Der Traum eines kleinen Mädchens (82) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 18. Mai 2011 um 11:50

Schwingender Pferderücken und wieder die Polizei...

 

 

Polly schaute zum Fenster heraus. Die Lehrerin sprach vorne an der Tafel über Höflichkeit und  wie die Menschen früher miteinander umgingen. Ja, ja, früher war alles viel besser als heute. Diese Sprüche kannte Polly schon von ihren Eltern. Die hatten sogar erzählt, dass früher überhaupt keine Schimpfwörter gebraucht worden wären. Kein „Scheiß“ und kein „Verdammt“. Stimmt gar nicht, dachte Polly. Das konnte doch gar nicht sein. Unter ihren Freunden, aus dem Reitstall, benutzte jeder mal so ein Wort. Die schlimmsten Wörter kamen natürlich von Anton. Der gehörte irgendwie dazu. Aber auch nicht. Er ritt nicht, wie alle wissen. Aber das tat Hansi ja auch nicht, und der gehörte ganz bestimmt zu der Clique aus dem Reitstall Hubertus. Und mit diesem Gedanken schweifte Polly völlig ab. Sie bekam nichts mehr mit, von dem was die Lehrerin zu der Klasse sagte, interessierte sie ja sowieso nicht.

 

Polly träumte davon, eine erfolgreiche Reiterin zu werden. Sie strengte sich deswegen auch sehr in den Reitstunden an. Wenn nur der Unterricht bei Herrn van Hopps nicht so fürchterlich langweilig wäre. Hilfsreitlehrer Jochim müsste immer die Ponystunden machen, das wäre viel spannender und lustiger. Gestern erst hatte er zu Harald „Weihnachtsmann“ gesagt. Der saß nämlich so krumm auf Mäxchen, dass es aussah, als habe er einen Buckel wie ein alter Mann. Dabei hatte Joachim gerade erklärt gehabt, dass ein Reiter nur im ganz aufrechten Sitz genügend Kreuzeinwirkung besitze. Es ging gestern in der Ponystunde darum, dass der Reiter mit seinem Kreuz so auf den Ponyrücken einwirken sollte, dass er mit den Zügeln „Paraden“ geben könne, ohne dass das Pony langsamer wurde. Ziel sollte sein, dass die Pferdchen zufrieden auf den Gebissen kauten und den Kopf dabei etwas herunter nahmen. Der Ponyhals würde einen schönen Kragen machen: Die Ponys gingen „am Zügel“. Das ist eines der  Ziele in der Dressur.

 

Als die Ponystunden heute begannen, war kein Joachim da. Aber Polly hatte seine Worte noch in den Ohren und versuchte sie heute auf Michi umzusetzen. Dabei hatte sie auch immer Gudrun und Aggi, ihre Vorbilder aus dem Stall, vor Augen. Diese großen Mädchen ritten schon auf Turnieren. Manchmal kamen sie mit einer Goldenen Schleife zurück. Goldene Schleife hieß: Gewonnen. Silberne zweiter und weiße dritter Platz. Manchmal war das aber nicht zu erkennen, weil die Schleifen aus mehreren verschiedenen Farben bestanden. Polly kannte sich damit schon ein bisschen aus. Sie träumte davon, auch mal mit einer solchen Schleife von einem Turnier nach Hause zu kommen und von allen  beglückwünscht zu werden.

 

Re3itlehrer Herr van Hopps sagte den Kindern nichts vom „an den Zügel stellen“. Dennoch bemühte sich Polly. Sie setzte sich gerade in den Sattel. Dabei spürte sie, dass sie auf zwei Knochen ihres Popos saß. Den Rücken streckte sie und kam sich dabei groß vor. Dann spannte sie die Rückenmuskulatur an. Plötzlich meinte sie zu fühlen, dass Michi irgendwie reagierte. Die Rappstute bewegte sich plötzlich etwas schneller. Im gleichen Moment gab Polly mit den Zügeln kleine Paraden, dass Michi der Abteilung nicht davonlief. Michi, getrieben durch Pollys Kreuzeinwirkung, konnte nicht nach vorne weg durch die Paraden und ließ ihren Kopf etwas fallen. Polly hatte das Gefühl, Michi würde insgesamt etwas kürzer. Es fühlte sich so gut an! Michi war “am Zügel“ gegangen. Polly entspannte ihren Rücken, und Michi nahm den Kopf wieder hoch.

 

Es war ein herrlicher Moment gewesen. So schön hatte sich das Mitschwingen auf einem Pferderücken noch nie angefühlt. Polly wusste mit einem Mal, wie sich ein Dressurpferd anfühlen sollte. Das wollte sie von nun ab immer haben.

 

Wie hatte sie das vorhin noch gemacht? Kreuzeinwirkung, dann kleine Paraden? Wie war das noch?  In dieser Reitstunde bekam Polly das nicht noch einmal hin. Aber der Zauber des einen Momentes blieb in ihr tief drin. Jetzt musste sie nur noch lernen, ihn immer wieder bewusst herbei zu führen. Dazu benötigte sie noch viel Training. Aber das würde sie schon schaffen.

 

Nach den Ponystunden wollte sie ihren Kameraden davon erzählen. Die Kinder saßen draußen vor dem Stall auf einem antiken Gestell, das ganz früher mal als Ständer in einer Schmiede genutzt wurde. Einige Kinder hockten auf den Gepäckträgern ihrer Fahrräder. Von ihnen wollte aber keiner Polly zuhören. Zu langweilig! Jetzt wollten sie gar nichts mehr vom Reitunterricht erzählen. Schule war schon gar kein Thema.

 

Aber der Krimi von gestern Abend. Nicht alle hatten ihn gesehen. Es waren nur einige Kinder, die nach dem Abendessen noch fernsehen durften. Die anderen hörten neidisch zu , was in dem Fernsehkrimi passiert war.

 

In diesem Moment bog ein Polizeibus in den Reitstall ein. „Schon wieder die Kripo! Vielleicht haben die den ollen Wacker gefunden?“, sagte Harald. „Dann kämen die doch nicht mit so `nem Kastenwagen“, konterte Hansi. Das Polizeiauto hielt genau vor den Kindern an. Aber es stiegen fremde Polizisten aus, nicht die Beamten, welche sich bisher um das Verschwinden von Herrn Wacker gekümmert hatten. „Wo ist der Geschäftsführer?“, fragte einer der Beamten. Wie Geschäftsführer? So etwas gab es hier nicht im Reitstall. Die Kinder schickten die Herren zum Reitlehrer, der schon die nächste Stunde in der Halle gab.

 

Die Jungen betrachteten sich das Polizeiauto ganz genau. Sie wollten Anzeichen entdecken, was es von einem „normalen“ Auto unterschied. Nicht die Farbe, das war ja klar. Aber irgendetwas anderes. Einen zweiten Auspuff, oder die Vorrichtung für ein Blaulicht auf dem Autodach oder so etwas.

 

Schließlich kam Herr van Hopps mit den beiden Beamten aus dem Stall. Die Türen des Lieferwagens wurden geöffnet. Das ganze Auto war von oben bis unten mit Sättel gefüllt. So viele Sättel auf einem Haufen hatten die Kinder noch nie gesehen, nicht mal in einem Reitsportgeschäft. „Alles Diebesgut!“, sagte der eine Beamte “Wahrscheinlich sind Ihre Sättel vom letzten Jahr auch dabei. Hier ist ihre Liste von damals, welche Sättel hier gestohlen wurden“, sagte der andere Beamte und zog ein Blatt aus einem Ordner.  „Sie müssen sie aber selbst heraussuchen“, sagte er noch.

 

Mittlerweile kamen auch die anderen Laute aus dem Stall heraus. Jeder, dem letztes Jahr bei einem Einbruch Sattelzeug weggekommen war, fing an, in dem Wust von Lederzeug herum zu wühlen. Letztlich lag alles am Polizeiauto auf dem Kiesboden verstreut. Dabei fand sich tatsächlich das Meiste, was damals geklaut worden war, wieder. Nur Gudrun und der große Klaus fanden ihre Sättel nicht. Von Aggi war die Kandare nicht zu finden. Auch die purpurne Samtschabracke von Reitlehrers Schimmel Sperber fehlte. Gudrun jammerte, dass ihr teurer Sattel wohl schon weiterverkauft worden sei von den Dieben. Es handelte sich ja um einen ganz besonders guten Sattel. Aggi fing an zu weinen. Sie hatte sich vorhin so gefreut, als die Polizisten sagten, sie hätten beim Ausheben einer Diebesbande Massen an Lederwaren gefunden. Sie hatte so gehofft, dass ihre rundgenähte schwarze Kandare dabei sei. Die hatte so viel Geld gekostet. Sie hatte sehr lange dafür sparen müssen. Aber: nichts dabei!

 

Die Kinder durften auch nachsehen. Sie fanden fast alle Ponysättel von den Schulponys. Nach dem Pflegetag in den letzten Sommerferien kannten sie die Sachen ihrer Ponys ganz genau. Herr Lichtenhügel, dem der ganze Stall und alle Schulpferde gehörte, strahlte über beide Ohren, als sich so viel seines Eigentums unter dem Diebesgut wiederfand. Er gab den Kindern eine Runde Cola aus. Dafür mussten die aber das Zeug noch aussortieren und in die Sattelkammer bringen und dort ordentlich verstauen.

 

Von den Polizisten hörten man anschließend noch, dass im Zuge eines anderen Deliktes eine Garage entdeckt wurde, die von oben bis unten mit Diebesgut gefüllt war. Die Polizei hatte eigentlich nach Waffen gesucht. Dabei stieß sie auf diese Garage. Unklar blieb allerdings, wer nun im vergangenen Jahr tatsächlich im Reitstall Hubertus und in mehreren anderen Reitställen eingebrochen war. Die Kinder erschauderten bei der Vorstellung, dass ein Einbrecher mit einer scharfen Waffe in der Hand zwischen ihren Pferden herumschlich.

 

(Fortsetzung folgt....)

 

 

 

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