Der Traum eines kleinen Mädchens (20) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Dienstag, 09. März 2010 um 19:00

Polly und das Verbrechen

20. Kapitel

 

Jetzt ist es wieder Mittwoch, der zehnte Mittwoch im neuen Jahr. Für Polly bedeutete das, dass sie heute das letzte Kärtchen der Weihnachts-Zehnerkarte abgeben würde. Glücklicherweise hatte sie zwei Zehnerkarten zu Weihnachten erhalten.  Die nächsten Reitstunden waren also noch gesichert, und Polly wusste genau, dass sie sich an Stelle von Schokoladen-Eier eine neue Zehnerkarte vom Osterhasen wünschen musste. Sie wollte richtig reiten lernen und eine weltberühmte Dressurreiterin werden. 

 
Voller Vorfreude stürmte sie durch das große Tor in den Stall hinein. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Freunde zu treffen. Zuallererst lief sie in den Ponystall. Aus ihrer Anoraktasche fischte sie wie immer Zuckerstückchen, die sie ihrer Lisa reichte. Dabei bildete Polly sich ein, dass das Pferdchen ihr entgegenwieherte. Aber nur ganz leise. Eigentlich war es mehr ein Schnauben. Aber für Polly war es deutlich zu hören.

 

Aus Versehen hatte sie drei Zückerchen auf ein Mal aus ihrer Tasche gezogen. "Zwei sind genug", dachte sie und steckte das dritte Stückchen Zucker zurück in die Tasche. Mitten in dieser Bewegung hielt sie aber inne. "Blödsinn", dachte sie. Sie hatte genug Zückerchen, um nach dem Reiten ihre Lisa noch damit zu belohnen. Sie könnte das Zückerchen dem Prinz geben. Aber der hatte sie letzte Woche so sehr geärgert. Er hatte es nicht verdient. Polly schlich weiter. Als sie an Prinz vorbeiging, drehte sich das Schimmelchen nach ihr um und schaute sie mit seinen großen schwarzen Augen an. Polly hatte das Gefühl, Prinz sei traurig. Als hätte er ihre Gedanken lesen können. "Kann ja gar nicht sein", dachte sie. Einen weiteren Schritt Richtung Ausgang, dann drehte sie  sich um und gab  dem Prinz das dritte Stückchen Zucker.  

 

In dem Moment voller Zufriedenheit über die eigene Großzügigkeit zerriss ein schriller Schrei den ganzen Reitstall. Petra brüllte wie am Spieß. Zuerst konnte Polly nicht verstehen, worum es überhaupt ging, was passiert war. Die anderen Kinder und die Erwachsenen kamen alle angerannt, sprachen auf Petra ein und fragten, was los sei. "Hu-Hu-Hu-Hu-Hu", heulte Petra weiter. "Geklaut, geklaut...Hu-Hu-Hu", schluchzte Petra heftig, wobei ihr schon Rotze aus der Nase lief. Polly verstand immer nur: "Geklaut, geklaut...".

 

Frau Dimmer, Petras Mama, kam angerauscht. Sie hielt noch ein halbvolles Sektglas in der Hand. "Wer hat meiner Tochter etwas getan?", rief sie sogleich in die Menschentraube herein. Alle wandten sich um nach ihr. Frau Dimmer trug einen schwarzen Mantel, der aus Fell mit vielen kleinen Löckchen gefertigt war. Der Mantel war nicht zugeknöpft, sodass er flatterte, als seine Trägerin durch die Stallgasse angesegelt kam. Petras Mutter war eine imposante Erscheinung. Polly hatte mal bei den Erwachsenen gehört, wie jemand sie "mondän" nannte. Aber Polly wusste nicht genau, was das Wort bedeutete. Mit "modern" hatte es offensichtlich nichts zu tun.

 

"Was ist hier los?" krächzte Frau Dimmer. Sie war so aufgeregt, dass ihre Stimme versagte und sie krächzte weiter: "Petra, was ist los? Warum heulst Du?". "Hu-hu-hu-hu-hu jemand hat meine Trense geklaut!" kam es stoßweise von Petra. "Ich hatte sie noch in der Sattelkammer, als ich das Sattelzeug holte. Jetzt ist sie weg, verschwunden. Jemand muss sie genommen haben".

 

Alle Umherstehenden schauten sich gegenseitig an. Einer unter ihnen war ein Dieb. "Wir rufen die Polizei", schlug der Reitlehrer vor. "Lass doch erst Mal nachdenken", sagte der Vater von Rolf, der eigentlich schon weggefahren sein wollte, als Petra losbrüllte. "Wo hattest Du denn die Trense noch?", fragte er das weinende Mädchen. "Wie sieht die Trense überhaupt aus", fragte Anne. "Wie ` ne Trense nun Mal aussieht. Sie war funkelnagelneu", fuhr Frau Dimmer Anne an, immer noch das, nun leere, Sektglas in der Hand.

 

"Hans, was machst Du hier eigentlich im Ponystall? Du reitest doch gar nicht. Du hast hier gar nichts  zu suchen. Also, warum bist Du hier?" fragte Herr van Hopps, der Reitlehrer, den blonden Jungen mit dem schiefen Schneidezahn. Alle Köpfe flogen herum und schauten auf Hansi. Der war ein Freund von Harald, dem einen Sohn des Stalleigentümers. Die Kinder mochten Hansi, obwohl er nie ritt. Er spielte aber gerne mit den Reitstallkindern und er spielte gerne Karten mit ihnen. Hansi wurde augenblicklich puterrot. Er schnappte nach Luft und wollte was sagen. Aber er brachte keinen Ton raus. Dann trat der Junge einen Schritt zurück. Plötzlich stand Hansi ganz alleine da und alle schauten ihn an.

 

"Wir holen doch die Polizei. Die finden den Dieb. Passt auf, dass der Hans sich nicht verdrückt", sagte Herr van Hopps ärgerlich. Die Kinder wussten, dass der Reitlehrer den Hansi nicht ausstehen konnte. Aber Hansi ein Dieb, das konnte nicht sein. Die Erwachsenen wussten, dass Hansis Vater ihn und seine Mutter verlassen hatte. Die Mutter von Hansi und er hatten nicht viel Geld. Die Mutter fuhr nur ein ganz kleines Auto, einen Fiat 500. Das wenige Geld war wahrscheinlich der Grund, warum der Hansi keine Reitstunden nahm, vermutete Polly. Der Junge, der bisher immer so nett zu Polly war, sollte sich als Dieb entpuppen. Polly konnte es kaum glauben.

 

Sie beobachtete, wie Anne sich von dem Menschenauflauf entfernte und von Pony zu Pony ging. Sie inspizierte bei jedem Pony die Trensen, also das Kopfstück mit Zäumung. Aber bei jedem Pferdchen schüttelte sie den Kopf. Polly verstand, was das zu bedeuten hatte.

 

"Der Hansi kann doch mit einer Trense gar nichts anfangen. Der hat doch gar kein Pony. Was soll der denn damit?" sagte plötzlich eine ruhige Männerstimme. Sie gehörte zu Herrn Lichthügel, der gerade angekommen war. Die kleine Maria, Haralds Schwester, hatte sehr große Angst bekommen, als feststand, dass es einen gemeinen Dieb im Reitstall Hubertus gab. Diebe gab es doch nur im Fernsehen, hatte sie immer gedacht. Mit ihrem Notfallhandy hatte sie gleich ihren Vater angerufen, der so schnell wie möglich gekommen war.

 

"Aber wer sollte sonst eine Ponytrense klauen. Eine ganz neue Trense würde sofort auffallen und Petra würde doch ihre eigene Trense gleich erkennen", ergänzte Harald den Einwand seines Vaters und kam sich wieder selbst wie der Stallbesitzer persönlich vor. Er hatte aber Recht. Herr Lichthügel forderte Petra auf, den Weg, den sie genommen hatte, als sie ihr Sattelzeug aus der Sattelkammer genommen hatte, Schritt für Schritt noch ein Mal nachzugehen. Alle umher stehenden Personen, Ponykinder und Erwachsene, folgten Petra zur Sattelkammer und gemeinsam gingen sie von dort mit ihr wieder in den Ponystall. Es sah aus wie eine Polonaise im Reitstall. Nur die Musik fehlte. Petra tat so, als würde sie ihren Sattel und ihre Trense tragen. Auf dem Weg schauten alle nach links und rechts. Aber nirgendwo war die neue Ponytrense zu sehen. Es war eindeutig: sie war geklaut. Hansi stand mit gesengtem Kopf an den Futterwagen gelehnt. Harald war bei ihm geblieben. Ein Vorwurf stand im Raum... Die Erwachsenen hatte kein Problem damit, ihren Freund Hansi zu verdächtigen. Gemeinheit! Aber sollten sie am Ende Rechtbehalten, wäre das mehr als uncool.

 

Plötzlich gab es einen schrillen Schrei aus dem Ponystall. Anne schrie so laut, wie sie konnte: "Ich hab sie, die Trense!!!!!!." Anne kam angerannt, die Trense hochhaltend und triumphierend. Sie hatte sie gefunden. "In der Box von Diana hatte sie im Stroh gelegen", erklärte sie und überreichte Petra das gesuchte Objekt.

 

"Wie kommt die denn dahin? Wieso lag die neue Trense im Stroh?"fragte Frau Dimmer  ihre Tochter. "Die schöne neue Trense schon versaut!" Ganz kleinlaut sagte Petra: "Ich erinnere mich jetzt. Ich hab die Trense zwischen die Gitter von Dianas Box geschoben, um erst Mal den Sattel abzulegen. Der ist ja so schwer."

"Ganz klar! Dann hat Dein Pony Diana sich die Trense in die Box gezogen und drauf herum gekaut und sie in den Mist getreten. Deswegen sieht sie jetzt so aus", stellte Anne klar. Noch nie hatte Polly Anne so selbstbewusst gesehen. Aber Anne hatte Recht, so musste es geschehen sein.

"Gut, dass Anne noch Mal alles abgesucht hatte und gut, dass die Erwachsenen nicht gleich die Polizei gerufen hatten", dachte Polly. "Eigentlich müssten sich die Erwachsenen, oder wenigstens einige von ihnen, bei Hansi entschuldigen". Sie hatten ihn verdächtigt, ein Dieb zu sein. Hansi hatte Polly sehr leid getan.

Polly merkte sich, dass man das Sattelzeug immer dahin legen soll, wo die Pferde es nicht erreichen  und nicht kaputt machen können..

Nun konnten die Reitstunden mit einiger Verzögerung beginnen.

 

(Fortsetzung folgt...) 

 

 

 

 

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