Der Traum eines kleinen Mädchens...(129) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Dienstag, 29. Mai 2012 um 16:03

Eine Hexe, die gar keine ist...

 

 

Polly saß mal wieder träumend im Klassenzimmer, sie hörte nicht, was die Lehrerin von sich gab. Sie träumte von den herrlichen Pfingsttagen, die sie größtenteils im Reitstall verbracht hatte.

 

Das Wetter war hochsommerlich, so dass sie und ihre Freunde sich ausschließlich außerhalb der Stellungen aufhielten. Das Pony-Reiten fand sogar auf dem großen Platz statt. Zuerst gab es ein großes Durcheinander, weil die Ponys sich auch an den Sonnenstrahlen erfreuten und dementsprechend herum sprangen. Bis die jungen Reiter es schafften, eine Abteilung zu bilden, war ein kleiner Reitschüler schon im Sand gelandet. Mäxchen hat mal wieder „die Sau rausgelassen“ und den Jungen abgeworfen.

 

Aber nicht alles war so in Ordnung wie das Wetter. Polly war noch immer sauer auf Anton, der nur Mist erzählte. Sie strafte ihn mit Nicht-Achtung. Selbst einen Gruß, wie „hallo“, verweigerte sie ihm. Demonstrativ wandte sie den Kopf ab, wenn er an ihr vorbei ging, und schaute in eine andere Richtung. Jedenfalls hielt sie das Verhalten bis zum Pfingst-Wochenende durch. Dann wurde es ihr lästig und sie grüßte einfach nur nicht mehr.

 

Letzte Woche war sie so entsetzt gewesen, dass Anton die schwere Kolik von Burgos an Pollys Reitweise festmachte. Sie war so geschockt gewesen, dass sie nur noch fort wollte. Dabei konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen und lief einfach den Feldweg entlang, der vom Reitstall-Gelände wegführte.

 

Polly musste erst dann anhalten zum Luftholen, als sie in Höhe des Häuschens war, welches von dem verwunschenen Grundstück umgeben war. Sie ließ sich am Wegesrand nieder, und da wurde ihr bewusst, wie weit sie gelaufen war.

 

Polly hatte gehört, dass auf diesem Grundstück eine ältere Dame allein mit ihren Tieren lebte. Sie hatte sogar schon einmal mit ihr gesprochen, obwohl man über die alte Dame munkelte, dass sie anders wäre. Der blöde Anton, der ja irgendwie in  deren weiterer Nachbarschaft lebte, behauptete sogar immer, dass es sich um eine richtige Hexe, eine moderne Hexe,  handelte. Sie sei gefährlich. Die Erwachsenen mieden diese Frau. Jeder mied sie.

 

Polly versuchte, sich von dem Schock des ungeheuerlichen Vorwurfs zu erholen, als genau diese Frau an ihr Gartentörchen trat und Polly ansprach. „Kannst Du mal hereinkommen und mir helfen?“ fragte sie Polly und erklärte dann, dass sie den Huf eines ihrer Isländer-Ponys behandeln müsse und jemanden brauchte, der den Huf hochhielt. Polly erschrak. Konnte sie es wagen, das verwunschene Grundstück zu betreten? Was, wenn die Frau sie nur anlocken wollte? Hatte die vielleicht etwas mit Polly vor? Was, wenn sie wirklich nur Hilfe beim Verarzten ihres Ponys brauchte und Polly half ihr nicht? Das wäre doch dem Tier gegenüber gemein, oder?

 

Polly zögerte und stand auf. Langsam ging sie zu dem verrosteten Törchen. Die Frau hatte es schon mit einem sehr großen, alten Schlüssel aufgeschlossen und streckte ihre knochige Hand nach Polly aus. Dabei war es nur ihre Absicht, Polly zur Begrüßung die Hand zu schütteln. Mehr nicht.

 

Polly folgte der Frau in Richtung der Gebäude, die zwischen den Bäumen, Sträuchern und Blumen erst gar nicht zu sehen waren. Polly konnte Tiere riechen. Zuerst vernahm sie das Gackern der Hühner, die sah sie dann auch schon. Und Kaninchen.  Danach den vertrauten  Geruch von Pferden, der beruhigend auf  Polly wirkte. „Jemand, der so viele Tiere um sich hat, kann kein schlechter Mensch sein“, murmelte sie, um sich selber etwas Mut zu machen, als sie den Pferdestall hinter der alten Dame betrat.

 

Alles war wie geleckt. Nicht einmal Spinnweben an der Decke waren zu sehen. Die Fensterrahmen, sehr alt, wie das ganze Gebäude, von denen man aber erkennen konnte, dass sie einmal mit weißer Farbe gestrichen waren, auch ohne die unvermeidlichen Fliegenschisse. Auf der Stallgasse lag nur ein einziger Strohhalm. Den musste eines der Ponys durch die Gitterstäbe seiner Box geworfen haben.

 

Es gab vier Boxen, von denen die Frau eine öffnete und hinein trat. Zunächst konnte Polly dort kein Pony erkennen. Sofort blieb sie vorsichtig stehen und wartete ab. Wollte die Frau sie in die Box locken? Polly hörte die Frau etwas murmeln. Sie vernahm keine erkennbaren Worte. Doch dann schaute ein hellbrauner Isländerkopf aus dem Stall. Die Frau führte das Pferd vorsichtig aus der Box. „Man muss immer darauf achten, dass die Pferde sich nicht die Hüftknochen an den Türrahmen anstoßen und verletzen“, erklärte sie ihre umsichtigen Bewegungen.

 

Tatsächlich konnte Polly der alten Damen behilflich sein. Sie hielt den Huf  hoch, während die Frau den Verband wechselte. Sie erklärte dabei, dass ihr Pony eine Verletzung in der Hufsohle hatte, die sauber gehalten werden müsste. Den ersten Verband hatte sie dem Pferd im liegen angelegt. Das war spätabends gewesen, als das Pferd sich vor Schmerzen schon hingelegt hatte. Nun ging es dem Tier besser, aber die Wunde musste wieder gesäubert und ein neuer Verband angelegt werden. Weiter erklärte die Frau, dass Hygiene auch in einem Stall für Tiere äußerst wichtig sei. Deswegen achte sie darauf, dass ein Minimum an Sauberkeit eingehalten würde. Dazu gehörten eben auch das Entfernen von Dreck und Spinnenwebe an Decken und Wänden.

 

Die Dame erklärte Polly viel mit ruhiger, fester Stimme. Es gab so viel, was Polly noch nie gehört hatte. Dinge, die mit den Tieren zu tun hatten, aber über die nie im Reitstall gesprochen wurde. Stallhygiene war so ein Thema. Polly fand es voll spannend, was die alte Frau alles zu erzählen wusste. Auf einmal wurde Polly bewusst, dass diese Frau überhaupt keiner Hexe glich.Vielmehr schien sie sich ganz besonders in ihre Tiere hineinversetzen zu können. Sie wusste genau, was jedes Tier brauchte. Sie zeigte Polly alle ihre Tiere, die auf dem Grundstück ihr lebten.

 

Dann wies sie Polly auf viele verwunschene Ecken ihres Gartens hin. Sie machte Polly auf viele kleine Wunder der Natur aufmerksam, und Polly lauschte ihr, deren Interesse geweckt wurde. Polly hätte nicht  gedacht, dass dieses „vernachlässigte“ Grundstück so viel verbarg.

 

Pollys Gastgeberin durchstreifte früh angelegte Beete, überwucherte Trittsteine und von der Natur zurückeroberte Anlagen.

 

Die Dame machte Polly auf Vogelkästen aufmerksam, aus denen, auf Nistkästen, aus denen die junge Vögelchen herausschauten, die nach Futter schrien. Polly war verzückt. Es war wie in einem Märchen, bemooste Trittsteine, eine faszinierende Traumwelt,  meilenweit vom Reitstall und von Anton entfernt. Schließlich bat die alte Dame sie ins Haus, sie bot Plätzchen und Tee an. Gerade, als Polly fragen wollte, ob sie noch mal wiederkommen dürfte, hörte sie Aggi nach ihr rufen.

 

Polly bedankte sich artig und verabschiedete sich rasch. Ein wenig schämte sie sich schon, dass sie der lieben alten Tierfreundin so misstrauisch gegenüber gewesen war. Sie nahm sich vor, in Zukunft häufiger hierhin zu kommen. Es gefiel ihr dort in dem für sie kleinen Paradies. Rasch lief sie weg, Aggi hatte ja schließlich gerufen.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

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