Der Traum eines kleinen Mädchens...(125) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 25. April 2012 um 15:15

Anzeige wegen Tierquälerei...

 

 

Jeden Tag zog es Polly in den Reitstall Hubertus. Sie kannte jedes Pony, jedes Pferd. Nicht nur die Schulpferde, sondern auch alle anderen, die sich in Privatbesitz befanden. Mittlerweile standen mehr als einhundert Tiere im Reitstall.

 

Aber nicht nur die Pferde zogen Polly magisch an, sondern auch ihre Freunde. Es trafen sich dort mindestens fünfundzwanzig Kinder und Jugendliche regelmäßig, fast jeden Tag. Irgendjemand war immer dort, wenn Polly erschien. Es war eine coole Zeit, die sie alle gemeinsam im Reitstall verbrachten.

 

Noch gehörte sie zu denjenigen, die an den Schulstunden teilnahmen und mit ihrer Zehnerkarte bezahlen mussten. Vom reiterlichen Können allerdings fühlte sich Polly den Privat-Pferde-Besitzern zugehörig. Ganz insgeheim ordnete sie sich sogar einigen der Turnierreiter zu. Das sagte sie aber nicht laut.

 

Was sie ihren Eltern gegenüber aber ganz deutlich machte, war der Umstand, dass sie sich als Zehnerkarten- beziehungsweise Schulbetrieb-Reiter ausgeben musste, so stand sie nach eigener Meinung etwas im falschen Licht. Schließlich wurde sie regelmäßig vom Reitlehrer herangezogen, wenn es darum ging, ein Pony für den Schulbetrieb abzureiten oder sogar häufiger zu bereiten, und zwar kostenlos. Genau daraus ergab sich ihr Status, der durch das Nichtvorhandensein eines eigenen Pferdes zunichte gemacht wurde. Also Pollys Vater müsse nun endlich für ein eigenes Reitpferd sorgen, also eines, am besten nur für seine Tochter, anschaffen.

 

Ihr Vater dachte aber gar nicht daran, sondern brachte alle erdenklichen Argumente vor, die deutlich machten, dass der Kauf eines Pferdes viel zu teuer sei. Polly konnte nichts dagegen unternehmen. Sie selbst aber besaß kein eigenes Geld.

 

Der Vater ihrer Freundin Martine dagegen hatte mittlerweile drei Dressurpferde. Während Polly sich noch gedanklich damit herum schlug, wie sie ihren Vater herumkriegen konnte, verriet Martine ihr, dass deren Vater bereits überlegte, einen eigenen Reitstall zu kaufen. Die Welt war ungerecht, dachte sie. Pollys Stimmung befand sich auf einem Tiefpunkt.

 

Aber Herr van Hopps fing sie heute in der Stallgasse ab und bot ihr wieder einmal ein Bonbon aus seiner kleinen, runden Dose an. Das war immer ein sehr gutes Zeichen. „Mache Dir heute mal Michi fertig. Der war mehrere Tage nicht raus, weil Cordula für die Schule lernen muss. Sie soll ja aufs Gymnasium“, sagte er und fügte dann verschmitzt lächelnd hinzu: „Du reitest ohne Kärtchen, also umsonst“.

 

Das war doch der Beweis, dass sie reif war für ein eigenes Pferd, dachte sie. Das konnten ihre Eltern wirklich nicht leugnen. Jetzt durfte sie schon wieder ein Pony bereiten, weil die Pächterin selbst nicht konnte. Warum nahm der Reitlehrer ausgerechnet sie und nicht irgendwen anderes? Sahen ihre Eltern das denn nicht? Sie ritt gut und war talentiert. Alle sahen das, nur die eigenen Eltern nicht.

 

Polly hatte Michi schon lange nicht mehr geritten. Sie ritt

Entweder Little Lord in der Schulstunde oder, bis vor ein paar Tagen auch das Pony Star, das aber dann verkauft wurde. Das Shetty Browny von Celine zählte sie schon gar nicht mehr mit. Aber das beritt sie ja auch noch regelmäßig.

 

Sie sollte die Abteilung anführen. Michi fühlte sich super weich und durchlässig an. Abwarten, dachte Polly. Mal sehen, ob er im Trab auch so gut ist. Das schwarze Doppelpony trabte tatsächlich butterweich. Er reagierte ohne Verzögerung auf Schenkeldruck. Auch die Paraden nahm es sofort an und ließ sich ganz leicht an den Zügel stellen. So angenehm hatte sie das Pferdchen gar nicht in Erinnerung.

 

Voller Begeisterung gab sie sich besonders Mühe. Es fiel sogar dem Reitlehrer auf. Daher ließ er in dieser Stunde besonders viele Schlangenlinien durch die ganze Bahn reiten. Im Trab und im Aussitzen. Die anderen Kinder auf ihren Schulponys stöhnten laut. Schlangenlinien waren besonders anstrengend. Die Umstellung von rechts nach links und umgekehrt war auf Schulpferden grundsätzlich nicht leicht.

 

Nur Polly lachte fröhlich. Michi lief genau, wie sie wollte. Ihr machte es gar nichts aus, als der Reitlehrer sieben Bögen verlangte. Es sollte ein Scherz sein. Die andren murrten schon. Aber Polly ritt sie tatsächlich aus.

 

Der Reitlehrer beobachtete das Spiel und ließ die Abteilung angaloppieren. Dann sollten die Kinder Schlangenlinien im Galopp reiten mit einem einfachen Wechsel (zum Schritt natürlich!) beim Durchreiten der Mittellinie. Zu erst mit drei Bögen, dann mit fünf.

 

Polly wusste, wie man einen korrekten einfachen Galoppwechsel ritt. Vom Galopp unmittelbar zum Schritt durchparieren, ohne zu traben. Drei bis fünf Schritte sauberen Schritt, dann, ohne zu traben, wieder auf der anderen Hand angaloppieren. Michi reagierte so fein, dass es für Polly kein Problem gab – aber für alle anderen, die hinter ihr folgten.

 

Keiner sonst schaffte es, sein Pony vom Galopp in den Schritt zu reiten, ohne dazwischen Trabschritte zu machen. Daher gab es dauernd „Auffahrunfälle“. Ein großes Durcheinander entstand, und die Abteilung musste sich  neu aufstellen.

 

Plötzlich nahm Polly zwei fremde Männer in Sakkos wahr, die an der Bande standen und nun den Reitlehrer ansprachen. „Wir kommen von der Kripo“, sagten sie und nannten ihren Namen. Polly konnte die aber nicht verstehen.

 

Polly bekam einen Schreck. Die wollten sicherlich zu ihr wegen des gefundenen Skeletts. Aber der Reitlehrer drehte sich nicht nach ihr um und rief sie auch nicht heran. Polly kannte die beiden Männer nicht. Die Kripobeamten, die wegen des Skeletts recherchierten, waren andere gewesen. Vielleicht waren das höhere und sie kamen, um ihren Erfolg zu melden, dass das Verbrechen aufgeklärt sei, dachte Polly, während sie trocken ritt. Aber sie schnappte kein Wort auf, das auf ihren grausigen Fund hindeutete.

 

Irgendwie war Polly enttäuscht. So oft hatten Kriminalbeamte sie befragt. Irgendeiner von ihnen hatte immer mit Polly sprechen wollen. Außerdem hatten sie versprochen, sofort Bescheid zu geben, sobald die Ermittlung abgeschlossen sei, um wen es sich bei dem Skelett handelte und wer der Mörder gewesen sei. Der eine Beamte hatte sogar Polly versprochen, ihr als erstes Bescheid zu geben. Sie und ihre Freundin Martine hatten ja schließlich das Skelett in der alten Scheune gefunden. Aber nichts dergleichen geschah.

 

Nach der Reitstunde kam Herr van Hopps noch mal in den Ponystall, wo Polly Michi versorgte. „Du weißt, warum das heute so gut geklappt hatte mit Dir und Michi, oder?“, fragte er Polly. Dann wies er Polly darauf hin, wie zielstrebig und konsequent Cordula immer trainierte. Sie gehörte zu den Kindern, die sich fast nie an den albernen Scherzen der anderen beteiligten. So war Cordula auch in der Schule. Sie war Klassenprimus beziehungsweise in ihrem Fall sogar Jahrgangsbeste ihrer Schule. Der Reitlehrer hatte voll Recht: Cordula ritt nicht einfach nur, sie trainierte wie die Großen. Es stimmte schon: Michis Durchlässigkeit war auffallend gut gewesen. Das musste Polly ohne Neid anerkennen. Cordulas Eifer hatten ihr ein voll cooles Reiterlebnis beschert. Ohne ernsthaften Einsatz würde auch sie nicht besser werden als der Durchschnitt. Sie selbst musste sich in Zukunft noch mehr anstrengen. Polly verlor ihr Zeil nicht aus den Augen.

 

Die beiden Polizeibeamten verließen, einen Gruß murmelnd, den Stall. Es war Martine, die Polly sagen konnte, was die hier wollten. Martines Vater hatte Anzeige erstattet wegen Tierquälerei. Keiner im Stall hatte das gewusst. Erst jetzt kam heraus, was Martine Polly schon vor drei Wochen erzählt hatte. Die ganze Familie Neureich hatte sich ein Dressurpferd anschauen wollen, was in einem anderen Stall zum Verkauf stand. Weil sie aber viel zu früh dort angekommen waren, hatten sie den Verkäufer erwischt,  wie er vor dem Termin sein armes Pferd „stundenlang“ eng ausgebunden in der Box hatten stehen lassen. Das hatte Herr Neureich bei der Polizei angezeigt.

 

Die Kripo hatte tatsächlich Ermittlungen aufgenommen und herausgefunden, dass der Verkäufer, der außerdem Wochenende für Wochenende als Dressurrichter auf ländlichen Turnieren fungierte, diese schändliche Praxis schon oft angewandt hatte. Die Kriminalpolizei hatte den Fall der Staatanwaltschaft übergeben. Herr Neureich hatte das Richtige getan.

 

So erklärte sich, dass Polly diesmal nicht gefragt war. Es hatte alles nichts mit ihr zu tun. Aber „ihr“ Fall war bis jetzt nicht aufgeklärt.

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

 

 

 

 

Um die Nutzbarkeit unserer Seiten zu verbessern, verwenden wir Cookies. Falls Sie mit der Speicherung von Cookies nicht einverstanden sind, finden Sie hier weitere Informationen. Weitere Informationen >>> Cookie-Hinweis.

Hinweis >>>