"Fortschritt im Anti-Doping-Kampf - gleich null..." Drucken
Geschrieben von: DOSB/ DL   
Donnerstag, 04. Mai 2017 um 10:18

Berlin. Bei der Öffentlichen Anhörung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin hat Andrea Gotzmann als Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) als Sachverständige die folgende Stellungnahme abgegeben, unter anderem sagte die Chemikerin und frühere Basketball-Nationalspielerin:

 

“…Die McLaren-Berichte I und II sind zum Synonym für die Aufdeckung des größten Dopingskandals im internationalen Sport geworden. Mein außerordentlicher Dank gilt Prof. McLaren, der gegen größte Widerstände diese Aufgabe mit Akribie, Durchhaltevermögen und hoher Fachkompetenz gemeistert hat.

Die aufgelisteten Fakten sind nach wie vor erschütternd.

**Ein staatlich gelenktes und geduldetes Betrugssystem in dieser Dimension ist ein Tiefschlag für alle sauberen Athletinnen und Athleten in der Welt.

**Mindestens seit 2010 wird im russischen Sport manipuliert und gegen international vereinbarte Regeln verstoßen. Korruption und Betrug waren / sind Teil des Systems und an der Tagesordnung.

Dies sind die Anti-Doping Konvention des Europarates (1989), der WADA-Code (2004) und die Internationale UNESCO Konvention gegen Doping, (2005);

**Dies sind die Anti-Doping Konvention des Europarates (1989), der WADA-Code (2004) und die Internationale UNESCO Konvention gegen Doping, (2005);

**Die Einhaltung dieser Regeln ist essentiell für die Werte des Sports und letztendlich dessen Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen der sauberen Athletinnen und Athleten in das System und in die Anti-Doping-Institutionen ist erschüttert. Dies nicht alleine durch die Faktenlage, dass dieses Betrugssystem im russischen Sport existiert, sondern der Tatsache geschuldet, dass keinerlei nachvollziehbare Konsequenzen daraus gezogen werden.

**Die sauberen Athletinnen und Athleten sind die wahren Verlierer! Ihnen hilft die Diskussion um Einzelfallgerechtigkeit überhaupt nicht. Sie werden keine Gerechtigkeit mehr erfahren, das betrifft leider eine ganze Athleten-Generation.

**Die Missachtung aller Werte des Sports, insbesondere der Fairness und der Chancengleichheit trifft uns alle. Die NADA hat im internationalen Zusammenschluss von 14 Partnerorganisationen adäquate Konsequenzen gefordert. Konsequenzen, die das IOC und die verantwortlichen Ifs nicht umgesetzt haben, mit Ausnahme IAAF und IPC. Dies ist umso bedauerlicher, als gerade die Nationalen Anti-Doping-Organisationen sich 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr, professionell mit der Problematik beschäftigen und ein enormes Know-how in den letzten 15 Jahren aufgebaut haben. Sie sollten für den Sport ein ernstzunehmender Gesprächspartner sein.

**Die Fakten liegen Dank der Arbeit von Richard McLaren auf dem Tisch. Hinzu kommen die Ergebnisse aus den Nachmessungen der Proben der Olympischen Spiele von London und Peking. Auch diese Ergebnisse sprechen für sich: nachträglich 101 positive Fälle, davon 35 russische Athletinnen und Athleten; insgesamt 55 Medaillengewinner, davon 13 Goldmedaillen.

**Auch die objektiven, leider sehr ernüchternden Berichte internationaler Experten zum derzeitigen Stand der Anti-Doping Arbeit in Russland, sind niederschmetternd.

 

Zusammengefasst: Fortschritt nahezu Null.

 

Ein Bewusstseinswandel von der Betrüger-Mentalität hin zum sauberen Sport kann nicht per Dekret über Nacht erreicht werden. Dies ist ein langer, mühsamer Weg und bedarf der Willensbekundung aller am System Beteiligten. Aber es fängt mit dem Eingeständnis an, dass ein Dopingproblem überhaupt existiert! Das vermissen wir nach wie vor. [Auch wir haben in Deutschland diese Erfahrung gemacht: Leugnen, abstreiten, verharmlosen und wenn nichts mehr hilft, heißt es zur Rechtfertigung: Alle anderen tun es doch auch.].

Auch die Diskrepanz der Qualität der Anti-Doping-Arbeit weltweit ist für mich nicht akzeptabel. Es bedarf einheitlicher Standards und Verhaltensweisen. Ich sehe hier vor allem die WADA in der Pflicht, die Instrumente der „Non-Compliance“ konsequent und nachvollziehbar anzuwenden.

Von größter Bedeutung ist derzeit jedoch eine Reform und Stärkung der WADA selbst. Die Governance Strukturen müssen dringend überarbeitet werden, um die Interessenskonflikte und die direkte Einflussnahme des internationalen Sports in der WADA aufzulösen. Neutrale Professionalität und Fachkompetenz sind heute wichtiger denn je, gerade wo immense wirtschaftliche und finanzielle Interessen im Spiel sind. Ich bemängele diese fehlende Professionalität.

Wir haben dem Report der unabhängigen Beobachter von Rio entnommen: 4.125 (36 Prozent) Athletinnen und Athleten, die in Rio gestartet sind, haben im Jahr 2016 vor den Olympischen Spielen gar keinen Dopingtest durchgeführt, davon 1.913 (17 Prozent) aus Hochrisiko-Sportarten. Das ist für mich und meine Kollegen der NADA-Gruppe undenkbar!

Wann wird endlich beim IOC und den internationalen Sportfachverbänden realisiert, dass man sich nicht nur sportlich, sondern auch in der Anti-Doping-Arbeit für internationale Großereignisse qualifizieren muss, um auch nur den Anschein von Chancengleichheit für die sauberen Athletinnen und Athleten zu realisieren?

Auch wir in Deutschland haben die Reform der Anti-Doping-Arbeit vorangetrieben und das umgesetzt was für den Schutz der sauberen Athletinnen und Athleten und für faire Rahmenbedingungen zwingend notwendig ist:

Eine Reformstruktur der NADA: Professionalisierung der Arbeit im Tagesgeschäft, strikte Trennung von operativer und Aufsichtsebene zur Gewährleistung der operativen Unabhängigkeit der Stiftung.

Die Loslösung der Anti-Doping-Arbeit von den Sportverbänden und somit Auflösung von Interessenskonflikten – nicht ohne Widerstand des organisierten Sports und bis heute nicht vollumfänglich, aber mit der Unterstützung der Bundesregierung. Auch hier arbeiten wir weiter.

Die Stabilisierung der Finanzierung der NADA durch die Bundesregierung zur mittelfristigen Planbarkeit der Anti-Doping-Arbeit in Deutschland.

Die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes: Das schärfste und weitest gehende Gesetz weltweit, das von diesem Parlament verabschiedet wurde – nicht ohne Widerstand des Sports.

Das Zwei Säulen Modell der NADA: Ein umfassendes Doping-Kontroll-System mit mehr als 15.000 Proben jährlich und der schwerpunktmäßigen Präventionsarbeit in allen Gruppen.

Die Etablierung eines Whistleblower-Systems: Bei uns sind Hinweisgeber wichtige und mutige Persönlichkeiten des Sports, die aus eigenen Fehlern gelernt haben und die größte Anerkennung verdienen.

Die Zusammenarbeit der NADA mit den staatlichen Ermittlungsbehörden.

Ein unabhängiges Sportschiedsgericht, das sich – anders als der CAS – Reformen gestellt hat: Prozesskostenhilfe für Athletinnen und Athleten, Mitspracherecht bei der Schiedsrichterwahl etc.

…Auch ich merke täglich, dass es schwerer wird, auf Verständnis für diese notwendigen Anti-Doping-Maßnahmen zu treffen. Die massive Missachtung der Regeln durch den russischen Sport, der Betrug an den sauberen Athletinnen und Athleten einer ganzen Generation, hat tiefe Spuren hinterlassen. Ich werde nicht aufgeben, für den von uns eingeschlagenen Weg weiter mit meinen Kolleginnen und Kollegen – national wie international – zu kämpfen…und biete nach wie vor dem IOC das Gespräch an.

Bei allen Entwicklungen darf niemals der einzelne Athlet vergessen werden. Der Schutz der Gesundheit ist oberstes Gut, und auch dies ist im staatlichen russischen Dopingsystem sträflich missachtet worden. Hier hilft der Blick in die deutsch-deutsche Geschichte: Wir sehen welch‘ gravierende Gesundheitsschäden durch systematisches Doping hervorgerufen werden. Meine besondere Anerkennung, mein besonderer Dank gilt der Bundesregierung, die den Dopingopfern der Vergangenheit Deutschlands erneut 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat.“

 

 

Um die Nutzbarkeit unserer Seiten zu verbessern, verwenden wir Cookies. Falls Sie mit der Speicherung von Cookies nicht einverstanden sind, finden Sie hier weitere Informationen. Weitere Informationen >>> Cookie-Hinweis.

Hinweis >>>