Der Traum eines kleinen Mädchens...(126) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 02. Mai 2012 um 12:16

Neid und Missgunst im Stall...

 

 

Im Reitstall hatte die nunmehr zwölfjährige Polly viele Freunde gefunden. Der „harte Kern“ ihrer Clique umfasste ungefähr fünfundzwanzig Kinder und Jugendliche. Die Jüngsten waren acht Jahre alt, die Ältesten Anfang zwanzig.

 

Ihre Klassenkameraden, mit denen sie die meisten Stunden am Tag  sonst immer zusammen war, standen ihr keineswegs so nahe wie die Gleichgesinnten beim Reiten. Im Stall waren es die Tiere, die Ponys und Pferde als Bindeglied.

 

Wenn Polly in Gedanken die Beziehungen zwischen sich und den Klassenkameraden bzw. mit den Sportkameraden verglich, stellte sie dennoch eine ganz bestimmte Parallele fest. Für sie gab es keinen größeren Stress, als von einem Lehrer vor der gesamten Klasse aufgerufen zu werden, um einen Sachverhalt zu erläutern oder an der Tafel eine Mathematik-Aufgabe zu lösen. In so einer Situation wurde ihr sofort heiß, Schweiß trat ihr auf die Stirn. Sie hörte ihre eigene Stimme, die  schrill und fast kreischend in ihrem Kopf  schepperte. Es entstanden Worte in ihrem Mund, die sie nie hätte sprechen wollen. Sie kamen einfach. Nichts konnte sie dagegen tun. Sie erlebte Stress pur.

 

Nach so einem Schreckenserlebnis vor der Klasse, bei dem in der Regel durchaus nicht alles so falsch war, wie sie in dem Moment fürchtete, konnte sie sich ihren Freundinnen in der Pause nicht anschließen, sie musste alleine sein. Beim Bedenken dieser Zustände stieß sie darauf, dass die anderen ganz unterschiedlich reagierten, wenn sie vom Lehrer befragt wurden oder einen Test zurück bekamen. Alles lief ganz unterschiedlich ab.

 

Der Punkt war letzten Endes, dass sich niemand aus der Klasse solchen Situationen entziehen konnte. Der Streber ärgerte sich über eine Eins, der schwächere freute sich schon, dass er keine Fünf geschrieben hatte. Aber keiner blieb unbeobachtet. Es konnte ja keiner einfach das Klassenzimmer verlassen. Fazit: man stand ständig unter Beobachtung. Somit kannte einen jeden die Klassenkameraden am besten. Dazu gehörten nicht einmal die Eltern, dachte Polly. Und beim Reitsport war es so ähnlich.

 

Wenn es einmal nicht so klappte, wie man wollte, konnte man auch nicht einfach absteigen und aus der Reitbahn rennen. Brachte der Reitlehrer einmal Kritik an, hörten alle anderen Reiter in der Bahn mit. Und alle beobachteten, wie ein jeder sich verhielt. In der Schule lief vieles schlimmer ab, aber beim Reiten ging es vor allem um Anerkennung.

 

Bei den Freunden aus Pollys Clique konnte keiner mehr dem anderen etwas vormachen. Man kannte sich mittlerweile schon über ein paar Jahre. Fast alle wollten die Besten im Reiten werden und dann sein. Vor allem Cordula und Polly. Nur, dass Cordula auch in der Schule zusätzlich die Beste sein wollte…

 

In der letzten Woche bat der Reitlehrer Polly, Cordulas Michi zu reiten, weil die für die Schule lernen musste. Ein gigantisches Reitgefühl erlebte Polly auf Michi, der sonst nur von der ehrgeizigen Cordula regelrecht trainiert wurde. Es war für Polly ein Traum gewesen. Sogar der Reitlehrer zeigte sich sehr begeistert, wie alles klappte.

 

Als Cordula wieder in den Stall kommen durfte, fragte sie Herrn van Hopps gleich, wer Michi geritten hätte und wie es gewesen wäre. Danach bedankte sich Cordula bei Polly und gab ihr ein „Dankeschön“-Kuvert mit fünf Euro. Alle waren höchst zufrieden.

 

Gestern nun, am Maifeiertag, erschien Cordula im Stall – und lief grußlos an Polly vorbei. „Bestimmt hat die an Hausarbeiten gedacht“, sagte sich Polly. Dann trudelten Pollys Freundin Martine und deren Schwester Brigitta ein. Brigitta drückte sich wortlos an Polly vorbei und guckte in eine andere Richtung. Martine war wie immer. Sie plapperte drauflos wie bekannt. Das mit Cordula und jetzt auch noch mit Brigitta – das schien doch sehr seltsam.

 

Beim Betreten der Sattelkammer sah Polly Cordula und Brigitta zusammenstehen und hörte sie flüstern. Sie verstummten sofort, als sie Polly bemerkten. Kein „Hallo“, wie sonst. Die beiden Mädchen packten ihren Kram und verließen den Raum wortlos. Polly stand da wie auf dem Bahnhof vergessen.

 

Sie hatte ihnen doch gar nichts getan. Was hatten denn die beiden? Sie hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Gesten noch war Cordula hocherfreut und dankbar gewesen. Was war heute?

 

Polly ging alle Gespräch, die sie mit jemandem aus der Clique geführt hatte, nochmals in Gedanken durch. Sie konnte sich  nicht erinnern, über Cordula oder Brigitta gelästert zu haben.

 

Doch auch nach der gemeinsamen Reitstunde redete keine der beiden Mädchen mit Polly. Sie ignorierten sie völlig. Zueinander sprachen sie aber unaufhörlich mit auffallend harmloser, etwas zu lauter Stimme. So, als ob sie es extra täten. Und so, als ob ihre Gespräche einen besonders wichtigen Inhalt hätten, von dem Polly aber keine Ahnung hätte.

 

Mit dieser vergifteten Atmosphäre kam Polly überhaupt nicht klar. Es erdrückte sie, zumal sie ja keine Ahnung hatte, was die beiden gegen sie hatten. Mit allen anderen unterhielten sie sich auffallend freundlich und angeregt. Nur mit Polly nicht.

 

Polly fühlte sich ausgegrenzt. Sie wurde abgewiesen. Jedenfalls von zwei Freunden aus der Clique. Der Zustand wurde immer unerträglicher für sie. Schließlich fragte sie ihre Freundin Martine. Die aber wusste nicht, was mit ihrer kleinen Schwester los war. Die anderen mochte Polly nicht hineinziehen, solange sie selbst nicht wusste, worum es ging.

 

Brigitta musste das zweite Pferd ihres Vaters reiten. Dadurch nutzte Polly die Gelegenheit, Cordula alleine anzusprechen. „Lass mich in Ruhe!“, giftete die zurück. „Verpiss Dich“, zischte sie Polly entgegen. „Hau endlich ab!“, spuckte sie in Pollys Richtung.

 

Langsam drehte sich Polly um. Cordula sollte ihre Tränen nicht sehen. Langsam verließ sie den Stall und fuhr auf ihrem Fahrrad nach Hause.

Sie blieb den ganzen übrigen Tag in ihrem Zimmer. Sie bekam Bauchschmerzen und verzichtete aufs Abendessen.

 

Unter der Bettdecke schluchzte sie heftig. Was konnte sie tun? Wie war es dazu gekommen? Wieso waren die so zu ihr? Warum sprachen die ehemaligen Freundinnen nicht mehr mit ihr? Wie sollte sie sich da verteidigen?

 

Immer wieder kreisten tausend Fragen in Pollys Kopf, auf die sie keine Antwort fand. Ihr Kopfkissen war ganz nass vor lauter Tränen.

 

Plötzlich wurde die Bettdecke über ihr hochgezogen. Mama hielt ihr das Telefon hin: Martine. Pollys Freundin, Brigittas Schwester, kam direkt zum Punkt. Sie hatte nämlich ihre Schwester direkt gefragt, was sie gegen Polly hätten. Dabei war heraus gekommen, dass Brigitta bei Cordula behauptet hatte, Polly hätte Michi mit „Schlitzern“, ganz scharfen Rädchensporen, geritten. Daher kämen die Verletzungen, die Cordula bei Michi in den Seiten festgestellt hatte.

 

Polly fiel aus allen Wolken. Erstens hatte sie keine Sporen für Michi gebraucht. Zweitens hatte Michi, solange sich Polly um ihn gekümmert hatte, keine Verletzungen aufgewiesen. Drittens hätte Cordula sie ansprechen können. Warum nur hatte Brigitta so eine gemeine Lüge erzählt?

 

Martine druckste am Telefon herum. Dann erzählte sie Polly, wie sie ihre Schwester ob so einer ungeheuerlichen Behauptung, den Kopf gewaschen habe. Brigitta wäre ganz kleinlaut geworden und hätte sich nur noch gewehrt mit den Worten: „Polly kann gar nicht so gut reiten, wie der olle van Hopps immer behauptet. Ich reite viel besser.“

 

 

Jetzt fiel es Polly wie Schuppen von den Augen: Die blöde Kuh war neidisch und hat sie deswegen bei Cordula angeschwärzt. Wahrscheinlich erhoffte sie, demnächst Michi reiten zu dürfen.

 

 

Gleich morgen, noch vor der Schule, würde sie Cordula zuhause anrufen und den Sachverhalt richtig stellen. Jetzt hatte Polly die Möglichkeit, zum Gegenangriff auszuholen. Und die konnte sicher sein, dass Polly sich etwas einfallen ließ.

 

Beim Einschlafen verflog Pollys Wut auf Brigitta. Was übrig blieb von diesem Tag war eine tiefe Enttäuschung. Hatte Polly doch geglaubt, alle aus der Clique seien so etwas wie wahre Freunde. Von denen dachte sie, dass sie sich mit ihr über etwas Erfolg beim Reiten freuen würden. Aber, Neid…. Das kannte Polly bisher nicht.

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

 

 

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