Steve Guerdat - oder zweites Springreiter-Gold seit 1924 für die Schweiz Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Mittwoch, 08. August 2012 um 20:12

 

Die Medaillengewinner (v.lks) Gerco Schröder - Silber, Steve Guerdat - Gold und Cian O`Conner - Bronze

(Foto: Kit Houghton/ FEI)

 

London. Die kleine Schweiz mit rund 100 Springreitern der „S“-Klasse hat nach 1924 zum zweiten Mal einen Springreiter-Olympiasieger: Steve Guerdat. Die deutschen Teilnehmer spielten keine Rolle.

 

 

Der erste Schweizer Springreiter-Olympiasieger hieß Alphonse Gemunseus, er war Oberleutnant, und er gewann bei den Spielen 1924 in Paris auf der von der Armee angekauften irischen Stute Lucette. Man weiß, wann er geboren wurde, aber nicht, wann er starb. Dass man wieder an ihn erinnert, ist London, den 30. Olympischen Spielen zu verdanken und Steve Guerdat aus der französischen Schweiz. Der 30 Jahre alte Weltcupzweite blieb im königlichen Greenwich Park auf dem französischen Wallach Nino des Buissonnets in beiden Umläufen des Finalspringens als einziger ohne Abwurf, das war sein goldener Abgang aus dem künstlich angelegten Stadion vor 23.000 Zuschauern.

 

Steve Guerdat, eigenwillig und nicht gerade umgänglich, auch mehrere Jahre Bereiter im Handelsstall des holländischen Mannschafts-Olympiasiegers und Global Champions Tour-Erfinders Jan Tops, konnte trotz seines relativ jungen Alters   bereits bemerkenswerte Kerben in den Erfolgsbalken ritzen: 2003 in Donaueschingen mit der Mannschaft Bronze mit dem Team bei der Europameisterschaft, wegen eines Abwurfs am letzten Hindernis verhinderter Einzel-Europameister, 2005 in San Patrignano Silber bei der Europameisterschaft mit der Equipe, 2007 Weltcup-Dritter, 2008 Bronze bei Olympia in Hongkong, 2009 Mannschafts-Europameister, 2012 Weltcupzweiter in s`Hertogenbosch und nun Olympiasieger.

 

Im Stechen: Talent Schröder vor O`Connor

 

Und während der Eidgenosse längst Interviews gab zum Sieg im Greenwich Park, mussten der Niederländer Gerco Schröder (34) auf dem Hengst London und der Ire Cian O`Connor auf Blue Loyd um die beiden anderen Medaillen stechen, über acht Hindernisse mit zehn Sprüngen. Gerco Schröder, im Jahre 2000 das erste „Talent des Jahres“ der Niederlande, bereits mit Silber in London im Mannschaftsspringen dekoriert, legte einen „Nuller“ vor. Dann O`Connor, 2004 in Athen für einige Wochen schon mal Olympiasieger und wegen Dopings seines Wallachs disqualifiziert, auch noch auf wundersame Weise verschwanden die Urinproben, brachte seinen Wallach in einem Parforceritt einmal nicht passend zum Sprung, Abwurf, die Bestzeit nutzte nichts, aber Bronze blieb.

 

Nicht gerade vom Glück verfolgt war auch der Brite Nick Skelton. Der große Favorit, der bereits mit der Equipe Gold gewonnen hatte, war bis zum letzten Sprung auf Big Star Mitglied der „Stechunion“, aber eben nur bis zum letzten Satz…

 

Von den Deutschen: Nur einer kam durch

 

Von den deutschen Teilnehmern kam nur der dreimalige Weltcupgewinner Marcus Ehning (Borken) auf dem Hengst Plot Blue bis in den letzten Umlauf. Im A-Parcours nahm Bella Donna unter Meredith Michaels-Beerbaum (Thedinghausen) im Wassergraben ein Fußbad, und auch in der Dreifachen passte es nicht, das war der Abschied von London, Marcus Ehning ritt seinen Hengst Plot Blue mit einem fehlerlosen Umlauf bis zum Finale, doch am Ende reihte er sich mit neun Strafpunkten in das Heer der Verlierer ein, fair erklärte er anschließend: „Ein guter Parcoursbauer, die Richtigen haben gewonnen.“

 

Otto Becker: „Es lief nichts…“

 

Der deutsche Bundestrainer Otto Becker, dessen Job in Frage zu stellen, nur einem Reitsport-Laien einfallen könnte, kommentierte einen Tag vor der Abreise aus der Olympia-Stadt: „Es lief alles gegen uns. Nicht nur in London, schon längst vorher. Es begann in Aachen beim CHIO, als Ludger Beerbaun Olympia absagte und Carsten-Otto Nagel erklärte, seine Stute Corradina sei nicht in der Form, die man für Olympia braucht. Dann fiel Marco Kutscher aus dem Kreis der Kandidaten, und bei Philipp Weishaupt war der Hengst Monte Bellini nicht mehr in Schuss.“ Weiter meinte der Franke: "Wir haben einen drüber bekommen - das muss man einfach so sehen." Otto Becker zur Stimmung im Greenwich Park: „Unglaublich, wie die Zuschauer jeden Reiter, vor allem aber die eigenen, regelrecht über die Hindernisse trugen. Nirgendwo gab es Missfallensäußerungen, wenn mal etwas nicht so passte. Alle wurden mit Applaus bedacht, auch die Ausländer.“ Die englische Presse habe sich auch unglaublich fair verhalten, „nicht gleich draufgehauen, wenn mal etwas nicht so lief wie erwartet.“ Die ganze Stimmung sei total positiv gewesen.

 

Politik – für Reiten wenig übrig

 

Zu diskutieren ist sicherlich das ganze System vor einem Championat oder eben vor Olympia. So konnten sich vor allem die britischen Reiter ganz gezielt auf Olympia vorbereiten, wie einst die Franzosen („Siegen für Frankreich“). Mit staatlicher finanzieller Unterstützung. In Deutschland erfahren die Vielseitigkeitsreiter teilweise Hilfestellung, doch die von Dressur und Springen nicht. Man hält sie eben für wohlhabend, an die Kosten für den Unterhalt eines Reitstalles wird nicht gedacht.

 

Ulli Kirchhoff, jetzt in Mailand zuhause, letzter deutscher Springreiter-Olympiasieger 1996 in Atlanta: „Was in anderen Ländern auch für die Reiter alles getan wird, davon kann man in Deutschland nur träumen. So jedenfalls kamen Berichte im italienischen Fernsehen herüber.“ Kirchhoff weiter: „Ich hatte zwei Goldmedaillen in Atlanta gewonnen – und am Ende eine zusätzliche  private Rechnung über 5000 Mark an der Backe.“ Mit Unverständnis reagierte er auch auf den Spruch von Janne-Friederike Meyer, der im entscheidenden Parcours zum Erreichen des Finalspringens nichts anderes eingefallen wäre als „danach zu sagen, für den Wallach Lambrasco sei dies das letzte Springen im großen Sport gewesen, das habe sie sich im Parcours überlegt…“ Er sei in Atlanta auf Jus de Pommes in den letzten Umlauf um Gold gegangen unter dem Motto: „Ich gebe alles, ich will für Deutschland gewinnen, und wenn es der letzte Ritt meines Lebens ist…“

 

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