Der Traum eines kleinen Mädchens...(177) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 21. August 2013 um 15:11

Polly plündert ihr Sparschwein...

 

Polly hatte sich unglaublich über sich selber geärgert. Nur weil sie ein großes Herz hatte und sie lieber mit ihren Freunden das Grillfest im Reitstall Hubertus vorbereiten wollte, ließ sie das fremde Ferienkind Veronika auf ihrer Beauty reiten. Und die machte das so gut, dass sogar der Reitlehrer vor allen Freunden aus Pollys Clique gute Worte für Veronika aussprach. Polly war deshalb eifersüchtig. Sie bereute, so großzügig gewesen zu sein. Daraus erwuchs nun ein  großes Problem für sie: wie konnte sie nun, um Schlimmeres zu verhindern, Veronika für den Rest der Ferien den Umgang mit Beauty versagen. Sie konnte ihr doch nicht einfach sagen, dass sie sich nicht mehr um Beauty kümmern sollte. Dazu brauchte sie einen Grund, einen brauchbaren und vernünftigen. Den wahren Grund, ihre Eifersucht, konnte sie doch nicht öffentlich zugeben.

 

Schließlich war das Glück wieder auf Pollys Seite. Obwohl sie sich schon ein paar passenden Worte zurecht gelegt hatte, musste sie gar nichts mehr sagen. Am Nachmittag des folgenden Tages nach dem Grillabend kam Veronika mit niedergeschlagenen Augen auf Polly zu. Mit kraftloser Stimme musste sie sich verabschieden. Ihre Eltern hatten beschlossen, dass sie den Rest ihrer Schulferien mit ihnen verbringen sollte. Sie musste abreisen. Ihre Zeit im Reitstall Hubertus war für diesen Sommer zu Ende. Polly bemerkte Tränen in den Augen von Veronika.

 

Veronika konnte nicht ahnen, dass sich Polly erleichtert fühlte. Das Problem hatte sich in Luft aufgelöst. Sie brachte es sogar über sich, die Konkurrentin in die Arme zu nehmen. Da brachen die Tränen hemmungslos aus Veronika aus. Zu schön war ihre Zeit mit Pollys Beauty gewesen. Nun war sie zu Ende. Polly konnte es nicht verhindern, mit Veronika mitzufühlen. Sie wusste, wie lieb ihre Beauty war. Im Überschwang der Gefühle schlug sie Veronika vor, doch in den Herbstferien wiederzukommen.

 

Im gleichen Moment, wo sie den Vorschlag gemacht hatte, ärgerte sie sich wieder über sich. War sie doch immer so gefühlsdusselig. War das denn nun nötig? Sie war froh, dass Veronika verschwand, aber im gleichen Augenblick lud sie sie wieder ein. So blöd kann man doch nicht sein. Für den Rest ihrer Ferien war sie jedenfalls das Problem Veronika los.

 

Polly hatte sich vorgenommen, die verbleibenden Ferientage dazu zu benutzen, das Training wieder selbst zu übernehmen und reiterlich ein ganzes Stück vorwärts zu kommen. Sie kramte sogar ihr letztes Taschengeld zusammen. Das würde allerdings nicht reichen. Sie hatte vor, Joachim um eine Einzel-Trainingsstunde zu bitten. Sie wusste, dass der junge Reitlehrer auf der einen Seite sehr streng war, auf der anderen aber auch gut erklären konnte. Eine Einzel-Trainingsstunde würde sie schon weiterbringen.

 

Das Geld reichte hierzu aber sicherlich nicht. Oma und Opa waren in Österreich. Also daher würde sie von denen nichts bekommen. Ihre Eltern hatten schon Feriengeld gegeben. Von da würde kein Pfennig mehr herüberwachsen. Es blieb nur das Sparschwein. Aber das konnte man nicht öffnen. Es musste zerschlagen werden, und das wollte Polly auf  keinen Fall. Sie wusste, dass da mehrere Euros drin waren. Aber sie wusste auch, wie sie daran kam.

 

Der Schlitz in ihrem Porzellan-Schwein war so breit, dass jede Münze gut hereinplumpste. Der Schlitz war so breit, dass, wenn man die Münze genau mittig darüber hielt, rechts und links noch etwas Platz war. Bei weitem reichte dieser Platz aber nicht aus, um mit den Fingern hineinlangen zu können. Schon gar nicht konnte man mit einer Zange dort hineinkommen. Es gab zwar die Möglichkeit, das Schwein verkehrt herum zu halten und zu schütteln. Aber das funktionierte nicht, weil sich meistens eine Münze quer über den Schlitz legte und diesen somit versperrte. Polly aber kannte weitere Möglichkeiten.

 

Sie lief ins Badezimmer und holte dort eine Nagelfeile. Nicht die aus Mamas Beauty-Shop, sondern die altmodische aus Metall. Die war so dünn, das sie sogar zusammen mit jeder Münze durch den Sparschwein-Schlitz ging. Das allein genügte noch nicht. Man musste dann auch noch eine gewisse Technik anwenden, um die Geldstücke aus dem Schwein zu bekommen.

 

Polly setzte sich mit der Nagefeile und dem Sparschwein auf den Boden. Vor sich hatte sie eine Zeitung ausgebreitet, auf die die herausfallenden Münzen für die Trainingsstunde kullern sollten. Die Tür schloss sie ab. Weder ihre Brüder noch ihre Mutter sollten etwas mitbekommen. Das ging die nämlich gar nichts an. Mama wollte, dass Polly ihr Geld für Notfälle, wie Tierarzt für Beauty, sparte.

 

Sie schob die Nagelfeile durch den Schlitz. Nicht zu weit. Dann bewegte sie ihr Sparschwein seitlich immer so, dass im Inneren des Schweinchens eine Münze auf der Nagelfeile zu liegen kam. Polly brauchte dann nur noch die Feile herauszuziehen und die darauf liegende Münze kam mit heraus. So holte sie ein Geldstück nach dem anderen heraus.

 

Bis auf zwei kleine Stücke befanden sich schließlich Pollys gesamte Ersparnisse auf der Zeitung. Ein kleiner Haufen Geld. Das war die Gelegenheit für Polly zu zählen, wie viel überhaupt gespart war. Sie machte kleine Häufchen von den verschiedenen Geldstücken. Die Kupfermünzen warf sie direkt wieder in ihr Schweinchen. Das andere zählte sie. Achtundzwanzig Euro und ein bisschen hatte sie gespart. Soviel benötigte sie gar nicht für eine Trainer-Stunde. Sie wollte Joachim zwanzig Euro dafür geben. Sie wusste, dass so eine Trainer-Stunde höchstens fünfundvierzig Minuten dauern würde.

 

Je mehr sie wieder in ihr Sparschwein werfen würde, desto unwahrscheinlicher würde ihre Mutter den Zwangs-Diebstahl bemerken.

 

Tatsächlich bot sie am folgenden Tag Joachim zwanzig Euro für eine Einzelstunde. Die sollte gleich an diesem Tag in der Mittagszeit stattfinden. Da die meisten Reitkollegen dann beim Mittagessen waren, würden sie die Bahn für sich alleine haben.

 

Polly gab sich schon beim Abreiten besondere Mühe. Sie trabte leicht und versuchte dabei, gleich schon Beauty am Zügel gestellt zu lösen. Sie ritt schon beim Leichttraben Übergänge. Beauty sollte, wenn Joachim kommen würde, bereits durchlässig sein, damit sie gleich mit Lektionen beginnen konnten.

 

Joachim schlug vor, erst einmal mehrmals hintereinander „durch den Zirkel wechseln“ zu reiten. Dabei käme es genau auf die Einteilung der Hufschlagfigur an. Es war unbedingt wichtig, an einem Zirkelpunkt den Hufschlag zu verlassen, eine halbe Zehn-Meter-Volte bis genau zum Mittelpunkt des Zirkels zu reiten und von dort aus genau eine halbe Volte auf der anderen Hand bis zum anderen Zirkelpunkt weiterzureiten. Der Vorteil dieser Lektion liegt darin, einerseits das Pferd präzise an die Punkte heranzureiten, andererseits durch das ständige Wechseln der Seiten die Durchlässigkeit des Pferdes auf beiden Händen zu verbessern.

 

Zunächst dachte Polly: „Das ist doch einfach“. Sie hatte gehofft, schwierigere Lektionen zu lernen. Damit hätte sie vor ihren Kollegen glänzen können. Aber durch Zirkel-Reiten… Sie war enttäuscht. Dafür hatte sie ihr ganzes Geld geopfert. Aber sie ließ es sich nicht anmerken, sondern tat, was ihr aufgetragen wurde.

 

Polly ritt rechte Hand auf den Zirkel. Sie sollte nun mit der Lektion beginnen. Sie wendete beim ersten Zirkelpunkt ab. Sie hatte die halbe Rechts-Volte noch nicht ganz beendet, da brüllte Joachim schon „Halt!“. Auf der Stelle musste sie Beauty anhalten. „Guck mal, wo du stehst“, rief  Joachim und verdrehte dabei theatralisch die Augen nach oben. Polly stand drei Meter nach links neben der Mittellinie. Sie hatte den Mittelpunkt nicht getroffen. Die zweite Halbe-Volte nach links wäre drei Meter zu klein ausgefallen. Wahrscheinlich hätte Polly noch nicht einmal den Zirkelpunkt am Hufschlag getroffen. Es war ihr gar nicht einmal aufgefallen. So sehr war sie damit beschäftigt gewesen, Beauty durch die Wendungen am Zügel zu halten. Die wollte sich nämlich immer herausheben.

 

Joachim ließ sie immer wieder durch den Zirkel wechseln. Irgendetwas machte sie jeweils falsch. Entweder war die erste Halb-Volte zu groß, oder die Zweite. Den Mittelpunkt, an dem sie Beauty eine Pferdelänge gerade richten sollte, um sie dann umzustellen, traf sie nur manchmal. Aber alle drei Punkte genau zu treffen, gelang ihr nicht. Sie wurde innerlich sehr wütend. Nicht einmal so eine einfache Lektion brachte sie fertig. Dann schlug Joachim auch noch vor, diese Aufgabe einmal im Galopp zu bewältigen. Dabei musste Polly in der Mitte zum Schritt durchparieren und nach einer Pferdelänge wieder auf der anderen Hand angaloppieren. Wie sollte das nur gehen, wenn es noch nicht einmal im Trab klappte.

 

Es klappte nicht. „Noch einmal im Trab“, hörte sie Joachims Kommando. „Na also, geht doch!“, brüllte er auf einmal. Polly hatte alle drei Punkte getroffen. Ohne Kommentar verließ Joachim einfach die Bahn. Polly hatte gar nicht bemerkt, dass sechzig Minuten vergangen waren. Sie saß nun schon über eine Stunde auf Beauty.

 

Polly gab die Zügel noch nicht hin. In Gedanken wollte sie noch einmal so etwas wie eine ausgedachte Aufgabe reiten. Sie trabte an und wollte nun „Einreiten, halten, grüßen“ reiten. Im Spiegel kontrollierte sie das Halten in der Mitte der Reitbahn. Erst da fiel ihr auf, wie schön geschmeidig und zufrieden auf dem Gebiss kauend hatte sich Beauty dieses Einreiten gefallen lassen. Sie war äußerst durchlässig und für die Reiterin sehr angenehm. Polly war so erfreut, dass sie sich den Rest ihrer ausgedachten   Dressuraufgabe schenkte. Die Trainer-Einzelstunde, für die Polly ihr Sparschwein so sehr erleichtert hatte, war ein voller Erfolg. Sie hatte alles richtig gemacht.

 

Da erblickte sie plötzlich ihre Mutter an der Bande. Sie erschrak. Ihr Gewissen meldete sich. In Erwartung der Standpauke rief sie ein auffallend fröhliches: „Hallo Mama“. Sie hatte gar nicht gewusst, dass Mama ihr Spar-Schwein immer kontrollierte. „Hallo Polly, ich war gerade einkaufen, da dachte ich, ich schau mal vorbei. Was wünscht Du Dir heute zum Essen?“, rief Mama zu ihr in die Bahn. Keine Standpauke? War Mama nur so hier? Das tat sie sonst doch nie…

 

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

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