Der Mauerfall bremste die Reitsportentwicklung in Ostdeutschland Drucken
Geschrieben von: Hans-Joachim Begall/ DL   
Sonntag, 10. November 2019 um 09:59

Berlin in den Stunden nach der Mauer-Öffnung

(Foto: Achim Begall)

Rostock. Begriffe wie Glasnost, also Offenheit, und Perestroika (Umgestaltung), Reformrichtungen von Michael Gorbatschow in der damaligen Sowjetunion, kamen 1985 auch in der DDR an. Fortan mussten sich auch im ostdeutschen Pferdesport die Funktionäre sich dem Wandel der Zeit beugen.

 

Der DDR-Pferdesportverband, erst nach den Olympischen Spielen in Tokio 1964 Mitglied des Weltreiterverbandes FEI geworden, wollte auch nicht mehr im eigenen Saft schmoren. „Ab Mitte der 80er-Jahre kamen bei der jährlichen Generalversammlung der FEI immer wieder osteuropäische Delegierte zu mir, um sich über den zuvor verteufelten Weltcup zu erkundigen: die Sowjets, Polen, Ungarn, Tschechen, Bulgaren, Rumänen und von der DDR Präsident Flade. So beschloss ich, anlässlich der FEI-Hautversammlung im März 1989 ein Treffen  der osteuropäischen Länder einzuberufen, um über die Einführung einer Osteuropa-Liga des Weltcups zu diskutieren“, erinnert sich der damalige Weltcup-Direktor Max Ammann aus der Schweiz.

Gera erster Weltcup-Veranstalter

An der Sitzung im März 1989 in Budapest nahmen alle osteuropäischen Länder teil. Aus der DDR waren es Prof. Dietrich Flade und Generalsekretär Detlef Kröber. Es wurde beschlossen, eine „Zentraleuropäische Liga“ zu schaffen. Von Seiten der DDR wurde zunächst 1989 Gera in den Kalender aufgenommen.

Die Saison begann erfolgversprechend für die ostdeutschen Springreiter. Zum Auftakt im polnischen Gestüt Iwno kam Bernd Schiele vom Hengstdepot Neustadt/Dosse, der heute in der Nähe von Perleberg (Prignitz) eine eigene Anlage besitzt, auf Mosaik hinter vier Reitern aus dem Gastgeberland zu einem fünften Platz.  Nach dem vierten Weltcupspringen mit 27 Teilnehmern in Hortobagy (Ungarn) übernahm der Gestütsreiter sogar die Führung in der osteuropäischen Wertung. Er entschied nach dem zweiten Stechen auf dem Modus xx-Sohn die Prüfung für sich. In der dritten Wertungsprüfung in Sopot (Polen) hatte das Paar zwar Platz neun belegt, war aber zweitbestes aus Osteuropa.

 

Ralf Blankenburg mit Safran - das Pferd wurde später an Alexander Moksel nach Buchloe vekauft und kam mit Ralf Schneider zu zahlreichen Erfolgen

(Foto: Margot Kornhaas)

Beim zweiten Weltcupspringen in Gera, bei dem erstmals in der DDR elektronisch Starterlisten erstellt wurden, bekam ein weitere Neustädter eine goldene Schleife an sein Pferd geheftet. Udo Hildebrandt, heute Ausbilder der vielen reitenden Schüler in der Dossestadt, gewann nach zwei Stechen auf dem Wallach Jordanus (v. Jupiter – Julier – Julius Cäsar xx) den Großen Preis und verwies den Kraftfahrzeugmeister Frank Thron mit Rasant auf Platz zwei. Erst beim ungarischen Derby in Uny verdrängte der Moritzburger Ralf Blankenburg durch einen vierten Platz den Neustädter von der Spitze. Die zwei besten Reiter der „Zentraleuropa-Liga“ qualifizierten sich schließlich für das Finale im April 1990 in Dortmund. Und der Zweite war damals Ralf Blankenburg hinter dem Polen Rudolf Mrugala. Sein Pferd Safran III wurde später an Alexander Moksel (Buchloe) verkauft, und der damals von Ludger Beerbaum in Buchloe trainierte  junge Ralf Schneider, heute in Hirschburg bei Rostock mit der Dressurreiterin Pia Laus verheiratet, erlangte mit dem Wallach erste internationale Erfolge.

Zwischen dem Ende der Qualifikation im Herbst 1989 und dem Finale fiel die Mauer. In der Weltcup-Saison 1990/91 kam Jüterbog hinzu, und beide osteuropäischen Ausrichter blieben in der Zentraleuropa-Liga des Weltcups bis 1993/94.

Salzwedel Austragungsort im Dressur-Weltcup

Gastgeber des einzigen Dressur-Weltcups in Ostdeutschland wurde im September 1990 Salzwedel (Altmark). Bereits 1989 konnten die DDR-Reiter schon in Ksiaz (Polen) Punkte für den Weltcup sammeln. In der entscheidenden Kür belegte Ina Saalbach, die später ihren Ausbilder Wolfgang Müller (Löbnitz) heiratete, hinter der Berlinerin Madeleine Winter-Schulze auf Winslow den zweiten Platz. Die Freundschaft der drei, die vor mehr 30 Jahren begann, ist heute noch intensiv.

Die Abstinenz der DDR-Reiter im westlichen Ausland war schon wenige Wochen vor dem Mauerfall vorbei.  Nachdem die DDR-Dressurreiter nach Lipica fahren durften, erhielten die Springreiter eine Einladung nach Österreich. Zum CSI Graz konnten jedoch nur Frank Thron (Halle) und Falk Siegling (Blankenhain) fahren, da eine Pferdegrippe den Einsatz von Bernd Schiele und Günter Till aus dem Hengstdepot Neustadt-Dosse verhinderte. Dies betraf auch Horst Köhler, der mit Abendwind eine Musikkür in der Steiermark reiten sollte.

Turbulenzen beim DDR-Verband

Dass ausgerechnet einen Tag nach dem Mauerfall der DDR-Pferdesportverband seine 13. Präsidiumstagung in Griebsee hatte, lässt erahnen, dass die Diskussionen nicht in gewohntem Rahmen verliefen. 25 Mitglieder und Gäste meldeten sich zu Wort, heißt es im Protokoll. Die aktuelle Situation war schon gekennzeichnet durch das teilweise Zurückziehen finanzieller und materieller Fonds von Betrieben aus den Sektionen Pferdesport, Vertrauensfragen an gewählte Leitungen und Einzelpersonen, das starke Bedürfnis von sofortigen sportlichen Begegnungen mit Reitern Westberlins und der Bundesrepublik sowie dem Begehren einiger Preisrichter, auch im anderen Teil Deutschlands zu fungieren.  Was einige überraschte, dass bereits am 11. November, also zwei Tage nach der Grenzöffnung, schon der Wunsch formuliert wurde, dass die Übungsleiter-Qualifikationen durch die westdeutschen Landesverbände anerkannt werden. Dabei stand die erste Zusammenkunft der Präsidenten der beiden deutschen Pferdesportverbände (FN) erst am 22. und 23. Januar 1990 auf dem Kalender.

In der Erneuerungsphase des DDR-Pferdesportverbandes wurde bereits Mitte 1989 über die Einführung einer „Turnierqualifikation“, also einer Reiter-Lizenz, diskutiert. Den Bezirksfachausschüssen (BFA) wurde sie erstmals am 27. und 28. Oktober in Ludwigslust vorgestellt. 14 Tage später wurde die Einführung einer Gastlizenz mit den disziplinspezifischen Arbeitskreisen beschlossen.

Da sich die politischen Ereignisse überschlugen, kam auch viel Bewegung in den Verband. Dietrich Fritsch vom BFA Potsdam forderte am 7. Dezember in der Tageszeitung Sport-Echo eine Standortbestimmung des Verbandes. Der Arbeitskreis Dressurreiten, dem Dr. Rudi Fuchs vorstand, stellte in einem Brief an die Verbandsspitze viele Fragen, die sich u.a. auf die Arbeit des Trainerrates und auf Gerüchte über unredliche Verfahrensweisen bezogen.  

Besonders kritisch waren die Sachsen. In Leipzig hatten bekanntlich die  Montagsdemonstrationen begonnen, die friedliche Revolution gegen das Regime. Vertreter aus den Bezirken Dresden und Leipzig trafen sich am 22. Dezember, vier Tage nach den Dressurleuten, im Hause des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB/ eine vergleichbare Organisation des bundesdeutschen DSB), mit Forderungen der Erneuerung des Verbandes. In den vielen Treffen wurde oft die materielle Basis des Pferdesports angesprochen. DTSB-eigene Pferde sollten in den Verband überführt werden, Futtermittel wie auch Ausrüstungsgegenstände sollten abgesichert werden. Denn in einer Mangelwirtschaft war man oft auf Importmaterialien angewiesen. Und auch über die Verteilung von Geldern wurde gesprochen.

Am 13. Januar 1990 wurden plötzlich alle Positionspapiere gegenstandslos. An diesem Tag kamen erneut das Präsidium und alle Vertreter der Bezirke und Arbeitskreise zusammen, um über die Offenlegung von Finanzen, die Forderung nach Selbständigkeit und Eigenverantwortung des Verbandes, einen grenzüberschreitenden Sportverkehr sowie die Einführung eines Pferdepasses zu diskutieren. Drei Tage später trat in Schlaitz (Sachsen-Anhalt) der „Arbeitskreis Springreiten“ geschlossen zurück, um einer Neustrukturierung den Weg frei zu machen.

Rudolf Fuchs neuer Präsident

Die Turbulenzen des DDR-Pferdesportverbandes endeten erst einmal beim VII. Verbandstag am 21. April 1990 in Berlin mit der Wahl eines neuen Präsidiums. Zuvor hatte der alte Vorstand bereits den Generalsekretär Detlef Kröger nach monatelangen Ermittlungen eines Untersuchungsausschusses wegen Amtsmissbrauchs und Korruption für immer beurlaubt. Bei dieser Sitzung wurde Prof. Dr. Flade seines Amtes enthoben, der wenige Jahre danach verstarb. Dr. Rudolf Fuchs wurde neuer Präsident. Dem Dozenten der Universität Leipzig zur Seite standen Schatzmeister Heinrich Stürmer (Hohenwalde), für Ausbildung Eberhard Mertens (Jüterbog), für Breitensport Eberhard Roick (Karl-Marx-Stadt), für Leistungsprüfungswesen Erich Heinrich (Dresden), für Jugend Hans-Jürgen Preller (Wernigerode) und für Turniersport Reinhard Käblein (Berlin). Ralf Breselow (Frankfurt/Oder) gehörte zur Finanzprüfungskommission. Die Wegstrecke des DDR-Pferdesportverbandes war absehbar. Am 1. Dezember 1990 wurde er von den Delegierten der neugegründeten Landesverbände in Berlin aufgelöst.

Ansturm auf CHI Berlin

Während bis zum DDR-Verbandstag noch viele Tagungen stattfanden und sich Gespräche mit der Vertretern der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) entwickelten, gingen auch viele DDR-Pferdesportler an der Basis auf Reisen. In den nach dem Mauerfall folgenden Wochenenden erlebten die Hallenturnierveranstalter in Hannover und in Berlin einen großen Ansturm von DDR-Besuchern. Einer damaligen Pressemitteilung zufolge kamen von den 28.000 Zuschauern (im Jahr davor waren es nur 18.000) in die Deutschlandhalle über vier tausend jenseits der Mauer. Die teilnehmenden Reiter sammelten spontan für die Besucher zwei zu verlosende Preise. Einen VW-Golf gewann die damals 29-jährige Petra Hentschel aus dem Oderbruch, eine Reise nach Amsterdam ging an Fritz Berger. Der aus Sachsen stammende Züchter sprach dann euphorisch ins Mikrofon des Hallensprechers: „Ich hoffe, dass nun ein neuer Anfang gemacht wurde und wir bald nicht mehr als Bettler vor ihnen stehen.“ Für ein junges Ostberliner Paar gab es obendrein noch einen Reisescheck zum Weltcup-Finale nach Dortmund, den Jobst-Michael Reithmann – ehemaliger FN-Generalsekretär - von der Messe überreichte.

Der Berliner Dirk Hafemeister, der damals bei Paul Schockemöhle in Mühlen trainierte, musste viele Autogramme geben. „Ich gönne das den Pferdesportlern, von denen ich durch Wettkämpfe in den sozialistischen Ländern nicht wenige kenne. Es wird nicht einfach sein, den Anschluss zu finden, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Auch mein Weg zur Spitze war lang“, sagte damals der Mannschafts-Olympiasieger von 1988 in Seoul.

„Wenn diese Mauer hier in der Stadt nicht gefallen wäre, hätten die Berliner tatsächlich Angst haben müssen, das Weltcup-Springen zu verlieren. Man ist es leid, jedes Jahr immer wieder das gleiche Gezanke und die gleichen Diskussionen über die mangelnden Zuschauer und den Grüne Woche-Termin zu hören“, sagte damals Max Ammann.

Mitgliederzahlen stark rückläufig

Beim Weihnachtsturnier 1989 in Salzwedel konnte erstmals wieder mit Alfred Konzag (Grasleben) ein Reiter aus Niedersachsen bei einer DDR-Veranstaltung an den Start gehen.  Die Zuschauerreihen waren aber schon lückenhaft. Viele DDR-Bürger, darunter auch so manche Funktionäre, holten sich ihr „Begrüßungsgeld“ von 100 DM jenseits an der Grenze ab.  Ihren ersten „West-Start“ hatten die DDR-Springreiter dann beim Hallenturnier in Darmstadt, nach 18 Jahren Pause.

Sowohl den Pferdesport wie auch die Pferdezucht mussten viele Ostdeutsche gleich nach dem 9. November in ihrer Lebensplanung zurücksetzen. Die berufliche Zukunft, als viele Betriebe zerbrachen, stand im Vordergrund. Hatte der DDR-Pferdesportverband zur Wendezeit noch 55.000 Mitglieder (davon 54 Prozent Kinder und Jugendliche) in 1077 Sektionen, waren es nach Gründung der ostdeutschen Landesverbände insgesamt nur noch die Hälfte an organisierten Pferdesportlern. Dafür ging es danach wieder bergauf, wenn auch in kleinen Schritten…

 

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