Der Traum eines kleinen Mädchens...(175) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Donnerstag, 01. August 2013 um 09:09

 

Beim Gespenst - Glas splittert...

 

Es gibt Dinge, die kann man nicht einmal der besten Freundin erzählen. So ging es Polly mit ihrem Erlebnis in der vergangenen Woche, bei dem sie ganz alleine auf dem Hauboden des Reitstalles etwas sehr seltsames gesehen hatte. Heute war sie sich gar nicht mehr sicher, ob sie überhaupt etwas gesehen hatte. Ganz alleine auf dem Heuboden, nachdem alle ihre Freunde schon nach hause gefahren waren, hatten wahrscheinlich ihre Nerven ihr einen Streich gespielt. Tatsächlich hatte sie aber niemandem davon erzählt und sie war auch seitdem nicht mehr dorthin gegangen.

 

Der Speicher des Reitstalles war sowieso eigentlich für alle tabu. Zu gefährlich sei es, dort zu spielen. Immer wieder wurde es vor allem den kleineren Kindern gepredigt. Man könne durch die Luken auf die Stallgassen fallen. Das Heu würde durch das Herumtollen der Kinder für die Pferde unbrauchbar. Man könne es den Tieren nicht mehr füttern. Außerdem könne sich das Heu leicht entzünden und einen Brand auslösen. Polly wagte gar nicht daran zu denken, was ein Brand im Reitstall bedeutete.

 

Aber der Gedanke an diesen verbotenen Ort ließ sie doch nicht los. Zumal es diesen einen Teil des Speichers gab, an dem sich weder Heu noch Stroh, sondern ganz andere Gegenstände befanden. Unter einer Staubschicht hatte Polly diese eine große Kiste gefunden und eine weiße Pferdedecke herausgezogen. Die hatte sie noch. Wenn man nur bei Tageslicht oder mit einer großen Lampe dort einmal gründlich stöbern könnte…Was man dort vielleicht für Schätze finden würde… So gingen ihr die Gedanken durch den Kopf. Aber dass dort oben viel mehr sein könnte…Unheimliches…Vielleicht wohnte dort sogar unbemerkt jemand, den bisher noch keiner zu Gesicht bekommen hatte, der nur im Verborgenen dort wohnte. Und ausgerechnet Polly könnte das nun entdeckt haben! Oder sie machte sich einfach lächerlich. Nichts befand sich dort oben, was geheim war. So viele Gedanken gingen ihr dauernd durch den Kopf. Aber sie traute sich nicht, mit irgendjemandem darüber zu sprechen.

 

Diese Woche jedenfalls hatten die großen Sommerferien angefangen. Das war auch im Reitstall Hubertus zu spüren. Von morgens bis abends hingen die Kinder und Jugendlichen im Stall herum. Nie war man ganz alleine. Das machte Spaß. Es wurde sogar ein richtiges Ferienprogramm für sie alle angeboten.

 

Die Kinder durften eine ganze Woche im Reitstall bleiben. Für sie wurden Luftmatratzen in zwei Sattelkammern ausgelegt. Für die größeren Kinder und Pollys Clique war ein Platz hinter der Reithalle frei gemacht, auf dem sie sich Zelte aufstellen durften: ein Zeltlager. Eine elternfreie Zone. Allein die Reitlehrer und die Tochter des Reitlehrers, Aggi, durften diese Zone betreten, um nach dem Rechten zu sehen. Um die jüngeren Kinder, die in den Sattelkammern untergebracht waren, kümmerten Polly und ihre Freunde sich wenig.

 

Aber das Ferienprogramm sollten sie doch mit gestalten. Zweimal am Tag fanden Reitstunden statt. Auf den Schulponys. Das betraf Polly und ihre Freunde wenig. Sie durften ihre Pferde auf dem Platz reiten. Sie waren dabei auch nicht an feste Zeiten gebunden. Nachmittags fanden Spiele statt. Polly und die Clique sollten hierbei helfen.

 

An einem Nachmittag sollte Harald, Sohn des Reitstallbesitzers, die Lautsprecher-Anlage in der Reithalle überprüfen. Polly und Anne sollten helfen, zehn Schulponys zu satteln und in die Reitbahn zu bringen. Die anderen waren angehalten, mindestens neun Stühle aus der Tränke ebenfalls in die Bahn zu bringen. Dort wurden sie in einer Reihe nebeneinander aufgestellt. Aber einmal mit der Sitzfläche nach vorne, der nächste mit der Sitzfläche nach hinten. Immer abwechselnd.

 

Dann wurden die ersten Kinder auf die Ponys gesetzt. Sie sollten hintereinander im Trab reiten. Immer um die Stuhlreihe herum. Dabei ertönte Musik aus den Lautsprechern. Sobald die Musik aufhörte, sollte jedes Kind von seinem Pony springen und sich auf einen Stuhl setzen. Das Kind, was keinen Stuhl abbekam, schied aus. Wer bis zuletzt immer einen Stuhl hatte, gewann.

 

Die Kinder trieben ihre Ponys so an, ganz dicht an den Stühlen vorbei zu traben, dass es manchem Pferdchen unangenehm war. Das eine oder andere wollte nicht. Es stellte sich quer oder es riss aus. Es gab jedes Mal ein großes Durcheinander. Zwischendurch fiel mal ein Kind runter und fing an zu schreien. Dann musste Polly es aufheben und wieder aufs Pony setzen. Die Musik spielte weiter. Plötzlich riss ein Kind am Zügel seines Ponys. Es blieb stehen, obwohl die Musik noch spielte. Die anderen Ponys ritten auf. Wieder gab es ein großes Chaos. Gerade war die Ordnung wieder hergestellt und alle trabten hinter einander her, da stoppte die Musik. Jeder sprang so schnell er konnte von seinem Pony ab und zog es hinter sich, um einen Stuhl zu ergattern. Ein Kind blieb übrig. Es schied aus. Natürlich gab es auch Tränen bei diesem Spiel.

 

Als alle Kinder einmal mitgemacht hatten, ging es zum Eisessen in die Tränke. Jetzt war die Zeit für Pollys Clique gekommen. Sie durften sich die Schulponys schnappen und auch einmal „die Reise nach Jerusalem“ spielen. Aber die Bedingungen wurden für die Jugendlichen erschwert: die Sättel mussten runter. Jetzt wurde ohne Sattel auf dem blanken Ponyrücken geritten.

 

Anton, der nie ritt, bediente die Musik. Dabei passte er immer genau ab, wenn die Ponys möglichst weit weg von der Stuhlreihe waren. Dann stoppte er die Musik. Das größte Problem bestand nämlich darin, die Ponys an die Stühle heranzuziehen. Man durfte sein Pony nicht einfach loslassen, um selbst einen Stuhl zu besetzen, Das Pony musste schon mit. Das aber wollte natürlich meistens nicht. Die Ponys konnten störrisch sein wie Esel. Dabei hatten die Jugendlichen einen riesigen Spaß. Es war letztendlich der Reitlehrer, der die Ponys erlöste und dem wilden Treiben ein Ende setzte.

 

Die Jugendlichen waren noch nicht erwachsen genug, um nicht auch Eis zu mögen. Wie die Kleinen fanden sie sich in der Tränke ein. Mit roten Wangen und glühenden Gesichtern forderten sie auch ihre Portionen Eis ein. Sie bekamen ihr Eis. Aber sie mussten es draußen essen. Die Tränke war für die Kleinen reserviert. Pollys Clique machte zu großen Lärm. Alle waren ausgelassen und redeten laut durcheinander.

 

„Was machen wir jetzt?“ fragte Hansi. Mit einem Schlag wurde es ruhig. Man dachte nach. „Verstecken“, rief Harald. „im ganzen Stall“, fügte er hinzu und lachte schelmisch, dabei zwinkerte er mit dem rechten Auge zu Hansi. „Du meinst, wirklich im ganzen Reitstall, in der Schmiede und im Leichen-Schuppen auch?“, fragte Maria vorsichtig und spielte damit auf den Skelettfund vor ein paar Jahren an. „Natürlich!“, riefen Harald und Hansi wie aus einem Mund, „Jungs gegen Mädchen“, rief Anton. „Klar“, bestätigten Hansi und Harald wieder.

 

Und plötzlich sah Polly die Gelegenheit, auf die sie seit Tagen wartete. Ohne von ihrem Erlebnis erzählen zu müssen, erkannte sie eine Chance, auf den Hauboden zu kommen und dabei nicht alleine sein zu müssen. „Komm mit“, sagte sie zu Anne, „die Jungs werden uns nie finden.“ Sie zog Anne hinter sich her.

 

Mutig und zielstrebig führte sie Anne die Stiegen auf den Heuboden herauf. Sie liefen durch das lose Heu und an den Strohballen vorbei. Polly öffnete die kleine Tür, durch die sie schon letzte Woche geschlichen war. Nur ein paar Lichtstrahlen fielen durch die Dachziegel. Staubkörnchen tanzten in den dünnen Sonnenstrahlen und ließen kaum etwas erkennen. „Hier verstecken wir uns. Keiner wird uns hier finden“, erklärte sie.

 

Ihre Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Die Mädchen sahen fast nichts. „Und wenn uns tatsächlich niemand findet…Wie lange bleiben wir dann hier?“, fragte Anne mit einer ganz dünnen Stimme. „Dann gehen wir gleich wieder hinunter“, sagte Polly und tat so, als hätte es her nie ein Gespenst gegeben.

 

Nun flüsterten die Mädchen nur noch miteinander. Eigentlich redeten sie kaum noch und lauschten auf die Schritte der Jungen, von denen sie hofften, dass sie sich doch näherten.

 

Anne konnte nicht sehen, dass Polly sich dauernd ängstlich umschaute, als befürchte sie das auftauchen einer weißen Gestalt. „Wir suchen jeder ein Versteck für sich“, schlug Polly vor. Sie kauerte sich dabei hinter die Kiste, in der sie die weiße Pferdedecke gefunden hatte.

 

Plötzlich erschreckte Polly ein fürchterliches Klirren. Glas zusprang und fiel auf den Boden. Anne schrie auf. Sie war in einen großen Spiegel getreten. In der Dunkelheit des Speichers hatte sie dort einen Durchgang vermutet. Im Licht ihres Handys erkannte sie die Splitter eines Spiegels. Da fiel es Polly wie Schuppen von den Augen. Das war ihr Gespenst. Sie hatte letzte Woche, die weiße Pferdedecke wie einen Umhang um die Schultern gelegt. Dann war sie unwissentlich auf den Spiegel zugegangen. In der Dunkelheit hatte sie den gar nicht wahrgenommen und sich vor ihrem eigenen Spiegelbild erschrocken.

 

Polly lachte befeit laut auf. Anne fuhr sie wütend an. „Ich hätte mich schneiden können! Und Du lachst blöd“, schimpfte sie. Aber Polly lachte nur noch mehr. Ihr Unbehagen hatte sich mit einem Mal in Luft aufgelöst. Sie ergriff die Hand ihrer Freundin. „Lass uns wieder nach unten gehen zu den anderen. Die Jungs finden uns hier ja doch nicht“, rief sie fröhlich. Die Ferien im Reitstall versprachen ein großer Spaß zu werden.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

 

 

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