Der Traum eines kleinen Mädchens...(171) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Donnerstag, 20. Juni 2013 um 18:46

Polly reitet bei Blitz und Donner...

 

Bei diesem herrlichen Wetter Mitten im Juni wollte Polly ihre Tinker-Stute heute mal nur draußen reiten. Das große Viereck lud ja geradezu ein. Die Sonne knallte. Sie selbst vermochte Sonne gut vertragen, bei der schwarzen Beauty war sie nicht so sicher, die paar weißen Flecken konnten sicher auch nicht viel bewirken gegen die Strahlen. Und dazu musste das Pferd unter ihr ja die Hauptarbeit leisten. Sie brauchte ja, sozusagen,  nur darauf zu sitzen. Mache Unwissende meinten sowieso, ein Reiter ließe sich grundsätzlich nur durch die Gegend tragen…

 

Für den Fall, dass die Sonne ihrem Pferd zu doll zusetzen würde, hatte Polly eine kluge Vorrichtung getroffen. So meinte sie jedenfalls. Das hatte sie mal im Fernsehen mitbekommen. Da standen nämlich Pfleger bei einer Vielseitigkeitsveranstaltung mit Eimern voller Wasser und Handtüchern herum. Wenn die Pferde mit den Reitern ausgepumpt aus dem Gelände kamen, legten die Pfleger den Tieren die nassen Handtücher über den Hals. So wurde der Herzschlag heruntergeholt. Immer wieder tauschten sie die Handtücher mit klatschnassen Tüchern aus den Eimern aus. Den Pferden schien es gut zu tun, sie standen ganz ruhig und zufrieden da oder ließen sich führen.

 

Polly stellte sich einen Wassereimer mit mehreren Tüchern auf die Bank, die am Rande des Vierecks für Zuschauer aufgestellt war. Heute, bei der Hitze, würde sich mit Sicherheit keiner dort niederlassen, nur um sie, Polly, beim täglichen Training zu beobachten. Sie ließ kaltes Wasser in den Eimer laufen und hob ihn auf die Bank. Unter Umständen musste sie nicht einmal absitzen, wenn sie ein Handtuch greifen wollte, sie konnte ja ganz nahe an die Bank heranreiten.

 

Schatten auf das Viereck warfen allein ein paar Bäume. Die standen leider nur an der langen Seite des Vierecks. Die anderen Seiten waren unbepflanzt. Also kein Schutz vor der sengenden Sonne. Polly dachte nicht weiter, sie wollte das Alleinesein ganz tief auskosten, ungestört, unbeobachtet, um schwierigere Lektionen zu üben.

 

Polly ließ ihr Pferd zwei oder drei Runden im Schritt gehen. Auf die Aufwärmphase im Leichttraben verzichtete sie. Sie fing sofort die Trabarbeit im Aussitzen an. Zuerst ritt sie auf dem oberen und unteren Zirkel, dann mehrere Volten auf beiden Händen. Dann ließ sie wieder eine entspannende Schritt-Phase folgen, Beauty sollte sich nicht überanstrengen. Beauty begann sofort zu schwitzen, kein Wunder bei einer solchen Hitze. Es war einfach zu heiß. Deshalb galoppierte Polly auch nur kurz jeweils rechts – und linksherum. Dann parierte sie wieder durch zum Schritt.

 

An der Bank hielt sie an, um ein nasses Handtuch zu greifen. Es gelang, sie legte es triefend auf Beautys Hals. Dem Pferd schien das sehr zu gefallen, Polly spürte das. Anschließend setzte sie das Training fort.

 

In der nächsten Schritt-Phase bemerkte sie dunkle Wolken, die von der Stadt her auf sie zutrieben. Nun lief auch Polly das Wasser herunter, dass sie sich am liebsten selbst die nassen Handtücher über die Schultern gelegt hätte. Die Luft wurde immer drückender. Aber Polly wollte wenigstens noch ein paar Seitengänge üben. Die Wolkenfront kam immer näher, schwarz, bedrohlich. Polly konnte nicht abschätzen, wie lange es noch dauern würde, bis ein Gewitter losbrach. Die Wolken schickten Donner wie eine Vorhut, eine Vorwarnung.

 

Da sie keine Blitze sah, wusste Polly, dass sie noch so viel Zeit haben würde, Parallel-Verschiebungen durch das gesamte Viereck zu reiten. Wieder auf beiden Händen, links- und rechtsherum. Plötzlich schoben sich dunkle Wolken vor die Sonne. Die Luft stand still, drückend, das Atmen fiel ihr schwer wie auch Beauty. Das Poloshirt war triefend nass, Beauty hatte weißen Schaum auf dem Hals. Ein letztes Mal beugte sie sich zu dem Eimer herunter und nahm ein Handtuch. Noch einmal wollte sie durch die Bahn reiten. Da kam der erste Blitz. Noch kein Regen. Sie meinte, noch Zeit zu haben. Sie bog auf die Mittellinie ab. Da krachte ein gewaltiger Donner los. Polly erschrak. Damit hatte sie nicht gerechnet. Nur noch einmal auf der linken Hand die Verschiebung. Sie ritt unter den Bäumen durch, als eine heftige Windbö die Blätter erfasste. Eisern ritt Polly weiter im Trab. Nur noch einmal bei C abbiegen, dann wollte sie aufhören...

 

Ein Knall wie ein Schuss zerriss die Luft, Beauty schoss ab in Richtung Ausgang. Polly konnte sich kaum im Sattel halten. Im letzten Moment sah sie noch einen riesigen Feuerschein hinter sich…Leute vom Stall liefen ihr entgegen, sie schrien „Feuer, Feuer…“ Polly drehte sich um, blickte zurück zum Viereck. Einer der Bäume brannte lichterloh. Der Blitz war unmittelbar neben ihr eingeschlagen. Polly zitterte am ganzen Laib. Beauty gebärdete sich wie verrückt, hatte Angst, war kaum zu halten, als sie in den Stall geführt werden sollte. Ganz allmählich beruhigte sich die Stute, als Polly ganz ruhig mit leiser, unaufgeregter Stimme auf sie einsprach.

 

Polly pflegte Beauty nicht erst lange ab, nahm nur die Trense und Sattel ab. Dann lief auch sie nach draußen. Es regnete heftig. Der Donner war Ohren betörend. Der Wind pfiff um die Anlage, dass man nichts anderes mehr hören konnte. Die Welt schien unterzugehen.

 

Endlich zog das Gewitter weiter. Es wurde ruhiger. Die Welt schien wieder in Ordnung. Die Luft fühlte sich gereinigt an. Alle atmeten auf. Aber die meisten waren nass geworden. Sie zogen sich nun in die Tränke zurück, um aufgeregt über den Blitzeinschlag zu diskutieren. Der Baum war verbrannt, nur sein übriggebliebener Stumpf glühte noch ein wenig.

 

Polly versorgte ihr Pferd und räumte die Sachen auf. Dann endlich fand auch sie Zeit, in die Tränke zu gehen. Da, es begann wieder zu donnern. Doch es war nicht der Donner von vorhin, es war die Stimme von Herrn van Hopps. Der regte sich gewaltig über Polly auf. „Wie kannst Du nur bei so einem Wetter unter den Bäumen herumreiten?“, schrie er fast. Polly verstand gar nicht, was das sollte. Was hatte sie denn falsch gemacht? Unverständnis stand ihr ins Gesicht geschrieben. Und wieder war es Joachim, der ihr zur Seite stand.

 

In aller Ruhe erklärte er ihr, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte. Der Blitz hätte auch leicht sie treffen können. Bei Gewitter dürfe man sich nie unter Bäume stellen. Alles, was erhöht sei, laufe größere Gefahr, dass dort der Blitz einschlage. Das gelte auch für Reiter. Und auch ganz besonders für Hochsitze, die von Jägern benutzt würden. Jetzt schmunzelte Joachim sogar freundlich. „Bei denen allerdings ist es wohl nicht so schlimm, wenn das geschehe. Glück für die Tiere im Wald“, fügte er breit grinsend hinzu. Nun lächelte auch Polly wieder. Sie hatte großes Glück gehabt.

 

Polly beschloss, nie wieder bei einem Gewitter auf dem Außenviereck zu reiten. Egal wie voll die Reithalle wäre. Das mit den Erhöhungen und den Blitzeinschlägen hatte sie bis dahin nicht gewusst. Das würde sie nach dem Schrecken aber auch nie mehr vergessen. Was muss ihre arme Beauty für eine Angst gehabt haben?

 

(Fortsetzung folgt…)

 

 

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