Wie der Springsport leichtfertig das Besondere gedankenlos verschleuderte... Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Freitag, 23. Dezember 2016 um 21:29

Wassenberg. Reiten ist eine in sich verwurzelte erzkonservative Sportart mit gepflegter Tradition. Und wenn sie sich mal öffnet, dann zur falschen Seite hin, wie nun mit der Rückkehr zu Dreier-Equipen bei Olympia und der Abschaffung des Pferdewechsels um den Einzeltitel eines Springreiterweltmeisters…

 

In den Annalen des internationalen Turniersports spielt das Jahr 1949 dahingehend eine  auffallende Rolle, dass der Hochsprungweltrekord zu Pferde in Vina del Mar durch den chilenischen Rittmeister Alberto Larrguibel im Sattel des eigens dafür trainierten zehnjährigen Vollblüters Huaso um drei Zentimeter auf bisher nie mehr erreichte und nie mehr angegangene 2,47 m verbessert wurde, dass erstmals wieder nach dem Zweiten Weltkrieg internationale Dressurprüfungen auf dem Turnierkalender standen, und dass in Hamburg nach zehnjähriger Pause vor 15.000 Zuschauern wieder das Deutsche Springderby über den Originalparcours aus dem Jahre 1920 stattfand. Kaum Erwähnung findet in den Geschichtsbüchern des Reitsports, dass der französische Verband 1949 in Paris die französische Meisterschaft mit Pferdewechsel der vier besten Springreiter aus drei Qualifikationen organisierte, was der Weltverband (FEI) aufgriff und in sein Reglement übertrug.

 

Kaum vermeidbar fand die erste Weltmeisterschaft mit publikumswirksamen Pferdewechsel 1953 in Paris statt. Sieger wurde vor dem Deutschen Fritz Thiedemann der Spanier Francisco Goyoga. Das Springreiter-Idol seines Landes holte damit nach dem damaligen Reglement den nächsten Titelkampf in sein Land. Man traf sich im Campo außerhalb der spanischen Hauptstadt Madrid, wohin sich das normale Fußvolk nicht verirrt. Hans Günter Winkler entthronte den Weltmeister und machte die Nation 1954 -  wie im gleichen Jahr die Fußball-Nationalmannschaft - wieder stolz auf das neue Deutschland.

 

Das nächste Championat in Aachen 1955 endete wiederum mit dem Triumph von HGW. Winkler, inzwischen 90, war wie im ganzen Leben auch in der Soers clever. Die drei Qualifikationen zum Finale ritt er mit dem Wallach Orient, das Stechen mit seiner „Wunderstute“ Halla, die mit einem Abwurf aus dem Parcours vor 50.000 Zuschauern kam - der Italiener Raimondo d`Inzeo hatte mit Nadir acht Fehlerpunktel, der Weltmeister hieß zum zweiten Mal Hans Günter Winkler., die deutschen Sport-Journalisten wählen den Warendorfer zum „Sportler des Jahres“.

 

Jeroen Dubbeldam letzter Champion

 

Die Weltmeister danach hießen 1956 in Aachen und 1960 in Venedig jeweils Raimondo d`Inzeo (Italien), 1966 in Buenos Aires Pierre Jonqueres d`Oriola (Frankreich), 1970 in La Baule David Broome (Großbritannien), 1974 in Hickstead Hartwig Steenken (Deutschland), 1978 in Aachen Gerd Wiltfang (Deutschland), 1982 in Dublin Norbert Koof (Deutschland), 1986 in Aachen als erste Amazone Gail Grainough (Kanada), 1990 in Stockholm bei den ersten Weltreiterspielen Eric Navet (Frankreich), 1994 in Den Haag Franke Sloothaak (Deutschland), 1998 in Rom Rodrigo Pessoa (Brasilien), 2002 in Jerez de la Frontera Dermott Lennon (Irland), 2006 in Aachen Jos Lansink (Belgien), 2010 in Kentucky Philippe Lejeune (Belgien) und 2014 in Caen Jeroen Dubbeldam (Niederlande). Aus den USA kam bisher kein Weltmeister.

 

Mit Jeroen Dubbeldam, der bis auf den Weltcup alle großen Championate gewann, Olympia 2000 in Sydney, die Weltmeisterschaft 2006 und 2015 in Aachen auch den Europatitel, ging gleichzeitig die Aera des Finals mit Pferdewechsel zu Ende. Ohne mit den Springreitern selbst in eine Diskussion zu treten, beschloss der Weltverband (FEI) auf der Hauptversammlung vor einigen Wochen in Tokio die Abschaffung des publikumswirksamen Finals mit Pferdewechsel. Der wahrlich nicht gerade einfach verständliche Sport - wie Fußball zum Beispiel -  beraubte sich selbst seiner einmaligen Attraktion. Und Antreiber war nicht zuletzt der US-Amerikaner John Madden, ein Pferdehändler, Trainer, Ehemann der zweimaligen Team-Olympiasiegerin Beezie Madden, Vorsitzender des Springkomitees in der FEI und auch Vize-Präsident der internationalen Föderation. Und wenn ihm nicht Paroli geboten wird, wird auch in Zukunft kein Wassergraben mehr in einer Prüfung zu finden sein. Wie Europapräsident Dr. Hanfried Haring (Sassenberg) vor einigen Tagen erklärte, sei die Diskussion „Wassergraben“ nicht, wie von vielen geglaubt, bereits vom Tisch, „nur erneut verschoben“. Kein Wunder, verletzte sich der Wallach Cortes von Madden-Ehefrau Elizabeth (53) bei Olympia in Rio de Janeiro doch ausgerechnet bei der Landung nach dem Wassergraben und musste für den Rest der Konkurrenz zurückgezogen werden. Um seine Ziele durchzusetzen, kann Madden auch mal laut werden, wie der weltbekannte Parcoursbauer Frank Rothenberger (Bünde) bereits erlebte, aber in Lyon den verbalen Angriff konterte.

 

Tiefgreifende Veränderungen

 

Die Neuerungen greifen tiefer in die Weltmeisterschaft ein als viele bisher vermuteten. Abgeschafft wurde das Zeitspringen als Eröffnung der Konkurrenz. Wo früher die schwächeren Nationen  ein bissvhen noch ins Licht reiten konnten, weil sie mit ihren Pferden über Hindernisse bis 1,45 m Höhe glänzten,  wird, wie ein Experte sagt, „bereits beim Auftakt der Weltmeisterschaft das `Sterben` beginnen“. Nun ist der Beginn der WM nämlich gleichzeitig für viele Teams schon wie das Finale um die Mannschaftsentscheidung. Zwei Tage – zwei verschiedene Durchgänge. Nur die besten zehn Equipen dürfen am zweiten Tag noch ran, wenn`s um die Medaillen geht. Und in die Einzelentscheidung kommen die 25 Besten aus den beiden Durchgängen für Mannschaften und Einzelstarter. Das finale Springen reiten nur noch zwölf Teilnehmer – die Fehlerquote aus insgesamt vier Umläufen entschiedet über den Weltmeister. Da ist sicher von Spannung nur noch wenig zu spüren. Und der ganz normale Zuschauer erlebt damit ein Finale wie ein Springen auf Hunderten internationalen Turnieren auch. Und weil die betreffenden Reiter alle Fehlerpunkte vom ersten Wettbewerb an mitnehmen bis zum Schluss, hält sich die allgemeine Spannung wahrlich mehr als arg in Grenzen.

Der Weltverband hat leichtfertig eine der letzten großen Chancen vertan, um wenigstens für einen Tag neue Fans zu gewinnen. Hinter den Weltmeistern alter Austragung hechelten in den letzten Jahren schon keine Sponsoren her, an solchen Champions wohl überhaupt keiner mehr. Die hängen sich nun verstärkt an einen Olympiasieger.

 

Franke Sloothaak (Steinhagen), Einzelweltmeister 1994 in den Haag: „Schade auch für das Publikum. Für so ein Ereignis kamen doch die Leute ins Stadion, das war etwas ganz Besonderes – und jeder hat es verstanden. Mit dieser Entscheidung hat sich unser Sport selbst das Besondere genommen.“ So sei die Weltmeisterschaft  nun ein ziemlich normales internationales Turnier, das auch keine Sponsoren groß anlocke. Jos Lansink, Weltmeister von 2006: „Die Weltmeisterschaft im bisherigen Sinne, das war Tradition, und Tradition sollte man nicht, man muß sie erhalten. Das Finale war gut für unseren Sport.“ Ludger Beerbaum, zweimal Team-Weltmeister, einmal Einzel-Vierter und einmal hauchdünn das Finale verpaßt("um Hundertstel"), sagt: „Ich hätte das Finale in der bekannten Form nicht abgeschafft. Ich hätte nach den einzelnen Konkurrenzen den Reiter-Weltmeister gekürt und für den nächsten Tag noch die besten Vier der Einzelweltmeisterschaft nun mit Pferdewechsel um den Titel `Weltmeister-Pferd` reiten lassen, mit entsprechender guter Dotierung.“ Damit würde man endlich das Pferd bei einer solchen Weltmeisterschaft auch endlich gebührend herausheben...

 

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