Der Traum eines kleinen Mädchens...(120) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 21. März 2012 um 14:08

Die Mädchen finden ein Skelett...

 

 

Polly hatte letzte Woche mit der älteren der beiden Töchter aus der Familie „Neureich“ Freundschaft geschlossen. Nun hörte sie teilweise für sie ungeheuerliche Storys. Und alles aus einem direkten Kanal.

 

Herr Neureich wollte sich also  ein zweites Dressurpferd kaufen, um an Reitturnieren teilzunehmen. Natürlich mit Aussicht auf Erfolg. Sein Pferd Aviso pries er öffentlich als sehr gutes Dressurpferd an. Polly fand das Paar jedoch für sieguntauglich. Aber das konnte sie ja nicht laut sagen.

 

Im stillen Kämmerlein hatte der Reiter wohl selbst gemerkt, dass er mit Aviso keinen Blumentopf gewinnen würde. Schuld daran war natürlich nicht er, sondern das Pferd. Sein reiterliches Können hielt er nicht für kritikwürdig. Polly deutete bei ihrer neuen Freundin Martine nur ihre Meinung an, offen sagte sie es nicht.

 

Familie Neureich hatte sich zur Besichtigung und Test eines angebotenen Pferdes verabredet. Weil sie aber nicht so cool waren, wie sie taten, kamen sie vor Aufregung eine dreiviertel Stunde zu früh in dem vereinbarten Reitstall an, fünf Personen, sie schlenderten durch den Stall, an den Boxen vorbei und schauten in jede hinein.

 

Plötzlich blieb Brigitta, Martines jüngere Schwester,  an einer Boxentür stehen und rief: „Hier ist es.“ An dem Namensschild glaubten sie, das entsprechende Pferd erkannt zu haben. Es stand komplett gesattelt in der Box. Nicht nur das, sondern auch noch ganz eng ausgebunden, das Tier konnte sich kaum bewegen.

 

Familie Neureich war entsetzt. So etwas machte man doch nicht. Das war doch Tierquälerei! „Das Pferd probiere ich nicht aus!“, befand Herr Neureich und befahl seiner Familie augenblicklich diesen Stall zu verlassen.

 

Im Auto erklärter er dann, dass sich es nicht nur um Tierquälerei handelte, sondern offenbar auch um Betrug. Was für einen Sinn sollte es haben, ein zum Verkauf anstehendes Pferd kurz vor dem Ausprobieren ausgebunden in der Box stehen zu lassen? Irgendetwas stimmte also nicht mit dem Pferd. Es musste ein Problem haben. So ein Pferd würde Herr Neureich sich sowieso nicht antun.

 

Als Martine dieses Erlebnis Polly erzählte, konnte Polly es erst gar nicht glauben. Sie sah immer das arme Tier ausgebunden in der Box stehen. Sie stellte sich vor, wie die Halsmuskeln weh tun mussten, wie sich alles verkrampfte. Auch sie konnte absolut keinen Sinn in dieser Aktion des Verkäufers erkennen. Tierquäler!!!

 

Dann aber nahm Martine Polly beiseite. In der Sattelkammer waren die beiden Mädchen alleine. „Das ist noch nicht alles“ sagte Martine flüsternd zu Polly. „Der Eigentümer des Verkaufpferdes ist ein bekannter Dressurrichter!“ erklärte sie. „Es kann sein, dass er demnächst eine Prüfung richtet, an der mein Vater teilnimmt.“ Polly schnappte nach Luft. „Wenn Dein Vater den jetzt wegen Tierquälerei anzeigt, dann wird er auf allen Turnieren, wo der richtet, nie gute Noten erhalten. Damit muss Dein Vater rechnen,“ sagte Polly. Und sie fügte hinzu: „Wenn er den Dressurrichter und Pferdehändler nicht anzeigt, wird der in Zukunft weiter Tiere quälen. Davon kannst Du ausgehen.“ Wie sollte sich Herr Neureich verhalten? Polly hatte auch keine optimale Lösung parat. Sie selber jedenfalls würde sich für das Wohl des Tieres entscheiden. Das war mal ganz klar.

 

Die Mädchen steckten die Köpfe zusammen, um zu besprechen, wie man aus so einer Zwickmühle heraus kam. Da riss jemand die Tür zur Sattelkammer auf und störte die beiden. Es half nichts. Sie mussten also  ein Plätzchen finden, an dem sie ungestört beratschlagen konnten. Sie machten sich auf zur alten Scheune, ganz hinten am Stallgelände. Dort war so viel Dreck und alter Kram, dass sich kaum jemand dorthin begab. Schon sehr lange hatte niemand mehr dieses zerfallene Gebäude betreten.

 

Auf dem Weg dorthin schlug Polly ihrer Freundin vor, sich anonym bei der Polizei zu melden und den Richter anzuzeigen. „Das geht nicht“, sagte Martine traurig. „Der wüsste ja gleich, woher die Anzeige kommen müsste“, antwortete sie. Die Mädchen und auch die anderen Neureichs konnten ja nicht wissen, ob das Pferd schon anderen Leuten angeboten wurde und genauso „präpariert“ worden war.

 

Die alte Scheune am Ende des Grundstückes war wirklich sehr dreckig. Unter einer extrem dicken Dreck- und Staubschicht stand dort ein alter kaputter Traktor mit Anhänger. Eine Holzleiter führte nach oben auf den Heuspeicher. Fast alle Sprossen waren durchgebrochen, und es war kein Denken daran, dort hinauf zu steigen. Gerne hätten sich die Mädchen nach oben verzogen. Dort würde sie garantiert keiner stören. Auch das uralte schimmelige Heu hätte ihnen nichts ausgemacht, wenn sie nur ungestört reden konnten.

 

Sie versuchten, sich es auf einem verstaubten Leiterwagen bequem zu machen. Aber, als Martine sich darauf schwang, brach der zusammen. Beide Mädchen stürzten herunter, es tat weh, die Reitklamotten waren nun total verdreckt. Sie schauten um sich. „Wenn wir die Plane auf dem Hänger beiseite schieben, könnten wir uns dort hinsetzen. Unter der Plane ist es auch nicht so dreckig“, schlug Polly vor und streckte sich nach einem Zipfel aus.

 

Martine musste ihr helfen. Die Plane war schwerer als gedacht. Oder sie hing irgendwo fest. Polly kletterte auf den offenen Anhänger und zerrte an der anderen Ecke der Plane. Nur schwer ließ die sich bewegen. Irgendetwas hielt die fest.

 

Polly nahm ihr Ende fest in die rechte Hand und sprang mit Wucht von dem Hänger in die dicke Staubschicht zu Boden. Sie hoffte, damit mit einem Ruck die Plane bewegen und runterziehen zu können.

 

„Das hat funktioniert“, strahlte sie ihre Freundin an. Nun ließ sich die schwarz-weiße Plane ganz vom Anhänger herunterziehen. Dabei gab es ein Geräusch, als wurden Holzstücke mit herunter fallen. Martine und Polly schauten auf den Anhänger, der nun genügend Platz bot und außerdem nicht ganz so dreckig war. Sie kletterten herauf und setzen sich so in eine Ecke, dass sie sich mit den Rücken an die Planken anlehnen konnten. Jetzt widmeten sie sich ganz dem schwierigen Problem mit dem grausamen Dressurrichter, dem unbedingt das Handwerk gelegt werden musste.

 

Gedankenverloren wanderten ihre Blicke umher. Jetzt erst schauten sie sich in der alten Scheune um. Pollys Blick streifte die schwere Plane. „Komisches Holzstück“, dachte sie, als sie auf die mit der Plane herunter gefegten Hölzer sah. Die sahen nicht wirklich wie Stöcke aus. „Guck mal, was ist das Komisches?“ fragte sie die ebenfalls nachdenkende Martine.

 

Beide Mädchen kletterten vom Anhänger herunter. Sie bückten sich, um die Hölzer zu untersuchen. Das erste Holzstück zerbröselte. Das zweite, größere war kein Holz. Es sah aus wie ein alter Knochen. Dann fanden sie noch so ein großes Stück. Tatsächlich: zwei Knochen. Polly schob die Plane beiseite. Sie erschraken. Unter der Plane verdeckt lag ein Totenkopf. „Ist der echt?“, fragte Martine. „Weiß nicht“, flüsterte Polly. Es kamen immer mehr Knochen in verschiedenen Größen hervor. Die Freundinnen hatten ein vollständiges Skelett gefunden.

 

Die Polizei ließ später den ganzen Reitstall räumen. Nur Polly und Martine durften bleiben. Immer wieder mussten sie erzählen, wie sie das Skelett gefunden hatten. Immer wieder wurden sie gefragt, ob sie hier in der alten Scheune öfter wären, ob sie sonst etwas bemerkt hätten. Ob sie jemanden hier gesehen hätten.

 

Die Mädchen waren nun wichtige Zeugen für die Kriminalpolizei. Aber sie mussten immer wieder zwischen den Befragungen warten. Jetzt ist die Gelegenheit, behauptete Polly. „Gotteszeichen“, sagte Martine. Jetzt sagen wir es der Polizei.

 

Der nächststehende Polizist in Uniform bewachte das Absperr-Flatterband um die alte Scheune. Zu ihm gingen die Mädchen. Schüchtern sprachen sie den Beamten an und erzählten ihm die Geschichte mit dem Dressurrichter, der mit Pferden Handel trieb und sie dabei quälte. Der Polizist schien aufmerksam zuzuhören, während er das Band hielt. Jedenfalls nickte er ab und zu.

 

Der grausige Fund hatte Polly und Martine völlig durcheinander gebracht. Dennoch hatten sie in dieser aufregenden Situation an ihre Lieblingstiere gedacht, ihre Pflicht den Tieren gegenüber erfüllt und dem Polizisten alles gesagt.

 

Für beide war die Aufregung an diesem Tag wahrscheinlich zu groß.  Martine musste sich mitten auf der Stallgasse übergeben, Polly hatte Bauchschmerzen. Sie wollte nur noch nach Hause. Keiner hatte sich mehr um die beiden Mädchen gekümmert. Das letzte, was sie hörten, war, es könne sich um ein echtes Skelett handeln. Das Holz war kein Holz gewesen…

 

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

 

Um die Nutzbarkeit unserer Seiten zu verbessern, verwenden wir Cookies. Falls Sie mit der Speicherung von Cookies nicht einverstanden sind, finden Sie hier weitere Informationen. Weitere Informationen >>> Cookie-Hinweis.

Hinweis >>>