Auch Reiter haben viel Herz...trotz gegenteiliger Meinungen Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Donnerstag, 19. April 2012 um 20:57

 

Wassenberg. Vielen gelten sie als Ausbeuter, die ein Pferd zum Sportgerät degradierten. Es gibt aber auch die andere Seite, die nur wenige sehen oder erfahren, dass auch Reiter verdammt viel Herz haben, das sie nicht auf der Zunge tragen, doch mehr als bemerkenswert ist in der kalten Berufswelt mit eigenen Regeln und Gesetzen, denen eben auch ein Reiter unterliegt und folgt.

 

 

Heiner Engermann - inzwischen anerkannter Coach

Für Negativnachrichten werden die Zeilen in den Gazetten fetter gedruckt, das lockt eher den Leser und somit Käufer. Gute Nachrichten sucht man eher selten. Vor allem die eigentlich alltagsnormalen. Und weil sie kaum ein paar Zeilen füllen, vermisst sie auch keiner. Sie haben dennoch ihren Stellenwert, und wahrlich nicht den schlechtesten, wie nun die Story über Aboyeur geschrieben werden muss.

Heiner Engemann auf seinem Erfolgspferd Aboyeur - wieder vereint...

(Foto: Kalle Frieler)

Der Westfalen-Wallach war das Erfolgspferd des heutigen Mit-Bundestrainers Heiner Engemann (52). Vor Jahren sagte er, er wolle mal einen Preis der Nationen für Deutschland reiten, es wurden 45. Das Leben meinte es mit ihm nie einfach, aber er biss sich durch. 2006 und 2008 war er jeweils Zweiter der Deutschen Meisterschaft, 2006 ritt er in Spruce Meadows unweit von Calgary um den Sieg im Preis der Nationen gegen die Niederlande das entscheidende Stechen, er gewann, er wurde dazu auch noch 2008 Dritter im Weltcupfinale, Heinrich-Hermann Engemann, nur Heiner gerufen, hatte zwei ganz große Pferde in seinem Leben, Candela und Aboyeur. Candela war die schnellste Stute, die jemals in einem Parcours über die Hindernisse flog und mit der er auch einen wahrlich bemerkenswerten Weltrekord aufstellte: Er war in 132 schweren Springen mit der Stute erfolgreich. Doch sein Herz hing an Aboyeur.

 

 

Mit dem Westfalen-Wallach Aboyeur wurde der diplomierte Reitlehrer Engemann in den Championatskader aufgenommen, „doch die Anfangsjahre waren nicht so leicht mit ihm“, sagt er. Aboyeur war ein Spätentwickler, am Ende hatte er 1,4 Millionen Euro an Gewinngeld. Engemann: „Er hatte als Sportpferd unglaublich Charakter, er machte immer einen guten Job, ob in der Halle oder im Freien, egal wo, egal auf welchem Boden.“ Für Aboyeur lagen Millionen-Angebote auf dem Tisch, er wurde nicht verkauft. Aber der Wallach gehörte nicht Engemann, sondern seinem damaligen Schwiegervater. Als die Ehe mit Karin Ernsting zerbrach, wurde Aboyeur mit einem ganzen Lot weiterer Pferde an den holländischen Pferdehändler Jan Tops verkauft.

 

„Nur schnell weg…“

 

Im Stall Tops ritt den Anmarsch-Sohn zunächst der Angestellte Daniel Deußer („Mit Aboyeur kam man in jedem Springen an“), von Mannschafts-Olympiasieger Jan Tops wurde Aboyeur an den brasilianischen Spitzenreiter Alvaro Alfonso de Miranda Neto verkauft, der kam nicht so zurecht wie erwartet, Aboyeur ging zurück nach Valkenswaard, Deußer hatte ihn wieder unter dem Sattel und freute sich, doch eine verdiente Bleibe hatte Aboyeur immer noch nicht. Tops verscherbelte Aboyeur nach Italien an den früheren argentinischen Fußball-Nationalspieler Hernan Crespo (36), der für Chelsea London, Lazio Rom, Internazionale Mailand Parma und Genua kickte. Crespo, der sich auch oft und gerne bei Holger Hetzel in Goch mit Springpferden eindeckt, kaufte Aboyeur für seine Frau Alessia Rossi. Mit dem ehemaligen italienischen Modell traf Heiner Engemann die Abmachung, „dass ich Aboyeur nach Ende seiner sportlichen Zeit zu mir holen kann.“ Nun war es soweit. Nach dem Großen Preis von Arezzo unweit von Rimini vor einigen Tagen wurde der jetzt 18 Jahre alte Aboyeur in der Arena vom Sport verabschiedet, Heiner Engemann nahm den Sattel ab und führte den Wallach gleich auf den Transporter, „ich dachte nur, schnell weg, ehe sich jemand das wieder anders überlegt…“ Und das sagte er: „Jetzt ist Aboyeur wieder bei mir zuhause, das hat er auch verdient…“

 

Aboyeur hat den Stress in fremden Ställen, immer wieder anderen Reitern und den nur auf Reibach erpichten und meist nicht gerade zimperlichen Pferdehändlern hinter sich. Schade, dass er nicht erzählen kann…

 

„Mit Wetteifernde im Stroh gelegen…“

 

Ludger Beerbaum (48) ist sicher zur Zeit der perfekteste Springreiter. Was er sagt, hat Gewicht, ob es passt oder nicht. Beerbaum legt nirgendwo Schminke auf. Er sagt und steht dazu. Sein Stall in Riesenbeck ist durchorganisiert, wer hätte anderes gedacht, er ist Reiter, aber auch durch und durch Geschäftsmann. Er hat in seiner Zeit bei Paul Schockemöhle viel gelernt und mitgenommen. Aber er hat auch verdammt viel Herz. Gegen den Zuchtimpresario Leon Melchior vom belgischen Getsüt Zangersheide führte er einen Prozess, um der Stute Ratina einen Lebensabend auf seinem Hof zu gewährleisten. Melchior hatte nicht unrecht, denn laut Vertrag sollte Ratina zurück zu ihm als früheren Besitzer nach Ende der sportlichen Karriere. Aber der Kontrakt lief damals mit dem Stall Moksel in Buchloe im Allgäu, wo Ludger Beerbaum nach dem Weggang von Paul Schockemöhle 1989 ritt. Ratina war für genau 2.126.000 DM unmittelbar nach den Olympischen Spielen 1992 für Ludger Beerrbaum von Rodo Schneider gekauft worden, Schneider war damals Vortandsmitglied des Fleischimperiums Moksel mit angegliedertem Turnierstall, sein Sohn Ralf erhielt dafür die Stute Classic Touch, auf der Ludger Beerbaum in Barcelona Einzelgold gewann. Der Stall Moksel wurde aufgelöst, damit war der Vertrag auch um Ratina wächsern. Melchior wollte die Stute für die Zucht, sie sollte aufnehmen, das befruchtete Ei wiederum wäre einer Amme eingepflanzt worden. Gegen eine solche Gebärmaschinerie wehrte sich Beerbaum zusammen mit Rechtsanwalt Michael Klimke, das Gericht in Münster gab dem deutschen Rekordmeister mit neun Titeln Recht. Ratina, erfolgreichstes Championatspferd aller Zeiten, durfte bei ihm bis zum Tode kurz vor Weihnachten 2010 ihren Hafer fressen.

 

Doch die wahre Seelenstory gehört der Stute Wetteifernde. Das Pferd war dem damals jugendlichen Ludger Beerbaum zur Verfügung gestellt worden, er konnte die Hannoveraner Stute auch auf Prüfungen vorstellen. Mit Wetteifernde wird Beerbaum Zweiter der Deutschen Meisterschaft der Junioren 1982, der damalige Bundestrainer Hermann Schridde wird auf ihn aufmerkam und holt ihn zu Lehrgängen. Beerbaum, der im Gymnasium auch das Fach Musik belegte, machte Karriere wie kaum ein anderer. Doch er strich jene Wetteifernde nie aus dem Gedächtnis. Er hatte ihre Spur immer verfolgt, bis zu jenem Bauern in Belgien, wo er sie wiederfand, 23 Jahre alt, verdreckt, in einem dunklen Stall. Für 5.000 Mark kaufte er sie zurück und gab ihr das Gnadenbrot. Beerbaum: „Ihr verdankte ich doch alles, mit ihr lag ich als Junge in der Box auf Heu, sie hatte wirklich im Alter noch einige schöne Jahre verdient.“ Sie wurde 28 Jahre alt.

 

Tony, Gigolo, Apache und nun Satchmo

 

Die Liste guter Taten großer Reiter ist lang. Die fünfmalige Olympiasiegerin Isabell Werth pflegte und pflegt ihre alten Cracks, auch ohne als Besitzerin eingetragen zu sein. Der Wallach Gigolo, für den sein Entdecker und Eigner Dr. Uwe Schulten-Baumer keinen Platz mehr hatte, erhielt bei Isabell Werth eine Extra-Box, dazu die Stute Reha für den Weidegang. Reha musste sogar mit, als in den Tagen vor dem Tod Gigolo in die Klinik gebracht werden musste. Nun hat sie in Rheinberg noch die Rentner Apache, Antony und als Neuzugang seit einigen Tagen Satchmo. Hugo Simon, der Pfälzer, der ab 1972 für Österreich reitet, weil ihn der Deutsche Verband für nicht gut genug hielt, der dreimal den Weltcup gewann, überall in der Welt bestand, holte alle seine ehemaligen Spitzenpferde zu sich nach Weisenheim am Sand, mit jeweiliger Abmachung, auch nach einem Verkauf. So hatten früher Flipper, Gladstone oder Lavendel noch schöne Fresstage wie jetzt der berühmte ET und als Kompagnon Apricot. Und Bundestrainer Otto Becker kann sich jeden Tag den wunderbaren Hengst Dobels Cento vom Wohnzimmerfenster aus begucken, wie sich der von ihm im Sport groß herausgebrachte und erfolgreiche Hengst die Sonne auf den Balg scheinen lässt.

 

Paul Schockemöhle, von dem man nicht gerade behaupten darf, er halte sich mit Rührseligkeiten auf, päppelte vor Jahren den berühmten irischen Wallach True Blue auf. True Blue hatte er als Springpferd in die Schweiz vermittelt, doch auf der Überfahrt mit der Fähre zum Weltcupfinale in Göteborg mit Willi Melliger  zog sich der Braune eine Lungenentzündung zu, ein Jahr lang der Wallach in Mühlen bei ihm im Stall mit einer Kanüle im Atmungsorgan. Aber der Schlachter wurde nicht gerufen. True Blue erholte sich soweit, dass er wieder kleine Prüfungen gehen konnte. Dass der dreimalige Europameister seinem Erfolgspferd Deister das Gnadenbrot gönnte, erscheint fast logisch, dass er aber den Wallach Flint seiner damaligen Ehefrau Barbara nach der Scheidung nicht abschob, hat wirklich Anerkennung verdient.

 

Der berühmte Schimmel Milton wiederum hatte nicht gerade ein schönes Rentnerdasein. Zunächst jedenfalls nicht. Das Besitzerehepaar schickte ihn nämlich mit dem britischen Springreiter John Whitaker auf eine Abschiedstournee quer durch Europa – der „Asche“ wegen, wie man Geld bei den Springreitern nennt, drei Millionen Mark an Gewinngeld und 30 Autos waren wohl nicht genug….

 

Sollten Sie ebenfalls Beispiele kennen, im positiven wie im negativen Sinne, schreiben Sie uns, in kurzen Worten, was Sie bewegte oder abstieß…

 

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