"Klassische Dressur? - Es gibt nur gutes oder schlechtes Reiten..." Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Donnerstag, 21. Oktober 2010 um 14:24

München. Die Dressurrichterin Katrina Wüst ist anerkannt im Kreis der Kollegen und bei den Reitern auch, sie hat klare Ansichten und spricht sie auch aus. Sie muss auf niemanden Rücksicht nehmen. Anbei ein Interview mit ihr.

 

Dressurrichterin Katrina Wüst

(Foto: Kalle Frieler)

 

Sie hat etwas, was viele ihrer Zunft nicht haben, nämlich Charme und Können, sie – Katrina Wüst. Beim Können hapert es bei einigen der Kollegen und Kolleginnen manchmal arg. Bei ihr nicht. Bei der Aufnahme eines Richtervertreters vor zwei Jahren in die sogenannte Task Force der Dressur wurde sicher nicht lange gewürfelt, man holte sie. Sie ist nun einmal weltweit anerkannt, ohne Lobby. Vielleicht macht sie genau das zu etwas Besonderem im Kreis der inzwischen wieder vermehrt gescholtenen. Katrina Wüst kommt aus dem Sport, sie kennt die Seite des Reiters, nun auch die des Richters und des Richtens. Sie weiß, was sie richtet, wie sie richtet und kann es auch erklären.

 

Katrina Wüst, 60, geborene Hilger-Henkel, war zuhause in Düsseldorf-Wittlaer. Mit 13 erhielt sie ihr erstes eigenes Pferd. Als Mädchen gewann sie gegen den späteren Mannschafts-Olympiasieger Klaus Balkenhol damals eine A-Dressur, „mit der Wertnote 8,0.“ Bei ihrem ersten Erfolg in einer M-Dressur war Klaus Balkenhol in der damaligen Polizeikaserne in der Düsseldorfer Rossstraße der „Vorleser“. Sie ritt und trainierte beim knorrigen Robert Schmidtke und später bei Fritz Tempelmann, sie durchlief nicht nur eine harte, auch eine gute Schule, vielleicht für jene Zeiten die beste. Mit ihrem  Spitzenpferd Why Not gehörte sie ab 1972 zum deutschen B-Kader, in einer Zeit, als die deutschen Dressurreiter nur überall goldene Spuren in den Sand der Vierecke zogen. B-Kader, das war das Tor in die Champions Klasse.

 

Sie studierte in Freiburg/ Breisgau Germanistik und amerikanische Literatur, ihre Mutter war eine der besten Tennisspielerinnen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Cousin Albrecht Wöste (75), Sportführer und ehemaliger Unternehmer, ist seit einem Jahr  Präsident des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen. Katrina Wüst ritt ihre Turnierpferde selbst und bildete viele bis zur S-Klasse und höher aus. Wenn sie nicht gerade irgendwo in der Welt Dressurprüfungen zu bewerten hat, ist sie am liebsten zuhause, mit Tochter Caroline, zwei Söhnen und ihrem Mann in der Nähe von München.

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Gute Pferde reichen heute nicht mehr...

 

 

Frau Wüst, wer in der ganzen Welt richtet wie Sie, der selbst oben geritten ist, der weiß auch, wo die deutsche Dressursport zur Zeit steht, wo steht er nach Ihrer Meinung?

 

Katrina Wüst: „In ihrer Gesamtheit betrachtet, d.h. inklusive des Jugendbereichs sowie der U-25 GP-Nachwuchsreiter, ist Deutschland sicher nach wie vor Weltspitze. So breit ist kein anderes Land aufgestellt. Doch Holland ist sehr nahe dran, und auch andere Nationen rücken nach.“

 

Was muss sich ändern, um wieder auf gleichem Niveau wie die Holländer zu reiten, denn das Reiten an sich können die Deutschen ja nicht verlernt haben?

 

K.W.: „Das gute Reiten und vor allem auch das korrekte Ausbilden haben die Deutschen in der Tat nicht verlernt. Die Holländer hatten auf den letzten beiden Championaten allerdings ein paar Ausnahmepferde in ihrem Team, die sie zudem sehr gekonnt vorgestellt haben. Seien wir ehrlich: Die letzten zwei Jahre, vor allem dank Totilas - aber nicht nur! - waren leistungstechnisch ein Quantensprung im internationalen Dressursport. Das drückt sich nicht nur in höheren Richternoten aus, sondern auch in der wachsenden Begeisterung des Publikums. Und an der Qualität dieser Spitzenpferde müssen sich die deutschen Top-Reiter orientieren. Es reicht für die Weltspitze nicht mehr, wenn man sehr gute Pferde durch reelles Training verbessert; die Spitzenreiter brauchen heute Ausnahmepferde mit drei exzellenten Grundgangarten, die zudem noch hervorragend piaffieren und passagieren können.“

 

Ein Pferd wie Totilas begeistert die ganze Welt, also auch jene, die mit der Dressur gar nichts anzufangen wissen, worin liegt das Außergewöhnliche dieses Hengstes, die Farbe allein macht ja noch keinen ganz Großen?

 

K.W.: „Totilas ist eines der oben beschriebenen "kompletten" Pferde. Bei ihm stimmt das Gesamtpaket: Grundgangarten und Schwung, dabei Talent für höchste Versammlung, Aussehen, ein unerschütterliches Nervenkostüm, zudem hervorragend präsentiert von Edward Gal. Und dass er ein wunderschöner Rapphengst mit sprechenden Augen ist, nimmt neben den eingefleischten Dressurfans auch noch alle anderen Pferdeliebhaber/innen für ihn ein.“

 

Als langjährige Beobachterin dieses Sports, was möchten Sie herausheben als das Positive, was als das Negative, oder besser das weniger Interessante?

 

K.W.: „1. Dressur auf mäßigem Niveau ist für den Zuschauer oft langatmig, langweilig und lässt sich schlecht verkaufen. Top-Dressurvorführungen dagegen gehen unter die Haut und faszinieren zunehmend ein breites Publikum.

 

2. Manche Richterurteile sind nicht immer verständlich; die Selbsteinschätzung mancher Reiter allerdings auch nicht.

 

3. Positiv hervorzuheben ist, dass sich im Dressursport gute Ausbildung erkennbar auszahlt: ein gut gymnastiziertes Dressurpferd ist selbst bei einem Patzer in der Regel noch unter den Platzierten, wohingegen der Reiter beim Springen nach einem Klotz meist "draußen" ist, auch wenn der Ritt von dem Fehler abgesehen sehr harmonisch und schön war. Die vermeintlich so "ungerechte" Dressur kann in dieser Hinsicht viel gerechter sein.“

 

Dressur war immer schon mehr oder minder der Sport der nicht unbedingt Armen. Was würden Sie einem Talent raten, der nicht gerade von Haus über die entsprechenden Mittel verfügt, um ganz nach oben zu kommen?

 

K.W.: „Das ist ein sehr vielschichtiges Problem. Allerdings hat auch der Dressursport bewiesen, dass es Reiter an die Weltspitze geschafft haben, die nicht aus einem reichen Elternhaus stammen. Dabei muss jedoch vieles zusammenpassen: Der Reiter muss eine Möglichkeit finden, auf sein Talent aufmerksam zu machen, und dann einen Förderer oder Sponsor finden, der ihn weiterbringt. Das ist sicher auch in großem Maße von glücklichen Umständen oder Zufällen abhängig.

 

Da sich talentierte Reiter oft nicht selber vermarkten  können, sind die Verbände und Offiziellen gefordert: Sponsoren müssen bereits auf unterer Ebene gepflegt, reiterliche Talente rechtzeitig entdeckt und weiterentwickelt werden. Der Piaff-Preis als Sprungbrett in den GP-Sport ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Symbiose aus Talentsuche, großzügigem Sponsorship und Förderung durch ausgewählte Trainer.“

 

 

Sieben Richter schaden nicht...

 

 

In der Dressur werden ja immer wieder Neuerungen erdacht, getestet, beispielsweise der Einsatz von sieben, statt nur fünf Richtern. Was hat sich bewährt, was nicht?

 

K.W.: „1. Die Idee, auf bedeutenden Championaten sieben Richter in allen Prüfungen einzusetzen, soll den Einfluss des einzelnen Richters verringern, um dadurch eine mögliche Fehlerquelle auszuschließen. Ob sich das bewährt, wird man sehen. Schaden kann es sicher nicht, denn die Richter sind ohnehin vor Ort und kosten keine Extraspesen.

 

2. Halbe Noten sollen die Differenzierungsmöglichkeiten des Richters verfeinern, wobei es jedem Richter selbst überlassen bleibt, ob er sie anwendet oder nicht.

 

3. Ein Expertengremium, das die Richterleistungen auf Championaten überprüft - vergleichbar den Schiedsrichterbeobachtern der Fifa im Fußball - soll die Qualität des Richtens verbessern und im Nachhinein Differenzen innerhalb der amtierenden Richtergruppe diskutieren. Gravierende Unterschiede in Einzelnoten können nach Betrachten einer Video-Wiederholung korrigiert werden, um dem Fehler besser gerecht zu werden.“

 

Wenn ein Pferd, wie zum Beispiel Parzival der Niederländerin Adelinde Cornelissen beim Weltcup in Mechelen Ende letzten Jahres, die Zunge heraushängen lässt, wie schwer wiegt ein solcher Fehler in einem Grand Prix, wie in der Kür, welche Richtlinien gibt es da? Und sind die Richter entsprechend auch geschult?

 

K.W.: „Es gibt ganz klare Richtlinien: Jede Lektion, bei der der Richter erkennt, dass die Zunge seitlich heraushängt, kann maximal mit einer Fünf bewertet werden. Zudem gibt es Abzüge in der Schlussnote für Durchlässigkeit. Der Fehler wiegt rechnerisch natürlich umso schwerer, je mehr Lektionen davon betroffen sind. Das gilt für alle klassischen Aufgaben sowie für die rein technische A-Note in der Kür. Bei der künstlerischen B-Note muss man allerdings differenzieren: Bei einem gravierenden Zungenproblem muss die Harmonienote, unter anderem für Durchlässigkeit und Anlehnung, deutlich reduziert, die Note für den Schwierigkeitsgrad - abhängig von der technischen Ausführung - zumindest eingeschränkt werden. Die Noten für Schwung, Choreographie und Musik bleiben dagegen von einem reinen Zungenfehler unbeeinflusst. Ohne die Vorstellung von Parzival zu kennen, kann man auf alle Fälle sagen, dass die einzelnen Komponenten der B-Note sehr unterschiedlich hätten ausfallen müssen, denn schwungvoll war er wahrscheinlich auch mit heraushängender Zunge.“

 

Suchen die Reiter nach einer Prüfung manchmal auch das Gespräch mit einem Richter und in welchem Ton?

 

K.W.: „In der Regel finden Gespräche zwischen Reitern und Richtern in einem angemessenen,  freundlichen Ton statt. Manche Reiter erzählen den Richtern von ihren jüngsten Erfolgen … das ist für den Richter langweilig und meist schon vergessen, bevor der letzte Satz beendet ist. Mit vielen Reitern finden jedoch konstruktive Gespräche statt, und die sind für unseren Sport ein wichtiger Austausch. Jeder sieht eine andere Facette des Ganzen, und das bringt letztlich beide Seiten zusammen.“

 

 

Eine Kür soll alle mitnehmen – Richter und Zuschauer

 

 

Eine Kür zu beurteilen, ist sicher auch für einen Richter nicht so einfach, vor allem, sollte er nicht gerade musisch ein bisschen gebildet sein. Wie wird im Idealfall eine Kür von einem guten Richter benotet?

 

K.W.: „Für eine gute Bewertung muss eine Kür:

 

1.  technisch sauber geritten sein und die Anforderungen der jeweiligen Klasse erfüllen

 

2.  über eine abwechslungsreiche und möglichst innovative Choreographie verfügen, die sich von den Linien der Grundaufgabe löst und die Stärken des Pferdes geschickt zur Geltung bringt

 

3. in ihrem Schwierigkeitsgrad dem Leistungsstand des Pferdes angemessen sein

 

4. musikalisch genau auf die drei Grundgangarten und darüber hinaus auf ausgewählte Kernlektionen, wie zum Beispiel Piaffe, Passage oder Pirouetten, abgestimmt sein

 

5. Publikum und Richter gleichermaßen "mitnehmen" und begeistern

 

Natürlich sollte jeder Richter, aber auch jeder Reiter,  musikalisch so geschult sein, dass er hört, ob die Musik zu den Grundgangarten/ Lektionen passt. Allerdings muss er kein Vollprofi sein, das ist auch das Publikum in der Regel nicht. Hier besteht sicher in manchen Fällen noch Nachholbedarf - auf beiden Seiten, denn auch die Musikauswahl einiger Reiter kann Ohrenschmerzen machen...

Auf keinen Fall darf es so weit kommen, dass ein Reiter mit einer teuer eingekauften Choreographie / Musik gravierende technische Schwächen kompensieren kann - das würde zu einer Zweiklassengesellschaft führen: Der eine kann sich ein kostspieliges Arrangement leisten, der andere nicht.“

 

Was sind die Kriterien eines gut ausgebildeten Pferdes?

 

K.W.: „Ein Pferd ist dann gut ausgebildet, wenn es in jeder Lektion die Kriterien der Skala der Ausbildung erfüllt.“

 

 

Klassische Dressur – jeder versteht etwas anderes

 

 

Alle reden immer wieder und inzwischen gar vermehrt von der klassischen Dressur. Ein klares Bild darüber existiert nicht. Was ist für Sie klassische Dressur?

 

K.W.: „Ich stimme Ihnen zu, dass jeder ein anderes Bild von "Klassischer Dressur" im Kopf hat, deshalb verwende ich diesen Ausdruck sehr ungerne. Es gibt nur gutes oder schlechtes Reiten. Gutes Reiten bedeutet für mich, ein Pferd ohne Zwang dazu zu bringen, die oben erwähnte Ausbildungsskala zu erfüllen, es im Laufe der Ausbildung gut zu bemuskeln und schöner zu machen sowie es lange gesund zu erhalten.“

 

Was soll ein gutes Dressurpferd als Veranlagung mitbringen?

 

K.W.: „Gesundheit. Sicheren Grundtakt in allen drei Gangarten, natürlichen Schwung, Bergaufgebäude, großes Potential zur Versammlung sowie mentale Stärke, kombiniert mit Fleiß und Arbeitswillen. Schönheit ist nicht primär entscheidend, wichtiger ist Funktionalität. Und: je unkomplizierter, desto besser.“

 

Wenn Sie nochmals auf die Welt kommen sollten, möchten Sie als Pferd wiedergeboren werden, wenn ja für die Dressur oder für Springen?

 

K.W.: „Weder noch! Lieber als Pony im New Forest. Dann könnte ich den ganzen Tag frei herumlaufen, fressen und nur das tun, wozu ich Lust habe...“

 

Vielen Dank, Frau Wüst, für das Gespräch.

 

 

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