Ansichten und Meinungen über den Athleten Pferd Drucken
Geschrieben von: hen/ FN-Pressestelle   
Donnerstag, 05. April 2012 um 15:01

Münster (fn-press). Im Jahr der Olympischen Spiele in London rückte die Deutsche Akademie des Pferdes den „Athleten Pferd“ in den Mittelpunkt. Im Kongresszentrum der Halle Münsterland in Münster referierten und diskutieren Wissenschaftler und Sportler über die Leistungsfähigkeit und die Leistungsgrenzen des Pferdes.

Im Kongresszentrum der Halle Münsterland in Münster referierten und diskutieren Wissenschaftler und Sportler über die Leistungsfähigkeit und die Leistungsgrenzen des Pferdes. Tenor der Vorträge und Beiträge: Die leistungssportliche Nutzung des Pferdes ist vertretbar, wenn das Trainings- und Wettkampfmanagement sich am Wohlergehen des Pferdes orientiert.

Thies Kasparreit, Leiter der FN-Abteilung Ausbildung und Wissenschaft, zu der auch die Deutsche Akademie des Pferdes gehört, machte in seiner Begrüßungsansprache deutlich, dass das Pferd als Leistungssportler sehr unterschiedlich gesehen wird. „Manche Menschen zucken schon zusammen, wenn das Pferd in Verbindung mit leistungssportlichen Anforderungen gebracht  wird. Das Verständnis für die Leistungsfähigkeit des Pferdes müssen wir noch weiter entwickeln.“

 

Was Menschen in der Vergangenheit Pferden abverlangt haben, erläuterte Tierarzt Dr. Michael Düe, Leiter der FN-Abteilung Veterinärmedizin, in seinem Vortrag „Geschichtliche Entwicklung des Leistungssports“ anhand einer Vielzahl von Beispielen. So mussten die Pferde der Ritter mit einem Reiter- und Rüstungsgewicht von bis zu 440 Kilo in die Schlacht ziehen – ungefähr so viel, wie die damals noch recht kleinen Pferde selber wogen. Der berühmte Distanzritt von 1892 von Berlin nach Wien  und Wien nach Berlin führt die preußischen und die österreichisch-ungarischen Offiziere über 650 Kilometer. Der deutsche Sieger benötigte 71 Stunden und 26 Minuten (ohne nennenswerte Pausen). Weiteres Beispiel: Bei den ersten olympischen Reiterspielen 1912 gehörte in der Disziplin Vielseitigkeit neben der Geländestrecke mit Hindernissen und einer 3500 Meter langen Rennbahnprüfung auch noch ein 50 Kilometer langer Distanzritt zu den Aufgaben. Die Historie, so empfanden es viele Kongressbesucher, relativiert so manche heutige Diskussion um Training und Turniereinsatz des modernen Sportpferdes.

 

Grenzen der Belastbarkeit zeigte ein Wissenschaftler auf, der als Referent bei Pferdesporttagungen hohes Ansehen genießt: Prof. Dr. Peter Stadler von der Pferdeklinik der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Er konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Folgen der Hyperflexion, auch als „Rollkur“ bezeichnet. Grundlage für die ideal ausgeführte sportliche Bewegung sei beim Pferd wie beim Menschen ein psychisches Wohlbefinden. Insbesondere die Bedeutung der Körperhaltung sei wichtig für eine artgerechte Bewegungsentfaltung. Fehlhaltungen, wie sie bei der Hyperflexion entstehen, führen zu Muskelverspannungen. Stadler setzte sich kritisch mit dem Begriff „stretching“ auseinander. Dabei liegt das Missverständnis darin, dass eine für den Menschen entwickelte Dehngymnastik auf das Pferd übertragen wird. Anders als das statische Dehnen eines Menschen erfolgt die Dehnung beim Pferd im Trab und Galopp. Wird die Hyperflexionsstellung insbesondere in der Aufwärmphase übertrieben, können schädigende Bewegungen entstehen, die nicht mehr durch einen Schutzschmerz gebremst werden. „Damit steigt die Gefahr der Überdehnung“, erklärte der Referent.

 

Stadler zeigte die anatomischen Zusammenhänge auf, welche Blockaden im Pferdekörper entstehen, wenn die Rückenmuskulatur zusammengezogen ist und dadurch die Beweglichkeit der Hinterhand eingeschränkt wird. Fehlt die Losgelassenheit bzw. ist das gesunde Wechselspiel von Spannung und Entspannung im Bereich der Rückenmuskulatur gestört, dann entsteht ein dysfunktionaler Muskeltonus, ein hoher Spannungszustand der Muskulatur, der keinesfalls den Anforderungen für eine bestimmte Körperhaltung des Pferdes unter dem Reiter entspricht. Stadler mahnte, die Skala der Ausbildung nicht aus dem Blickfeld zu verlieren: „Denn wenn die Skala der Ausbildung heute in Frage gestellt wird, müssen die Anforderungen im Sport insgesamt überdacht werden.“

 

Aus der Praxis berichtete Springreiter Ludger Beerbaum. Der Olympiasieger und oftmalige Goldmedaillengewinner auf Championaten gab Einblicke in das Trainings- und Wettkampfmanagement seines Stalls in Riesenbeck. Drei Jahre lang arbeitete er mit der Sporthochschule in Köln zusammen, um trainingswissenschaftliche Untersuchungen in die Ausbildung seiner Pferde einfließen zu lassen. Neben objektiven Werten, die durch Laktatmessungen, Blut- und Kotuntersuchungen und monatliches Wiegen der Pferde ermittelt werden, ist für ihn der subjektive Blick wichtig. „Fühlt das Pferd sich frisch an, hat es ein waches Auge, ist es geschmeidig in allen Grundgangarten, bleibt es locker und fehlerfrei über dem Sprung? Ein Reiter muss in der Lage sein, in sein Pferd hineinzuhorchen“, sagte Beerbaum.

 

Am Beispiel einiger Pferde erläuterte er, wie unterschiedlich und individuell das Training verläuft. Seine nun elfjährige Goldfever-Tochter Gotha kam als vierjährige, üppig gefütterte Stute in seinen Stall. Sie hatte viel Talent, konnte aber noch nichts. Bei ihr stand über Jahre die dressurmäßige Arbeit und ganz besonders die Förderung der Durchlässigkeit im Vordergrund. Ganz das Gegenteil ist der von Philipp Weishaupt gerittene Hengst Monte Bellini, der nach absolvierter Hengstleistungsprüfung in einem ganz anderen Fitness- und Konditionszustand nach Riesenbeck wechselte. Lediglich an den Galoppwechseln habe man arbeiten müssen, ansonsten sei das Pferd völlig unkompliziert und leichtrittig. „Man muss aufpassen. Bei Pferden wie Monte Bellini, die sich so anbieten, neigt man als Reiter dazu, zu wenig zu arbeiten.“ Aber die Arbeit sei nötig, um Kraft, Konzentration und Kondition aufzubauen. Ludger Beerbaums Fazit: „Je besser wir unsere Pferde vorbereiten, desto gesünder und lebensfreudiger bleibt unser Athlet Pferd.“

 

Das Athletendasein hat Anni Friesinger beendet. Die dreimalige Olympiasiegerin und 16-malige Weltmeisterin im Eisschnelllauf gab auf dem Kongress Einblicke in das Leben eines Humansportlers. 17 Jahre lang war sie auf den Eisbahnen zu Hause, heute ist sie Mutter einer kleinen Tochter und pendelt zwischen ihrer Wahlheimat Salzburg und dem Bauernhof ihres Ehemanns und einstigen Eisschnelllauf-Olympiasiegers Ids Postma in den Niederlanden. Der Blick auf ihren Trainingsplan machte den Kongress-Teilnehmern schnell klar, wie hart Weltklasse-Athleten an ihrer Fitness und Kondition arbeiten müssen. Täglich Laufen, zwei Stunden Training auf dem Eis, zwei Stunden Rennradfahren, Gymnastik, Physiotherapie… Der Tag klingt abends um 20 Uhr mit Videoanalyse des Trainings aus. Hinzu kommen wochenlange Trainingscamps im Ausland. „Mein Lebensmotto lautete: Carpe diem, nutze den Tag, das hat mir geholfen, mich immer wieder zu motivieren, Verletzungen wegzustecken und mich mit vollem Elan mit den Gegebenheiten zu arrangieren“, erzählte Friesinger. 

 

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