Interview mit dem deutschen FN-Präsidenten Breido Graf zu Rantzau Drucken
Geschrieben von: Roland Kern   
Samstag, 21. November 2009 um 21:13

 

Stuttgart. Nach der wahrlich kaum verständlichen Abstimmung zur medizinischen Pferdebehandlung im Sport auf der FEI-Generalversammlung in Kopenhagen reiste der deutsche Präsident Breido Graf zu Rantzau zum Turnier nach Stuttgart. Er wusste selbst nicht, ob er es nun Wut, Verärgerung, Enttäuschung oder Entsetzen nennen wollte. Jedenfalls kam er mit einem zusätzlichen Koffer voll schlechter Gefühle nach Stuttgart. Über die Konsequenzen der höchst umstrittenen aktuellen FEI-Entscheidungen zum Thema Doping, über die Rolle Deutschlands im Weltverband, die Gedanken, einen neuen Europa-Verband zu gründen und über das schwerste Jahr seiner bisherigen Amtszeit sprach Reiterjournal-Chefredakteur Roland Kern mit den FN-Präsidenten.

 

Graf zu Rantzau, in Kopenhagen wurde gegen Ihren Willen eine Dopingliste beschlossen, die nach Aussagen von Tierärzten  in internationalen Wettkämpfen Leistungsbeeinflussung zulässt. Müssen Sie das akzeptieren?

 

BGzR: „Nein. Wir prüfen im Moment alle Maßnahmen, mit denen wir diese Liste und dieses Vorgehen verhindern können. Alle westeuropäischen Staaten sind an unserer Seite, auch die führenden Veranstalter. Ich sagen Ihnen: Diese Liste wird bei uns ab 1. Januar nicht wirksam sein."

 

Sind Sie mit dieser so genannten „progressiven Liste“ überrumpelt worden?

 

BGzR: „Fest steht, dass die meisten Delegierten noch kurz vor der Abstimmung dachten, es gehe um eine Liste vom 20. Oktober. Darauf waren wir vorbereitet, und damit waren wir auch auf gutem Wege. Aber dann wurde diese Liste kurzfristig ergänzt mit einer neuen Liste von Präparaten, die für uns unakzeptabel hohe Grenzwerte aufweisen. Das wurde nicht lange erklärt, und viele Länder waren nicht richtig informiert.“

 

 

Offenbar ist der Graben tief und weit zwischen der FEI und – zumindest - den westeuropäischen Ländern. Wie konkret sind die Überlegungen, einen eigenen europäischen Verband zu gründen?

BGzR.: „Wir haben in Kopenhagen ein zunächst noch lose organisiertes europäisches Forum gegründet. Das muss noch keine Gegenveranstaltung sein zur FEI, wir wollen aber künftig unsere Interessen innerhalb der FEI gemeinsam besser zur Geltung bringen. Der nächste mögliche Schritt könnte die Gründung einer Föderation sein.“

 

Man hat Ihnen und anderen FN-Funktionären untersagt, FEI-Ämter anzutreten, ist das ein Affront gegen Deutschland?

 

BGzR.: „Zunächst, wir wissen gar nicht, welchen rechtlichen Status solche Aussagen des FEI-Büros überhaupt haben. Sie bezogen sich auf den so genannten Stevens-Bericht. Lord Stevens war darin Polizist und Richter zugleich. Das ist für uns befremdlich. Ehrlich gesagt, das trifft mich gar nicht. Ich strebe sowieso kein Amt bei der FEI an.“

 

Die Deutschen sind ja bei der FEI so richtig „unten durch“, wie man so sagt . . .

 

BGzR.: „Die FEI ist Prinzessin Haya! Und, das stimmt, wir haben uns in der Vergangenheit mehrfach gegenseitig enttäuscht.“

 

Graf zu Rantzau, 2009 wird als das Jahr der Krise in die Geschichte der deutschen Reiterei eingehen. Haben Sie damit gerechnet, dass der FN-Präsident einmal so sehr seine Qualitäten als Krisenmanager beweisen muss? Wie schwer war dieses Jahr auch ganz persönlich für Sie? Haben Sie Angst, dass Ihre Amtszeit immer mit den Affären der Jahre 2008 und 2009 in Verbindung gebracht wird?

 

BGzR: „Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Die Zeit nach den Olympischen Spielen in Hongkong war für den gesamten Pferdesport schwer. Das gilt für Reiter genauso wie für Verband oder auch Turnierveranstalter. Ich wünsche mir, dass der Verband aus dieser Krise gestärkt hervorgeht und dass alle Beteiligten aus Ihren Fehlern gelernt haben. Natürlich hätte ich mich im vergangenen Jahr auch lieber an der Schönheit unseres Sports erfreut. Wenn es uns aber gelingt, das auf den Weg gebrachte Maßnahmenpaket für einen sauberen Sport in den nächsten Jahren erfolgreich umzusetzen, dann wird 2008/2009 nicht nur als Krisenzeit, sondern auch als Zeitpunkt des Neuanfangs in Erinnerung bleiben. Davon bin ich überzeugt.“

 

Die Wahrheit über Hongkong kam häppchenweise an die Öffentlichkeit. War es nicht der größte Fehler, nicht schon im letzten Jahr alles aufzudecken, zuzugeben und Konsequenzen zu ziehen? Vor der Spiegel-Story über Cornet Obolenskys Ausrutscher auf der Stallgasse?

 

BGzR.: „Ja, es wurden Fehler gemacht. Ein Fehler lag aus heutiger Sicht sicherlich darin, die Ereignisse von Hongkong nicht direkt nach den Olympischen Spielen öffentlich aufzuarbeiten. Das haben wir schon anlässlich der Information unserer Mitglieder bei der FN-Jahrestagung im Mai so gesagt. Damals erschien uns diese Entscheidung als richtig. Klar ist auch, dass weder die FEI noch die DOSB-Kommission oder auch unsere eigenen Gremien gerichtsfähige Beweise gefunden haben, gegen die Beteiligten ein Verfahren einzuleiten. Wir werden hier aufgrund der vielen verschiedenen Aussagen wohl nie endgültige Klarheit bekommen.“

 

Kurt Gravemeier musste als Bundestrainer der Springreiter gehen und Mannschafts-Tierarzt Dr. Björn Nolting bekam einen neuen Posten. Für viele Kritiker gingen diese personellen Konsequenzen nicht weit genug. Aber offenbar Ihnen. Sind nicht weitere personelle Konsequenzen nötig? Haben Sie selbst mal an Rücktritt gedacht?

 

BGzR.: „Natürlich habe auch ich irgendwann an Rücktritt gedacht. Aber es entspricht nicht meinem Charakter, in der schwersten Zeit des deutschen Pferdesports einen Rückzieher zu machen. Es erschien mir viel wichtiger, alles Mögliche zu unternehmen, um den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen und auf die richtige Spur zu bringen. Ich klebe nicht an meinem Stuhl. Hätte mein Rücktritt dem Sport geholfen, wäre ich der Erste gewesen, der persönliche Konsequenzen gezogen hätte. Ich bin davon überzeugt, dass der Verband eine Vielzahl richtiger Maßnahmen getroffen hat.“

 

Es gab eine Zeit, in der überschlugen sich die Ereignisse, als zum Beispiel Ludger Beerbaum vom Kader suspendiert worden ist. Wie schnell kann man da als Präsident die Übersicht verlieren?

 

BGzR.: „Es war sicherlich nicht immer ganz einfach, den Überblick zu behalten. Aber wir haben ein starkes Ehrenamt und gute hauptamtliche Mitarbeiter in Warendorf, die mir dabei zur Seite gestanden haben. Bei allem aufkommenden Druck, den unterschiedlichen Stimmungen und heftigen öffentlichen Diskussionen haben wir immer sachliche Antworten gefunden.“

 

Wo steht der Pferdesport in Deutschland jetzt? Wie groß ist der Imageverlust, und wie lange wird es dauern, bis sich der Reiterverband davon erholt? Wo lauern die nächsten Gefahren, steht die Fernsehpräsenz, vielleicht sogar die olympische Existenz auf dem Spiel, zumal Ihr Verhältnis zu FEI-Präsidentin Prinzessin Haya nicht gerade das beste ist?

BGzR.: „Das ist schwer zu sagen, wo sich der Pferdesport in Deutschland zur Zeit befindet. Fest steht, dass der Ruf des Spitzensports gelitten hat und dass ein Teil der Glaubwürdigkeit verloren gegangen ist. Dies alles müssen wir nun durch das Umsetzen der richtigen Maßnahmen wiedergewinnen, und ich bin davon überzeugt, dass uns das gelingen wird. Die positiven Signale der öffentlich-rechtlichen TV-Sender bezüglich der Fernsehverträge und von Seiten der Reiter zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die olympische Existenz des Pferdesports sehe ich nicht gefährdet und mein Verhältnis zur FEI-Präsidentin spielt dabei sicherlich auch keine Rolle.“

 

Dann kam die Steiner-Kommission, auf der große Hoffnung ruhte. Sie kam aber  zu einem Ergebnis, das vielen als Verharmlosung vorkommt? Hat sich der Aufwand wirklich gelohnt? In manchen Zeitungen war vom sprichwörtlichen "Hornberger Schießen" die Rede. Haben Sie die Kritik verstanden?

 

BGzR.: „Da muss ich Ihnen widersprechen. Kritik an der DOSB-Kommission Reiten kam zum Zeitpunkt des Zwischenberichtes auf. Aber wie es der Name schon sagt, handelte es sich nur um einen zwischenzeitlichen Bericht, der ausschließlich dazu diente, die erforderlichen Kaderempfehlungen abzugeben. Schließlich standen zu diesem Zeitpunkt die Nennungsschlüsse für die Europameisterschaften unmittelbar bevor. Die öffentlichen Reaktionen nach dem Abschlussbericht im September waren durchweg positiv. Und schaut man sich die DOSB-Empfehlungen  – wie Trainingskontrollen, das Festhalten an der Null-Toleranz-Lösung oder auch den Vorschlag einer Abteilung „Sicherheit und Ordnung“ – an, so ist festzustellen, dass diese substanziellen Dinge den Verband vor große organisatorische und finanzielle Herausforderungen stellen. Das war alles andere als eine Verharmlosung.“

 

Ganz generell: Die Problematik um Doping und Medikation ist doch bei FN und DOKR seit Jahren präsent. Viele Beteiligte, vor allem Tierärzte und Reiter, haben schon lange transparentere und praktikablere Regeln gefordert...

 

BGzR.: „Die nationalen Regeln sind klar und eindeutig. Zum Zeitpunkt des Wettkampfes muss das Pferd in der Regel  - für einige wenige Substanzen gibt es bereits Grenzwerte -  frei von Substanzen sein. Wer sich daran nicht hält, muss mit Strafen rechnen. National wurde jeder Fall entsprechend bestraft. Wir reden hier über internationale Regeln. Hier ist festzustellen, dass die im Jahr 2005 eingerichtete FEI-Task-Force nicht ausgereicht hat.“

 

Welche Maßnahmen aus dem Katalog der FN sind Ihrer Ansicht nun die wichtigsten, welche Regeln müssen gelten? Sind Sie mit vielen Reitern und Tierärzten der Meinung, dass es künftig leichter und legal möglich sein muss, Pferde auch vor dem Wettkampf sportmedizinisch zu behandeln? Ist eine solche Diskussion in der Öffentlichkeit vermittelbar?

 

BGzR.: „Das Thema „Clean Sport“ steht beim Verband ganz oben auf der ToDo-Liste für das kommende Jahr. Hierbei sind die Maßnahmen für eine bessere Kontrolle von Manipulationen in Training und Wettkampf vorrangig zu behandeln. Parallel muss noch mehr Kraft in die Prävention und Aufklärungsarbeit bei unseren Reitern investiert werden. Einige Punkte können sofort umgesetzt werden, andere bedürfen einer intensiveren Vorbereitung und Abstimmung. Hier gilt: „Politik der kleinen Schritte“. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Pferde nicht behandelt werden können. Pferde können in der wettkampffreien Zeit therapeutisch versorgt werden, müssen dann aber beim Turnier frei von Substanzen sein. Unklarheit gibt es immer wieder über die Abbauzeiten nach einer verabreichten Medikation. Hier sind wir dabei, eine bessere Transparenz zu schaffen.“

 

 

Es ging zwar im letzten Jahr fast nur um Doping, aber das hat überdeckt, dass der Pferdesport auch andere Probleme hat. Die Zahl der Turniere ist rückläufig? Welche Konzepte gibt es dagegen?

 

BGzR.: „Die rückläufige Tendenz an Turnieren kann ich nicht bestätigen. Reiten und Fahren als Turniersport sind im vergangenen Jahr wieder beliebter geworden. Das verrät die FN- Turniersportstatistik 2008, die in nahezu allen Bereichen eine positive Entwicklung vorweist. So hat die Anzahl an Turnierveranstaltungen 2008 im Vergleich zu 2007 um zwölf Prozent auf 3.692 Veranstaltungen zugenommen. Dieser positive Trend zeichnet sich auch für das Jahr 2009 ab. Dennoch sind wir dabei, Konzepte zu entwickeln, um den Turniersport noch attraktiver zu gestalten. Hierzu wird es in den nächsten Jahren ein Großprojekt des Verbandes geben.“

 

Auch im Spitzensport gibt es Sorgen. Wie finden Sie es zum Beispiel, dass die Dressurreiter nach Jahrzehnten der Vormachtstellung im Moment nur die Nummer drei sind? Viele sagen, man habe sich zu spät um Erneuerung und "frisches Blut" gekümmert?

 

BGzR.: „Die Zeiten, in denen deutsche Reiter, Fahrer und Voltigierer unangefochten an der Spitze des internationalen Pferdesports stehen, sind vorbei. Andere Nationen haben aufgeholt, nicht zuletzt auch durch deutsche Pferde und Trainer, die ins Ausland gewechselt sind. Die internationale Spitze, nicht nur in der Dressur, ist breiter geworden. Wir müssen zusehen unsere sehr guten, deutschen Reiter beritten zu machen und die besten Pferde auch im Lande zu halten. Um dies zu gewährleisten, muss weiter an Förderkonzepten gearbeitet werden. Durststrecken, in denen deutsche Pferdesportler nicht immer Gold gewinnen, wird es auch in Zukunft geben.“

 

Dann beklagen viele - nicht nur Paul Schockemöhle - den Ausverkauf der guten deutschen Sportpferde. Was können Sie dagegen tun, außer Herrn Schockemöhle ein paar teure Pferde abzukaufen?

 

BGzR.: „Paul Schockemöhle hat an der richtigen Stelle den Finger in die Wunde gelegt. Auch wir haben  Konzepte, wie eine entsprechende Anbindung von Pferden aussehen könnte. Dennoch ist die FN nicht nur ein Verband der Reiter, sondern auch der Züchter, die ihre Pferde verkaufen möchten.“

 

 

Wir haben ja bald Weihnachten, und man darf sich etwas wünschen? Ihre Vision bitte: Wie sollte der Pferdesport, sagen wir mal in einem Jahr, im November 2010 dastehen? Was muss bis dahin passieren?

 

BGzR.: „Ich wünsche mir, dass der Pferdesport wieder mit erfreulichen, sportlichen Nachrichten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Dafür müssen Verband und Reiter an einem Strang ziehen und die eingeleiteten Maßnahmen konsequent umsetzen. Und es müssen sich alle Beteiligten an die gesetzten Spielregeln halten. Im November 2010 möchte ich gerne positiv auf die Weltreiterspiele in Kentucky zurückblicken können und mich gemeinsam mit unseren deutschen Pferdesportlern über die erreichten Erfolge freuen.“

 

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