Das neue Leben des Ulrich Kirchhoff Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludiwg   
Freitag, 20. August 2010 um 15:20


Valkenswaard. Ulrich Kirchhoff, den alle nur Ulli rufen, hat anscheinend wieder einmal den richtigen Weg in ein neues Leben gefunden. Er lebt, trainiert und reitet nun in Italien – und sagt zum Beispiel, er  verdiene jetzt in einem Monat so viel wie früher in einem Jahr...

Ulli Kirchhoff

 

Das Lausbubengesicht hat er immer noch, wie vor 20 Jahren. Wie damals 1996 in Atlanta, als er auf Jus de Pommes mit der Equipe und in der Einzelwertung die Olympischen Goldmedaillen gewann. Als der Hengst an nie geklärten Umständen einige Wochen nach Olympia einging, fand Ulli Kirchhoff nie mehr zurück nach ganz  oben. Er ritt mit, aber nicht mehr dort, wo er mal war. Da spuckte ihm der Zufall das Glück vor die Hufe seiner Pferde. Beim letzten Turnier vor drei Jahren im schwäbischen Affalterbach lernte er die italienische  Springreiterin Jonella Ligresti kennen. Es passte gleich, sie fragte, ob er nicht ihr Trainer werden wolle. Seither ist er ihr Coach, „mehr nicht“, sagt er, „das wäre auch nicht gut. Ich wäre ja angreifbar.“ Er verließ das heimatliche Rosendahl, seine Frau Claudia, seinen Hof. Nun lebt er im eigenen Haus in der Nähe von Mailand, er managet den Stall seiner „Chefin“ Jonella Ligresti, trainiert sie, deren Tochter und deren Sohn. Er hat ein Leben wie „Gott in Frankreich“, nur eben in Italien, „ich habe vor allem eine ganz warmherzige Familie gefunden.“ Er hat viel zurückgelassen in Coesfeld. Vor vier Jahren noch sagte er mal, „ich habe viel Scheiß gebaut, aber ich weiß heute, wohin ich gehöre.“ Nun anscheinend nach Italien, wo kaum anderes abläuft als früher in Deutschland, auf einer eben anderen Anlage mit 35 Boxen, einer Halle von den Maßen 30 mal 70 m, einem Außenplatz von 80 mal 40 m. Seine neue Partnerin heißt Barbara S. und kommt aus Italien, die Vorfahren aus der Schweiz.  Sie reitet auch. Geschieden ist er – noch – nicht. Während des Turniers vor einigen Tagen im niederländischen Valkenswaard wurde er 43 Jahre alt. Man hat nicht den Eindruck, als ginge es ihm schlecht.

 

 

Jonella Ligresti auf dem Carthago-Z-Nachkommen Da Zara Contact BZ

Möglicherweise wird sie auch Präsidentin des Fußballclubs AC Mailand...

(Fotos: U. Ludwig)

 

Vor 14 Jahren im „Horse Park“ von Atlanta

 

14 Jahre ist es nun her,  dass damals im „International Horse Park“ außerhalb von Atlanta ein Deutscher namens Ulrich Kirchhoff auf dem Hengst Jus de Pommes seine Kreise zog. Im Preis der Nationen ließ er sich in beiden Umläufen jeweils nur 0,75 Zeitfehlerpunkte anschreiben, das reichte zur goldenen Plakette mit dem Team, im Einzelspringen stand nach zwei Runden am Ende ein Strafpunkt auf der Tafel. Mit einem Abwurf hätte er nicht einmal ein Stechen erreicht. Er meinte damals: „Alles kein Problem, ich reite zu null.“ Er hatte es anscheinend  gefühlt. Er wurde zum jüngsten Springreiter-Olympiasieger aller Zeiten, fünf Tage vor seinem 29. Geburtstag am 9.August 1996. „Oxer, Steilsprung, Dreifache, Steil, Triplebarre, Oxer, Doppel-Steil, Oxer und nochmals Steil am Ende“, den Parcours seines Lebens wird er immer aufsagen können. Der schönste Tag in seinem sportlichen Leben.  Deutschland feierte nach Kurt Hasse auf Tora 1936, Hans Günter Winkler auf Halla 1956, Alwin Schockemöhle 1976 auf Warwick-Rex und Ludger Beerbaum 1992 auf  Classic Touch den fünften Einzel-Goldmedaillengewinner in der Olympischen Reitsportgeschichte seit 1912. Er ritt die Ehrenrunde mit einer Fahne rechts und links in der Hand, keine Zügelführung, der Hengst sprang gar Einer-Wechsel durch reine Hilfengebung, eine Demonstration eines guten Reiters und gut ausgebildeten Pferdes, doch viele fragten sich damals, wie kam er zu den Fahnen. „Ganz einfach“, sagt Ulli Kirchhoff, „mein Vater gab sie mir.“ Und wieso stand Willi Kirchhoff plötzlich im Parcours und dann auch noch unmittelbar hinter seinem Sohn bei solch` teilweise unglaublich harten amerikanischen Sicherheitsvorschriften und  Sicherheitsauflagen? Die Antwort kennt ebenfalls der Sohn: „2005 beim Turnier in Nörten-Hardenberg kam eine Frau auf mich zu und sagte: `Sie werden mich nicht mehr erkennen, aber ich war damals jene Stewardess im Reiterstadion der Olympischen Spiele, die Ihren Vater gegen jede Vorschrift in den Parcours zu Ihnen durchließ´ .“

 

Alles begann bei Alwin Schockemöhle

 

Lange vor Paul Schockemöhle (65) war dessen Bruder Alwin (73). Und Mühlen im Süden Oldenburgs galt als Hauptstadt der Reiterei weltweit. Der große Ron Southern als „Herr über Spruce Meadows“ in Calgary schickte seine Tochter Nancy deshalb ebenfalls nach Mühlen wie viele andere auch. Alwin Schockemöhle war der Mann, der die Champions machte, noch ehe er selbst den Ruf eines „Champ ohne Titel“ ablegte. Der Olympiasieger von 1976 wurde beispielsweise zum  Entdecker vom späteren niederländischen Europameister Johan Heins, er führte Gerd Wiltfang zum Weltmeistertitel und dessen Ehefrau Rita zum Standesamt, Helio Pessoa, der jüngere Bruder von Nelson Pessoa war bei ihm zum Lernen oder die Amazonen-Weltmeisterin Janou Lefebvre aus Frankreich und auch der Niederländer Emile Hendrix. Viele Jahre trainierte der spätere Weltcupsieger Thomas Frühmann aus Österreich  bei ihm, und er holte den Schüler Franke Sloothaak aus dem holländischen Friesland zu sich auf den über 400 Jahre alten Hof. Der Schockemöhle-Stil ist bei  Sloothaak und Frühmann auch heute noch zu sehen. Dort an der Haustür des riedgedeckten Bungalows in der Münsterlandstraße stand eines Tages der damals 16 Jahre alte Schlaks Ulrich Kirchhoff aus dem benachbarten Lohne und fragte: „Herr Schockemöhle, darf ich bei Ihnen reiten?“ Und der sagte: „Ja, aber Chef ist Franke Sloothaak.“

 

Ulli Kirchhof beim Interview

 

Ulli Kirchhoff war bereits bekannt als Ponyreiter, Vater Willi Kirchhoff förderte seinen Sohn, wo und wie er konnte. Er arbeitete zunächst als Pfleger bei Paul Schockemöhle, doch weil der nicht gerade üppig bezahlte, verdingte er sich als Fahrer bei der Bundeswehr. Vier Jahre biss sich Ulli K. auf dem Schockemöhle-Hof durch. Er ritt danach unter anderem bei dessen Bruder Paul  und auch beim niederländischen Team-Olympiasieger und internationalen Pferdehändler Jan Tops in Valkenswaard.

 

„Gravemeier hinterließ Scherbenhaufen“

 

Auf Bundestrainer Herbert Meyer stand er, auf dessen Nachfolger Kurt Gravemeier nie, „der hat einen  Scherbenhaufen hinterlassen, den nun Otto Becker und Heinrich-Hermann Engemann zusammenkehren müssen. Beide machen eine sehr gute Arbeit,, aber auch eine schwere“, sagt er heute.

 

Er drängt in keine deutsche Championats-Equipe mehr. Ob er nochmals nach Deutschland zurückkehrt, weiß er nicht. Seine neue Chefin Jonella Ligresti (43) schloss vor einigen Tagen mit ihm einen schriftlichen Dreijahresvertrag „bis 2013, sie wollte es, ich nicht“. Bisher hatte er einen per Handschlag geschlossenen Kontrakt. Die fast scheue Sizilianerin, die als ganz wenige Frauen in Italien in höchsten Gremien sitzt, kommt auf ein Jahreseinkommen – stimmen die Zahlen – von rund 16,4 Millionen Euro. Sie ist beteiligt an Immobilien, Banken, an der viertgrößten Versicherung des Landes, an einer Hotelkette, an Sushi-Restaurants, Zeitungsverlagen, Rundfunk- und TV-Stationen. Sie kommt im eigenen Jet mit Entourage zu den Turnieren. Da ist Ulli Kirchhoff sicherlich nur ein ganz normaler Durchlaufposten in der Bilanz...

Ulli Kirchhoff - auf neuen Wegen...

 

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