Medaillen reichen der Vielseitigkeit nicht zum olympischen Überleben Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Donnerstag, 22. September 2022 um 17:28

 

IOC-Präsident Dr. Thomas Bach (Foto rechts) mit FEI-Präsident Ingemar de Vos (dahinter) an der Geländestrecke bei der Vielseitigkeits-Weltmeisterschaft am letzten Wochenende in Pratoni del Vivaro, wo 1960 der Cros von Olympia in Rom 1860 und den Weltreiterspielen 1998 in Rom stattfand

(Foto: IOC/Greg Martin)

Wassenberg. Olympischen Reitsportdisziplinen sind seit 1912 Springen, Dressur und Vielseitigkeit, einstmals Military genannt. Seit Sydney 2000 kämpft die Vielseitigkeit ums olympische Überleben, in Paris in zwei Jahren steht der Wettbewerb noch auf dem Programm, über die Zukunft entscheiden die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die Kosten sind vielen allein für den Geländekurs zu hoch geworden…

Seit vielen Jahren geht es in der Vielseitigkeit um Sein – oder Nichtsein bei Olympia. Als die Diskussionen begannen, hieß es bereits in Los Angeles oder Seoul, schreckliche Bilder, wenn Pferde völlig ausgepumpt mit blutigen Nüstern vom Geländekurs zurückkamen, seien nicht mehr der Öffentlichkeit zu verrmitteln. Dazu gesellten sich auch manchmal tödliche Stürze. Nicht zuletzt deshalb, weil unfertige Reiter an die Konkurrenzen geschickt wurden, die keineswegs den Anforderungen genügten, und Pferde wurden in erster Linie zu Opfern. Hilfestellung vom Weltverband (FEI) verlief schleppend oder gar nicht.

Das Reiten hat sich seit Jahren immer mehr verbessert, die Ausbildung, strengere Regeln wurden vorgeschrieben, Qualifikationen waren hinzugekommen. Früher konnte bei Olympia reiten, dessen Nationales Olympisches Komitee einen schickte. Unvergessen die farbenprächtig gekleideten Inder 1980 in Moskau, die von den Pferden durch die Dressur regelrecht getragen wurden und dann auf dem Geländekurs in Bitza mit Sturz oder Verweigerung die Prüfung vorzeitig beendeten. Ans Ziel kam keiner, es waren Bilder des Jammers. Nicht viel besser auch viele Eindrücke im Springreiten, wohin im Auftrag der Sowjet-Aparatschiks aus den Bruderstaaten Rumänen, Bulgaren oder Ungarn hinbefohlen worden waren, nachdem bekanntermaßen die meisten großen westlichen Reitsportnationen wegen des Überfalls der Roten Armee auf Afghanistan 1979 die Spiele boykottierten. Doch Moskau brauchte große Starterfelder, egal woher.

Es hat sich inzwischen viel geändert in der Vielseitigkeit, einer Disziplin, die einzig und allein der Kavallerie mal vorbehalten war. Bis 1948 durften nur Offiziere starten, ab 1952 auch Zivilisten und in Tokio 1964 erstmals Amazonen, am Start war die Amerikanerin Lana DuPont, Silber in der Team-Wertung. Zur Erinnerung an das erste Olympia der Military 1912 in Stockholm über fünf Tage: Wegestrecke über 55 km und ein Cros über 5 km, nach einem Ruhetag ein Steeplechase über 3,5 km mit 10 Sprüngen, am nächsten Tag Parcoursspringen und 24 Stunden später ein Dressurwettbewerb. Inzwischen wurde das Reglement dahingehend geändert, dass zum Beispiel viele Hindernisse aus beweglichen Teilen, also beim Anschlagen durch die Pferdebeine aus der Verankerung fallen: Doch der Cross wiederum erfordert inzwischen das Können eines Springspezialisten über schmale Hindernisse, eckige Wendungen werden zu Fehlerquellen. Seit 2004 in Athen gibt es keinen Rennbahngalopp mehr und die Wegestrecken zum Aufwärmen wurden abgeschafft. Seit 2008 in Hongkong kann ein Reiter nur noch von seinem Nationalen Olympischen Komitee für Olympia als Teilnehmer zur Nominierung vorgeschlagen werden, wenn er bis zum Stichtag erfolgreich an einer Internationalen Konkurrenz auf Drei-Sterne-Niveau teilgenommen hat.

Es wird alles unternommen, um die Vielseitigkeit im Olympischen Programm zu halten. Doch die Diskussionen gehen trotzdem weiter, Walther Tröger (1929 – 2020), der als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland und Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gerne auch die deutschen Reitmeisterschaften in Balve besuchte, sagte dort mal: „Eines steht fest, Springreiten wird olympisch bleiben“, bei Dressur und Vielseitigkeit war er sich nicht so sicher. Der jetzige IOC-Präsident Dr. Thomas Bach (Deutschland) besuchte mit Ingmar de Vos (Belgien), Präsident des Reiterweltverbandes (FEI) am letzten Wochenende in Pratoni del Vivaro bei Rom die Crossprüfung der Vielseitigkeits-Weltmeisterschaft. Es wurden Nettigkeiten ausgetauscht, Bach gab kein Statement ab über die Zukunft der Vielseitigkeit auf Olympischem Terrain. Der frühere Fecht-Olympiasieger äußerte sich dahingehend, er wäre beeindruckt über die vielen von der FEI ergriffenen Maßnahmen zum Wohle der Pferde und er freue sich „über alles, was der Internationale Verband unternimmt, um die Zukunft dieser Disziplin zu sichern“.

Über Geld wurde nicht gesprochen. Doch vor allem die pekuniäre Lage drückt die Vielseitigkeit. Als vor den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona der damalige spanische IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch zum Geländekurs im noblen Gold und Country Club El Montaya – eine Stunde außerhalb der katalanischen Metropole – zur Besichtigung kutschiert wurde, fragte er so nebenbei, was denn das alles gekostet habe. Als ihm jemand zuflüsterte über 500.000 US-Dollar, zuckte er zusammen und sagte nur: „Soviel – für einen einzigen Tag wegen einer einzigen Prüfung…“ Es fand danach dort übrigens nie mehr ein Vielseitigkeits-Wettbewerb statt.

Wie sich Dr. Peter Cronau an seine Zeit im Präsidium des Reiterweltverbandes erinnert, habe der Spanier Samaranch, der das IOC reich machte, bereits 1995 gesagt: „Reiten bleibt olympisch, solange der Sport televesierbar ist“. Doch, und da schließt sich der Kreis eben nicht. TV-Übertragungen zum Beispiel in den öffentlich-rechtlichen Anstalten Deutschlands über Reiten werden immer mehr zu einer Rarität. Und das liegt auch daran, dass die normalen Medien kaum noch darüber berichten, also sinkt auch bei den Gewaltigen von ZDF oder ARD das Interesse. Wie nun nach den Erfolgen der deutschen Vielseitigkeitsreiter in Pratoni del Vivaro am nächsten Tag zu merken. Team-Gold und Einzel-Silber durch Olympiasiegerin Julia Krajewski aus Warendorf waren vielen Gazetten nicht einmal eine kleine Notiz wert.

Da müssten auch die Aktiven selbst vorstellig werden bei den nationalen Verbänden und der Internationalen Föderation und mal an den Türen mehr als klopfen. Von alleine läuft heute nichts mehr, vor allem nicht im inzwischen zur Randsportart abgestuften Reiten. Das haben neben den Aktiven auch die Pferde nicht verdient...

 

 

 

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