Dressur-Forum: Verärgerung über Aachen 2015... Drucken
Geschrieben von: engarde/ DL   
Mittwoch, 22. Oktober 2014 um 19:43

 

Randbol/ Dänemark. Es dauerte lange, bis sich nun Widerstand regt gegen Aachen als Veranstalter der kommenden Europameisterschaften 2015 in  fünf Disziplinen – doch für die Parareiter war kein Platz. Für Aachen sprang der französische Badeort Deauville ein.

 

 

Dieser Punkt stand gar nicht auf der Tagesordnung beim diesjährigen Dressur-Forum auf dem dänischen Gestüt Blue Hors in Randbol, doch er wurde zum Diskussionsmittelpunkt: Die Ablehnung der Aachener Organisatoren, die Europameisterschaften der Parareiter nicht in die Titelkämpfe den Disziplinen Springen, Dressur, Fahren, Reining und Voltigieren im kommenden Jahr (11. bis 23. August) zu integrieren. Nachdem Prinzessin Benedikte von Dänemark, die unter anderem auch Präsidentin der Global Dressage Forum Foundation ist, gehört hat, dass die Para-Dressurreiter bei den Europameisterschaften 2015 in Aachen nicht dabei sein werden, hat sie nicht lange gefackelt und eine Initiative ins Leben gerufen, mit der an die Aachener Organisatoren um Frank Kemperman & Co. appelliert werden soll, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. „Neben der schriftlichen Eingabe werde ich auch telefonieren, um das zu verhindern.“

Die Frage, weshalb die Paras bei den Europameisterschaften 2015 nicht berücksichtigt werden, kam bereits im vergangenen Jahr in Herning auf, wo die Para-Dressurprüfungen ein riesiger Erfolg waren. Damals sagte Kemperman, sie hätten nicht genug Platz für eine weitere Disziplin. Man darf gespannt sein, ob er das auch Prinzessin Benedikte sagen wird.

So erhielt der Programmpunkt „Over-coming challenges – Para-Dressurreiterinnen Sophie Wells, Annika Dalskov, Stinna Tange“ ganz besondere Bedeutung.

Annika Dalskov – Para-Weltmeisterin 2007, Medaillen Paralympics 2008 und WEG 2010

Annika Dalskov war Teil der dänischen Junior- und Junge Reiter-Teams und ihr Pferd auf dem Weg zum Grand Prix, als sie 2005 einen Verkehrsunfall mit tragischen Folgen hatte. Sie war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit, die sie zehn Tage zuvor begonnen hatte. Da wurde sie von einem Auto angefahren. Die Folge: Eine Lähmung vom Hals abwärts. Es hieß, sie würde nie wieder laufen, geschweige denn reiten können. Aber wieder zu reiten, war ihre große Motivation. Nach sechs Monaten Reha hat sie es geschafft, auf einem Laufband 100 Meter zu laufen. In 15 Minuten. Tags darauf, ging sie 115 Meter usw. Heute sagt sie, dass das Reiten das beste Training für Koordination und Körperbeherrschung war und ist, das sie haben könnte. Auch das Fitnessstudio könne kein Ersatz für die Reiterei sein. Am Anfang konnte sie nur Schritt reiten. Eine Freundin hat sie herumgeführt, weil sie die Zügel nicht koordinieren konnte. Nach einer Weile machte sie die ersten Trabtritte und so ging es weiter. Zwei Jahre nach ihrem Unfall gewann sie ihre erste Goldmedaille bei den Para-Weltmeisterschaften in Hartpury. Dabei war der Para-Sport für sie eine völlig neue Welt, sie hatte nie davon gehört. „Ich wusste überhaupt nicht, was mich erwartet. So konnte ich mich ganz auf mich konzentrieren und das hat geholfen.“

 

Der frühere Championatsreiter und Mitglied der Dressur Task Force, Richard Davison (Großbritannien): „Das ist sehr interessant! Denn Du bestätigst das, was auch Adelinde Cornelissen und Charlotte Dujardin gesagt haben: Das Erfolgsgeheimnis ist es, sich ganz auf sich selbst und auf das Pferd zu konzentrieren.“

Richard Davison: „Was für Pferde benötigt ihr?“


Annika Dalskov: "Unsere Pferde müssen dieselben Qualitäten haben, wie andere Dressurpferde auch. Aber wir wollen unseren Sport vor großem Publikum zeigen. In Herning wurde das sehr clever gelöst (…). Und es ist wirklich eine Schande, dass wir 2015 in Aachen nicht dabei sein werden bei der EM.“

Stinna Tange (DEN) mit Steffi Graf (Grade 1b > Schritt und Trab)

Stinna Tange wurde ohne Beine geboren. Im Sattel ist sie dennoch nicht festgeschnallt, sondern muss sich allein mit ihrem Balancegefühl im Sattel halten. Als die Stute vor dem Podium stutzt, stehenbleibt und guckt, erklärt Stinna, dass das der Grund ist, warum sie dieses Pferd gewählt hat: „Sie mag nicht die modernste und hübscheste sein, aber sie ist sehr verlässlich. Sie mag Angst haben und sich aufregen. Aber sie würde nicht so reagieren, dass sie mich in Gefahr bringt – hoffe ich jedenfalls …!“ Während sie das erzählt, schnalzt sie viel. Die Stimme zu gebrauchen, sei erlaubt in den Para-Prüfungen, erklärt Annika Dalskov, die den Zuschauern erläutert, was Stinna macht und welches die Herausforderungen sind, die die jeweiligen Behinderungen mit sich bringen. Aber es gibt vor allem auch viele Sachen, die sie trotz Behinderung machen kann – z.B. Schenkelweichen (ohne Schenkel natürlich!). Das klappt hervorragend. Annika erklärt, dass ein Trainer beim Unterrichten der Para-Reiter seinen Schülern vor allem erklärt, was sie besser machen müssen, z.B. das Pferd tiefer einstellen oder fleißiger machen. Die Schüler entscheiden dann selbst, wie sie das mit ihren Möglichkeiten der Hilfengebung erreichen können.

Sophie Wells (GBR) (Grade IV), mehr als 54 internationale Para-Siege, 13 Goldmedaillen, Teil des britischen Junge Reiter-Teams im Regelsport

Sophie leidet unter einer ebenfalls angeborenen Krankheit, die dazu führt, dass sie unberechenbare Spasmen in den Füßen bekommt und nur jeweils einen Finger an ihren Händen gebrauchen kann. Das hat sie nicht gehindert, auch im Regeldressursport Karriere zu machen. Mit ihrem Erfolgspferd, das sie diesmal zuhause gelassen hat, reitet sie mittlerweile Grand Prix. Hier in Dänemark reitet sie einen siebenjährigen Don Schufro-Michellino-Sohn vom Gestüt Blue Hors namens Bosco, den sie am Sonntag ausgewählt hat und am Tag vor ihrem großen Auftritt das erste Mal ritt. Die Trainerin winkt ein bisschen mit dem Zaunpfahl und erklärt, dass Sophie dieses Pferd wirklich gerne mag und dass es genau das Pferd sei, das sie sich aussuchen würde. Ob das Gestüt Blue Hors nicht mal einen Para-Reiter unterstützen wolle …?!

 

Richard Davison erzählt derweil, dass die Turnierreiter in England wissen, dass sie vorsichtig sein müssen, wenn Sophie irgendwo auf der Starterliste steht, denn wenn sie reitet, bekommt sie in der Regel hohe Noten. Sophie Wells zeigt mit dem erst siebenjährigen schicken Fuchs tolle Galopptraversalen und fliegende Wechsel. Sie sitzt wie festgeklebt im Sattel. Niemand, der es nicht weiß, würde vermuten, dass sie eine Behinderung hat. Dabei hilft es ihr, dass sie auch viel Gymnastik und Bodywork macht, um ihren Körper zu kräftigen und so optimal auf das Pferd einwirken zu können, wie irgend möglich.

Nachdem sie Richard Davison ihre Geschichte erzählt hat und den Zuschauern den Para-Dressursport näher brachte, dürfen die Zuschauer nun einen Blick auf Annika Dalskov als Reiterin werfen. Den De Niro-Sohn, den sie hier reitet, hat sie als Vierjährigen das erste Mal gesehen. Damals dachte sie noch, er sei viel zu jung. Aber als sie ihn das erste Mal geritten hat, wusste sie, dass sie dieses Pferd haben wollte. Und mit Hilfe einiger Sponsoren konnte sie ihn dann erwerben. Sie löst ihn vor dem Publikum und erklärt dabei, dass sie großen Wert auf die Lösungsarbeit lege, auch weil sie selbst Zeit brauche, um warm zu werden. Gleichzeitig sei es sehr wichtig für sie, dass die Pferde sensibel auf Schenkel und Zügelhilfen reagieren würden, weil sie keine Kraft in ihrem Körper habe.

Um Übergänge zu reiten, benutzt sie auch ihre Stimme. Und wenn sie einmal die Balance verliert, was durchaus vorkommen kann, genügt ein „Brrr!“, um ihre Pferde zu stoppen, damit sie sich wieder zurecht setzen kann. Grundsätzlich reitet sie viel mit ihrem Gewicht, was ein Vorteil ist, weil sie dadurch Einwirkung hat, aber auch ein Nachteil, weil sie dadurch schnell das Gleichgewicht verliert. Alles in allem sind die Stunden genauso aufgebaut wie im Regelsport. „Das wollten wir hier zeigen!“, betont Annika. „Wir machen im Wesentlichen nichts anderes. Auch für uns geht es darum, die Pferde zu gymnastizieren und ihre Körper zu kräftigen, damit ihre Bewegungen so schön wie möglich werden.“

In der Diskussion danach sagte u.a. Wim Ernes, Bundestrainer Dressur in Holland: „Ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt von der Arbeit der Reiter mit ihren Pferden. Hier hat man Harmonie gesehen, das, wonach wir auch in der sogenannten Regeldressur streben.“

Was allen aufstößt, ist, dass bei der EM in Aachen 2015 die Para-Reiter nicht dabei sein werden. Moderator Richard Davison bedauert, dass Frank Kemperman vom Aachener Organisationsteam nicht vor Ort ist, um dazu eine Erklärung abzugeben.


Nicht auf Behinderung schauen

Danach geht es noch einmal um den Alltag der Para-Reiter mit ihren Pferden, Sophie Wells‘ Trainerin sagt: „Ich schaue nie auf die Behinderungen meiner Reiter, sondern sage, was zu verbessern ist. Und dann schauen wir, dass wir einen Weg finden, das zu erreichen mit dem, was geht.“

Aus dem Publikum meldet sich Andrew McLean, der die Skala der Ausbildung vom wissenschaftlichen Standpunkt aus beleuchtet hatte: „Wir haben es geschafft, den Pferden beizubringen, dass bestimmte Gertenklapse Signale für bestimmte Lektionen sind, beispielsweise zwei Klapse auf die Rippen bedeutet, die Tritte zu verlängern, oder einer auf die Hinterhand signalisiert: Schenkelweichen.“

Daraufhin Stinna Tange, die ja ohne Beine geboren wurde: „Ich denke, dass es korrekter ist, den Sitz zu benutzen. Ich mag es nicht, die Gerte einzusetzen, aber das ist nur meine Meinung.“

Sophie Wells: „Ich nehme manchmal beides und ersetze mit der Gerte meine Beine, wenn die einen schlechten Tag haben und schwach sind.“ Da sie auch im Junge Reiter-Team der Briten reitet, fragt der Moderator, wie sie das macht, da Gerten in internationalen Dressurprüfungen ja nicht erlaubt sind. Sophie erklärt, sie habe zwar eine Sondererlaubnis, wolle die aber so wenig wie möglich in Anspruch und würde darum auch im Training möglichst ohne Gerte reiten.

Fazit der Dressurvorführungen der Parareiter: Beeindruckend zu sehen diese Harmonie in der Arbeit mit – und nicht gegen das Pferd… Das sagte bereits vor Jahren der große Meistermacher Dr. Uwe Shculten-Baumer: „Nie gegen, immer mit dem Pferd arbeiten…“

 

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