Der Traum eines kleinen Mädchens...(182) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 02. Oktober 2013 um 12:08

Pferd verschwand spurlos aus dem Stall


Seit vergangenem Donnerstag tauchten neue Leute im Reitstall Hubertus auf. Es waren offensichtlich Vater und Tochter. Die Tochter schien in Pollys Alter zu sein: vierzehn oder fünfzehn. Polly war neugierig. Sie fasste ihren ganzen Mut zusammen, und nach drei Tagen, an denen die beiden täglich aufgetaucht waren, sprach Polly das Mädchen an. Es hieß Roswitha. Der Vater wollte sich für seine Tochter nach Reitstunden erkundigen. Dazu beobachtete er die Schulstunden der Großpferde ganz genau.

 

Im Nachhinein wurde Polly bewusst, dass die beiden immer solange an der Bande zum Zuschauen stehen geblieben waren, bis auch die Jugend- und Trainerstunden für die Turnierpferde zu Ende waren. Jetzt, da alles zu spät war, konnte keiner aus der Stallgemeinschaft Genaueres über die Fremden sagen. Nicht einmal eine ganz genaue Beschreibung konnte man abgeben. Zum Beispiel sagten die Jugendlichen, dass der Vater von Roswitha Bart getragen hätte. Die Erwachsenen, von denen, außer Herr van Hopps, der Schulstunden-Reitlehrer, niemand mit den Gästen gesprochen hatten, beharrten darauf, dass er keine Bart hatte.

 

Brigitta, Pollys Intim-Konkurrentin, wusste allerdings etwas Näheres über die Kleidung der beiden zu sagen. Sie befasste sich in ihrer Reitfreien-Zeit fasst immer nur mit ihrem eigenen Erscheinungsbild und Mode. Polly hatte für so einen Kram nichts übrig. Sie hatte auf die Kleidung gar nicht geachtet. Ihr war allenfalls aufgefallen, dass Roswitha einen Kurzhaarschnitt trug, wie ein Junge. Sehr kurz. Brigitta behauptete, der Vater hätte Marken-Klamotten getragen. Sie hätte ein Label an der Jeans erkannt. Die Jacke sah aus wie aus dunkelblauem Segeltuch und hatte auf einer aufgenähten Tasche eine winzig kleine Flagge mit rot und weiß aufgenäht. Die Bluejeans von Roswitha waren auch von einer traditionellen sehr bekannten Marke.

 

Das war aber schon alles. Nur die Jungs aus Pollys Clique wussten, dass die beiden in einem „normalen“ Mercedes angefahren waren. Der war so unscheinbar, dass keiner den genauen Typ sagen konnte. Zu uninteressant! Die Mädchen lachten später über Roswitha, dass die so unattraktiv und langweilig ausgesehen hatte, dass nicht ein mal die Jungs, vor allen Anton, sie genauer unter die Lupe genommen hatten. Völlig unauffällig – unscheinbar eben – konnte nur die Beschreibung für das hochkriminelle Paar sein. Vor drei Tagen aber ahnte das noch keiner im Stall.

 

Gestern also fand für die Jugendlichen kein Dressurtraining statt. Das hatte schon Tage vorher am schwarzen Brett gestanden. Die Reiter konnten also ihre Pferde dann und so trainieren, wie sie es wollten. Für die Schüler unter ihnen hieß das, sie durften schon nachmittags auf dem großen Platz reiten. Hierzu hatten sich die Mädchen verabredet. Zusammen zu reiten machte mehr Spaß, als alleine ernsthaft zu trainieren. Polly freute sich auf die Gesellschaft. Es waren Brigitta, Cordula, Petra und sie selbst, die um siebzehn Uhr ihre Pferde aus dem Stall holten. Das Wetter war herrlich. Nicht mehr ganz warm, aber wunderschön.

 

Die Mädchen ritten nur wenige Lektionen. Die meiste Zeit schwatzten sie und kicherten albern herum. Dabei merkten sie gar nicht, wie die Zeit verrann. Ihnen fiel gar nicht auf, dass Roswitha und ihr Vater wieder zuschauten, Sie standen an dem Eingangstor zum Stall gelehnt und beobachteten das fröhliche Treiben auf dem großen Reitplatz. Ein bisschen schmeichelte es den Mädchen, dass man ihnen so interessiert zusah. Sie drehten richtig auf.

 

Gegen Ende ließen die jungen Reiterinnen ihren Pferde fast freien Lauf. Sie gaben die Zügel hin und ließen die Tiere über den Platz galoppieren. Sogar Petra und Brigitta schienen mutig genug, um übermütig ihre Tiere mit großen Galopp-Sprüngen über den Reitplatz düsen zu lassen. Am Ende waren die  Pferde nass geschwitzt, die Reiterinnen außer Atem. Das Trocken-Reiten würde diesmal etwas länger dauern.

 

Petras Pferd war besonders nass. Es hatte wenig Kondition, Sie war keine eifrige Sportlerin, die täglich trainierte. Das konnte man heute gut erkennen. Sie war die Letzte auf dem Platz. Es wurde rasch kühler. Sie fürchtete um die Gesundheit ihres Pferdes. Kurzerhand bat sie Roswitha, die seltsamerweise immer noch am Tor gelehnt stand und von dort aus Petra beobachtend sich mit ihrem Vater unterhielt, ihr Pferd festzuhalten. Sie wollte rasch eine Abschwitzdecke holen.

 

Petra musste in der Sattelkammer etwas herumkramen, eh sie eine geeignete Decke fand. Es war das erste Mal, dass sie nach diesem Sommer eine Decke benötigte. Sie beeilte sich. Die Decke überm Arm tat sie aus dem Stall heraus. Niemand befand sich mehr auf dem Reitplatz. Roswitha würde doch wohl ihr Pferd nicht einfach so verschwitzt in die Box gestellt haben, oder? Sie lief eilig in ihren Stall. Aber die Boxentür war offen. Keine Flora, so hieß ihre Stute, zu sehen. Petra lief zurück zum Platz. Niemand da! Sie rannte zurück in die Halle, dort liefen drei Pferde. Nicht ihres. Petra bekam Panik. Sie rief alle zusammen, die sie erreichen konnte. Aufgeregt schwärmten ihre Freunde und Vereinskameraden in alle Ecken der Anlage. Nirgendwo fanden sie Flora. Wie vom Erdboden verschluckt.

 

Anton kam vom Parkplatz. Das Auto von Roswithas Vater war verschwunden. Pferd weg, Auto weg, Fremde weg. Da erst kam der schreckliche Gedanke: die haben Petras Flora entführt. Einfach mitgenommen.

 

Aber wie? Keiner hatte einen Hänger oder Transporter gesehen oder gehört. Die Geräusche, die beim Verlanden entstehen, waren jedem im Stall vertraut. Heute jedoch hatte keiner sie vernommen. Allerdings der  Bauer, der immer Heu und Stroh lieferte, hatte etwas beobachtet. Als er auf ein Bierchen in den  Reitstall Hubertus kam, ist ihm ein junges Mädchen aufgefallen, dass offensichtlich so spät noch ausreiten wollte. Dabei würde es schon bald zu dunkel sein. Dann war ihm noch aufgefallen, dass gleichzeitig mit viel zu hoher Geschwindigkeit ein PKW aus der Ausfahrt kam. Die junge Reiterin trug keine Kappe und keine Stiefel. Das war dem Landwirt auch noch aufgefallen. Er fand das unverantwortlich. Dann aber dachte er nur noch an sein Bier.

 

Harald, Hansi und Andy kamen mit ihren Rädern zurück. Sie waren die Feldwege um den Reitstall abgefahren. Flora war nirgendwo zu finden. Sie blieb verschwunden. Petra weinte. Sie hatte Angst um ihr Pferd. Herr van Hopps hatte sofort ihre Eltern benachrichtigt und dann die Polizei angerufen.

 

„Warum nur habe ich fremden Leuten mein Pferd in die Hand gedrückt?“, jammerte Petra und machte sich die größten Vorwürfe. Es stand nur fest: Flora war entführt worden. „Ich würde niemandem mein Pferd überlassen“, klugscheißte Brigitta. Petra schluchzte auf. Brigitta erntete böse Blicke. Von allen, die das gehört hatten.

 

Flora blieb verschwunden. In dieser Nacht war sie nicht mehr aufgetaucht. Von Roswitha, falls das überhaupt der richtige Name des Mädchens war, und ihrem Vater fehlten jede Spur. Auch das Auto würde die Polizei nicht so schnell finden. Niemand hatte sich die Nummer gemerkt. Es bestand wenig Hoffnung, das Pferd wiederzufinden.

 

Heute würde Polly direkt nach der Schule in den Reitstall fahren, nicht erst nach Hause. Sie würde auf das Mittagessen verzichten. Aber sie wollte so schnell wie möglich hören, dass man das entführte Pferd und die Entführer gefunden hatte. Um vierzehn Uhr konnte sie im Stall sein, wenn sie sich beeilte. Arme Petra! Polly drückte ihr die Daumen. Hoffentlich war Flora wieder da, wenn sie in den Stall kam.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

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