Kür-Spezialistin Katrina Wüst oder laute Gedanken zur Verständlichkeit einer Dressur-Kür Drucken
Geschrieben von: equiwords/ dl   
Dienstag, 09. April 2024 um 16:30

 

Katrina Wüst, keine kennt sich in der doch so schwierigen Materie der Dressur-Kür auf höchstem Noiveau so aus wie sie

(Fot: Kalle Frieler)

In der kommenden Woche findet in Riad parallel zum Finale der Springreiter auch das 37. Endturnier um den Dressur-Weltpokal seit 1986 statt. Bei „Equiwords“ äußerte sich die unbestreitbar erfahrendste internationale deutsche Dressurrichterin Katrina Wüst (73) in einem Interview zur entscheidenden Kür im allgemeinen. „Jeder gute Kür muss mit einem Wow-Effekt beginnen“, so ihr Credo.

Katrina Wüst, geborene Hilger-Henkel, war zuhause in Düsseldorf-Wittlaer. Mit 13 erhielt sie ihr erstes eigenes Pferd. Als Mädchen gewann sie gegen den späteren Mannschafts-Olympiasieger Klaus Balkenhol damals eine A-Dressur, „mit der Wertnote 8,0.“ Bei ihrem ersten Erfolg in einer M-Dressur war Klaus Balkenhol in der damaligen Polizeikaserne in der Düsseldorfer Rossstraße der „Vorleser“. Sie ritt und trainierte bei Reitmeistern, dem knorrigen Robert Schmidtke und später bei Fritz Tempelmann, sie durchlief nicht nur eine harte, auch eine gute Schule, vielleicht für jene Zeiten die beste. Mit ihrem  Spitzenpferd Why Not gehörte sie ab 1972 zum deutschen B-Kader, in einer Zeit, als die deutschen Dressurreiter nur überall goldene Spuren in den Sand der Vierecke zogen. Der damalige B-Kader, das war das Tor in die Champions Klasse.

Sie studierte in Freiburg/ Breisgau Germanistik und amerikanische Literatur, ihre Mutter war eine der besten Tennisspielerinnen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Cousin Albrecht Wöste, Sportführer und ehemaliger Unternehmer, war Präsident des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen. Katrina Wüst ritt ihre Turnierpferde selbst und bildete viele bis zur S-Klasse und höher aus. Wenn sie nicht gerade irgendwo in der Welt Dressurprüfungen zu bewerten hat, ist sie am liebsten zuhause in der Nähe von München.

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Das Finale des FEI Dressage World Cup™ beginnt in wenigen Tagen in Riad. Die internationale Fünf-Sterne-Jurorin Katrina Wüst gilt als absolute Kür-Kennerin, sie hat zahlreiche Vorstellungen analysiert, leitet Fortbildungen für Richter zum Thema Freestyle und saß selbst fünfmal am Richtertisch bei einem Weltpokal-Finale. Und sie war es, die zusammen mit dem IT-Experten Daniel Göhlen das System zur Erfassung des Schwierigkeitsgrades (DoD) eines Freestyles entwickelt hat. Fragen an an diese Expertin: Was ist wichtig für eine Weltklasse-Kür? Wie muss sie aussehen, um den Pokal zu gewinnen?

Frau Wüst, was ist für Sie das Wichtigste, wenn Sie eine Kür bei einem World Cup Finale beurteilen?

Katrina Wüst: „Generell ist es bei der Wertung – von der untersten Klasse bis hin zur Weltcup-Kür – das Wichtigste, dass Pferd und Reiter gut harmonieren. Man muss das Gefühl haben, dass die Pferde gerne ihren „Job“ machen. Beginnen wir mit den Grundlagen der Freestyle-Bewertung.“

Wie sollen die Grundelemente einer Kür aussehen?

Katrina Wüst: „Jede Kür wird mit einer technischen und einer künstlerischen Note bewertet. In der technischen Note wird die Kür nach Bewegung beurteilt, gleichzeitig muss der Richter aber auch die künstlerische Qualität der Kür benoten. Sein Urteil drückt er in der künstlerischen Note aus, die aus fünf Teilnoten besteht: Rhythmus, Schwung und Elastizität, Harmonie zwischen Reiter und Pferd, Choreographie, Schwierigkeitsgrad und Musik. Die ersten beiden Komponenten, Rhythmus und Harmonie, spiegeln mehr oder weniger die Bewertung der einzelnen Lektionen als solche wider. Das bedeutet, dass es sich bei der künstlerischen Note nicht um eine rein künstlerische Note handelt, sondern immer noch zu 40 Prozent technisch ist, wobei die erste Teilnote für Rhythmus, Schwung und Losgelassenheit etwas außen vor liegt: Hier werden die Reinheit der Gangarten und der Schwung beurteilt, und es kommt mehr oder weniger auf die Qualität des Pferdes an. Wenn ein Pferd mit herausragenden Gangarten eine sehr fehlerhafte Kür zeigt, muss es dennoch eine gute Note für seine Qualität erhalten. Und umgekehrt kann ein weniger talentiertes Pferd mit einer schwierigen und erfolgreichen Kür erfolgreich punkten. Für mich ist die Harmoniebewertung eine Schlüsselnote bei der Beurteilung der Kür. Es zeigt 1. die Ausbildung des Pferdes nach der klassischen Ausbildungsskala, 2. die Fehlerfreiheit in der Präsentation und 3. den Einfluss des Reiters. Wenn ein Pferd in der Kür viele Fehler macht, dann passt die Choreografie nicht, außerdem war der Schwierigkeitsgrad zu hoch angelegt, und so passte dann auch die Musik oft nicht. Die Harmonie beeinflusst auch die anderen Wertungslektionen.“

Worum geht es bei den drei künstlerischen Elementen genau?

Katrina Wüst: „Erstens die Choreografie, die ein rein künstlerisches Element darstellt. Künstlerisch bedeutet jedoch nicht, dass es auf den persönlichen Geschmack des Richters ankommt. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Reiter sein Pferd besonders positiv präsentiert, also die Highlights seines Pferdes hervorheben und etwaige Schwächen kaschieren kann. Dies zeigt, inwieweit der Reiter sein Pferd ehrlich analysiert hat und in der Lage ist, sein eigenes Können und das seines Pferdes einzuschätzen. Ein Beispiel: Neigt ein Pferd dazu, sich in der Traversale besonders stark zur Seite zu neigen, dann kann es geschickt sein, diese Lektion von hinten zu zeigen. Aber es geht noch weiter: Startet der Reiter mit einem Wow-Effekt in die Kür, sodass Richter und Zuschauer von Anfang an beeindruckt sind und warten, ob am Ende noch ein weiteres Highlight wartet. Von der Dramaturgie her kann man Kür im Dressursport mit einem Theaterstück oder einem guten Buch vergleichen. Wenn ein Buch langweilig beginnt, möchten man es auch nicht weiterlesen, oder recht selten. Dasselbe gilt auch für Freestyle. Alles muss mit einem Paukenschlag beginnen. Wir Juroren beachten, dass die Kür einen positiven Spannungsbogen besitzt, schauen aber auch, ob sie mit Kreativität überzeugt oder ob alles nur im gewohnten Stil der Standardaufgaben gezeigt wird. Spanier beispielsweise zeigen oft eine Kombination aus Galopp-Traversale, Traversale, Piaffe und zurück in die Galopptraversale auf die andere Seite – das ist unerwartet und aufregend.“

Nun zum vierten Punkt, dem Schwierigkeitsgrad – es ist schwer, ihn als rein künstlerisch zu bezeichnen, nicht wahr?

Katrina Wüst: „Ja, das stimmt, es ist eine halbtechnische Note, weshalb wir vor einigen Jahren das System entwickeln konnten, das den Degree of Difficulty, kurz DoD, misst. Die Beurteilung ist eindeutig von der Qualität der Ausführung abhängig. Wenn ein Reiter eine schwierige Bewegung zeigt und dafür nicht für mindestens eine 7 erhält, kann und sollte der Richter diese Lektion nicht positiv in die DoD-Bewertung einbeziehen.“

Was gilt als schwierige Lektion?

Katrina Wüst: „Eigentlich gibt es nur drei schwierige Lektionen: die Piaffe-Pirouette, die Passage-Traversale und die Doppelpirouette. Darüber hinaus gibt es schwierige Übergänge, wie z. B. vom Halt in die Passage, und schwierige Kombinationen wie Galopp-Traversale, Pirouette und von dort in die Galoppwechsel. Einige Bewegungen werden auf schwierigen Linien geritten, wie z. B. Galoppwechsel auf der Zirkellinie, und letztendlich sind auch Wiederholungen gefordert. Das bedeutet nicht, dass der Reiter alle Bewegungen wiederholen muss, aber die Kernbewegungen wie Piaffe, Passage und Übergänge sollten einbezogen werden.“

Es fehlt noch die fünfte Note, die Musik…

Katrina Wüst: "Bei der Bewertung der Musik haben wir es erneut mit einer rein künstlerischen Partitur zu tun. Aber nicht so subjektiv, wie manche Leute denken. Unter keinen Umständen sollte der Richter sein Urteil auf seinen eigenen Geschmack stützen; Es gibt auch Kriterien zur Beurteilung der Musik: Passt sie zu den Gangarten des Pferdes und reitet der Sportler genau zur Musik oder liegt er leicht vor oder hinter der Musik? Dies sind die Grundvoraussetzungen. Möchte man in den höheren Tonbereich vordringen, kann es wirkungsvoll sein, wenn einzelne Bewegungen zusätzlich gekonnt mit Musik untermalt werden, zum Beispiel die Pirouette mit Glockenläuten. Schön ist es, wenn die Musik zur Ausstrahlung von Reiter und Pferd passt, also zum Beispiel eine erkennbare Verbindung zum Pferdenamen, Land oder ähnliches. Denkt an Nadine Capellmann, die ihren Elvis zu Elvis-Musik ritt. Oder die spanischen Castagnettenreiter. Aber das Wichtigste ist, dass die Musik Emotionen weckt und die Kür zu einem einzigartigen Erlebnis für die Zuschauer und die Kampfrichter macht.“

Was würden Sie sagen: Ist das Richten in der Kür, insbesondere auf einem sehr hohen Niveau, schwieriger als das Richten einer Aufgabe der normalen Wettbewerbe?

Katrina Wüst:Kür-Richten bleibt immer schwierig. Dank des Systems zur Berechnung des Schwierigkeitsgrades ist es jedoch ein wenig einfacher geworden. Vor allem deshalb, weil die Teilnehmer in groben Zügen oder mehr die Kür vorlegen, damit haben auch die Richter eine Vorgabe, was der Reiter im Viereck zeigen möchte. Dies ist auch den Aktiven gegenüber fair, da die Vorlage ihres Vortrags zusätzlich die Schwierigkeiten widerspiegelt, die sonst zum Teil sicherlich oder möglicherweise nicht in ihrer Gesamtheit erkannt würden."

Eine letzte Frage: Das Finale des FEI Dressage World Cup™ findet zum ersten Mal in Saudi-Arabien statt. Was denken Sie darüber?

Katrina Wüst: „Eine der ältesten Pferderassen der Welt, der Araber, stammt von der Arabischen Halbinsel. Bisher spielte dort die Dressur keine große Rolle, aber Saudi-Arabien ist ein Land, das sich auch sportlich rasant entwickelt und über die nötigen Möglichkeiten verfügt, um ein tolles Finale zu organisieren. Deshalb sehe ich darin eine große Chance für den Dressursport in dieser Region.“

 

 

 

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