Der Traum eines kleinen Mädchens (10) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 30. Dezember 2009 um 12:18

Was bisher geschah:

Pollys großer Tag 1. Kapitel

Polly hat Geburtstag und wird sieben. Sie bekommt eine Zehnerkarte für Reitunterricht. 

Allererste Reitstunde für Polly 2. Kapitel

Polly hat eine Kleiderfrage. Im Reitstall duftet es nicht nach Parfum. Aber sie lernt das coolste Pony der Welt kennen. 

Polly trifft Lisa wieder 3. Kapitel

 Polly darf Lisa reiten und sie lernt, wie man die Zügel richtig hält. Eine Reitkappe dient der Sicherheit. Was eigentlich ist ein Hufschlag?

 Pollys Familie staunt 4. Kapitel

Polly erzählt zu Hause was die Kinder im Reitstall machen, wenn sie nicht reiten. Sie findet neue Freunde. Stress in der „Tränke“.

 Polly findet Anschluss 5. Kapitel

Harald fällt wieder von Mäxchen. Polly trabt das erste Mal. Sie ist etwas sauer auf Maria.

 Polly gibt an 6. Kapitel

In der Schulpause will Polly vor ihren Freundinnen angeben. Das geht aber in die Hose.

 Polly hakt nach 7. Kapitel

Polly lernt Pferdepflege. Polly reitet zu dich auf.

 Polly ist bestürzt 8. Kapitel

Ein schrecklicher Unfall ist im Reitstall geschehen. Polly darf heute Lisa nicht reiten.

 Polly hat ihr Brüder im Schlepp 9. Kapitel

Die Brüder und Mama kommen mit in den Reitstall. Polly muss auf Max reiten. Sie hat Grund zur Eifersucht.

 Polly oder das Drama am Heiligen Abend

10. Kapitel

 


 

(Foto: U.Ludwig)

Weihnachten im Reitstall fand fast gar nicht statt. Lediglich ein paar Tannenzweige hingen in der Reithalle. Sonst lief der Betrieb dort wie sonst auch immer. „Frohe Weihnachten“, wünschten sich wenigstens alle gegenseitig. In der Reithalle ertönten Weihnachtslieder von einem Radiosender. Das war alles. Vor einigen Wochen hatte Polly zwar gehört, dass irgendwann der Nikolaus in den Reitstall zu den Kindern gekommen war, aber an den letzten Mittwochen, an denen Polly Reitstunden hatte, ist jedenfalls niemand aus der „Heiligenschaft“ aufgetaucht.

 Weihnachten zu Hause war auch vorbei. Der Weihnachtsbaum und der Schmuck im Zimmer erinnerten aber noch daran. Mit äußerst gemischten Gefühlen dachte Polly an das Familienfest zurück: die Geschenke fielen etwas anders aus, als sie sich gewünscht hatte. 

Ihre Brüder waren hocherfreut über ihre Geschenke. Lego und Matchbox-Autos und so `nen Kram. Polly hatte sich etwas ganz anderes gewünscht. Ihre grüßten Wünsche hatte sie sogar selbst und ganz alleine, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, aufgeschrieben. Den Zettel hatte sie in ein Kuvert gesteckt, das sie dann für das Christkind an das Fenster ihres Zimmers gelegt hatte. Auf dem Briefumschlag lagen Zuckerstückchen, um Engelchen anzulocken, die sollten die Liste abholen. Der Zettel war am anderen Morgen verschwunden, soweit war alles nach Plan verlaufen und ließ hoffen.


 

 

 

Ihre Großeltern hatten den Heiligen Abend mit Pollys Familie gefeiert. Nicht, wie bei anderen Familien, fand die Bescherung zuerst statt, sondern das gemeinsame Abendessen. Es hatte ein weißes Tischtuch auf dem Tisch gelegen, die Gläser waren mit einem Geschirrtuch poliert worden. Der sechsjährige Andy und Polly durften zum Anstoßen auch ein Schlückchen Weißwein trinken. Sie fühlten sich dabei schon groß. Georg-Dieter, den Mama immer mit dem englischen Namen George anredete und auch in Englisch aussprach, durfte nämlich nur Wasser trinken. Der Karpfen am heiligen Abend war etwas Besonderes.

Eigentlich waren Polly und ihre kleinen Brüder nicht so heiß auf Fisch. Könnte es nicht mal Spaghetti am Heiligen Abend geben? Aber es gab bei ihnen immer Karpfen. Auf jeden Fall hatte das Abendessen ewig gedauert. Die Erwachsenen schienen sich überhaupt nicht auf die Geschenke zu freuen. Polly und die Jungs platzten fast vor Erwartung.

 Endlich war es so weit: Das Glöckchen aus dem Weihnachtszimmer ertönte. Die Türe öffnete sich wie von selbst, und der Weihnachtsbaum erstrahlte in herrlichem Kerzenlicht. Die ganze Familie stellte sich auf und sang „Stille Nacht“. Vier Strophen! Papa am lautesten (Oh Gott...)

 Während der Singerei stach ein sehr großes Päckchen ins Auge. Es lag vor dem Weihnachtsbaum, weil es nicht darunter gepasst hatte, so groß war es. Glänzendes rotes Geschenkpapier war darum gewickelt, gehalten von einer goldenen Schleife. Polly konnte den Blick nicht davon lassen. Sie fragte sich, was darin sein möge. War es überhaupt ein Geschenk für sie? Wenn ja, was war so groß? Es war doch nicht etwa ein Sattel? Der hatte zwar nicht auf ihrer Liste gestanden, aber Hauptsache, sie bekam etwas, was mit Reiten zu tun hatte. Plötzlich hatte sie große Aufregung erfasst, ihre Hände hatten angefangen zu schwitzen.

 „Das große Päckchen ist für Penelope.“ Mama sprach die Worte ganz betont aus. Polly hatte alles um sich herum vergessen: sie starrte nur noch auf das Päckchen.

 Polly riss das Papier einfach herunter, mit der Schleife zusammen. die goldene Schleife nicht aufgezogen. Nein, ein Sattel war nicht darin. Eine Sicherheitsreitkappe auch nicht. Die hatten jedenfalls auf ihrem Wunschzettel gestanden. Und was war drin? - In einer vorwiegend rosafarbenen Schachtel mit Fenster lag ein ebenso rosafarbiges  Plastikauto. Sie öffnete die Schachtel. Heraus kam ein Pferdetransporter. Darin befanden sich zwei rosafarbene Pferde -  ebenfalls aus Plastik. Sie hatten wunderschöne große Augen mit langen Wimpern, mit  seidigen Mähnen und Schweifen. Alles in rosa gehalten. Vorne im Führerhaus des Transporters saß eine zauberhafte Puppe. Diese war voll in Reitkleidung ausgestattet. Kleine schwarze Stiefelchen und Reitkappe, Reithose und Jacke in hellblau, in der Hand hielt sie eine kleine Reitgerte. Die Kleidung der Puppe konnte man ausziehen. Am Transporter waren beide Türen der Führerkabine und die Klappen seitlich und hinten für die beiden Pferde zu öffnen. Überhaupt konnte alles bewegt werden: Die Puppe, das Auto und die beiden rosafarbigen Pferdchen. Die sahen so süß aus. Polly gefiel das. Sie wusste ganz genau, dass ihre Schulfreundinnen sie sehr darum beneiden würden. Daher beschloss sie augenblicklich, dass sie ihre Freundinnen so schnell wie möglich zum Spielnachmittag einladen würde. Wenn Mama es erlauben würde...

 Langsam bemerkte Polly die anderen wieder. Jeder war mit seinen Geschenken beschäftigt. Für sie lagen noch mehr Geschenke unter dem Baum. Kleinere. Einige waren nützlich. So wie der blaue Pullover von Tante Biene, der neue Füller mit einem ganzen Glas voller Tintenpatronen kam von Tante Liesel mit einem Postpaket. Zuerst fiel die Weihnachtskarte heraus. Dann das bunte Schächtelchen mit der roten Schleife.

 Jetzt beobachtet Polly ihre Brüder und die Erwachsenen. Hatte keiner daran gedacht, ihr etwas fürs Reiten zu schenken? Gab es nicht mal `ne Reitkappe für sie?  Ihr wurde bewusst, dass sie doch etwas enttäuscht war. Aber keiner merkte es. Und es durfte auch niemand wahrnehmen, sonst galt sie als undankbar und das wollte Polly auf keinen Fall. „Hier ist noch etwas für Dich“, sagte Oma und reichte ihr ein Paket. Polly fiel ein Stein vom Herzen: Dieses Päckchen hatte genau die Größe und die Form einer Reitkappe, nur Oma hielt es verkehrt herum.

  Wieder riss Polly einfach das Papier runter. Lauter selbstgebackene Weihnachtsplätzchen fielen heraus. Was wie eine Reitkappe ausgesehen hatte, war eine Schüssel gewesen.

 Polly war so enttäuscht, dass die anderen es ihr nunmehr ansahen. Sie konnte es einfach nicht mehr verbergen. Zweimal an einem Abend. Am Heiligabend. Keiner hatte an ihre Leidenschaft, das Reiten, gedacht. „Was ist los?“ fragte Mama. „Gefällt Dir der Pferdetransporter nicht?“

 „Doch“, brach es aus Polly heraus, „Aber bekomme ich nichts fürs Reiten?“ Sie war jetzt den Tränen nahe. Etwas bestürzt schauten sich die Erwachsenen an. Opa, der auch bei den Geschenken auf dem Boden gesessen hat, wie die anderen, stand auf. Er ging zum Tisch und trank sein Glas Wein in einem Zug leer. Dann griff er in die Innentasche seiner schwarzen Anzugsjacke und holte einen knallroten Briefumschlag heraus.

 „Nur gut, dass Du Deinen alten Opa hast.“, sagte er zu seiner betrübten Enkelin, „hier habe ich noch was für Dich“. Er reichte Polly den Umschlag. Diese stand auf. „Noch eine Weihnachtskarte, oder vielleicht, was viel besser wäre, Geld. Dann kann ich mir selber was fürs Reiten kaufen“, dachte Polly. Was sie aber aus dem Umschlag zog, war eine neue Zehnerkarte für Reitstunden. Polly strahlte, hieß das doch, sie konnte weiterhin in den Reitstall. Sie hatte sich schon Gedanken gemacht, weil die Zehnerkarte vom Geburtstag fast verbraucht war.

 Papa brach in schallendes Gelächter aus. Er lachte so doll, dass die Nachbarn es hören würden. Sein dicker Bauch wackelte. Es sah lustig aus, aber was war so witzig? Mit zwei Fingern zog Papa sein Portemonnaie aus der Popo-Tasche seines Smokings, öffnete es und zog nun seinerseits auch eine Zehnerkarte für Polly heraus. „Hätte ich beinahe vergessen. Fröhliche Weihnachten, Polly“, sagte er immer noch lachend.

 (Fortsetzung folgt...)

 

 

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