Abritt - oder aus dem Leben des Tierarztes Dr. Peter Cronau (Teil 7) Drucken
Geschrieben von: Peter F. Cronau/ dl   
Samstag, 24. Februar 2024 um 11:13

Als Feldhandball in Deutschland noch populär war, war Peter Cronau in seiner Studentenzeit ein gefürchteter Wurfspezialist, wie auf dem Foto ersichtlich...

(Foto: privat)

Durch "Schorsch" Ahlmann fand Tierarzt Dr. Peter Cronau Zugang zum Springreiter-Zirkel, er hatte seine ersten Erlebnisse als Selbständiger im Beruf, fuhr Motorrad ohne Führerschein mit Unfall, schaffte sich im Beruf einen internationalen Ruf, dass er gar in einer bekannten deutschen Zeitung zitiert wurde, was unangenehme Folgen hatte...

Durch die Bekanntschaft mit Georg Ahlmann fand mein Tätigkeitsbereich eine erfreuliche Wende. „Schorsch“ Ahlmann hatte nämlich nicht nur Traber sondern auch Springpferde. Einige Springpferde teilte er im Besitz mit Alwin Schockemöhle. Das war für mich der eigentliche Steigbügel zum Springsport. Aller Anfang ist schwer, als Freischaffender muss man sich erst einmal durchkämpfen. Dabei muss man auch mit Rückschlägen kämpfen.

Der erste Assistent...

Mein erster Assistent war Wolfgang Leistner, der auch in München studiert hatte und sine Doktorarbeit bei Prof. Dr. Anton Mayr abgeleistet hatte. „Schorsch“ Ahlmann wünschte, die Wurmkuren bei allen Pferden per Nasenschlundsonde durchzuführen. Der Assistent und ich fuhren gemeinsam nach Marl, wo Schorsch seine Stallungen hat. Ich legte bei 28 Pferden die Nasenschlundsonde mit dem Wurmmittel ein. Die Mutter von Schorsch kam nach dem 28. in den Stall und sagte: „Telefon für Sie, Herr Doktor“. Es gab damals noch kein Handy und auch noch kein Autotelefon. Ich ging in die Wohnräume und bediente den Telefonanruf. Dr. Leistner sagte, er habe jetzt bei 28 Pferden gesehen, wie das mit der Nasenschlundsonde gehe, „den 29. mache ich jetzt selber“. Gesagt, getan. Leistner führte die Sonde ein und schüttete das Wurmmittel in die Sonde. Das Pferd schüttelte sich einmal - und fiel tot um. Große Tragödie – und das bei Ahlmann und Pferdemitbesitzer Alwin Schockemöhle! Ich rief meinen Versicherer Richard Henschen in Warendorf an und versuchte ihm klarzumachen, dass er die Versicherungssumme sofort zu zahlen habe. Henschen ging nicht auf meine Anordnung ein, im Gegenteil, er verlangte ein Universitätsgutachten.

Das tote Pferd wurde nach Hannover gebracht und einer post mortem-Untersuchung unterzogen. Das Resultat war eindeutig: Dr. Leistner hatte das Medikament per Nasenschlundsonde korrekt in den Magen eingeschüttet und nicht – wie vermutet – in die Lunge. Das Pferd war somit an einem reflektorischen Herztod gestorben. Dieses Ergebnis wurde sowohl Schorsch Ahlmann als auch Alwin Schockemöhle mitgeteilt. Beide akzeptierten den Befund. Ich jedoch hatte gelernt aus diesem Vorfall.

Dr. Leistner war Tierarztsohn aus Rott am Inn, er hatte einen bayerischen Humor. Wenn das Pferd beim Ablegen zu Vollnarkose sich langsam fallen ließ, sagte er immer, wenn es auf die Knie kam: „Jetzt wird einer katholisch.“

Motorrad, aber keinen Führerschein...

Meine Leidenschaft zum Motorradfahren wurde getoppt durch den Erwerb eine BMW R8. Am Samstag des 29.06.1979 wurde ich zu einem hustenden Pferd in Essen-Steele gerufen. Das Wetter war schön, meine Praxisutensilien verstaute ich in den Packtaschen. An einer Kreuzung in Essen-Steele erfasste mich ein VW-Käfer mit der B-Säule, der VW hatte meine Vorfahrt missachtet. Die Fahrerin hatte mich einfach übersehen. Mit einer Monteggia-Fraktur, mit einer Radiusköpfchen-Sprengung am rechten Arm und einer Sehnenlähmung, verbunden mit Bewusstseins-Verlust, wurde ich in das Laurentius-Krankenhaus in Steele eingeliefert.

Der Chefarzt kam mit Krawatte und Sakko an mein Krankenbett. Er gab mir zu verstehen, dass er mich am Montag operieren wolle, um mein rechtes Ellbogengelenk zu versteifen. Mein damaliger Assistent Peter T. kam ins Krankenhaus und nahm die Röntgenaufnahmen mit, um eine zweite Meinung bei dem Traumatologen Dr. Abtahi einzuholen. Dessen kompetente Meinung war, dass ich erstens noch am gleichen Tag operiert werden müsse und eine Radiusköpfchen-Plastik mit einer Verplattung der Ulna (Speiche) gemacht werden sollte. Er meldete mich in der Universitätsklinik in Essen an, wo ich noch in der Nacht operiert wurde.

Beziehungen muss man haben

Das Krankenhaus war völlig überfüllt, ich wachte im Badezimmer auf einer Liege nach der erfolgreichen Operation auf. Die Problematik kam folgenschwer jedoch zusätzlich erst hinterher, ich hatte nämlich keinen Motorrad-Führerschein. Dieser konnte natürlich von der Polizei in meinem komaähnlichen Zustand nicht abgefragt werden. Ich schwitzte Blut und Wasser. Doch als Rennbahntierarzt hatte ich natürlich Kontakt zu einem illustren Personenkreis. So kam ich per Zufall an Ede Lichterfeld, den Schwiegersohn vom Rennstallbesitzer des Stalles „Luna“, Leo Bültmann. Dem erzählte ich meine Geschichte und mit den dazu entstandenen Sorgen. Er sagte, er werde das Problem für mich lösen und gab mir Order: „Du musst Deinen Wohnsitz nach Gelsenkirchen auf die Trabrennbahn Stall Luna verlegen.“ Dann werde nämlich die Aufforderung vom Amt. sich als Unfall-Beteiligter auszuweisen und den Führerschein vorzulegen, nach Gelsenkirchen in den Stall Luna geschickt, „und dann gehen wir zusammen zum Polizeipräsidium nach Gelsenkirchen“.

Ede und ich betraten also Tage später das Präsidium. An der Anmeldung sagte Ede zu dem Beamten, „gib mir den Führerschein“, was dieser erstaunlich auch brav machte. Dann fuhren Ede und ich in den zweiten Stock zum Vernehmungsbeamten. Ede hatte mich vorher strengstens angewiesen, ich sollte bei der Vorlage des Führerscheins mit der damit verbundenen Abfragung nur die Daten beantworten, die auf dem Führerschein stehen. Ich las also vor: Günter Schuler, Geburtsdatum und Geburtsort usw. Der Beamte tippte alles in seine Schreibmaschine und gab den Führerschein wieder zurück. Ede und ich fuhren danach wieder nach unten. Ede warf den Führerschein dem Beamten an der Anmeldung zu und sagte: „Hier hasse die Fleppe wieder.“

Fünf Jahre lang saß ich auf heißen Kohlen, denn das Delikt verjährte erst nach fünf Jahren. Ich hatte mit Niemanden über dieses Erlebnis gesprochen. Zur näheren Erklärung: Ede Lichterfeld war eine Ikone bei Schalke 04, er war 1967 bis 1976 Mannschaftsbetreuer und wurde von Charly Neumann abgelöst, der vom Trainer Max Merkel eingesetzt worden war. Und Schalke war auch immer mehr als ein Fußballverein, Schalke verströmt eine Aura, der man sich schwer entziehen kann. Man muss Schalke nur einmal auf der Jahreshauptversammlung erleben, wenn alle die Hymne „Blau und Weiß“ mit Tränen in den Augen anstimmen...

Winkler-Pferd operiert vor Turnier

Meine Reputation stieg im Springsport rasch. Im Jahr 1975 wurde ich vom damaligen Equipechef der Deutschen Springreiter, Helmut Krah, aus Barcelona angerufen, ich möge nach Barcelona fliegen, ein Pferd von Hans Günter Winkler habe sich verletzt. Ich flog nach Barcelona. Ein Pferd von HGW war beim Entladen von der Rampe abgerutscht und hatte sich das Vorderfußwurzelgelenk verletzt. Es musste genäht werden. Ein Verband wurde angelegt. Herr Winkler bekam die Weisung, nach Rückkehr in Deutschland das Pferd vorzustellen, da die Fäden noch gezogen werden müssten. Ich kümmerte mich noch um das Pferd „Humphrey“ von Lutz Merkel und flog am Sonntag wieder zurück. Am Mittwoch las ich dann in der Zeitung, dass HGW den Großen Preis von Barcelona – den Gran Premio de La Princesa Sofia – auf eben dem genähten Pferd gewonnen hatte. Man stufte mich als den großen Könner ein.

Bevor ich mich am Sonntag in der katalanischen Metropole verabschiedet hatte, kam der Bolivianer Nelson Nielsen Reyes auf mich zu und fragte, ob er einiges aus meiner Ausrüstung erwerben könne. Ich fragte, was er denn kaufen wolle, er sagte „alles“. Ich habe ihm meine ganze Ausrüstung nebst Hufmesser, Hörrohr etc. für 1.000 DM verhökert.

Königliches Geschenk während seiner "spanischen Zeit" als Tierarzt für viele dortige Reiter: Eine Zigarre mit den königlichen Insignien auf der Banderole oder Bauchbinde, Markenzeichen für einen Raucher

(Foto: privat)

Im September 1975 rief mich ein Deutscher namens Wilfried Stollenwerk aus Barcelona an und fragte nach einem Behandlungstermin. Ich operierte das Pferd „Torso“ auf dem Polofeld. Stollenwerk und seine deutsch-schweizer Freunde luden meine Frau Sigrid und mich ein, den Abend in Roda de Bara auf dem Roc San Cayetano zu verbringen, wo Hans-Peter Vogelsanger eine Wohnung auf dem Roc San Cayetano hatte. Der Eindruck war war gewaltig, Blick aufs Mittelmeer und nur 65 Kilometer von Barcelona entfernt. Bald danach erwarb ich selbst auf dem Roc eine Wohnung, die bei meiner späteren Tätigkeit in Spanien als Quartier diente. 1975 habe ich bis zum Herbst insgesamt 27 Pferde in Spanien operiert – wohl gesagt nicht in einer Klinik, sondern auf dem freien Feld. Unter anderem auch ein Pferd mit Namen „Kurfürst“ (spanische Aussprache: Kurfus) vom Duque de Aveyro.

Kollegialität eines englischen Tierarztes

Bei einem Besuch in England wegen einer Weiterbildung machte ich zusammen mit dem deutschen Kollegen Hans Degenhard einen Besuch beim All England Showground in Hickstead und dem dort gerade laufenden Internationalem Springturnier. Kaum angekommen, stürmte Hendrik Snoek auf mich zu. Sein Pferd „Rochus“ hatte sich beim Landen nach dem Hindernis den halben Ballen abgetreten, was zu einer klaffenden und blutenden Wunde führt. Der diensthabende Tierarzt Dr. Richard Hartley kam zu mir, öffnete an seinem PKW den Kofferraum und sagte: „Take what you want, I offer any help“.

Dr. Hartley für mich ein Beispiel, was Kollegialität bedeutet. Leider verstarb er bald darauf, was ein großer Verlust für die damalige Veterinärszene darstellte. Seine Witwe schickte der spanischen Mannschaft, die er vor meiner Zeit betreute, ein Jahr danach einen Gruß ins Olympische Dorf nach Montreal 1976.

Beau Supreme auf drei Beinen

In der Wembley Hall 1975 fand das Springen um den King George V. Gold Cup statt, was im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) live übertragen wurde. Reporter war Arnim Basche. Ich saß auf der Teilnehmertribüne, als das Fatale geschah. Beau Supreme landete nach einem Steilsprung und stand sofort auf drei Beinen. Man konnte erkennen, das Pferd hatte eine offene Fraktur erlitten. Dann lief ein einstudiertes Procedere ab: Die Hallenlichter gingen aus, die Musik spielte - und plötzlich ein Schuss. Ich lief runter in den Parcours, da war alles schon passe. Der tote Tierkörper wurde aus der Halle gezogen. Alles dauerte nur eine Minute.

Belangt wegen verbotener Werbung

Ich lief zu Arnim Basche in die Reporterkabine, und wir tauschten uns aus. Am nächsten Vormittag flog ich nach Hamburg. Dort las ich in der Zeitung „Die Welt“ von dem Unglück. Interessanterweise wurde ich in dem Blatt zitiert, obwohl ich gar nicht interviewt worden war. Das brachte mir jedoch ein Verfahren bei der prüden Tierärztekammer Westfalen-Lippe ein, die mich wegen unerlaubter und standeswidriger Werbung belangte. Ich hatte mich jedoch schon vorher bei der Tageszeitung beschwert, was dann zur Einstellung des Verfahrens führte.

Ich musste jedoch den damaligen Zeitgeist erfahren, dass eine Zeitungsmeldung von einem Tierarzt weder initiiert noch geduldet werden darf. Im Gegenteil, man muss aktiv mittels einer Gegendarstellung gegen jedweden Verdacht vorgehen. Seit EU-Richtlinien haben sich die Verhältnisse geändert.

(Fortsetzung folgt)

 

 

Um die Nutzbarkeit unserer Seiten zu verbessern, verwenden wir Cookies. Falls Sie mit der Speicherung von Cookies nicht einverstanden sind, finden Sie hier weitere Informationen. Weitere Informationen >>> Cookie-Hinweis.

Hinweis >>>