Der Traum eines kleinen Mädchens...(123) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 11. April 2012 um 10:27

Polly darf vom eigenen Pferd träumen...

 

 

Die Osterfeiertage verstrichen ziemlich ruhig, das große Eiersuchen im Reitstall fiel aus. Polly verbrachte den Ostersonntag zunächst mit ihrer Familie zuhause, natürlich hatte der Osterhase für jeden etwas „versteckt“, was aber diesmal überhaupt nichts mit der Reiterei von Polly zu tun hatte. Dieses Jahr schien alles anders als die anderen Jahre davor.

 

Polly gewann immer häufiger den Eindruck, dass ihre Eltern sie nicht mehr ganz wie ein kleines Schulmädchen behandelten, wie bisher immer. Ihre jüngeren Brüder allerdings blieben noch immer kleine Jungs. Das gefiel Polly ganz gut. Sie fühlte sich dabei schon ein bisschen erwachsen. Sie glaubte, mit zwölf dürfte man das auch.

 

Als die Brüder mit ihren „Ostereiern“ schon zum Spielen verschwunden waren, blieb Polly mit Mama und Papa noch etwas am Frühstückstisch sitzen. Dabei hörte sie zu, als Papa und Mama sich darüber unterhielten, dass Papa seit Anfang des Monats innerhalb der Sozietät ein neues Büro bezogen hatte. Ein Kollege war ausgeschieden, und deswegen wurden die Räumlichkeiten neu geordnet. Für Papa schien das ein großer Grund zur Freude.

 

Polly schmierte sich noch ein Brötchen mit Honig. Ihre Hände klebten dabei, wie immer. Sie leckte genüsslich jeden einzelnen Finger ab und hörte dabei zu, wie sich ihre Eltern über die Familie Neureich aus dem Reitstall unterhielten. Das Thema war der Besitz eines oder mehrerer eigener Reitpferde. Jetzt wurde Polly hellhörig. Bisher hatte sie sich nicht am Gespräch der Eltern beteiligt, weil sie noch mit Essen beschäftigt war und es einfach genoss, das ihre Brüder sie in Ruhe ließen und sie ungestört das ausgiebige Osterfrühstück genießen konnte.

 

Als zwischen den Eltern die Sprache darauf kam, dass Herr Neureich gerade erst ein zweites Pferd gekauft hatte und sogar davon sprach, für seine ach so talentierte Tochter Brigitta ein weiteres Dressurpferd zu kaufen, blieb Polly die Luft weg. Das hatte sie noch nicht gehört. Neureichs - ein drittes Privatpferd. Die mussten aber wirklich genügend Kohle haben, dachte Polly. Im gleichen Moment sagte Papa schnell zu Mama „Ein eigenes Pferd ist kein Problem. Aber…“. Den Rest hörte Polly nicht mehr.

 

Polly glaubte kaum, was sie da gerade gehört hatte. Ein eigenes Pferd finanziell kein Problem? „Ja, dann kaufen wir doch eins“, rief sie plötzlich ganz aufgeregt. Sie war wie elektrisiert. Die Möglichkeit, ein eigenes Pferd zu haben, schien das größte Glück, was man sich überhaupt vorstellen konnte auf dieser Welt.

 

„Langsam, langsam“, sagte Papa schnell. Er warf einen bösen Blick zu Mama hinüber. „Für uns kommt das nicht in Frage. Wer soll das bezahlen und sich denn darum kümmern?“, meinte er mürrisch.

 

Da wurde Polly ganz aufgeregt. Allein, dass so eine Diskussion am Osterfrühstückstisch aufgekommen war, hielt Polly bis vorhin noch für völlig ausgeschlossen. Aber nun saßen sie hier, und das Familienoberhaupt und Mama redeten ernsthaft darüber, ob die Anschaffung eines Reitpferdes für ihre Familie überhaupt in Erwägung gezogen werden könnte. Das war unglaublich.

 

Bei Polly wirbelten die Gedanken durcheinander. Sie stellte sich vor, wie es sein würde, wenn sie in den Stall käme, sie direkt zu einer Box liefe, aus der ihr eigenes Pferd sie anschauen würde. Sie würde nicht mehr, wie sonst, in den Ponystall abbiegen (das käme erst danach), sondern zu den Boxen der Privatpferde laufen. Sie hätte ihren eigenen Spind in der Sattelkammer für die Privatreiter, nicht mehr den in der für die Schulpferde. Mit eigenem Vorhängeschloss, von dem nur sie einen Schlüssel hätte. Der hinge an einem breiten Band um ihren Hals. Wie der Hausschlüssel bei Schlüsselkindern. Sie würde nicht mehr an den Schulstunden teilnehmen, sondern würde in den Freistunden reiten und bei den Turnierreitern teilnehmen dürfen. Sie würde jeweils am Sonntag nach dem Musikreiten der Schulpferdeabteilung in die Reitbahn kommen, und alle würden sie von der Tränke aus sehen können. Auf ihrem eigenen Pferd.  Sie würde selbst entscheiden, ob sie draußen oder in der Halle reiten würde. Sie würde keinen je auf ihr Pferd lassen…

 

„Natürlich würde ich mit den anderen Herren Sonntagvormittags ausreiten wollen“, hörte sie da auf einmal Papa sagen. Polly stockte der Atem: Papa wollte ihr Pferd reiten? Der kann doch gar nicht reiten. Der würde es doch nur versauen! Aber jetzt bloß nichts Falsches sagen, sonst ist Papa gleich wieder beleidigt und das Thema wäre sofort und für alle Zeiten erledigt. Sie würde das auch so hinkriegen. Sie wüsste schon, was sie zu tun hätte, dass Papa nicht auf ihr Pferd käme. Hauptsache, er würde sich erst mal mit dem Gedanken anfreunden. Ihr würde da schon etwas einfallen. Sie musste unbedingt verhindern, dass die Diskussion vorzeitig endete. Sie musste die Situation ausnutzen - und Papa unbedingt bei Laune halten.

 

„Ich kann mich doch um ein Pferd kümmern. Ich bin doch sowieso jeden Tag im Stall. Ich kann putzen und pflegen. Jeden Tag. Ich kümmere mich schon“, versicherte sie heftig. Pollys Gesicht war ganz erhitzt vor Aufregung. Sie glühte fast.

 

Ganz nüchtern fing Papa wieder vom Geld an. Immer dieses blöde Geld. Da kam ihr der Gedanke: „Ich muss ja keine Cola trinken oder etwas essen im Stall. Darauf würde ich verzichten. Das summiert sich ja auch, wenn ich jeden Tag im Stall bin. Dann könntest Du dieses gesparte Geld für den Kauf eines Pferdes verwenden.“ Sie meinte es schon ganz ernst in diesem Moment und fügte noch hinzu: „Ich verzichte auch auf mein Taschengeld.“

 

Mama standen die Tränen in den Augen vor lauter Rührung. Sie sagte gar nichts mehr dazu. Papa fing in aller Ruhe an, sich wieder ein Brötchen mit Leberwurst zu schmieren. Dabei hatte er doch schon eine halbe Stunde vorher das Besteck beiseite gelegt und sein Frühstück beendet. Jetzt fing er wieder an… Aber solange er am Tisch saß, konnte Polly alle nur möglichen Argumente anführen.

 

Papa setzte dann aber seine Argumente dagegen und die hatten alle mit Geld zu tun. Polly musste sich eingestehen, dass sie an viele notwendigen Dinge überhaupt nicht gedacht hatte. Da waren zum Beispiel die regelmäßigen Kosten für den Schmied. Natürlich wusste sie, dass ein Sportpferd regelmäßig den Schmied benötigte. Aber sie hatte keine Ahnung, dass es alle sechs Wochen nötig sein würde. Dass Pferde geimpft werden müssen, war ihr auch klar. Aber was das kosten würde, wenn der Tierarzt zum Impfen kam, davon hatte sie keine Ahnung.

 

Schließlich wies Papa sie darauf hin, dass sie keinerlei Ausstattung, keinen Sattel, keine Trense, nicht einmal Putz- und Pflegezeug für ein eigenes Pferd hätten. Daran hatte Polly noch gar nicht gedacht. Ein eigener Sattel müsste angeschafft werden. Davon hatte sie schon gehört, dass es da riesige Unterschiede gab. Nicht nur von verschiedenen Farben des Leders, sondern von der Qualität und von den Kosten. Allein von den verschiedenen Stirnbändern an der Trense hatte sie gehört und auf der Equitana sogar schon einmal betrachtet. Und was ihr dort gefallen hatte, kostete fast einhundert Euro. Nur das Stirnband, mit Strasssteinchen…Polly schluckte. Sie sagte davon jetzt aber nichts. Sie wollte Papa unter keinen Umständen verschrecken und das Thema kaputtmachen.

 

Papa hatte sein Brötchen aufgegessen. Er hörte endgültig mit Frühstücken auf. Mama stand auf und deckte den Tisch ab. Das Thema vom eigenen Pferd  war für Pollys Eltern in diesem Moment abgeschlossen. Polly fing noch einige Male davon an. Aber es half nichts. Die Eltern hatten keine Lust mehr. „Nerv uns nicht“, sagten sie. Dann planten sie einen Osterspaziergang, an dem alle Kinder teilnehmen mussten.

 

Polly war die ganze Zeit geistig abwesend. Sie nahm nichts um sich herum mehr wahr. Keine blühenden Blümchen, keine Vögelchen, nicht einmal die Tiere auf einem Bauernhof, an dem sie vorbei kamen.

Polly träumte von ihrem eigenen Pferd. Von nun an würde sie alle Argumente sammeln, die dafür sprachen, dass Papa ein Pferd kauft. Sie würde das schon hinbekommen. Außerdem wollten nachmittags noch Oma und Opa zum Kuchenessen kommen. Mal hören, was die dazu zu sagen hatten… Polly träumte weiter.

 

(Fortsetzung folgt….)

 

Um die Nutzbarkeit unserer Seiten zu verbessern, verwenden wir Cookies. Falls Sie mit der Speicherung von Cookies nicht einverstanden sind, finden Sie hier weitere Informationen. Weitere Informationen >>> Cookie-Hinweis.

Hinweis >>>