Nur die Flagge ist ukrainisch im Ukraine-Springreiter-Team... Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Montag, 01. August 2016 um 14:22

 

(Foto: U.Ludwig)

Uli Kirchhoff vor seinem zweiten Olympia in Rio

Bergamo. Vor 20 Jahren gewann Ulrich Kirchhoff in Atlanta Springreiter-Gold für Deutschland, nun fliegt er zu seinen zweiten Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro – dort aber reitet der Südoldenburger für die Ukraine in einer Equipe, in der keiner aus der Ukraine stammt, nicht mal der Teamchef…

 

 

Die Olympiakleidung kam aus Kiew mit dem Paketdienst zu ihm nach Hause bei Bergamo in Italien, und der Flieger mit Hermann, Günter, Ulrich Kirchhoff (48) an Bord hebt zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro am Donnerstag in Mailand ab. Es ist genau der Tag, an dem Uli Kirchhoff vor 20 Jahren in Atlanta zum Teamgold auch noch die zweite edle Medaille in der Einzelkonkurrenz holte. „Natürlich werde ich daran denken,“ sagt er, „so ein Datum vergisst man nicht.“ 4. August 1996.

 

In Atlanta ritt er für Deutschland auf dem Hengst Jus de Pomme, er war deutscher Meister „und dennoch hatte ich zum Beispiel im Preis der Nationen nur einen Gedanken: Du darfst um Gotteswillen nicht das Streichresultat liefern.“ Keinmal fiel eine Stange oder spritzte Wasser aus dem Graben auf.  In Rio reitet Kirchhoff in einer reinen Söldnertruppe, mit dem dreimaligen deutschen Meister Rene Tebbel (47), dem Brasilianer Cassio Rivetti (36) und dem Ungarn Ferenc Szentirmai (32), Coach ist der bekannte frühere Championatsreiter Markus Fuchs (Schweiz), und  der Equipe-Chef Najib Chami „kommt aus dem Libanon“, so Uli Kirchhoff, der am 9. August 49 Jahre alt wird. Kirchhoff: „Wir sind stolz, dass wir die Qualifikation für Rio geschafft haben und werden unser Bestes geben.“ Und ukrainisch an der Equipe „ist die Flagge, die wir dabei haben…“, so Uli Kirchhoff.

 

Alle waren irgendwann von Alexander Onischenko (46) angesprochen worden, ob sie nicht für die Ukraine starten wollten. Der Springreiter, ukrainische Präsident des nationalen Verbandes (FN) und Mitglied der Regierung in dem osteuropäischen Land, der angeblich eine Million US-Dollar am Tag mit Gas- und Erdöl verdiente, lockte mit Pferden und gutem Salär. Uli Kirchhoff rief er im Dezember 2012 an, nach längerem Zögern folgte dessen Ja. Den Pass der Ukraine erhielt er am 23. April 2013. Inzwischen ritt er elf Nationen-Preise für sein Pass-Land. Für Deutschland war er bis zum Sprung über den Grenz-Oxer 22-mal in einen Parcours eingeritten. Wegen Korruptionsverdacht wurde vor einigen Wochen die diplomatische Immunität von Onischenko aufgehoben, der tauchte danach ab, wohin, weiß angeblich niemand. Aus der Herde von über 100 Pferden hat Paul Schockemöhle inzwischen 40 gekauft. Der frühere dreimalige Europameister steht schon seit Jahren in guten geschäftlichen Beziehungen zu Onischenko.

 

Vor 20 Jahren im „Horse Park“ von Atlanta

 

20 Jahre ist es nun her,  dass damals im „International Horse Park“ außerhalb von Atlanta ein Deutscher namens Ulrich Kirchhoff auf dem Hengst Jus de Pomme seine Kreise zog. Im Preis der Nationen ließ er sich in beiden Umläufen jeweils nur 0,75 Zeitfehlerpunkte anschreiben, das reichte zur goldenen Plakette mit dem Team zusammen mit Ludger Beerbaum, Lars Nieberg und Franke Sloothaak. Im Einzelspringen stand nach zwei Runden am Ende ein Strafpunkt auf der Tafel. Mit einem Abwurf hätte er nicht einmal ein Stechen erreicht. Er meinte damals: „Alles kein Problem, ich reite zu null.“ Er hatte es anscheinend  gefühlt. Er wurde zum bisher jüngsten Springreiter-Olympiasieger aller Zeiten.

 

„Oxer, Steilsprung, Dreifache, Steil, Triplebarre, Oxer, Doppel-Steil, Oxer und nochmals Steil am Ende“, den Parcours seines Lebens wird er immer aufsagen können. Der schönste Tag in seinem sportlichen Leben.  Deutschland feierte nach Kurt Hasse auf Tora 1936, Hans Günter Winkler auf Halla 1956, Alwin Schockemöhle 1976 auf Warwick-Rex und Ludger Beerbaum 1992 auf  Classic Touch den fünften Einzel-Goldmedaillengewinner in der Olympischen Reitsportgeschichte seit 1912. Er ritt die Ehrenrunde mit einer Fahne rechts und links in der Hand, keine Zügelführung, der Hengst sprang dazu Einer-Wechsel durch reine Hilfengebung, eine Demonstration eines guten Reiters und gut ausgebildeten Pferdes, doch viele fragten sich damals, wie kam er zu den Fahnen. „Ganz einfach“, sagt Ulli Kirchhoff, „mein Vater gab sie mir.“ Und wieso stand Willi Kirchhoff plötzlich im Parcours und dann auch noch unmittelbar hinter seinem Sohn bei solch` teilweise unglaublich harten amerikanischen Sicherheitsvorschriften und  Sicherheitsauflagen? Die Antwort kennt ebenfalls der Sohn: „2005 beim Turnier in Nörten-Hardenberg kam eine Frau auf mich zu und sagte: `Sie werden mich nicht mehr erkennen, aber ich war damals jene Stewardess im Reiterstadion der Olympischen Spiele, die Ihren Vater gegen jede Vorschrift in den Parcours zu Ihnen durchließ´ .“

 

Alles begann bei Alwin Schockemöhle

 

Lange vor Paul Schockemöhle (71) war dessen Bruder Alwin (79). Und Mühlen mit der Kreisstadt Vechta galt als Hauptstadt der Reiterei weltweit. Der große Ron Southern als damaliger „Herr über Spruce Meadows“ in Calgary schickte seine Tochter Nancy deshalb ebenfalls nach Mühlen wie viele andere auch. Alwin Schockemöhle war der Mann, der die Champions machte, noch ehe er selbst den Ruf eines „Champ ohne Titel“ ablegte. Der Olympiasieger von 1976 wurde beispielsweise zum  Entdecker vom späteren niederländischen Europameister Johan Heins, er führte Gerd Wiltfang zum Weltmeistertitel, Helio Pessoa, der jüngere Bruder von Nelson Pessoa, war bei ihm zum Lernen oder die Amazonen-Weltmeisterin Janou Lefebvre aus Frankreich und auch der Niederländer Emile Hendrix. Und viele Jahre trainierten die beiden späteren  Team-Olympiazweiten Thomas Frühmann und Jörg Münzner aus Österreich  bei ihm, und er holte den Schüler Franke Sloothaak aus dem holländischen Friesland zu sich auf den über 400 Jahre alten Hof.

 

Dort an der Haustür des Bungalows in der Münsterlandstraße stand eines Tages der damals 16 Jahre alte Schlaks Ulrich Kirchhoff aus dem benachbarten Lohne und fragte: „Herr Schockemöhle, darf ich bei Ihnen reiten?“ Und der sagte: „Ja, aber Chef ist Franke Sloothaak.“

 

Uli Kirchhoff war bereits bekannt als Ponyreiter, Vater Willi Kirchhoff förderte seinen Sohn, wo und wie er konnte. Willi Kirchhoff arbeitete zunächst als Pfleger bei Paul Schockemöhle, doch weil der nicht gerade üppig bezahlte, verdingte er sich als Fahrer bei der Bundeswehr. Vier Jahre biss sich Uli K. auf dem Schockemöhle-Hof durch. Er ritt danach unter anderem bei dessen Bruder Paul  und auch beim niederländischen Team-Olympiasieger und internationalen Pferdehändler Jan Tops in Valkenswaard.

 

Nun erlebt er seine zweiten Olympischen Spiele, in Rio sattelt er den französischen Wallach Prince de la Mare. „Wir wollen auf jeden Fall ein anständiges Bild im Parcours abgeben“, sagt der Olympiasieger von Atlanta 1996. Nervös wie damals ist er nicht mehr.

 

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