Als auch Berlin noch großen und feinen Reitsport bot... Drucken
Geschrieben von: Matthias Sprackties/ DL   
Dienstag, 19. Juni 2018 um 19:43

Berlin. Im Gegensatz zu Städten wie Paris, Madrid, London, Cannes, Monaco oder Rom ist der große Turniersport aus Berlin verschwunden, ob die Global Tour in Berlin nach einem Anfang eine Zukunft hat, erscheint fraglich. Der frühere RIAS-Redakteur Matti Sprackties, durchaus Insider im Turniersport, erinnert an ehemalige schöne Berliner Vergangenheit im Reitsport.

 

Wenn Sie die folgenden Zeilen lesen, erwarten Sie bitte nichts Neues oder Sensationelles aus dem Leben der Reiterei. Betrachten Sie meine Zeilen als eine Art hippologische Erinnerungen in einer schnelllebigen Zeit, in der nur noch Computer oder Smartphones unseren täglichen Takt angeben. Was gestern geschah, ist Geschichte. Doch Vergangenheit kann im Sport auch als zukunftsweisend gewertet werden. Die Kommerzialisierung des Sports hat auch in der internationalen Reiterei den Charme verblassen lassen. Was zählt, ist das Geschäft! Das bedeutet aber nicht, dass im Kern nicht nach wie vor echte Pferdeleute das Geschehen bestimmen, die seit Generationen diese Leidenschaft im Herzen tragen und die Zukunft neu gestalten. Das Geld hat auch im Reitsport die Oberhand gewonnen. Inzwischen kennt die Geldgier keine Grenzen mehr.  Ob man sich eines Tages wieder einmal alter Werte in neuen Kleidern besinnt, wäre zu wünschen. Tradition ist nicht das schlechteste, wenn man sie richtig - der jeweiligen Zeit entsprechend - einordnet. Im Laufe der Jahre haben sich Stil und Veranstaltungsart auch in der Reiterei systematisch verändert und dem jeweiligen medialen System angepasst.

 

Berlin – Dortmund – Frankfurt

 

Blickt man zurück, waren die internationalen Hallenturniere in Berlin, in der Dortmunder Westfalenhalle und in der Festhalle in Frankfurt/Main die jährlichen Anziehungspunkte. Hinzu gesellte sich 1985 die Stuttgarter Veranstaltung in der Schleyerhalle. Diese Turniere prägten das internationale Geschehen über die deutschen Grenzen hinaus.

Die internationalen Reit- und Springturniere in Berlin waren stets attraktive Anziehungspunkte der Weltelite. Von der Spree gingen zahlreiche Impulse aus. Ob bei den Reiterfesten in der Ulanen-Kaserne in der Invalidenstraße, im heutigen Wedding, der Ausstellungshalle am Zoo, im einstigen Sportpalast des damaligen Reichsverbandes in der Potsdamerstraße, der Messehalle

am Kaiserdamm oder ab 1936 in der neu errichteten Deutschlandhalle. Es war eine bewegte Zeit, doch nach dem Zweiten Weltkrieg lag die 14 000 Zuschauer fassende Deutschlandhalle in Schutt und Asche. Ein trostloser Anblick!

Der Wiederaufbau ist allein dem damaligen Generaldirektor Ferry Ohrtmann zu verdanken, der als Architekt bereits 1921 den Sportpalast geschaffen hatte und danach die Westfalenhalle in Dortmund. Zuvor baute er die Kölner Rheinlandhalle und die Jahrhunderthalle in Breslau.

 Sein Herz aber schlug für Berlin. Er war der Motor. Im Februar 1958 war es endlich soweit. Die neu aufgebaute Deutschlandhalle erlebte das erste Reit- und Springturnier nach dem Krieg – in der damals modernsten Großarena mit 9194 Sitzplätzen. Neu entstanden waren daneben eine große Reithalle und Stallungen für 170 Pferde. Eine Investition, die sich lohnen sollte. Fritz Thiedemann erzählte mir 1982 mit Tränen in den Augen: “Diese Halle ist für unseren Sport

phantastisch. Was die meisten Reitsport-Freunde nicht wissen, ich habe fünf Jahre in Berlin gelebt. Und wäre nicht der Krieg ausgebrochen, meine Familie und ich säßen nicht im holsteinischen Heide, sondern hier an der Spree.“

Als 17 jähriger Junge vom Land erhielt Thiedemann hier seine erste Startmöglichkeit. Bei vier Starts in der Deutschlandhalle holte er drei Siege und einen zweiten Platz.

Die deutschen Reiter ritten zu jener Zeit gegen die starke Phalanx der Italiener und Franzosen, die mit hoch im Blut stehenden Vierbeinern gegen die schwereren Pferde der deutschen Zucht antraten. Später gesellten sich die starken Briten, Iren, Holländer, Schweizer, Amerikaner und viele weitere Nationen hinzu. Das Turnier in Eichkamp war in aller Munde. Die einmalige Atmosphäre und die Ausstrahlungskraft weit über die deutschen Grenzen hinaus zogen Reiter wie Besucher magisch an. Vielleicht war es die Insel-Lage nach dem Mauerbau 1961.

 Wer weiß noch heute, was sich zu jener Zeit täglich zutrug ? Für die Turniergemeinschaft - bestehend aus dem Landesverband der Reit- und Fahrvereine Berlin und der Ausstellungs-Messe-Kongress-Gesellschaft (AMK) Berlin - war die interne Organisation oftmals beschwerlich, weil die DDR alles torpedierte, sodass die Transit - oder Ost-West-Kommission - für lächerliche Einreisepapiere der Pferde zusammentreten musste.

 Anfänglich waren es beschwerliche Pferdetransporte nach West-Berlin. In speziell eingerichteten Güterzügen kamen die edlen Rösser an die Spree, wo sie im Grunewald von den Berlinern bejubelt wurden. Nur wer es sich leisten konnte, nahm die beschwerliche Fahrt mit seinem Pferdetransporter über die katastrophale „Interzonenstrecke“ in Kauf. Erst später kamen die schicken, modernen Pferdetransporter zum Einsatz. Allerdings, die oftmals langen Wartezeiten an der deutsch-deutschen Grenze mit den Formalitäten waren nichts als Schikane.

 

Ernst Gössing und Dietmar Specht

 

Als anerkannter Turnierleiter fungierte Landwirtschaftsdirektor Ernst Gössing aus Bonn, der auch 1972 bei den Olympischen Sommerspielen in München für die Reitdisziplinen zuständig war. Er hatte die Turniere im Rahmen der Internationalen Grünen Woche mit ihren phantastischen Schaubildern fest im Griff. Ihm entging nichts. Er war gradlinig, sachbezogen, in seiner eleganten

Art konservativ der Tradition verpflichtet .Wer unter seiner Führung mit arbeiten durfte, fasste auch auf nationaler Ebene Fuß. Er umgab sich mit Experten aus allen Regionen und Zuchtgebieten. Das führte auch zu einer engen Kooperation zwischen den beiden Turnierstandorten Berlin und Dortmund mit Karl Hüske an der Spitze, der schon frühzeitig Dr. Dietmar Specht - Deutsche

Reiterliche Vereinigung, Abteilung Sport - mit in die Turnierleitung einband. Dietmar war auch als junger Turnierleiter mit seiner ruhigen, besonnenen Art international gefragt. Der viel zu frühe plötzliche Tod von Dietmar Specht riss national eine große Lücke. Er war ein kluger Ratgeber, fachlich hochqualifiziert, der mit seinen Ideen der Reiterei viele neue Impulse gab.

Da Berlin aufgrund der politischen Teilung stets im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand, war auch das Hallenturnier sportpolitisch geprägt. Daher - der Große Preis von Deutschland - wurde in Berlin ausgeritten, der Große Preis der Bundesrepublik in der Dortmunder Westfalenhalle. Es war die Zeit einer neuen Reitgeneration. Hans Günter Winkler, Fritz Thiedemann oder

Alfons Lütke-Westhues waren von talentierten jungen Reitern umgeben. Beim CHI Berlin waren sie alle zur Stelle. Kurt Jarasinski, Fritz Ligges, der spätere unvergessene Bundestrainer Hermann Schridde, Hartwig Steenken, Hendrik Snoek, Gerd Wildfang, Hauke Schmidt, Herbert Meyer, Peter Schmitz, Karl-Heinz Giebmanns, Lutz Merkel, Lutz Gössing, Michael Gockel, Norbert Koof, 1982 jüngster Weltmeister, Peter Luther, Pit Weinberg, Sönke Sönksen, Dirk Hafenmeister, Kurt Gravemeier, Franke Sloothaak, Karsten Huck, Achaz von Buchwald, Michael Rüping, Julius Schulze-Hesselmann, Otto Becker, Klaus Reinacher, Alwin und Paul Schockemöhle und viele andere dazu. Sie alle waren auf ihre Weise Springsport-Akrobaten, die zunächst nach Parcours-Plänen des künstlerischen Leiters von Weltrang, Hans-Heinrich („Micky“) Brinckmann, durch den von ihm angelegten Stangenwald galoppierten und sprangen. Er, der einst bei der Kavallerie -Schule in Hannover virtuose Siegesritte demonstrierte, war ein Meister der Hindernisgestaltung.

 

Aufmüpfiger Alwin Schockemöhle

 

Die großen Springprüfungen waren immer wieder faszinierend. Es ging in der Endabrechnung um Bruchteile von Sekunden. Das Publikum hielt oftmals den Atem an, wenn Reiter und Pferd waghalsig mit engsten Wendungen durch die vollbesetzte Arena ritten. Das war Springsport pur. Die Berliner Siegerlisten legen noch heute ein Zeugnis ab über die hohe Qualität der internationalen Besetzung. Ich müsste sie alle erwähnen, die Großen dieser Reitsportwelt, die Berlin und dem treuen Publikum so viel schöne, sportliche Stunden gaben.

 Der als erster junger Reiter in der mit Tradition umwogenden Reiterwelt aufbegehrte, war kein geringerer als Alwin Schockemöhle. Er verkörperte den Prototyp des modernen Turnierreiters, aktiv, oft unbequem, aufbegehrend gegen die stink konservativen Methoden der damaligen Führungsgremien. Das hatte auch seine Auswirkungen auf die Hallenturniere. Die damaligen Interessengruppen - von Streik bis zum unverhüllten Widerstand - veränderten die deutsche Reiterei. Alwin, als Sprecher, der von Sieg zu Sieg mit seinen Pferden Bachus, Ferdl, Freiherr, Athlet, Wimpel und Donald-Rex eilte, hatte mit seinen Mitstreitern neue wichtige Impulse gegeben, die dann wesentlich später von Bruder Paul in einer anderen Form fortgesetzt wurden. Man hat das alles verdrängt und fast vergessen. Paul, dreimaliger Europameister auf Deister, war  in vielen Sätteln gerecht. Was er anpackte, machte er richtig. Über sein Leben müsste man einen Bestseller schreiben können, denn seine Karriere war auch in Reiterkreisen einmalig. Ein streitbarer Geist, erinnert sei an die Querelen mit der Reitzentrale in Warendorf und den dortigen Funktionären in den 70er Jahren.

 

Mit Pit Krautwig in die Moderne

 

Beim alljährlichen Berliner CHI diskutierten die Springreiter im Casino der angrenzenden Reitsportschule oft hitzig über das, was sie alle bewegte. In diesem Zusammenhang darf Hendrik Snoek nicht unerwähnt bleiben. Er erhob oftmals seine kritische Stimme, wenn ihm etwas missfiel. Immer sachlich, nie aufbrausend - im Interesse seiner Reiterkollegen. Mit dem Wechsel der Turnierleitung (1981 ) von Ernst Gössing zu Pit Krautwig wurden die Turniertage in Berlin moderner. Pit, der gelernte Banker, zuständig

für Öffentlichkeitsarbeit beim Westfälischen Pferdestammbuch, war in Reiterkreisen beliebt und fachlich anerkannt. Sein Ziel beim Berliner Turnier: Moderne gleitende Formen - ohne die Tradition zu beschädigen. Das war gekonnt! Er war zu jener Zeit - mit Dietmar Sprecht - der erste Offizielle, der mit den Medien eng kooperierte. Hier zählten Fakten, die Aktiven wurden mit eingebunden, man kommunizierte mit - und nicht gegeneinander.

Diese Art des persönlichen Umgangs pflegte Pit als Turnierleiter der Standorte Berlin und Dortmund intensiv. Es war sein Markenzeichen, alle Berichterstatter von Presse, Funk, Fernsehen und Agenturen in das jeweilige Turniergeschehen mit einzubinden. Kumpanei gab es nicht. Für Krautwig zählte die Sachlichkeit der Turniers. Bei ihm lief eine Veranstaltung von der Vororganisation bis zum Schlussbild präzise wie ein Schweizer Uhrwerk ab. Aus der Ruhe brachte den Münsteraner, der zuvor an der Seite von Ernst Gössing hinter den Kulissen Regie führte, wenig. Gössing selbst war zuvor 20 Jahre Turnierchef in Berlin. Nicht immer lief alles reibungslos, Grund genug für einige Journalisten das Turnier zu verdammen. Davon gab es einige Spezialisten, die alles besser wussten. Allen voran Helmut Wagner mit seinen Mitarbeitern bei der „Reiter Revue“.

 

Hippo-Seminare in Warendorf

 

Für diese Gruppe hätte man neue Turniere erfinden müssen, grausam! Ich könnte diverse Namen erwähnen, die über den Pferdesport urteilten, aber wenig Ahnung hatten. Das aber wäre ein mediales Kapitel. Übrigens, einer, der sich in der Szene auskannte wie kein anderer, war das ostpreußische Urgestein Mirko Altgayer. Mit allen Problemen der Zucht und des Turnierwesens vertraut, war er gefürchteter Pressechef bei unzähligen Turnieren. Auf die Pressetribüne kamen nur echte Berichterstatter. Freundinnen und Freunde, die dort Platz nehmen wollten, verwies er umgehend. Hier herrschte Ordnung, die ich mir in der heutigen Turnierszene wünschen würde. Er war es, der junge, angehende Journalisten in Warendorf förderte, indem er „Hippologische Seminare“ einführte. Hier wurden Theorie und Praxis gelehrt.

Wir alle profitierten davon. Ob die politischen Größen Claus-Hinrich Casdorf ,Rudolf Rohlinger, Michael Stoffregen-Büller vom WDR, Kurt Peck von „Bild“, Bodo Müller, damals Hamburger Morgenpost, Achim Leyenberg (FAZ), Eckhard F. Schröter ("Die Welt"), Franz-Josef Colli (NRZ), Dieter Ludwig (sid), Karl Morgenstern und Gert Lemke von dpa, um nur einige zu erwähnen. Hier wurde allen Rüstzeug für die spätere Turnierberichterstattung mitgegeben. Leider wurden diese Journalisten-Lehrgänge später eingestellt oder nur für besondere Journalisten, meist vom TV, noch manchmal organisiert.

 

Gestrenge Erika Cordts

 

Und weil ich bei Personen bin, ohne die - nicht nur in Berlin - ein Turnier nicht gelaufen wäre, darf sie nicht fehlen. Wir beide waren immer per Sie, bis heute, die von mir hochgeschätzte Leiterin der deutschen Meldestellen, Erika Cordts. Die langjährige Vorsitzende des Reiterverbandes Hannover war die Seele im hippologischen Zentrum der Macht. Sie kannte alle Stärken und Schwächen der deutschen und internationalen Reiter wie wohl die wenigsten. Mit ihrer resoluten Art sorgte sie in jeder Hinsicht für klare Abläufe. Bei Ihr muckte kein Reiter auf. Sie sprach Klartext - deutlicher als die Turnierleiter. Sie war eine Ausnahmeperson mit einem starken Charakter. Betrat man die Meldestelle, konnte man gleich an ihrem strengen oder lächelnden Gesichtsausdruck feststellen, ob man sie ansprechen durfte oder nicht. Keiner kannte das Regelwerk besser als sie. Ihr Herz schlug für Pferd und Reiter. Für die Aktiven hatte sie stets ein offenes Ohr, aber, wenn es sein musste, zückte sie auch die „rote Karte“. Gerd Wildfang war dann und wann so ein Fall.

Egal mit wem ich sprach, Erika Cords galt für alle als Respektsperson, geachtet und geschätzt. Viele freie ehrenamtliche Mitarbeiter in den Meldestellen haben von ihrem Wissen profitiert. Sie selbst war immer bescheiden – ja, wie ich meine: zu bescheiden - Respekt !

 

Weltcup-Finale in der Deutschlandhalle

 

Beim ersten Weltcupfinale auf deutschem Boden in der Berliner Deutschlandhalle vom 17. bis 21. April 1985 war internationale Fachkompetenz gefragt. Wir hatten ein tolles Team. Erika Cordts führte in brillanter Form die Meldestelle, Olaf Petersen, längst als Parcours-Chef-Nachfolger von Micky Brinckmann tätig, hatte mit Wolfgang Feld optisch leichte Linien gebaut, die zu technisch sauberem, exakten Reiten verleiten sollten. Hier war vor allem die Intelligenz des Reiters gefragt. Olaf selbst sprach zu jener Zeit davon, dass der Parcours nach der Maxime konzipiert worden sei, dem besser gerittenen Pferd die größere Chance zu geben.

 21 Europäer, 16 US-Amerikaner, vier Kanadier, zwei Neuseeländer sowie ein Brasilianer und ein Australier versammelten sich zum 7. Weltcup-Finale nach 1989. Diese weltumspannende Turnier-Serie war von dem Schweizer Journalisten Max E. Amman ins Leben gerufen worden. Das war sein Werk. Einmalig in der internationalen Turniergeschichte. Für Bundestrainer Hermann Schridde gab es vorher keinen Zweifel: “Die Amerikaner sind die großen Favoriten. In keinem Land der Welt gibt es derzeit soviele gute Reiter wie in den USA“, sagte er. Er sollte Recht behalten. Zu jener Zeit hätten die Amerikaner drei Equipen stellen können, und alle wären sie vorne gewesen. Ihnen gehörte die Zukunft. Ihre Vierbeiner gingen in einem anderen höheren Grundtempo. Und Josef Neckermann schwärmte in einem RIAS-Interview: „Der Springsport hat sich grundlegend verändert. So wie die Amerikaner derzeit reiten, haben wir einiges nachzuholen. Einfach phantastisch - so schön kann Turnierreiten sein !“

Ich meine heute - die Wahrheit lag in der Mitte. Nur ein winziger Fehlerpunkt entschied den spannenden Kampf gegen den lange Zeit führenden Briten Nick Skelton. Den mit 25.000 Schweizer Franken dotierten Weltcup schnappte sich zu guter Letzt der blonde Amerikaner Conrad Homefeld auf seinem phantastischen Trakehner-Schimmel Abdullah. Zur Siegerehrung schritten dann Prinz Philip als Präsident der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) und Graf Landsberg-Velen als Chef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.

An dieser Stelle will ich ein Geheimnis lüften, was besonders der Messe Berlin, Turnierleiter Franz-Peter Krautig, Weltcup-Direktor Max Ammann und wenigen eingeweihten engen Turniermitarbeitern auf den Magen schlug - die britische Sicherheit. Das Weltcup-Finale 1985 wurde  zu einem gigantischen Kraftakt. Protokollfragen und Sicherheit standen intern ohnehin im Vordergrund, zumal das ehemalige West-Berlin noch unter dem Schutz der Alliierten Streitkräfte stand. Und so ordnete der britische Sicherheitschef kurzfristig eine Änderung der Ehrentribüne an. Innerhalb weniger Stunden rissen die Mitarbeiter der Messe Berlin die komplette Längsseite des vergrößerten Ehrengastbereiches heraus, um ihn dann nach den Vorgaben der Briten wieder fachmännisch einzubauen. Alles lief perfekt ab. Doch als der Prinzgemahl Philip, Duke of Edinburgh, den neu gestalteten Ehrengastbereich betrat, fühlte er sich offensichtlich nicht wohl in der Umgebung und – und setzte sich bester Laune und plaudernd in den recht simplen VIP-Bereich…

Turnierleiter Franz -Peter Krautig, der alles fest im Griff hatte, unterstrich immer wieder mit Nachdruck, dass auch dieses Turnier eine Veranstaltung von Menschen für Menschen sei. Herzlich, weltoffen, schnörkellos. Es war beeindruckend, wie unauffällig Polizisten in Zivil und die internationalen Sicherheitsbeamten kooperierten. Wir alle fühlten uns alle sicher in der großen Turniersport-Familie.

 

Alles ohne Marketing und Berater

 

Es war eben noch eine andere Zeit. Turniere dieser Größenordnung liefen ohne Marketing-Gesellschaften oder die aufgeblasenen PR-Agenturen. Für uns gab es nur zwei echte Agenturen: Die Deutsche Presseagentur mit ihren zwei Spitzenkönnern Gerd Lemke (Dressur) und dem unvergessenen Karl Morgenstern („Mo“) für Springen und Vielseitigkeit. Ihnen stand ein Einzelkämpfer entgegen, Dieter Ludwig vom Sport-Informations-Dienst (sid), sie waren Konkurrenten, aber auch Freunde. Er war der Motor der Fachberichterstatter. Dieter war für uns alle der journalistische Mittelpunkt. Alle Insider weltweit kennen und schätzen ihn. Er war es im übrigen, der die Impulse für das Stuttgarter Turnier gab und dieses herrliche Hallenturnier mit ins Leben rief.

Über die Berliner Turniere - ob Halle oder Freiland im Olympischen Reiterstadion, wo im Zweijahres-Rhythmus von 1959 bis 1983 die Deutschen Meisterschaften in Springen und Dressur ausgetragen wurden, kann man endlos diskutieren. Der Reiterplatz am Berliner Olympiastadion war zu jener Zeit eine der schönsten Turnierplätze in Deutschland. Deshalb und aufgrund seiner traditionsreichen Bedeutung im deutschen Reitsport hatte diese Anlage in der geteilten deutschen Hauptstadt mehr noch als einen sportlichen Wert. Hier war der Geschäftsführer der Landeskommission Hannover Wilfried Pabst der entscheidende Mann als Turnierleiter. Mit seinen großen Erfahrungen und seinen Führungsqualitäten sorgte er stets für eine zielsichere Bewältigung aller aktuellen Probleme. Und die gab es zuhauf.

Wie in der Deutschlandhalle so versammelten sich auch im Olympia-Reiterstadion der Spiele von 1936 jeweils alle Größen der Sattelbranche, in der Dressur zum Beispiel Liselott Linsenhoff, Irmgard von Opel, Rosemarie Springer, Karin Schlüter, Vroni Meier-Johann, Ilsebill Becher Willi Schultheiss, Walter (Bubi) Günther, Josef Neckermann, „Vater“ der Deutschen Sporthilfe, Harry Boldt, der unvergessene Reiner Klimke, Herbert Kuckuck, Siegfried Peilicke, Herbert Rehbein, Madeleine Winter - sie war 1959 die erste Deutsche Meisterin im Dressursport – und Gabi Grillo sowie Johann Hinnemann, Karin und Herbert Rehbein, Jean Bemelmanns, Uwe Schulten-Baumer, Heike Kemmer und viele mehr.

Und im Springen war Berlin meist noch eine echte Sichtung für ein Championat mit Antritt als Pflicht, und sie kamen auch wie Hans Günter Winkler, Fritz Thiedemann, Hermann Schridde, Alwin Schockemöhle, Gerd Wiltfang, Peter Schmitz, Kurt Jarasinski, Fritz Ligges, Hartwig Steenken, Paul Schockemöhle, Hendrik Snoek, Norbert Koof, Franke Sloothaak oder Sönke Sönksen und Hendrik Snoek. Sie erfreuten das teils fachmännische Publikum mit spannender Reitkunst.

1979 ging der Staffelstab des Turnierleiters von Wilfried Pabst an Franz- Peter Krautwig. Als Turnierleiter bei zahlreichen Veranstaltungen hat er die deutsche Reiterei wesentlich mit gestaltet und geprägt. Er war fortschrittlich orientiert und machte sich stets Gedanken über spritzige neue Turnierformate. Nach kurzer schwerer Krankheit verstarb „Pit“ am 17. August 2009 in seiner Heimatstadt Münster.

 

Berlin – das andere Turnier

 

Die Berliner Turniere waren oftmals anders - weil auch politisch geprägt. Die einstige Bonner Politprominenz vom jeweiligen Bundespräsidenten bis hin zu vielen Ministern gaben sich an der Spree ein regelmäßiges Stell-Dich-Ein. Aber auch Musikgrößen wie Herbert von Karajan oder Prof. Karl Böhm verfolgten die Turniere. Nicht von der Ehrentribüne sondern von einem normalen Tribünenplatz aus. Keine Ehren - sondern Kaufkarten.

Die Berliner Schaubilder beendeten als faszinierende Highlights jeweils die täglichen Turniertage. Die alljährlichen Vorführungen waren in ihrer Exaktheit kaum zu überbieten, dazu voller Harmonie und Exaktheit. In der jeweiligen Auswahl der Schaubilder gab es keine nationalen oder internationalen Unterschiede. Amateurreiter waren ebenso willkommen wie die Profis. Die Spanische Hofreitschule Wien wurde ebenso gern gesehen wie die französische Garde Republicaine, die Celler Hengstparade, die Londoner Royal Horse Guard, die berittene belgische Gendarmerie, die Blaue Schwadron der Argentinischen Polizei, das Huder Karussell oder die großartige Deutsche Olympia-Quadrille, um nur diese zu erwähnen.

 

„…und vergessen Sie die Pferde nicht“

 

Die akustische Umsetzung besorgte die „Stimme des Pferdesports“: Hans-Heinrich Isenbart, der auf allen großen Turnierplätzen nicht nur in Deutschland als Sprecher von 1953 bis 2011 engagiert war. Er, mit der Reiterei wie wohl kaum ein anderer verwurzelt, mit vielen Orden ausgezeichnet, verstand es, mit Feinfühligkeit die jeweilige sportliche Begebenheit im Parcours zu kommentieren. Mal zurückhaltend, dann wieder witzig, lockerte vieles mit humorigen Kurzansagen an die Reiter auf, oder aber der Situation entsprechend, sagte er Nachdenkliches richtiggehend ergreifend, wie nur er es konnte. Kein Turniersprecher - bis zum heutigen Tag - ist in der Lage, den „Großen Zapfenstreich“ so fachmännisch, präzise und dennoch zurückhaltend mit allen Raffinessen zu kommentieren wie der gebürtige Wiener. Eine Meisterleistung.

Isenbart war in der internationalen Turnierszene ein Star. Sein berühmter mahnender Satz am Ende eines Turniertages ist heute historisch zu nennen: „…und vergessen Sie die Pferde nicht“. Beim NDR war  beheimatet, dann wurde er Sendeleiter bei Radio Bremen, unvergessen sind seine brillanten Sendungen „Zum Tag des Pferdes“, ehe er von 1974 bis 1987 (Pensionierung) als Sportkoordinator der ARD arbeitete. Und weil er in einer so wichtigen Funktion war, bleibt es sein Geheimnis, warum er alle jungen, aufstrebenden Ansager elegant „weg biss“. Er ließ keinen hochkommen. Waren es persönliche Eitelkeiten ?

Wer mit ihm am Sprecherplatz arbeitete, war immer der zweite Mann. Die großen Prüfungen nahm Isenbart allein vor – die Rahmen-Wettbewerbe konnten die anderen verkaufen. Es sei denn, die Fernsehübertragung rief. Als Hörfunkmann des RIAS - bei der ARD Mitglied - hätte mich sein Vertrag interessiert, denn keiner von uns hatte jemals so große, freizügige Spielräume wie er. Letztlich wiederum ebenfalls beeindruckend.

 

Die Wende änderte alles

 

Mit der Wiedervereinigung 1989 änderte sich alles schlagartig. Als der Jubel verklang, der Regierungsumzug von Bonn nach Brelin beschlossen war, wurden überall neue Wege beschritten. Kein Stein blieb auf dem anderen. Das Traditionsturnier der Deutschlandhalle bekam neue Veranstalter – das Turnier wanderte ab ins Velodrom, in den Ostteil der Stadt. Damit war der Niedergang programmiert. Nirgendwo sonst prallten in der neuen deutschen Hauptstadt die Ost-West-Gegensätze so brutal aufeinander.

Zu jener Zeit gab es auch viele Dummschwätzer, Wichtigtuer und Ahnungslose, die das Turniergeschehen neu ordnen wollten. Es traten unzählige Profilneurotiker aus allen Teilen der Republik auf, die an der Spree den internationalen Turniersport neu erfinden wollten. Ratschläge der Profis wurden ignoriert. Ein wirres Meinungsgeflecht bestimmte das äußere Medienbild. Längst waren die guten ehrenamtlichen Mitarbeiter von Bord gegangen, das treue Westberliner Stammpublikum blieb aus, zu lange hielt man am für den Reitsport völlig ungeeigneten Velodrom fest und verpulverte viel, viel Geld für nichts. 2003 fand das letzte Turnier statt, man zog zurück auf das Messegelände in die Halle 26, der Weltcup wanderte nach Leipzig weiter. Ein Neuanfang war vertan, die Veranstalter hatten sich längst entzweit.

Die Schuldzuweisungen wurden teils über die Medien ausgetragen. Es war eine üble Zeit, denn es ging um Geld und Macht. Namen verbieten sich in diesem Zusammenhang auch aus rechtlichen Gründen, da angeblich diverse Rechnungen bis zum heutigen Tag nicht beglichen sind. Am 27. Mai 2008 beschloss der Berliner Senat, die Deutschlandhalle abzureißen, die seit dem 1. Januar 1998 aus bautechnischen geschlossen war. Im November 2011 kam die Abrissbirne. Am 5. Mai 2014 wurde auf dem Gelände eine neue Messe- und Kongresshalle - genannt „City Cube“ - eröffnet.

Ob die deutsche Hauptstadt jemals noch oder wieder Anschluss findet an den ganz großen internationalen Turniersport, bezweifle ich. Berlin, inzwischen zur Weltmetropole erneut gereift, müsste sich den unzähligen Konkurrenz-Veranstaltungen stellen. So wie sich die Global Champions Tour im letzten Jahr im Sommergarten erstmals präsentierte, scheint diese Veranstaltung nicht von Dauer. Viel Lärm um nichts - für einen kleinen auserwählten Springsportkreis. Die Außendarstellung war eine Katastrophe. Nein, ein Turnier kann man unmöglich von außen gestalten. Insider-Kenntnisse wären gefragt. Ein „alter Hase der Messe“ Berlin sagte mir kurz und bündig: “Mit Arroganz und Überheblichkeit kannst Du kein Turnier in unserer Zeit stemmen. Menschliches miteinander ist gefragt….“

 

 

Zur Person Matthias („Matti“) Sprackties (71): 

Stammt aus Iserlohn,

von 1966 bis 1968 freier Mitarbeiter beim Hessischen Rundfunk in Wiesbaden

von 1968 bis 1972 Mitarbeiter bei der Berliner Zeitung „Der Abend“ und freier Mitarbeiter beim Rundfunk „RIAS“ Berlin

von 1972 bis 1996 Redakteur beim „RIAS“,

ab 2011 Redakteur beim „Deutschlandradio“, zuletzt bis zur Pensionierung Sportchef

Mit dem Mikrofon für ARD-Rundfunkstationen unterwegs in Europa und den USA, u.a. bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympischen Spielen,

war außerdem Pressechef  beim Pfingstturnier in Wiesbaden,

in Berlin im Reiterstadion und in der Deutschlandhalle,

beim CHIO in Aachen und in der Stuttgarter Schleyerhalle,

Ansager bei den Reitturnieren in Iserlohn, Ludwigsburg und in der Frankfurter Festhalle.

 

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