Halla und Rembrandt - Pferde des letzten Jahrhunderts Drucken
Geschrieben von: Max Ammann/ DL   
Montag, 01. Oktober 2012 um 17:28

Ittigen bei Bern. Der Schweizer Max E.Ammann (73) ist wahrscheinlich einer der wenigen Reitsportjournalisten, für den die Vergangenheit immer auch Gegenwart ist. Kein Wunder, dass ihn die Stimme im Schweizer Rundfunk bei Olympia in London aufschrecken musste, die da „von besten Sportlern aller Zeiten“ verkündete. In seiner wöchentlichen Kolumne in der Schweizer „PferdeWoche“ nimmt er dazu Stellung mit Blick auf die Reiterei.

 

 

 

Der Beste aller Zeiten! Gehört dieses Attribut den nach Statistik Besten oder nur einem Sportler, der – auch im Jahrhundert-Vergleich – seine Generation weit überragte? Solche absolute Dominatoren sind rar. Auch Roger Federer im Tennis ist es nicht, selbst Pelé im Fussball oder der Ski-Abfahrer Franz Klammer waren nicht unfehl-  und unschlagbar. Bei Eddy Merckx, dem vielleicht überragendsten aller Velo-Rennfahrer, fragt man sich, inwiefern unerlaubte Mittel mitspielten? Der Schachspieler Bobby Fischer (ist Schach Sport?) hatte zweifellos das Potential zum All-time-greatest. Aber seine gesundheitlichen Probleme waren ihm im Wege.

 

Im Eisschnelllaufen gewann der Amerikaner Eric Heiden 1980 alle fünf Distanzen. Al Oerter, ein Hobby-Leichtathlet aus New York, qualifizierte sich viermal hintereinander für die Olympischen Spiele und gewann jedesmal Diskusgold. Tiger Woods holte in wenigen Jahren mehr Major Titel im Golf als all die Großen vor ihm – dann kam der Einbruch. Waren Sonja Henie im Eiskunstlaufen, Wayne Gretzky im Eishockey, Emil Zatopek in den Leichtathletik-Langstrecken die Besten aller Zeiten? Michael Phelps, Mark Spitz, Don Schollander oder – fast hundert Jahre zurück – Johnny Weissmüller – wären sie die besten Schwimmer aller Zeiten?

 

Wie Statistiken als Beweis einer Überlegenheit fragwürdig sind, bewies vor etwa zwanzig Jahren der damalige General-Sekretär des schwedischen Pferdesportverbandes. Unter Zuhilfenahme unter anderem von Medaillengewinnen dividiert durch die Einwohnerzahl oder überspitzt formuliert: Die Zahl der Hengste multipliziert mit den Stuten und wieder dividiert, konnte er nachweisen, dass Schweden die Nummer 1 im Pferdesport der Welt sei.

 

Für „L’Année Hippique 2000“ durfte ich die besten Reiter und Pferde des 20. Jahrhundert bestimmen. Da ich mich immer für die Geschichte des Pferdesports interessiert habe, schien dies eine angenehme Arbeit zu sein. Sie entpuppte sich aber als äußerst schwierig und delikat. Hier im Detail:

 

Vielseitigkeit: Hier galt es zu entscheiden: Welcher Reiter konnte mit mehreren Pferden Großerfolge erzielte, und welches Pferd war über Jahre hinweg oben? Am Ende war es klar: Mark Todd ist der Military-Reiter des 20 Jahrhunderts und Marcroix, das Olympiasieger- Pferd von 1928 und 1932 unter Charles Ferdinand Pahud  de Mortanges (Niederlande) das Pferd des Jahrhunderts.

 

Dressur: Hier galten die gleichen Kriterien, und auch hier war die Wahl am Ende klar: Reiner Klimke als Dressur-Reiter des Jahrhunderts und Rembrandt als Pferd des Jahrhunderts.

 

Springen: Hier wurde es schwieriger. Denn anders als in den zwei anderen Olympischen Disziplinen, mit – vor allem bis in die sechziger Jahre - nur beschränkten Startmöglichkeiten, sieht man die besten Springreiter mit ihren Pferden oft Woche zu Woche.

 

Die Qual der Wahl begann bei den Pferden. Da war – vor dem Ersten Weltkrieg – Conspirateur, der beste Hochspringer jener Zeit, der 1906 über 2.35 sprang, und da war Amazone, die französische Stute, die bis 1914 bei jedem Springen vorne war. Nach dem zweiten Weltkrieg hatten wir Foxhunter, Meteor, Halla, Merano und Posillipo und schließlich in den achtziger Jahren - die Ansammlung großer Pferde: Milton, Jappeloup, Big Ben, Walzerkönig. Ich entschied mich für Halla.

 

Bei den Reitern war die Auswahl noch reicher. Da war Federico Caprilli, der in den italienischen Kavallerieschulen von Pinerolo und Tor di Quinto, vor dem Ersten Weltkrieg, den heute gültigen Reitstil entwickelte und ihn dank den Erfolgen der italienischen Reiter auch durchsetzte. 1902, beim ersten internationalen Reitturnier überhaupt, gewann Caprilli das Weitspringen und stellte im gleichen Jahr einen Weltrekord im Hochsprung auf. 1907 starb Caprilli, erst 39-jährig.

 

In den achtzig Jahren von 1920 bis 2000 verzeichnete ich zwanzig Reiter, die das Prädikat „Bester“ verdient hätten: vom Italiener Tommaso Lequio über den Franzosen Xavier Bizard bis zu Micky Brinckmann vor dem 2. Weltkrieg. Dann Jean d’Orgeix, Pierre Jonquères d’Oriola, Hans Günter Winkler, Fritz Thiedemann, Piero und Raimondo d’Inzeo, Alwin Schockemöhle, Bill Steinkraus, Gerd Wiltfang, Hugo Simon, Hartwig Steenken, David Broome, Neco Pessoa und Rodrigo Pessoa, John Whitaker, Ludger Beerbaum und noch ein paar andere. Angesichts dieses überwältigenden zeitgenössischen Angebotes entschied ich mich für Federico Caprilli als den Mann, der einerseits unseren heutigen Springsport erst ermöglichte und der mit seinen Siegen in seinem abgekürzten Leben auch bewies, dass er nicht nur Theoretiker war.

 

Von diesen sechs Selektionen von 2000 in L’Anneé Hippique ist, theoretisch, jede anfechtbar. Würde sich zwölf Jahre später etwas ändern? Ich glaube nicht. Mark Todd, der nach einigen Jahren Absenz seit 2008 wieder Olympisch in London ritt und Mannschafts-Bronze gewann, bewies 2012 eindeutig seine Klasse. Marcroix bleibt einmalig, auch wenn man sich fragen kann, ob Mark Todds Olympiagoldpferd von 1984 und 1988 – Charisma - nicht ebenbürtig ist.

 

In der Dressur waren die zurückgetretenen Bonfire (Anky Van Grunsven) und Gigolo (Isabell Werth) schon 2000 keine Konkurrenz für Rembrandt mit Nicole Uphoff, ebenso wenig sind es Salinero (Anky Van Grunsven) und die neuen britischen Stars. Reiner Klimke bleibt der große Dressurreiter des 20. Jahrhunderts.

 

Auch im Springen hat sich in den letzten zwölf Jahren weder ein Superstar bei den Reitern noch ein neues Traumpferd aufgedrängt. Halla vor Milton bleibt das Pferd des Jahrhunderts - und Caprilli der Reiter. Schwierig wäre es, unter den vielen Anwärtern den Zweiten nach Caprilli auszuwählen. Nehmen wir nur die Brüder d’Inzeo: Wollen wir Piero den Dogmatiker oder Raimondo den Pragmatiker? Beide hatten überwältigende Erfolge. Oder der kürzlich verstorbene Pierre Jonquères d’Oriola? Er vertraute auf fertige Pferde, und wenn es mit einem harmonierte, gewann er. Bill Steinkraus, der intelligenteste aller, mit mehr Wissen über die Geschichte der Reitkunst als alle, die ich kenne. Er ritt nur in der geschützten Hülle des USET (US-FN, die Red) und hätte, so glaube ich, mit dem kommenden kommerziellen Turnierbetrieb Europas Mühe gehabt. Hans Günter Winkler wäre, vielleicht, meine zweite Wahl nach Caprilli. Wie er 1972, als Senior und von vielen verwünscht, in Aachen die Olympia-Qualifikation für München schaffte, bleibt in Erinnerung.

 

Zur Person Max E.Ammann

 

Max E. Ammann, der erst auf dem Totenbett verraten möchte, was der Buchstabe „E“ bedeutet (Sohn Ralph: „Ich weiß es auch nicht“), ist der Erfinder des Springreiter-Weltcups. Der Schweizer, 73, war 25 Jahre Weltcupdirektor, er überzeugte 1976 den damaligen FEI-Präsidenten Prinz Philip von der Idee und holte Volvo für 20 Jahre als Hauptsponsor in das inzwischen weltumspannende Unternehmen. Der Journalist und frühere USA-Korrespondent vom Luzerner Tagblatt, Kunstsammler, Buchautor (u.a. „Geschichte des Pferdesports“, „FEI-Championships“, „Champions“ und ganz neu „Reitsport bei Olympia zwischen 1912 und 2008“), später zudem Weltcupdirektor der Gespannfahrer, profitierte vom Weltpokal, der Sport aber auch von ihm. Ammann ist Teil des Turniersports. Seit 1957 ist er teilweise querschnittgelähmt. Nach eigenen Worten erlitt er bei der Ableistung seines Militärdienstes in einer Funkabteilung der Schweizer Armee einen ganz selten vorkommenden „Rückenmarkschlag“, vergleichbar mit einem Gehirnschlag, nur eben im Nervengewebe der Wirbelsäule. Ein Jahr lang lag er in verschiedenen Kliniken, helfen konnte ihm niemand.

DL

 

 


 

 

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