Wenn manchmal Feingefühl gefragt wäre... Drucken
Geschrieben von: Max E.Ammann/ "PferdeWoche" (Schweiz)   
Donnerstag, 14. Mai 2015 um 10:11

Zürich. Springreiter-Weltcup-Erfinder und auch späterer Weltcupdirektor Max Ammann knöpft sich mal wieder den Weltverband (FEI) oder besser verbeamtete Funktionäre vor. Der Schweizer Journalist und Buchautor geht in einem Beitrag in der renommierten „PferdeWoche“ auf den CSIO von Österreich ein, zu dem eine Schweizer Equipe eingeladen war – dann aber nicht starten durfte…

 

Reglemente müssen eingehalten werden. Das ist unabdingbar für einen fairen und geordneten Sportbetrieb – genau wie Verträge und sonstige ­Abmachungen, im oder außerhalb des Sports. Aber Reglemente können nicht alles abdecken und regeln. Darum werden sie ja von den verantwortlichen Sportverbänden immer wieder überarbeitet, verbessert oder, leider, gelegentlich auch verschlimmbessert. Reglemente können auch ungerecht sein, eine gegebene Situation unfair verändern. Ein Reglement kann, wenn rigide angewendet, Leid und Schaden zufügen.

 

Eingedenk des Obigen wurde 1978 bei der Ausarbeitung des Reglements für den neu zu schaffenden Weltcup der Springreiter ein Ausnahmeparagraf geschaffen: Artikel 663 des Weltcupreglements lautete: Das Weltcupkomitee ist au­torisiert, «reasonable» vernünftige Ausnahmen von den Regeln zu erlauben (reasonable = vernünftig, maßvoll, verständig, einsichtig, gerecht, angemessen, gerechtfertigt).

Artikel 663 war natürlich ein dehnbarer Paragraf, den man denn auch in meinen 25 Jahren mit dem Weltcup nur selten, zögerlich, selektiv und rücksichtsvoll anwendete. Einige Beispiele später.

 

Die FEI in ihrem Generalreglement und ihren Disziplinenreglementen kennt diesen Weltcupausnahmeparagrafen nicht, der übrigens, als man 1978/79 in der Pferdewelt Kenntnis davon nahm, die unterschiedlichsten Reaktionen hervorrief. Staunen oder sich ärgern, schimpfen oder schmunzeln, akzeptieren oder ablehnen, Beifall oder Empörung.

 

Bei der kürzlichen, peinlichen wie ungerechten Situation beim CSIO Linz, als die Schweizer Equipe nicht zum Nationenpreis antreten durfte, wäre der erwähnte Artikel 663 hilfreich gewesen. Aber selbst ohne diesen Artikel hätte die FEI eine Lösung finden müssen, die das entstandene Unrecht korrigiert. Aber offenbar fehlte dazu das Einfühlungsvermögen, das Verständnis und nicht zuletzt die Zivilcourage.

 

Es gibt also die Vorschrift, dass in einem Nationenpreis der zweiten Leistungsgruppe .- Division II - maximal 13 Nationen starten dürfen. Das bedeutet, dass der Veranstalter auch nur 13 Nationen mit vollen Equipen zu seinem Turnier einladen darf. Die Linzer, sei es, weil sie das Reglement nicht kannten oder weil sie nicht zählen können, luden 15 Nationen ein, darunter, freundnachbarlich auch die Schweiz – immerhin Linzer Nationenpreissieger vor zwei Jahren. Als der Fehler erkannt wurde, wandte man sich an die FEI. Der dortige Springverantwortliche kontaktierte den Vorsitzenden der Springkommission und zusammen entschieden sie: Keinen Schweizer Start im Nationenpreis, aber immerhin Teilnahme der Schweizer in den Einzelprüfungen.

 

Dazu zwei Fragen: Erkannten die beiden nicht die peinlich-tragische Brisanz des Problems, die eine Kontaktaufnahme zum FEI-Präsidenten und zur FEI-Generalsekretärin gerechtfertigt hätte? Und: Hätte hier nicht eine unglückliche Situation, bei der die Betroffenen und Geschädigten, also die fünf Schweizer Springreiter, keinerlei Schuld traf, dadurch bereinigt werden können, indem man ausnahmsweise 15 Equipen im Nationenpreis starten ließ? Man hätte ja, bei der Startauslosung in Linz, die anwesenden Equipenchefs um ihr Einverständnis bitten können, das, so kann man annehmen, zweifelsfrei gegeben worden wäre.

 

Dieses Linzer Geschehen erinnert an einen Vorfall vor vielleicht fünf, sechs Jahren beim CSIO St. Gallen. Damals stand offenbar im Vertrag mit dem Nationenpreisspon­sor die Klausel, dass nur drei Equipen zur Siegerehrung einreiten dürfen. Nun, an jenem St. Galler Freitag auf dem Gründenmoos, gab es zwei Equipen auf dem geteilten dritten Platz. Der FEI-Verantwortliche zeigte keine Einsicht und beharrte auf drei Equipen – die Belgier als geteilte Dritte blieben in den Ställen…

 

Zurück zum Weltcup. Der ominöse Artikel 663 wurde sehr selten angewendet und dann betraf es meistens eine Qualifikation: Für das Weltcupspringen oder eine Teilnahme am Weltcupfinale. Zwei Beispiele: Beim letzten Springen der Europaliga der Saison 1995/96 in Göteborg platzierte sich die junge Schwedin Malin Baryard nahe der Spitze. Die dabei gewonnenen Punkte reichten, zusammen mit den früheren Punkten, nicht für eine Finalqualifikation in Genf. Die 20-Jährige hatte zuvor nur zwei oder drei Wertungsspringen reiten dürfen und war dabei jedesmal hoch platziert. Aber es gab zusammen nicht die rund 40 Punkte, die es brauchte, um nach Genf zu kommen.

Die in Göteborg anwesenden Mitglieder des Weltcupkomitees wurden angesprochen, die Abwesenden telefonisch kontaktiert. Alle waren einverstanden, der jungen Schwedin eine im Reglement nicht vorgesehene Wildcard für Genf zu geben. Dort wurde sie mit Cormint verdiente Siebte.

Vier Jahre später, wiederum beim letzten westeuropäischen Qualifikationsturnier, diesmal in Dortmund, teilten sich drei Amazonen den letzten ­finalberechtigten 18. Platz: Lesley McNaught (Schwweiz), Meredith Michaels-Beerbaum (Deutschland) und Alexandra Ledermann (Frankreich).

 

Gemäß Artikel 657.2 des Weltcupreglements wäre die Schweizerin für das Finale in Göteborg qualifiziert gewesen, Meredith und Alexandra dagegen nicht.

Wiederum wurden die in Dortmund anwesenden Mitglieder des Weltcupkomitees kontaktiert und die andern angerufen. Sie alle waren dafür, die drei Frauen in Göteborg starten zu lassen. Da auch der Veranstalter einverstanden war – immerhin bedeutete das vier zusätzliche Hotelzimmer und sechs Pferdeboxen – konnte noch in der Westfalenhalle die Erhöhung der westeuropäischen Teilnehmer von 18 auf 20 bekannt gegeben werden. Selbst die US-Amerikaner, sonst immer bereit gegen eine angebliche Bevorzugung der Europäer zu protes­tieren, waren zufrieden.

 

In diesem Zusammenhang ein Vorfall, bei dem der Schweizer Pferde­sportverband das Weltcupreglement missachtete. Artikel 657.3 schreibt vor, dass das Land, das den Final durchführt, zwei Reiter zusätzlich stellen darf. Diese müssten die beiden Höchstplatzierten des betreffenden Landes unter den nichtqualifizierten Reitern sein. Der Schweizer Verband, als Gastgeber des Finals 1996 in Genf, missachtete das Reglement und nominierte zu Beginn der Saison 1995/96 Willi Melliger. Dies offensichtlich aus zwei Gründen: Einmal um sicher zu sein, dass der große Calvaro in Genf dabei war und dann, um dem Pferd eine stress­freie Vorbereitung zu erlauben. Das Weltcupkomitee erkannte das Fehlverhalten des Schweizer Verbandes, wollte aber nicht den Reiter bestrafen und verzichtete auf eine Ablehnung der Nomination Melligers.

 

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 18/2015)

 

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