auf die Musik abgestimmt, dass sich in der Generalprobe am dreiundzwanzigsten keiner mehr verritt. Die Kinder konnten die Quadrille auswendig, jeder wusste, an welcher Stelle er zu reiten hatte.

 

Während die Erwachsenen ihr Musikreiten in der Reithalle absolvierten, legten die Kinder sich richtig ins Zeug: sie putzten und wienerten die Ponys heraus, wie an keinem anderen Tag im Jahr. Pech hatten die Kinder, deren Ponys ein weißes Fell hatten. Mit Shampoo mussten sie die gelben Flecken vom Mist abwaschen. Das alles kostete Zeit. Bei vielen Ponys war die Mähne so strubbelig, dass sie kaum einzuflechten war. Die Kinder mussten tricksen. Sie befeuchteten diese widerspenstigen Mähnen, um sie geflochten zu bekommen. Damit die Zöpfchen die Quadrille überstanden, sprühten die Kinder Haarspray darauf. Dann schmückten sie die Pony-Zöpfchen mit einer roten Schleife.

 

Hernach machten sich die Kinder fertig. Jedes trug eine weiße oder schwarze Reithose. Oben herum hatten sie sich auf das Tragen eines schwarzen Sweatshirts oder Pullovers geeinigt. So ein Teil besaß ja jeder. So mussten die meisten Kinder nichts Neues mehr kaufen. Marion, die ohnehin immer aufgemotzt zum Reiten erschien, fiel an diesem besonderen Tag auch ganz besonders auf. Sie trug eine weiße Schleife in ihrem zu einem Pferdeschwanz gebunden Haar, die von der Größe genau zu der roten Schleife in Lisas Mähne, die sie heute reiten würde,  passte. Nur, dass sie weiß war, abgestimmt auf ihre Reithose.

 

Petra war besonders schlau: ihre Mama erschien mit einer außergewöhnlich dicken Nähnadel und einem starken Faden im Ponystall. Sie nämlich wollte die rote Schleife in Dianas geflochtener Mähne einnähen.  Polly beneidete Petra um diese pfiffige Lösung. Alle anderen Kinder befürchteten, ihre Schleifen könnten während der Quadrillen-Vorführung herunterrutschen.

 

Die Weihnachts-Quadrille der Kinder auf ihren Ponys wurde ein voller Erfolg. Die Erwachsenen, und dabei handelte es durchaus nicht nur um Angehörige der Kinder, standen in Reihen hintereinander, um zuzuschauen.

 

Joachim stand auch, geschniegelt und gebügelt, in weißer Reithose und schwarzem Jackett in der Reitbahn, um die Kommandos zu geben. Vom Büro aus setzte die ausgesuchte Weihnachts-CD zum richtigen Zeitpunkt ein. Die Kinder ritten wie Engelchen, die Ponys liefen wie Glöckchen. Im Vorbeireiten an der Bande sah Polly, dass Oma sich die Augen wischte. Dass Omas immer weinen mussten…

 

Beim letzten Aufmarschieren brandete toller Applaus auf. Manche Leute pfiffen und andere riefen „Hurra“ und „Zugabe“.

 

Die Kinder lachten und freuten sich über das Gelingen. Der Applaus war Anerkennung für so viel Arbeit und Sich-Anstrengen. Kurzerhand beschloss Joachim, tatsächlich eine Zugabe zu geben. Man sollte einfach die CD noch mal von vorne laufen lassen. Die Kinder bildeten die Abteilung noch einmal und marschierten auf. Die Musik setzte ein und die Kinder ritten los. „Durch die Länge der Bahn geritten. Bei C einer links einer rechts“, rief Joachim das Kommando. Harald passte einen Moment nicht auf, und Max lief hinter seinem Vorderpferd her, anstatt rechts abzubiegen. Ein riesiges Durcheinander entstand. Harald versuchte, Max noch abzuwenden. Es gelang nicht, dann galoppierte er einfach an und wollte den Weg zu seiner Position abkürzen. Dabei kam Max so in Fahrt, dass er den Weihnachtsbaum streifte, der sofort umfiel. Vor Schreck galoppierten alle Ponys los. Es gab kein Halten mehr. Sie überholten sich gegenseitig. Es bildete sich ein Pulk von rasenden Ponys mit ihren Reitern. Rih, der vorne war, konnte dem Weihnachtsbaum noch ausweichen, Little Lord und Michi nicht mehr. Sie machten einen Satz und sprangen über den noch beleuchteten Weihnachtsbaum hinweg.

 

Später in der Tränke bei Stollen und Kakao lachten die Kinder herzhaft über das Chaos. Die eigentliche Quadrille war perfekt gelaufen. Was danach kam, war egal. Hauptsache: nichts passiert. Weihnachten im Reitstall war voll cool. Mal sehen, was nächstes Jahr passiert.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

 

 

 

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