Ein Schweizer Major 1939 vier Monate bei der deutschen Heeresreit- und -fahrschule Drucken
Geschrieben von: Max E.Ammann in PferdeWoche / DL   
Freitag, 11. August 2017 um 14:10

Bern. Journalist Max Ammann veröffentlicht in der PferdeWoche den Erfahrungsbericht seines Landsmannes und Majors David Gerber, der für zwei Jahre an die deutsche Heeresreit- und –fahrschule bis 1939 abkommandiert war. Eines seiner Fazite: Erfolg im Springen durch Dressur…

 

 

In Februar 1976 erhielt Max Ammann eine Fotokopie des Berichtes von Major David Gerber über seine Abkommandierung während vier Monaten an die deutsche Heeresreit- und Fahrschule. Gerbers Aufenthalt in Hannover und Krampnitz bei Potsdam dauerte vom 10. Januar bis zum 30. April 1939. Es war eine politisch hoch­explosive Periode: Mitte März 1939 waren deutsche Truppen in die Tschechoslowakei einmarschiert, und vier Monate nach Gerbers Rückkehr in die Schweiz überfiel die deutsche Wehrmacht Polen und löste den Zweiten Weltkrieg aus. Major Gerber geht in seinem 33-seitigen Bericht auf die Problematik ein, als er die zwischen der Schweiz und dem damaligen Deutschland bestehenden Gegensätze, sowohl in politischer und wirtschaftlicher wie auch in geistiger und ­mo­­ralischer Hinsicht erwähnt. Die deutsche Heeresreit- und Fahrschule befand sich damals im Umbruch. 1920 war die Kavallerieschule Hannover als Nachfolgerin des 1866 gegründeten Preussischen Militärreitinstituts geschaffen worden. Mitte der 30er-Jahre begann der Umbau, der 1939 abgeschlossen wurde. Neu wurden das Reit- und Fahrtechnische und das Taktische räumlich wie admin­is­trativ getrennt.

 

Die taktische Schulung der Kavallerie war im Herbst 1938 nach Krampnitz acht Kilometer von Potsdam in die Nähe des Truppen­übungsplatzes Döberitz umgezogen. Die nun Heeresreit- und Fahrschule genannte «tech­nische Hälfte», mit den Reit- und Fahrschulen sowie den Turnierställen, zog in Etappen während 1939 von Hannover nach Krampnitz um. Den Schulstall (Dressur) leitete bis Ende März 1939 der Olympiazweite von 1936, Oberstleutnant Ger­hard – sein Nachfolger wurde Major Bürk­ner, seinerseits Olym­pia­reiter von 1912. Major Ha­rald Momm war Leiter des Springstalles, Major von Busse des Vielseitigkeitsstalles, und der spätere internationale Dressurrichter Horst Niemack leitete den Jagdstall mit einer Meute von achtzig Hunden. Dazu kam der Rennstall.

Eine halbe Million untaugliche Fahrpferde

Das Fahren hatte eine separate Organisation: die Fahrschule von Major Stein. Zu dieser war der Schweizer Major Gerber abkommandiert. Schnell wurde Gerber klar, dass man ihn im Fahrstall «unmöglich voll beschäftigen könnte». So ersuchte er um die Erlaubnis, die übrige Zeit beim Unterricht des Schulstalles verbringen zu dürfen. Das wurde bewilligt. Doch dem Fahren galt das Hauptinteresse Major Gerbers – der dann auch jahrelang im Eidgenössischen Kavallerie-Remontendepot – später EMPFA, heute NPZ – die führende Rolle im Fahrsport spielte. In seinem Bericht schrieb Gerber, dass die Fahrschule erst durch die im Ersten Weltkrieg gemachten Erfahrungen und erlittenen Schäden ihren besonderen Auftrieb erhielt. Sta­tis­tisch nachweisbar sollen bei der deutschen Armee zufolge mangelhafter Fahrausbildung über 500000 Pferde kriegsuntauglich geworden sein, schreibt Gerber.

Grundsätze von Herr von Achenbach

Die Ausbildung in Hannover basierte auf den Grundsätzen von «Alt­meis­ter Herr von Achenbach», in der 1936 durch das Oberkommando des Heeres erlassenen Fahrvorschrift. Für Gerber ist der Hauptpunkt die Förderung der Zugleistung, die sich durch zweckentsprechendes Verschnallen der Kreuzleine 22 weitgehend ausgleichen lässt. Hierdurch kann dem fleissigeren Pferd ein Teil der Zugarbeit abgenommen und dem weniger arbeitenden zugeteilt werden.

«Fahrkunst und Fahrhandwerk»

Major Gerber macht in seinem Bericht den Unterschied zwischen «Fahr­kunst und Fahrhandwerk». Gerber macht sich auch Sorgen um die Schweizer Kavallerieremonten nach Entlassung aus der Rekrutenschule – „ein Blutpferd werde zum täglichen Gebrauch am Wagen einem Manne anvertraut, der die elementars­ten Grundsätze des Fahrens nicht kennt“. In Bezug auf den Schulstall meint Major Gerber, dass ein Schulpferd richtig gearbeitet ist, indem es jederzeit nach den schwers­ten Lektionen wieder in seine natürliche Haltung zurückgeht, sobald ihm dies sein Reiter erlaubt – dies im Unterschied gegenüber der alten Schule, wo mit künstlichen Mitteln, oft sogar mit Folterwerkzeugen, ein Pferd in eine gewisse Haltung hineingezwängt wurde.

Mit Dressur zum Springerfolg

Beim Kapitel über den Springstall fragt sich Major Gerber, ob an den immer überwältigender werdenden deutschen Springerfolgen die Pferde oder die Reitmethode Schuld seien. Gerber urteilt deutlich: „Es ist nur die dressurmäßige Schulung der deutschen Reiter und Pferde, die zu diesem Erfolg verhelfen.“ Die im Springstall stehenden Offiziere könnten ebenso gut Dressurreiter sein. Major Gerber konnte während seiner Abkommandierung auch zwei internationale Reit- und Fahrturniere besuchen: im Januar Berlin in der Deutschlandhalle und im März Dortmund in der Westfalenhalle. Bei beiden Turnieren musste der Schweizer Gast auf Wunsch des Kommandeurs der Schule auch mitfahren. Bei allen fünf Starts, so schreibt er, platzierte er sich in den ers­ten drei Plätzen.

«Fahrhandbuch für Land und Stadt»

Gerbers Bericht endet mit seinen Besuchen ins Zuchtgebiet Hannover, aufgrund dessen er Vergleiche zwischen den Hannoveranern und den damals populären Ostpreussen zieht. Gerber schlägt vor, in dieser Hinsicht enge Kontakte zu Deutschland zu pflegen. Neben den 3000 Hannoveranern und 6000 Ostpreußen habe Deutschland dank 16.000 tschechischen Beutepferden ein Überangebot. In den Schlussbetrachtungen erwähnt Gerber die latenten Konflikte in der Wehrmacht zwischen den alten Reichswehroffizieren und den jungen aus dem nationalsozialistischen System hervorgegangenen Offizieren. Er weist auf „die mangelnde Allgemeinbildung der jungen Offiziere hin“.

 

Aufgrund dieses Berichtes wurde David Gerber mit der Reorganisation des Fahrens in der Schweizer Armee beauftragt. David Gerber schrieb das «Fahrhandbuch für Land und Stadt», das, basierend auf Achenbach, den Fahrsport in der Schweiz bestimmend beeinfluss­te. Gerber starb 1975 mit 78 Jahren.

 

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