"Verfolge Deine Ziele und glaube immer an Deine Träume" Drucken
Geschrieben von: Alexandra Koch/ DL   
Freitag, 11. März 2022 um 13:17

Kamp-Lintfort. Regine Mispelkamp (51) gewann bei den Paralympics in Tokio 2021 in Grade V die Einzel-Bronzemedaille. Sie ritt Springen und Dressur, aufgrund der Leistungen mit dem Goldenen Reitbzeichen geehrt – und mit 17 dann die niederschmetternde Diagnose Multiple Sklerose. Im Parasport weiterzumachen, dazu überredete sie ihre Trainerin, die heutige internationale Dressurrichterin Ulrike Nivelle. Mit Regine Mispelkamp unterhielt sich Alexandra Koch.

 

Lassen Sie uns zunächst doch einmal teilhaben an Ihrer Geschichte. Wie sind Sie zu den Pferden gekommen? Sie haben ja, soviel ich weiß, auch einen familiären Hintergrund?

Regina Mispelkamp (RM): „Meine Eltern hatten bereits in jungen Jahren Kontakt zu Pferden, sind geritten, haben dies allerdings nie turniermäßig weiter ausgebaut. Meine Mutter war immer freizeitmäßig unterwegs und mein Vater probierte zwar Springen und Vielseitigkeit aus, aber nicht als Leistungssport. Meine Schwester und ich sind allerdings auf diese Art und Weise zu den Pferden und zum Reiten gekommen. Wir hatten von frühester Kindheit an mit Eseln und Ponys unseren Spaß und sind spielerisch an den Sport herangeführt worden. Mit sieben ritt ich regelmäßig, mit acht war ich beim ersten Turnier am Start. Meine knapp zwei Jahre ältere Schwester begann als erste mit dem Turnierreiten. Sie hatte bereits ein eigenes Pferd, während ich das große Pferd von meinem Vater mitritt. Ich war damals klein für mein Alter und es war schon ein witziger Anblick. An meinen allerersten Parcours kann ich mich heute noch erinnern.“

Und wie lief es damals?

R.M.: „Meine Eltern waren der Ansicht, dass wir Kinder nur von erfahrenen Pferden wirklich lernen könnten. So kam es, dass sich die Möglichkeit bot, einen Wallach zu kaufen, der für Irland bei Olympischen Spielen am Start gewesen war. Er war nicht mehr in Top-Form, aber für unsere einfachen Prüfungen war er richtig. In unserem allerersten gemeinsamen Parcours benötigte ich allerdings erst einmal eine volle Runde, um ihn überhaupt auf den ersten Sprung zuzureiten. Den haben der Schimmel und ich dann auch erfolgreich bewältigt, nur gab es beim zweiten Hindernis noch einmal das gleiche Problem und eine weitere Ehrenrunde. Das Springen war für uns danach vorzeitig zu Ende, aber eine lustige Erinnerung bleibt. Und es war der Anfang meiner Reiterkarriere.“

Sind Sie als Schwestern heute noch gemeinsam im Sattel unterwegs?

R.M.: „Meine Schwester reitet keine Turniere mehr. Sie ist aber heute noch mit ihrem eigenen Pferd als Freizeitreiterin unterwegs. Und für mich ging es mit 15 schon bald weiter im Parcours Richtung Landesmeisterschaften. Nachdem ich das Abitur in der Tasche hatte, kam natürlich der altbekannte Satz: `Du musst jetzt was Vernünftiges lernen.` Also machte ich eine Ausbildung zur Medizinisch Technischen Assistentin, kurz MTA. Während dieser Zeit ritt ich allerdings für Gestüte Hengste, um mir etwas dazuzuverdienen und alles finanzieren zu können. Als ich mit der Ausbildung fertig war, wäre ich am liebsten in die Krebsforschung gegangen. Doch der einzige Job, der sich mir allerdings bot, war die Auswertung von Blutgruppen. Und spätestens da stand ich dann am Scheideweg: Sollte es wirklich meine Aufgabe sein, mein Leben lang Blutgruppen zu analysieren? Immer mehr Leute um mich herum sagten mir, dass ich doch lieber das Reiten zu meinem Beruf machen sollte. Ich machte daraufhin die Bereiterprüfung, heute heute genannt `Pferdewirt Klassische Ausbildung`. Durch die vielen Pferde, die ich vorab schon unter dem Sattel gehabt hatte, war ich bereits recht routiniert und konnte die Prüfung mit Auszeichnung, also Stensbeck-Plakette, bestehen.“

Sie haben sich dann auch bald selbstständig gemacht? Ich habe gelesen, durch ein besonderes Pferd erfolgte dann der Umstieg aufs Dressurpferd?

R.M.: „Genau, ich habe mich 1997 mit einem eigenen Turnier- und Ausbildungsstall auf eigene Füßen gestellt. Eines Tages bekam ich dort ein Pferd unter den Sattel, das absolut untalentiert als Springpferd war. Mein Ehrgeiz war geweckt und ich wollte das Pferd von nun an im Dressursattel fördern. Das war natürlich erstmals eine Veränderung, an die ich mich gewöhnen musste. Der Springsport ist einfach reeller, man ist von keinen Noten abhängig. Doch dann hatte ich mit ihm einen schweren Unfall im Parcours und stellte mir die Frage, ob ich wirklich weiterhin springen wollte.“

Und haben Sie dann tatsächlich aufgehört?

R.M.: „Als ich aus dem Krankenhaus gekommen bin, war das Gedankenkarussell in vollem Gange. Eine solcher Unfall verunsichert natürlich. Ich schickte zunächst alle anderen weg und ging mit meinem alten Springpferd, das sich bereits im Ruhestand befand, in den Parcours. Es galt Vertrauen aufzubauen und das klappte zunächst auch. Ich bin wieder Springen geritten, merkte aber, dass ich stets ein wenig die Handbremse anzog und den Pferden letztendlich nicht gerecht wurde. Kleine Springprüfungen ritt ich zwar nach wie vor, aber keine höheren Klassen mehr. Mein großer Ehrgeiz, aus den Pferden noch etwas rauszulocken und sie entsprechend zu fördern, war erst einmal gestillt. Auch heute nehme ich ab und zu noch einen Sprung, aber eben nicht mehr im Wettkampf. In dieser Zeit jedenfalls hatte die Dressur endgültig die Oberhand in meinem Stall gewonnen. Ich bekam zwar 2002 das Goldene Reitabzeichen für meine Leistungen in Dressur und Springen, aber damals war im Grunde schon klar, dass ich nicht mehr viel im Parcours unterwegs sein würde.“

Ihr eigener Betrieb war damals schon ziemlich angewachsen, oder?

R.M.: „Ich hatte viele Pferde und viele Auszubildende. Es war immer etwas los. Ich bin natürlich stolz, dass ich in dieser Zeit einigen tollen jungen Leuten den Weg in den Sport ebnen konnte. Gleichzeitig absolvierte ich zudem meine Trainerausbildung zur Diplom-Trainerin an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Und irgendwann kam dann mehr durch Zufall die Diagnose...“

Ihre Diagnose Multiple Sklerose liegt erst wenige Jahre zurück. Und sie war sehr schwer für Sie zu akzeptieren, haben Sie bislang immer gesagt...

R.M.: „Schon mit 17 hatte ich kleinere Bandscheibenprobleme. Als ich dann aus der Röhre kam, sagte der Radiologe zu mir, dass ich zwar wieder einen Bandscheibenvorfall hätte, das wäre aber nicht mein Problem sei - ich hätte Multiple Sklerose. Das war für mich und mein Umfeld natürlich ein Schock. Ich wollte zunächst meine Erkrankung verstecken. Gedanklich versuchte ich mit der Zeit, mich mit dem Thema Para-Sport auseinanderzusetzen. Eines Tages hatte ich dann ein Gespräch mit meiner Trainerin Ulrike Nivelle und sie ermutigte mich, in den Para-Sport zu gehen. Zunächst hatte ich aber Angst davor, mit einem Outing meine berufliche Existenz zu zerstören. Eines Tages raffte ich mich doch auf. Daraufhin würde ich in Grade 5 eingeordnet und absolvierte in Mannheim 2018 tatsächlich meinen ersten Para-Turnier-Ritt auf Look At Me Now. Meine Mitarbeiter wussten schon vorher Bescheid und standen voll hinter mir. Der großartige Erfolg dort gab mir recht, selbst wenn ich einige negative Äußerungen danach erleben musste. Das war allerdings für mich ein Reifeprozess, im Zuge dessen ich viele Menschen und mich selbst besser kennenlernte. Es war ein Jahr voller Emotionen, welche die gesamte Bandbreite abdeckten. Aber ich lernte meine Erkrankung zu akzeptieren und damit umzugehen.“

Sie sehen die Erkrankung und den daraus resultierenden Prozess also heute eher positiv?

R.M.: „Ich fühle mich befreit und reite auch viel befreiter. Auf dem Pferd habe ich immer schon gut und gefühlvoll gesessen, aber heute kann ich für mich sagen, dass ich einen Touch Leichtigkeit und Coolness dazu bekommen habe, was ich so vorher nicht kannte. Mein Blick auf das Leben hat sich deutlich verändert, und ich sehe nichts mehr negativ an meiner Erkrankung. Nach den Weltreiterspielen in Tryon in den USA stellte ich meinen Betrieb noch ein wenig um, habe inzwischen nicht mehr so viele Berittpferde, dafür aber mehr Schüler und gebe deutlich mehr Lehrgänge. Zwischendrin war es natürlich aufgrund von Corona und Herpes bei den Pferden noch einmal sehr schwierig. Ich musste mich kurzzeitig doch wieder mehr auf den Beritt konzentrieren.“

Wie haben Sie die Zeit bei den Paralympics in Tokio erlebt. Was nehmen Sie aus diesen Wochen besonders mit? Was hatten Sie – neben der Medaille – als besondere Momente im Gepäck nach Hause?

R.M.: „Es gab so viele unglaublich schöne Momente. Ich erinnere mich noch an ein Antraben von Lights dort, und ich fühle immer noch dieses tolle Gefühl, was er mir dort gab. Ich wusste in diesem Moment, dass unsere Reise gerade erst begonnen hat und wir noch so viel gemeinsam erleben werden. Lights genießt das Rampenlicht und ist bereits jetzt ein unglaublich tolles Championatspferd. Er kann zwar schon mal wild sein, aber sobald es darauf ankommt, passt er immer auf mich auf. Für mich kann ich zu Tokio nur sagen, dass ich mich selbst wohl noch nie so cool erlebt habe. Ich wollte es einfach genießen und habe das in jedem Moment getan. Ganz besonders waren vor Ort auch die Volunteers. Sie haben uns immer Origami-Karten gebastelt. Und vor der Kür bekam ich ein kleines fuchsfarbenes Pferd. Auf der Karte stand Never give up und sie ist mittlerweile gerahmt und hat einen Ehrenplatz bei mir daheim.“

Ich denke, es gab kaum einen, den Ihre Tränen nach der Medaille nicht bewegt haben. Wie fühlt es sich jetzt, einige Wochen später, an, eine olympische Medaille zuhause zu haben?

R.M.: „Es ist natürlich unglaublich toll! Zwischendrin hatte ich vor Ort natürlich schon meine Momente, in denen ich ein wenig gehadert habe. Platz vier ist ja eine tolle Platzierung, aber man verpasst eben die Medaille, und nur auf diese fokussieren sich die Medien und auch die Offiziellen. In der Mannschaftsaufgabe war Lights ja dann etwas verspannt und hatte ein paar Fehlerchen. Aber in der Kür lief alles wieder großartig. Natürlich hatten wir unseren einen allbekannten Hakler, aber wir konnten das durch die geplante Volte zum Glück kaschieren. Lights geht unheimlich gern zur Musik und zeigte sich einfach großartig. Nach dem Ritt war ich noch unsicher, ob es zur Medaille gereicht haben könnte. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als unser Coach Bernhard Fiegl dann über den Zaun gesprungen ist, zu mir gerannt kam und lautstark nach der Bewertung der britischen Favoritin über den ganzen Platz rief, dass ich die Medaille hätte. Danach dauerte es noch ein wenig, bis mir alles voll und ganz bewusst wurde, was uns da gelungen ist. Am nächsten Tag sind wir im Olympischen Dorf empfangen worden, und der Jubel war einfach unglaublich. Ich hörte die Volunteers dort flüstern She´s a medaillist, und da war mir wirklich klar, dass mein Traum wahr geworden ist.“

Wie sieht Ihr Alltag momentan aus? Sie unterrichten ja, bilden Pferde aus. Das hört sich nach einem vollen Tagesplan an...

R.M.: „Vormittags reite ich immer, und nachmittags unterrichte. Am Wochenende gibt es dann Lehrgänge. Ich habe also von Montag bis Sonntag stets ein volles Pensum. Manchmal muss ich mich ein wenig bremsen, sodass ich nicht an meine körperlichen Grenzen gehe. Aber die Auszeiten, die ich brauche, gebe ich mir meist mit meinen Pferden, reite beispielsweise aus, gehe auf die Rennbahn oder bin einfach entspannt im Schritt unterwegs. Es macht mir einfach so unheimlich viel Spaß, mit Pferden und Reitern zusammenzuarbeiten. Das gibt mir unendlich viel. Wenn ich nicht reite, entspanne ich mich auch durch Yoga. Viel mehr Ziet bleibt nicht. Allerdings habe ich mir im vergangenen Jahr einen kleinen Hund gekauft. Und er bekommt ganz viel Zeit und Liebe von mir.“

Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung der Para-Dressur in Deutschland? Andere Länder sind mittlerweile an unserem Land vorbeigezogen zu sein. Was müsste in Deutschland getan werden, um wieder den direkten Anschluss an die Weltspitze und die Mannschaftsmedaillen zu bekommen?

R.M.: „Ich bin seit einiger Zeit Aktivensprecherin, und es wurde bereits vieles in die Wege geleitet, aber oft brauchen solche Dinge lange Zeit. Eingeschränkte Menschen sind in vielen anderen Ländern Europas, wie Dänemark, Großbritannien oder den Niederlanden zum Beispiel, einfach besser akzeptiert und integriert. In Deutschland steckt, vielleicht in unserer Mentalität begründet, vieles noch in den Kinderschuhen. Früher auf Fremdpferden wurde das gute Reiten der deutschen Reiter belohnt. Auch als man in den ersten Jahren auf eigenen Pferden antrat, konnten die deutschen Reiter das Niveau halten. Vielleicht, weil andere Länder noch in den Kinderschuhen steckten, aber dann gab es dort eine rasante Entwicklung, mit der wir als Land nicht mehr mitgekommen sind. Meiner Meinung nach müssen wir den Para-Sport den Menschen einfach näherbringen. Wir müssen mehr in die Öffentlichkeitsarbeit investieren. Genau diese Wahrnehmung möchte ich als Aktivensprecherin insbesondere anstoßen. Oftmals stehen wir Para-Reiter vor der Aufgabe, aus einen eher „normalen“ Pferd ein „Top-Pferd“ zu formen. Und das kann ja, wie man an Lights sieht, wirklich gelingen. Einfacher ist es aber natürlich für die Reiter in Ländern, die eine spezielle umfangreiche Förderunganbieten und mehr Sponsoren haben. An Sponsoren kommt man natürlich über eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit ebenfalls eher heran. Es müssen auch Hemmschwellen abgebaut und die Menschen von uns überzeugt werden. Es wäre schön, wenn sich für die Para-Sportler einige Leute fänden, die Freude daran hätten, ihr Pferd mit uns auf Championaten zu sehen, ohne einen finanziellen Aspekt im Hinterkopf zu haben. Ich denke aber, wenn wir uns nur gut genug zeigen und an die Öffentlichkeit gehen, wird die Zeit für uns arbeiten. Natürlich wäre schneller immer schön.“

Was könnte in Sachen Integration der Para-Sportler noch getan werden?

R.M.: „Es gibt schon jetzt einige Turniere, bei denen wir gemeinsam mit Regelsportlern reiten. Mannheim und München sind solche schöne Beispiele. Aber ähnliche Turniere sind eben leider kaum vorhanden. Da könnte noch viel mehr gehen in Sachen Akzeptanz, denn wenn ich vor Ort mit Leuten spreche, erklären mir diese immer, dass sie unseren Sport faszinierend finden, sie aber vorher überhaupt keine Vorstellung davon hatten. Ich denke, dass die Weltmeisterschaften in diesem Jahr im dänischen Herning, wo wir erneut gemeinsam mit den Regelsportlern vor Ort sind, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung bedeutet. Ein Traum von mir wäre, dass die Olympischen Spiele und Paralympics eines Tages zusammengelegt werden. Vermutlich ein Traum, dessen Erfüllung wir nicht mehr erleben, aber sich das ganz fest wünschen, muss doch erlaubt sein.“

Haben Sie ein Lebensmotto, welches Sie begleitet?

R.M.: „Man könnte sagen: Verfolge Dein Ziel und glaube immer an Deine Träume. Und einfach immer weiterkämpfen und das Bestmögliche daraus machen.“

Gibt es einen Wunsch, den Sie sich unbedingt eines Tages erfüllen möchten?

R.M.: „Einen gibt es da schon: Ich habe ein wenig Höhenangst, aber ich möchte meinen inneren Schweinehund überwinden und einmal einen Tandem-Paragliding-Flug machen. Und reiterlich würde ich mir wünschen, dass ich bis Los Angeles 2028 auf jeden Fall reiterlich dabei sein kann. Auf Paris 2024 freue ich mich natürlich schon besonders, Olympische Spiele in Europa, das gibt noch mal einen ganz besonderen Touch.“

 

 

 

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