Der Traum eines kleinen Mädchens... (57) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Freitag, 26. November 2010 um 11:22

 

Was Mähmaschinen Schlimmes anrichten können...

 

 

Gestern tauchte ein Fremder im Stall auf. Die Kinder jedenfalls kannten ihn nicht. Bis gestern Abend. Und das lief dann so ab: Die Ponystunde war wie immer verlaufen. Herr van Hopps hielt eine sehr langweilige Reitstunde ab. Polly fand, es wäre nun mal wieder höchste Zeit, dass Joachim wieder unterrichten würde. Er war lustiger, mit ihm konnte man auch lachen, und er ging auch immer wieder die Jungs an. „Du sitzt drauf, wie ein Weihnachtsmann“, hatte er letztens zu Harald gesagt. „Als hättest Du einen Sack auf dem Buckel.“ Die anderen Kinder kicherten bei der Vorstellung. Aber es war wahr, Harald machte einen ganz runden Rücken. Sofort streckte Polly sich und setzte sich ganz gerade in den Sattel. „Hoffentlich hat Joachim nicht mich mal auf dem Kieker“, dachte sie. Dann ließ Joachim öfter einmal neue Hufschlagfiguren reiten. Die meisten musste er erst noch erklären. Herr van Hopps hatte neue Hufschlagfiguren nie reiten lassen.

 

Erst kürzlich kam ein Kommando: „Aus der nächsten Ecke kehrt!“. Petra, vorne reitend, parierte einfach durch, weil sie nicht wusste, wohin sie reiten sollte. Das Kommando bedeutete, dass man in der ersten Ecke der kurzen Seite eine halbe Volte ritt, danach aber entgegen der Richtung auf den Hufschlag zurück ritt. Also: eine halbe Volte und dann Handwechsel. Die Vorderen einer Abteilung mussten dann auf dem zweiten Hufschlag entgegen dem Schluss der Abteilung reiten und warten, bis sie an diesem vorbei waren, um wieder auf den Hufschlag zu kommen. Herr van Hopps ließ zum Handwechsel immer nur durch die ganze oder allenfalls durch die halbe Bahn wechseln. Absolut langweilig!

 

Es kam immer wieder einmal vor, dass die Kinder den großen Jugendlichen um 17 Uhr in ihrer Stunde zuschauen konnten. Die Großen ritten  Hufschlagfiguren und Lektionen, von denen die Kinder noch nie etwas gehört hatten. Das sah aber so interessant aus, dass sich Polly insgeheim wünschte, dass Joachim sie einmal in den Ponystunden reiten lassen würde. Sie traute sich aber nicht, ihn danach zu fragen. Außerdem wusste sie ja gar nicht, wie diese Lektionen hießen. Erklären konnte sie die schon überhaupt nicht. Jedenfalls war es eine stinklangweilige Ponyschulstunde.

 

Harald und Maria waren auch noch im Reitstall, als es schon dunkel wurde. Polly wartete auch noch, dass Papa kam, um sie abzuholen. Alle anderen Kinder waren bereits weg. Weil es mit der kleinen Maria keinen Spaß machte, Skat zu spielen, saßen sie nur gelangweilt am Jugendtisch herum. Als Papa endlich kam, stellte er sich erst mal an die Theke und bestellte ein Bier. Das konnte ja noch ewig dauern.....

 

Und wie die Kinder nun so gelangweilt da am Tisch saßen, kam ein Mann herein. Er grüßte die Leute am Tresen, bestellte sich auch ein Bier und ging dann durch die Tränke ins Büro zu Frau Esser. Nach kurzer Zeit kam er wieder zurück, um sein Bier zu trinken. Die Erwachsenen redeten lebhaft durcheinander, die Kinder hörten gar nicht zu. Doch plötzlich wurde es ziemlich still am Tresen. Nur der Fremde redete noch, die anderen hörten gespannt zu. Bis dahin hatten die Kinder dem Gast keine besondere Beachtung geschenkt. Er sah aber auch mehr als normal aus. Wie ein Bauer eben. Er hatte ein keckes grünes Hütchen auf, trug eine dunkelgrüne Cordhose und einen olivgrünen Pullover mit einem großen Loch. Man konnte sich den Mann gut auf einem Traktor vorstellen. „Der ist ja auch Bauer“, sagte Harald. „Er hat uns dieses im Sommer Stroh geliefert. Jetzt hatte er noch mal eine Fuhre Heu gebracht. Deswegen hat er ja auch Geld bei Frau Esser erhalten“, wusste Harald zu erklären. „Er liefert auch den Hafer“, fügte der Sohn des Stallbesitzers allwissend und wichtig hinzu.

 

 

Die Kinder stellten sich nun auch zu den Erwachsenen an die Theke. „Wir müssen aber die Jäger auch erreichen können, um Bescheid geben zu können“, sagte der Mann gerade, als die Kinder dazukamen. „Das ist doch heute im Zeitalter des Handys kein Problem, oder ?“, sagte Pollys Papa zu dem Mann. „Der heißt Giesen“, raunte Harald Polly zu. „Aber genau das ist das Problem: Wenn der Landwirt das schöne Wetter zum Ernten oder zum Mähen ausnutzen muss, geht alles manchmal sehr schnell. Wenn der Jäger ausgerechnet dann nicht an sein Telephon geht, kann der Landwirt nichts machen. Er muss die günstige Witterung einfach zum Ernten nutzen“, sagte Herr Giesen.

 

 

 

Polly verstand überhaupt nichts. „Was haben Bauern mit Jägern zu tun“, rätselte Polly. Sie wandte sich zu ihrem Papa und flüsterte: „Worum geht es eigentlich?“.  Herr Giesen hatte das gehört und richtete sich freundlich an die Kinder, die eigentlich um diese Zeit nicht mehr im Reitstall sein sollten. „Unsere Mähmaschinen und Mähdrescher sind heute so groß und vor allem so schnell, dass die wild lebenden Tiere nicht schnell genug weglaufen können. Diese Tiere, die der Jäger Wild nennt, geraten unter die Maschinen und werden verletzt oder sehr oft getötet. Das will  niemand. Aber man sieht sie nicht von den großen Maschinen aus. Die Fahrer dieser Traktoren können aber auch nicht jedes Mal bremsen, wenn ein Tier da ist. Auf der anderen Seite wiederum laufen auch solche Tiere nicht weg, sondern ducken sich wie Hasen einfach aus Instinkt  auf dem Boden platt nieder, so werden sie zwar von Menschen oft übersehen, aber nicht von Maschinen.“

 

 

Herr Giesen bekam ein weiteres Bier. Er nahm einen tiefen Schluck und erzählte weiter: „Ab Mai und Juni mäht der Landwirt regelmäßig Gras, um daraus Heu zu machen. Genau das Heu, was ich hier dem Reitstall liefere. Aber gerade im Mai werden Kitze geboren. Kitze sind Reh-Babys, eine Rehmama bekommt ein oder zwei Kitze meist so im Mai. Die Ricke, also das Mama-Reh, legt ihre Nachkommen ins Gras und geht selber fressen. Die Babys  können am Anfang ihren Müttern noch nicht folgen, sie sind ja noch viel zu schwach, sie werden noch gesäugt. Die Ricke legt ihre Kitze ab, so sagt man, und geht weiter, um Nahrung zu suchen. Solange bleiben die Kleinen ruhig an einer Stelle liegen. Ganz gleich, was auch drumherum geschieht. Sie bleiben so lange liegen, bis die Mutter wieder kommt. Und dort liegen sie deshalb auch immer noch, wenn die teilweise riesigen Erntemaschinen kommen und mit ihren großen Messern das Gras schneiden.“ Die Kinder hörten gebannt zu und erschraken bei den Worten des Bauern.

 

„Ich bin selber Jäger. Jäger müssen dafür sorgen, dass es dem Wild gut geht. Hegen nennt man das. Sie haben auch Verantwortung. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich vor der Mahd mit meinem Jagdhund über die Wiesen laufe und das Wild, also die Rehe und ihre Kitze verscheuche, ehe ich mit dem eigentlichen Mähen beginne. Das sollten im Grunde genommen alle Landwirte generell so halten. Auch, wenn sie selbst keine Jäger sind. Aber die meisten Bauern sind dazu oft zu faul. Sie versuchen noch nicht einmal, den Jägern Bescheid zu geben, damit diese wenigstens die Chance hätten, das Wild vor den schnellen Maschinen und dem Tod zu retten.“

 

„Schweinerei!“, sagten die Erwachsenen. „Schrecklich“, befanden die Kinder. Davon hatten sie nichts gewusst. Bisher dachten sie immer, Bauern seien tierlieb, wegen der Kühe und Schweine und so. Stimmt wohl nicht. Polly war innerlich ganz aufgewühlt. Über so etwas im Zusammenhang mit herrlich duftendem Heu hatte sie noch nie nachgedacht, konnte sie ja auch nicht, denn woher sollte sie auch erfahren haben. Sie reichte Heu immer gerne den Ponys und genoss den Geruch. Sie mochte Herrn Giesen. Er konnte toll erzählen.

 

Sie hätte gerne noch mehr gehört. Aber Papa bestellte kein Bier mehr, sondern bezahlte. „War interessant, was der Giesen da erzählte“, bemerkte er auf der Rückfahrt. Aber Polly hörte das gar nicht mehr. Sie träumte von kleinen Reh-Kitzen.

 

(Fortsetzung folgt......)

 

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