Nach dem Mauerfall 1989: Emotionsgeladenes Reitturnier in der Deutschlandhalle... Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Samstag, 08. November 2014 um 14:01

Paul Schockemöhle vor 25 Jahren mit der einige Wochen nach dem Mauerfall  vom RIAS herausgegebenen Langspielplatte "Wir sind ein Volk", darauf u.a. als Festkonzert die 9.Sinfonie von Beethoven, gespielt vom Gewandhausorchester Leipzig unter Stardirigent Kurt Masur, und verschiedene Reden und Reportagen zum Mauerfall. Sendeschluss von RIAS Berlin ("Rundfunk im amerikanischen Sektor") war am 31. Dezember 1993.

(Foto: Raimund Hesse)

Berlin. Vor 25 Jahren fiel in Berlin in der Nacht zum 10. November 1989  die Mauer. Zwei Wochen danach fand in der herrlichen traditionsreichen  Deutschlandhalle ein emotionsgeladenes und denkwürdiges Turnier statt, das man als Augenzeuge nie vergessen wird und auch nicht kann.

 

 

In der von Tradition, Geschichte und Erinnerungen voll gepfropften Deutschlandhalle war an jenem Abend vor nunmehr einem Vierteljahrhundert ein unglaubliches Gewusel wie seit ewigen Zeiten nicht mehr. Es gab kein West- und kein Ost-Berlin mehr, die Westler liefen wie schon in den vergangenen Jahren mit breiter Brust herum, die Ostler traten eher schüchtern, zurückhaltend auf. Der West-Berliner war der Großkotz von immerdar geblieben („Na, wa denn, wir Berliner…“), dazu hatte der Ost-Berliner seit dem Mauerbau 1961 gar keine Chance mehr, nämlich die teilweise kränkende, aber auch schon fast erbliche Überheblichkeit des Berliners weiterzugeben. Gen Westen, im Osten war das anders. Wer mal nörgelnde Ost-Berliner im Urlaub am Plattensee zum Beispiel erlebte, weiß, was gemeint ist.

 

So trafen sich ein jenem Abend in der Deutschlandhalle Blicke von jenen, die selbstbewusst herumflanierten wie immer und jenen, die wahrlich noch nicht so recht wussten, ob die DDR nun tatsächlich bereits Geschichte sei mit den damit verbundenen teilweise unvergesslichen schlimmen Erinnerungen, die für alle Zeiten eingraviert, unverzeihbar und unvergesslich bleiben. Doch in diesen Stunden in der Deutschlandhalle beschäftigte sich niemand unter den genau 6.564 Besuchern damit,  solche Gedanken schob jeder lästig weg wie Unrat auf dem Gehsteig. Vor allem Landwirt Fritz Berger aus Niedersteinbach bei Leipzig hatte anderes zu tun nach dem Gewinn einer Reise nach Amsterdam. Er trat vor in die Mitte des Parcours, griff sich beherzt das dort aufgebaute Mikrofon und sagte: „Sie wissen ja gar nicht, wie wir Euch traurig hinter der Mauer zugejubelt haben. Wir wünschten uns nur jenen Tag, der uns wieder zusammenbringt. Heute war vielleicht ein neuer Anfang.“

 

Springreiter sammelten für einen PKW

 

Die Deutschlandhalle wurde an jenem Abend zu einem Treffpunkt aller Deutschen, in jenen Stunden war die Mauer auch in den Herzen niedergerissen. Die Deutschen liefen sich, egal ob aus Ost oder West, einfach in die Arme. Es war eine nicht organisierte herrliche Fete. Es gab Freitickets oder Karten zu verbilligten Preisen, und für jeden „DDR-ler“ zudem etwas zu gewinnen, er musste nur aus dem „Arbeiter- und Bauernstaat“ gekommen sein.

 

Die internationalen Springreiter sammelten unter sich und erwarben einen  VW-Golf im Werte von 15.000 Mark, der ging an die Reiterin Petra Henschel aus Golzow im Oderbruch. Sie sagte, nachdem sie die Schüssel in der Hand hatte: „Meine Tränen kommen später, wenn ich erst begriffen habe, dass ich jetzt ein Auto besitze.“

 

HG Winkler holte einen Mauerstein

 

Vier Besucher wurden von Paul Schockemöhle und Ulli Kasselmann zur damals anstehenden und inzwischen weltbekannten Reitpferde-Auktion „PSI“ nach Ankum bei Osnabrück eingeladen, vier Zuschauer durften zum Dressur-Weltcupfinale nach Dortmund über Ostern. Insgesamt waren 1.800 Besucher aus der DDR an jenem Samstag in der Deutschlandhalle, darunter ein Ehepaar aus Weißensee. Erstmals nach 26 Jahren trafen die beiden Hans Günter Winkler wieder, den erfolgreichsten Springreiter hatten sie damals bei den obligatorischen Ost-West-Ausscheidungen zur Bildung einer gemeinsamen Olympia-Equipe aus Ost und West für die Spiele 1964 in Tokio kennen gelernt. Der Kontakt war nie abgebrochen. Winkler, inzwischen 88, an jenem Abend: „Wer soll mir verdenken, dass auch ich Tränen in den Augen hatte.“ Und das hieß immer etwas bei HGW, dem solche Äußerlichkeiten absolut fremd waren. Er war an jenem Morgen vor Beginn der Veranstaltung zur Mauer gefahren und hatte einen Stein mitgenommen, „ich glaube, ich habe einen historischen Moment erlebt“, sagte er später.

 

Olaf Petersen flog extra nach Berlin

 

Olaf Petersen, einer der besten Parcours-Architekten der Welt, gebürtiger Berliner („bis 1944 war ich in Berlin, danach zogen meine Eltern mit mir weg, da die Stadt im Bombenhagel lag“)  wurde am Morgen jenes denkwürdigen Tages von Michael Reithmann per Telefon geweckt. „Du“, sagte der frühere Generalsekretär der deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) und danach Turnierdirektor des CHI in der Deutschlandhalle, „Du musst sofort kommen. Hier ist einiges los.“

 

Petersen (77), für die Hindernisgestaltung in der Deutschlandhalle verantwortlich, folgte dem Ruf Reithmanns. Er ahnte so wenig wie viele andere in der Bundesrepublik, dass sich Großes tat.

 

Der Unternehmer in Papier, damals noch im Münsterland zuhause, nahm am Nachmittag des 9. November in Münster einen Flieger nach Berlin, zwei Wochen vor Turnierbeginn. Er sagte später: „Gegen 19 Uhr 30 war ich im Hotel. Ich duschte, ließ aber den kleinen Fernsehapparat laufen. Dann hörte ich: Die Mauer ist offen.“  Petersen, einziger der Welt, der zweimal bei Olympia als Parcourschef verpflichtet wurde, „rein in die Klamotten, Taxi, ab zur Bernauer Straße“.

 

Es sei unbeschreiblich gewesen, sagt er, Menschen strömten von West nach Ost und umgekehrt. Olaf Petersen lief damals gegen den Strom, in den Ostteil der geteilten Stadt. „Nach 500 Metern dachte ich, Mensch, Du bist ja in der falschen Ecke, ohne Ausweis, was ist, wenn Dich einer nach Papieren fragt und man Dich möglicherweise  einsperrt...“ Da sei ein kleiner Renault-PKW gekommen „mit sieben Leuten schon überladen. Man nahm mich auch noch als Achten mit – und ab zum Kurfürsten-Damm“.

 

Ganz Berlin feierte, „überall wurde getanzt, die Menschen lagen sich freudetrunken in den Armen, es wurde gesungen, gelacht und geweint“ (Olaf Petersen). Er flog am nächsten Morgen zurück nach Münster, er stank nach eigenen Angaben „wie ein Eber“, aber er sagte seinen Angestellten: „Ich kann euch alle verstehen. Ich sehe nicht gerade toll aus. Aber, das darf ich behaupten: Ich habe gestern einen historischen Tag in der Geschichte erlebt...“

 

„Berlin behält den Springreiter-Weltcup...“

 

In der Euphorie um den Mauerfall wollte auch der Sport nicht zurückstecken. So erklärte der damalige Schweizer Weltcup-Direktor Max Ammann: „Berlin wird immer Austragungsort des Weltcups bleiben, denn diese außergewöhnliche Stadt wird immer eine Brücke zwischen Ost und West sein.“ Und Berlins Stadtoberen verkündeten gar, die Deutschlandhalle werde erweitert.

 

Nichts blieb von den Versprechungen. Die Deutschlandhalle als mal Mittelpunkt gesellschaftlicher und sportlicher Großereignisse wurde längst abgerissen, der Weltcup ist in Berlin für viele nicht einmal mehr eine Erinnerung. Berlin: Die so immer wieder hochgejubelte deutsche Hauptstadt ist im Gegensatz zu allen anderen Metropolen der Welt jedoch im Reitsport nur noch Provinz, und dort auch ohne Echo…

 

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