Der Traum eines kleinen Mädchens...(135) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 11. Juli 2012 um 17:40

Polly halb im Glück...

 

Seit ihrem siebten Geburtstag ging Polly zum Ponyreiten. Seit nunmehr fünf Jahren gehörte sie der Stallgemeinschaft des Reitstalles Hubertus an. Die Reiterei bedeutete ihr alles.

 

Im Laufe der vielen Jahre hatte sie feststellen müssen, dass sich das Leben in seiner Vielfalt in der kleinen Gemeinschaft eines Reitvereines wiederfindet. Diese Vielfalt betrifft nicht allein die Rassen der Pferde, sondern alles andere auch. Die Reitkollegen, Erwachsene, Jugendliche und Kinder waren so unterschiedlich wie die Tiere auch. Als Polly bewusst wurde, dass jedes Pony, jedes Pferd, seinen ganz eigenen Charakter hat, wunderte sie das sehr. Bisher, als kleines Mädchen von erstmals sieben Jahren, dachte sie: „Ein Pferd ist ein Pferd.“ Sie lag falsch.

 

Heute morgen, als die Lehrerin vor Pollys Klasse stand und etwas von Rentabilität vortrug, schaute Polly wieder einmal nur aus dem Fenster. Das Beispiel von megagroßen Getreidefeldern in Amerika und vergleichsweise kleinen in Ostdeutschland nahm sie gar nicht wahr. Sie spann ihre Gedanken weiter und dachte an große Skandale aus dem Leben der Promis auf der ganzen Welt und die kleinen Skandale, die sich in der Stallgemeinschaft ereigneten. Dazu gehörte der neueste Skandal, dass die erst sechszehnjährige Manuela wahrscheinlich von einem vierzehnjährigen ein Baby bekommen hatte.

 

Das geschah vor zehn Tagen etwa und hatte eine Lawine von Ereignissen losgetreten. Nicht alles davon war negativ. Jedenfalls nicht für Polly.

 

Am gleichen Abend noch, als die völlig überraschende Geburt bekannt wurde, erschien der für alle bis dato unbekannte Vater des mutmaßlichen Erzeugers, Anton, im Reitstall. Antons Vater hieß ebenfalls Anton, mit Nachnahmen Käse. Auch das hatte bisher niemand gewusst, weil Anton, der Freund aus Pollys Clique, nie darüber gesprochen hatte. Da Anton selber den Reitsport nicht ausübte, war er für Polly und die meisten anderen nicht so interessant, dass sie nach seinem Familiennamen gefragt hatten.

 

Anton sen. jedenfalls erschien deutlich aufgebracht im Stall und stellte sich dem erstbesten laut und deutlich vor und verlangte, bat nicht, sondern forderte, einen Verantwortlichen zu sprechen. Es war ausgerechnet der Pferdepfleger Pitter, dem er sein Ansinnen vortrug. Aufgrund seiner Erregung und der Wahl seiner Worte verstand der arme Pferdepfleger überhaupt nicht, was der Mann von ihm wollte.

 

Die forsche Gudrun, die gerade dabei war, ihr Pferd zu bandagieren, beobachte die Begegnung zweier Welten auf der Stallgasse des Reitvereins. Sie grinste. „Verantwortlich für was?“, mischte sie sich in den Dialog ein und gab dem Pitter somit die Gelegenheit zu verschwinden.

 

Schließlich führte sie Herrn Käse zu Reitlehrer Herrn van Hopps. Kaum hatte der die Möglichkeit zu erkennen, wen er vor sich hatte, da stellte Herr Käse fest, dass sein Sohn erst vierzehn Jahre alt sei und noch „Jungfrau“. Somit verbitte er sich sämtliche Gerüchte, die seinen Sohn mit der Erzeugung des Überraschungsbabys einer sechszehnjährigen Schülerin in Verbindung bringen würden. Im Übrigen würde er ansonsten sofort ein Gericht anrufen, um den betreffenden Lügner wegen Verleumdung verurteilen und vor allem bestrafen zu lassen.

 

Diese Drohung hörte jeder, der mittlerweile, ob des Lärms, herbei geeilt war. Polly und Ihre Freunde amüsierten sich königlich. Sie betraf es ja auch nicht. Und Anton, ihr Freund, war heute nicht anwesend. Er verzichte auf den ersten Auftritt seines Vaters an dem Ort, wo er seine Freizeit verbrachte und wo seine Freunde verkehrten.

 

Nun kam auch noch ein anderer, Manuelas unsympathischer Vater. Der erschien ungefähr zwei Stunden, nachdem der erste Vater wieder abgerauscht war Das allerdings nicht, ohne eine weitere Drohung auszusprechen: Er würde für seinen Sohn und das Baby eine Vaterschaftsuntersuchung in Auftrag geben und bei Feststellung der Nicht-Vaterschaft diese dem Reitstall in Rechnung stellen.

 

Der zweite Vater verhielt sich äußerlich ganz ruhig. Polly erkannte aber, dass dessen Muskeln über den Kiefergelenken unter der Haut hin und her sprangen, was ihr seine inneren Spannungen verriet. Außerdem waren seine Bewegungen nicht rund und geschmeidig wie sonst, sondern hart und eckig. Einfach unsympathisch eben. Den passenden Nachnamen hatte er schon: Eisauge. Manuelas Vater hieß Herr Eisauge. Er war aber „nur“ Stiefvater und hatte diesen unvermeidlichen Makel nicht an Manuela und ihren Bruder weitergeben können. Er war der zweite Ehemann von Manuelas reicher Mutter.

 

Er ging zielstrebig Richtung Büro beziehungsweise Richtung Tränke, wobei er an dem, wieder aufgetauchtem, höchst eingeschüchtertem, Pitter  - nichtgrüßend -  vorbeilief. Der atmete erleichtert auf und fuhr fort, seine Stallarbeiten zu verrichten. Er musste das Füttern aller Schulpferde und Ponys nachholen.

 

Herr Eisauge zog Herrn Lichtenhügel und den Reitlehrer quasi aus der Tränke heraus und in das Mini-Büro des Reitstalles. Nur, weil sie, aufgrund des verzogenen Holzes,  klemmte, schlug er die Bürotür nicht zu, sondern gab ihr einen heftigen Tritt, damit das Schloss einrastete. Von da ab konnten die Beobachter durch die große Scheibe nur noch sehen, was sich im Büro abspielte, nicht aber hören. Das sah in etwa so aus: Herr Eisauge fuchtelte mit den Armen wild in der Luft herum. Dann ballte er die rechte Faust und stieß sie mehrmals gegen den Reitstall-Eigentümer und dann wieder gegen den Reitlehrer. Herr Lichtenhügel, der nicht nur der Eigentümer der ganzen Reitanlage war und außerdem als erster Vorsitzender des Vereines fungierte, hielt seinen Kopf gesenkt und schien die Spitzen seiner glänzenden schwarzen Schuhe zu inspizieren, als ob sie das spannendste auf der ganzen Welt wären. Herr van Hopps aber stand mit hängenden Schultern und Unschuldsmiene vor dem „Ankläger“.

 

Nachdem Eisauge mit einem heftigen Ruck und aller Kraft die klemmende Bürotüre öffnen wollte, wäre er fast rücklings in Herrn Lichtenhügels Arme gefallen. Die Türe klemmte beim Öffnen nämlich keineswegs und gab sofort nach.

 

Ohne überhaupt jemanden aus der Stallgemeinschaft zu grüßen, verließ er den Ort, den er nun für einen Sündenpfuhl hielt. Deswegen ritt er auch die Attacke gegen die beiden Vertreter des Reitstalles. Im Übrigen stellte Eisauge fest, dass „seine“ Tochter grundsätzlich nicht lüge und demnach der vierzehnjährige Anton der Vater des Kindes seiner Tochter sei. Man könne getrost einer genetischen Untersuchung zur Feststellung der Vaterschaft entgegensehen. Er täte das jedenfalls. „Der kommt mir ans Bezahlen! So oder So“, fauchte er im Hinausgehen.

 

Des weiteren gehörte zu der schon erwähnten Lawine, dass, bis zur Klärung der familiären Gegebenheiten, Manuela nicht mehr in den Reitstall kommen dürfe. Da Manuelas Mutter sehr in die Firmengeschäfte eingebunden war, konnte sie es sich nicht erlauben, auch nur einen kleinen Teil ihrer Zeit im Reitstall und bei ihrem Pferd Imanuel zu verbringen. Das jedenfalls hatte Herr Eisauge gleich festgestellt.

 

Also musste ein Bereiter gefunden werden. Und damit wirkte sich die Geburt eines kleinen fremden Babys auch auf Polly aus: sie durfte in Zukunft das Groß-Pferd Imanuel reiten, ganz so, als wäre es ihr eigenes.

 

Das ergab sich aber nicht am gleichen Abend, als die beiden Herren, die sonst im Reitstall nichts zu suchen hatten, ihre Auftritte hatten. Erst am nächsten Tag fand ein Gespräch im Büro, das eigentlich nichts besseres als ein Bretterverschlag war, statt. Manuelas Mutter sprach mit dem Reitlehrer. Der rief  nach ein paar Minuten Polly ebenfalls ins Büro. Dort stellte Frau Eisauge ihr Problem dar und fragte Polly, ob sie ihr helfen wolle, ob sie bereit sei, regelmäßig Imanuel zu versorgen.

 

Natürlich wollte Polly das. Schließlich war Imanuel ein Großpferd und kein Pony. Dieser Umstand allein würde ihr in ihrer Clique einen anderen, höheren, Status einbringen. Aber sie würde natürlich erst ihre Eltern fragen müssen. Das sagte sie auch zu Frau Eisauge und Herrn van Hopps. Sofort sagte der zu der Neu-Großmutter: „Sie werden verstehen, dass Polly bei der Übernahme von soviel Verantwortung und Arbeitseinsatz nicht völlig ohne Entschädigung bleiben kann.“

 

Manuela hatte ein Baby und musste Windeln wechseln, Polly hatte ein neues „Berittpferd“ und würde Geld verdienen. Zwei völlig unterschiedliche Schicksale vereinten sich in dem einem Reitstall. Es war schon komisch, dachte Polly: für Manuela geschah ein Ereignis, das ihr Angst machte, für Polly wurde ein Traum fast wahr, indem sie ein großes Privat-Pferd wie ihr eigenes behandeln durfte und dafür sogar Geld bekam.

 

Aber Polly hatte noch einen Traum. Sie wollte an der Trainerstunde für die Turnierreiter teilnehmen. Ob Frau Eisauge es ihr erlauben würde, wenn Polly sie fragte? Sollte sie sich trauen, diesen Wunsch zu äußern?

 

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

 

 

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