Der Traum eines kleinen Mädchens...(132) Drucken
Geschrieben von: Uta Helkenberg   
Donnerstag, 21. Juni 2012 um 14:35

Das Pony rast los und stürzt...

 

 

Am vergangenen Sonntag atmete die Stallgemeinschaft des Reitstalles Hubertus erleichtert auf. Auch Polly war sehr erfreut, weil der in der vergangenen Woche verunglückte Alois wieder putzmunter und laut pfeifend  im Stall auftauchte. Er begleitete seinen Bruder Norbert, der sein Pferd mitbrachte. Auch, wenn er selber noch nicht wieder reiten durfte, so hatte Alois Glück gehabt, er trug keine bleibenden gesundheitlichen Schäden davon.

 

Polly verehrte Alois sehr. Als sie hörte, dass er ein paar Tage im Krankenhaus bleiben sollte, war sie doch sehr erschrocken. Sie stellte sich einen großen Verband an seinem Kopf vor, wegen der Gehirnerschütterung,  und dass er regungslos, fast wie tot, im Krankenbett lag, weil seine Schulter operiert werden musste.

 

Für sich selber hatte sie aus dessen Unfall gelernt, sich nie auf ein unbekanntes Pferd zu setzen, sondern es sich immer zuerst vorreiten zu lassen.

 

Wie schnell sie aber genau in diese Situation kommen würde, hatte sie da noch nicht geahnt. Sie war schneller mit so einer kniffligen Situation konfrontiert, als sie es für möglich gehalten hätte. Das war nun genau heute der Fall.

 

Die erste Pony-Schulstunde hatte bereits begonnen. Herr van Hopps, der Reitlehrer, stand bereits in der Bahn und gab laute Kommandos. Polly war im Stall und putzte Little Lord, dessen Fell wieder mehr grau als schwarz schimmerte. Auch noch so viele Bürstenstriche reichten nicht, das Fell glänzte einfach nicht. Aber sie hatte Zeit genug, weil sie erst in der nächsten Reitstunde dran war. Strich für Strich,  Gedanken versunken, führte sie die Bürste über das dichte Fell des Rappen, dann an dem Striegel vorbei, als sie das Ankommen eines großen Pferdetransporters vernahm, aus dem Hufgetrampel zu hören war.

 

Polly, die immer vor Neugierde fast platzte, ließ Little Lord einfach angebunden in der Pony-Stallgasse stehen, um nach draußen zu laufen. Sie war so naseweis, welche Pferde geliefert wurden, dass sie mit ihrer rechten Schulter und dem rechten Hüftknochen voll vor die Stalltür-Zarge lief. Sie spürte den Schmerz kaum und lief weiter nach draußen.

 

Den Mann, der grade seinen linken Fuß aus dem Führerhaus setzte, kannte Polly. Es handelte sich um Piotrek, einen Polen, der in den Sommermonaten auf dem großen Hof arbeitete, von wo die neuen Schulponys für den Reitstall Hubertus kamen. Er ließ die Rampe herunter und schob eine Eisenstange beiseite. Dann griff er nach den Halftern von zwei Ponys, die er ohne Strick die Rampe herunterführte. Im Vorbeigehen rief er Polly zu: „Wohin soll ich sie bringen?“

 

Natürlich hatte Polly keine Ahnung. Sie hatte noch nicht einmal gehört, dass wieder neue Schulponys kommen sollten. Sie wusste nicht, was sie dem Mann antworten sollte, als Stalleigentümer  Lichtenhügel um die Ecke bog. Außerdem war er der Vater von Pollys Kumpels Harald und Maria.

 

„He, Mädchen, wie ähm, ähm, ähm, wie heißt Du noch? Mach dir mal eins der Ponys fertig und setzt Dich schon mal drauf. Mal sehen, wie die laufen“, sagte er zu Polly, er schaute sie nicht an. Polly ärgerte sich darüber ein wenig, dass dem nicht mal ihr Name einfiel. Dabei kam sie nun schon länger als vier Jahre fast jeden Tag in seinen Reitstall. Bei Harald und Maria war sie sogar schon in seinem Privat-Haus zum spielen eingeladen. Die wohnten in der Nähe vom Moerser Eck.

 

„Was soll ich tun?“ fragte sie sich, Sie kannte die beiden Pferdchen ja überhaupt nicht. Es war doch gerade erst der Unfall mit dem Neffen von Herrn Lichtenhügel passiert. Weiß der das denn nicht? Ich will mich nicht einfach auf fremde Pferde setzen, nachher passiert mir auch so etwas wie dem Alois. Polly schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Aber, er war doch der Eigentümer, eine ganz wichtige Person. Sie konnte sich doch nicht einfach weigern. Was sollte sie tun. Unter keinen Umständen wollte sie unhöflich erscheinen.

 

Herr van Hopps war noch in der Reitstunde. Den konnte sie nicht stören. Joachim, der Hilfsreitlehrer, war noch nicht da. Wen konnte sie fragen? Polly befand sich in einer Zwickmühle. Sie wollte sich nicht auf ein unbekanntes Pony setzen.

 

Langsam holte sie erst einmal Putzzeug. Damit würde sie Zeit gewinnen. Sie putzte an dem völlig verdreckten Pony herum, dauernd dachte sie nach, wie sie sich am besten verhalten sollte. Da kam Herr Lichtenhügel schon wieder und verlangte, dass sie sich beeilen solle. Er hätte noch einen Termin und möchte vorher gerne wissen, wie die Neuen gingen, ob sie gut für den Schulbetrieb sein würden.

 

Polly holte Sattelzeug. Mehr gewissenhaft und gründlich als nötig verschnallte sie die Trense für das neue Pony. Wieder, um Zeit zu gewinnen.

 

 

Das war gut so. Denn nun kam Aggi um die Ecke und mit ihr konnte Polly reden. Schnell erklärte sie die Situation, in der sie sich gerade befand. „Kein Problem. Ich red mit dem“, beruhigte sie Polly.

 

Schließlich einigte man sich darauf, dass Aggi das neue Pony an die Longe nehmen würde und so aufpassen könnte, wenn Polly es das erste Mal ausprobierte. Aggi könnte so jederzeit Einfluss nehmen, falls das Pony die „Sau raus lassen sollte“.

 

Zur Sicherheit beschloss Aggi, das Pferdchen erst einmal abzulongieren. Das war in der neuen Umgebung ziemlich aufgeregt. Als Aggi die Longe locker ließ und vorsichtig die Longierpeitsche Richtung Sprunggelenk anhob, preschte es unvermittelt los. Aggi konnte so schnell die Longe nicht aus den Händen gleiten lassen und abrupt hielt sie diese fest, so dass das Pony so einen starken Ruck ins Maul bekam und dadurch die Beine verlor. Das Pony lag am Boden.

 

Ganz verdutzt schaute es Richtung Polly, dann zu Aggi. Es rappelte sich auf und schüttelte sich kräftig. Der Sand flog aus seinem Fell, wie Wasser aus der Dusche. Dann blieb es ruhig stehen.

 

Aggi war genauso erschrocken wie Polly und das betroffene Pony. „War wohl zu doll!“, sagte sie bedauernd. „Ich habe einfach die Longe zu fest gegen gehalten“, erklärte sie. Dann schaute sie das Maul des armen Tieres an und stellte beruhigt fest: „Nichts passiert, keine Verletzung“

 

Nun erzählte sie von einem Reiter, der vor vielen Jahren einmal ein junges Pferd anlongieren wollte. Das preschte damals genauso los wie heute das neue Pony. Der Mann hielt die Longe genauso fest wie Aggi. Aber mit voller Absicht und mit viel mehr Kraft. Er brach dem jungen Tier den Unterkiefer dabei. Es musste eingeschläfert werden.

 

Während Aggi Pollys Reaktion genau beobachtete, wurde ihr Gesicht immer trauriger. Es entstand eine Pause. Jede hing den eigenen Gedanken nach.

 

Dann lachte Aggi plötzlich und sagte fröhlich zu Polly: „Vielleicht war das so, vielleicht war es auch nur eine Legende unter Pferdeleuten.“ Polly atmete auf.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

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