Der Traum eines kleinen Mädchens...(104) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 09. November 2011 um 14:28

 

Erstmals eigenes Geld ...

 

Am 04. November feierte Polly ihren zwölften Geburtstag. Es gab eine Feier in der sogenannten Tränke der Reithalle. Sämtliche Pony-Kinder waren eingeladen und durften Kuchen essen und Kakao trinken. Mama hatte alles organisiert. Den Kuchen hatte sie am Tage zuvor gebacken und dann am anderen Vormittag schon in den Stall gebracht. Für den Kakao sorgte die Tränken-Wirtin Frau Schneider.

 

Es waren nicht nur Pollys Freunde aus der Pony-Clique da, sondern auch Kinder, die zufällig an diesem Tag in den Reitstall Hubertus kamen, um eine Reitstunde zu nehmen. Der Kinder- oder Jugend-Tisch in der Tränke war voll. Es gab sonst keinen Platz mehr.

 

Bevor die Party begann, fanden die Pony-Reitstunden statt. Auch Polly ritt an diesem Tag. Sie hatte ja Geburtstag, und der Reitlehrer erlaubte ihr, sich ein Pony auszusuchen. Sie wählte Little Lord. Der Rapp-Wallach war Polly mittlerweile ans Herz gewachsen. Sie durfte an ihrem Geburtstag an die Tete gehen.

 

Dabei erinnerte sich Polly an ihren siebten Geburtstag, an dem alles anfing. Damals überreichte Opa ihr einen Umschlag, in dem sich die erste Zehnerkarte für Pony-Reiten befand. Polly war selig gewesen, ihr größter Wunsch ging in Erfüllung. Von da ab hatte sich Pollys Leben komplett geändert. Heute wusste Polly überhaupt nicht mehr, was sie vor diesem Tag mit ihrer Freizeit angefangen hatte, womit sie sich überhaupt  beschäftigte. Jedenfalls drehte sich seitdem alles um die heiß geliebten Ponys und den Reitsport.

 

Polly erinnerte sich daran, wie schwierig es am Anfang war, sich im Sattel aufzurichten und gerade auf dem Pony zu sitzen. Nun musste sie bei dem Gedanken schmunzeln. Sie dachte gar nicht mehr daran, kerzengrade zu sitzen, sie tat es einfach intuitiv. Dann die Sache mit der Zügelhaltung. Wie oft hatten ihr die Finger weh getan? Schon alleine deshalb, weil das Leder der „ollen“ Schul-Pony-Trensen so hart war. Sie konnte die Blasen an ihren Händen gar nicht zusammenzählen, die sie in den vergangenen Jahren erlitten hatte.

 

Dann erinnerte sie sich, als sie das erste Mal an die Tete einer Abteilung reiten sollte. Sie hatte Angst, verständlich, alles das erste Mal, Furcht, die Kommandos des Reitlehrers nicht umsetzen zu können, weil sie die entsprechenden Hufschlagfiguren vergessen haben könnte. Nichts war passiert. Wieder schmunzelte sie innerlich. Immer hatte sie die Kommandos gekannt. Heute hatte sie keine Angst mehr davor und war sogar froh, wenn sie die Abteilung anführen durfte. Ihr waren die Vorteile voll bewußt: Man konnte das Tempo bestimmen. Ein kleines Pony macht kleinere Schritte und wird für die nachfolgenden größeren Ponys mit größeren Schritten ein Problem. Große Ponys machen mehr Bodern gut, wie die Reiterleute wissen, die kleinen Ponys haben sich zu beeilen, um daran zu bleiben.

 

In den Schulstunden durften immer nur die erfahrenen Kinder an die Tete, ein klares Zeichen, dass man kein Anfänger mehr war. Aber das war Polly sowieso schon lange nicht mehr. Ein klares Zeichen war auch die Tatsache, dass sie schon lange regelmäßig für die Erwachsenen auf den großen Pferden trocken reiten durfte. Eine ganz besondere Ehre war es für ein Pony-Kind, mal eines der Turnierpferde der Jugendlichen trocken reiten zu dürfen. Wenn so eine Situation kam, wurde Polly immer als erste gefragt. Meistens von Aggi oder Gudrun.

 

Pollys Freundin Anne durfte auch oft Groß-Pferde trocken reiten. Die musste aber noch öfter etwas dafür tun. Ihre Eltern ließen sich nie im Reitstall blicken, obwohl sie fast direkt daneben wohnten. Anne bekam auch nie Extra-Geld für Pony-Stunden. Sie musste sich diese immer durch Arbeit verdienen. Polly hatte beobachtet, dass die Großen Anne auch öfter ausnutzten und sie zu igendwelchen Diensten heranzogen. Anne wurde mehr als auisgenutzt. Sehr oft tat Anne ihr deswegen sehr leid. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie ihrer Freundin helfen konnte.

 

Solche Gedanken hatte Polly, als sie an ihrem Geburtstag auf Little Lord die Abteilung anführte. Sie wurden erst unterbrochen, als der Reitlehrer, Herr van Hopps, die ganze Abteilung aufmarschieren ließ. Dabei zeigte die große Uhr an der Stirnseite der Reithalle an, dass die Stunde keineswegs zu Ende war. Herr van Hopps baute sie vor der Abteilung auf, hob beide Hände in die Luft, wie ein Dirigent vor dem Symphonie-Orchester, und begann „Happy Birthday“ zu singen. Alle fielen mit ein, sogar diejenigen, die als Zuschauer an der Bande standen. Es klang wie ein voller Chor. Polly wurde verlegen. Sie freute sich riesig, zumal sie von ihrer Position aus sehen konnte, dass in diesem Moment Joachim an die Bande trat und sogar mitsang. Er lächelte in Pollys Richtung. Ganz verlegen schaute sie schnell auf ihr Pony und klopfte dessen Hals, als würde sie es loben.

 

Joachim betrat die Reitbahn und übernahm den Unterricht. Heute schien für Polly alles wie am Schnürchen zu laufen. Der Reitunterricht bei Joachim war immer um Klassen spannender als bei Herrn van Hopps.

 

Ungeachtet ihres Ehrentages, korrigierte Joachim sie, wo er nur konnte. Heute biss er sich daran fest, dass Little Lord nicht am Zügel ging. Polly fand ihr Pony eigentlich gar nicht so schlecht. „Der geht wie ein Lappenkamel!“, brüllte Joachim durch die Halle. Die anderen Kinder kicherten. Polly hörte das hinter sich und ärgerte sich. Joachim wusste doch, dass es ihr Geburtstag war, er hatte doch sogar mitgesungen. Was sollte das denn nun? Polly begann sich zu ärgern. Sie nahm die Zügel kürzer, versuchte mit der rechten und der linken Hand Little Lord zu zwingen, den Kopf herunter zu nehmen. Der war aber stur. Polly gab überdeutliche Paraden (Joachim brüllte sofort „Nicht riegeln!“), sie drückte ihr Kreuz durch und presste ihre Schenkel ans Pferd. Parade, Parade, Parade, Parade…dachte sie bei jedem Schritt des Pferdes. Sie strengte sich an. Dabei kam sie ganz schön ins Schwitzen. Dann musste sie auch noch angaloppieren. Einmal herum! Sie hatte das Gefühl, Little Lord würde immer länger. Sie saß wie auf einem Brett und spürte die Hinterhand des Pferdes gar nicht mehr unter sich. Es reagierte überhaupt nicht auf den inneren Schenkel. Polly musste es am äußeren Zügel regelrecht in die Ecken hereinziehen, damit es diese nicht einfach abrundete. Der olle Bock ist steif, wie `ne Eisenbahnschwelle, dachte sie. Musste das nun ausgerechnet heute sein?

 

Polly war genervt. Als die anderen dran waren mit Galoppieren, konnte sie sich im Schritt ausruhen. Auf Einmal fühlte sie, dass Little Lord sich ebenfalls  entspannte, er ließ den Kopf fallen und begann auf dem Trensengebiss zu kauen, Er reagierte mit einem Mal viel sensibler auf Pollys Schenkeldruck. Das muss Losgelassenheit sein, dachte sie. Herrlich, wie angenehm! Warum ging das nicht gleich so. Leider war die Reitstunde nun vorbei. Gerade dann, als es am schönsten wurde……

 

Die Kinder feierten noch lange bei Kakao und Kuchen. Herr van Hopps und Joachim kamen sogar an den Tisch und setzten sich kurz dazu. Sie aßen auch von dem selbstgebackenen Kuchen.

 

Sogar Haralds großer Bruder Bernd und Annette von der Jugend-Abteilung holten sich später bei Polly Kuchen ab. Beide gratulierten Polly, die bei soviel Beachtung sogar von den Großen vor Stolz fast platzte. Überhaupt – sie hatte viele Geschenke bekommen. Das meiste war fürs Reiten. Ihr Putzkoffer konnte mit lauter neuen Utensilien bestückt werden.

 

Nach und nach liefen jetzt die Eltern ein, um ihre Pony-Kinder abzuholen. Es war kurz, bevor die Abend-Abteilung für die Erwachsenen beginnen würde, als Herr Hermanns die Tränke betrat. Er hatte zwar den gleichen Namen wie der Vater vom kleinen Klaus, war mit denen aber nicht verwandt. Er blieb ebenfalls am Geburtstagstisch von Polly stehen, sah sich in der Runde um, und sein Blick blieb auf Polly stehen. „Herzlichen Glückwunsch, Polly“, sagte er überraschender Weise und reichte ihr die Hand. Im Moment dachte Polly, der will bestimmt was von dem Kuchen abhaben. Aber dann bat er Polly, einmal mit ihm herauszukommen. Erstaunt schauten sie die Kinder gegenseitig an. „Was will der denn?“, fragten sie sich.

 

Draußen sagte Herr Hermanns, von dem Polly wusste, dass er Günter hieß: „Ich möchte Dir ein Angebot machen. Könntest Du meine Fairneß einmal in der Woche reiten? Ich habe beruflich so wenig Zeit?“ Polly wurde ganz schwindelig. Sie, Polly, sollte ein großes Pferd reiten? Ganz alleine? Jede Woche?

 

„Natürlich nur unter Aufsicht und in der Reitstunde bei Herrn van Hopps. Wären dir drei Euro recht?“, fragte Herr Hermanns. Wie drei Euro? Wo sollte sie die hernehmen? Ihr Taschengeld würde niemals dazu reichen. Wie sollte sie das dem Herrn Hermanns nur klar machen? Konnte der sich das denn nicht denken? Polly wusste nicht zu antworten.

 

„Ich gebe Dir 15 Euro im Monat. Ist Dir das recht?“, fragte er und schaute Polly erwartungsvoll an. Wie jetzt, sie sollte dafür sogar Geld erhalten, nicht zahlen? Polly konnte es kaum begreifen. Natürlich wollte sie!

 

Sie würde allein durch Reiten ihr erstes eigenes Geld verdienen. Was für ein Tag! Vorhin hatte sie noch an ihre erste Reitstunde gedacht und nun…Nun würde sie sogar für ihr Können bezahlt werden! Mehr Anerkennung konnte sie sich nicht wünschen. Welch ein Geburtstag!

 

(Fortsetzung folgt….)

 

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