Paul Schockemöhle - der graue Wolf wird 70 ... Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Freitag, 20. März 2015 um 20:17

 

Paul Schockemöhle mit Ehefrau Bettina (auf Foto links dahinter) beim CHIO in Aachen

(Foto: Uta Ludwig)

Mühlen. Am kommenden Sonntag wird Paul Schockemöhle 70 Jahre, ein Unikat im Pferdesport. Um ein Großer zu werden, hätte er den Reitsport nicht gebraucht…

 

Wenn er morgens aufsteht, hat er schon gearbeitet. Auch da ist Paul Schockemöhle anders als andere. Früher bereits hantierte er mit zwei  Telefonen noch im Bett herum, heute mit dem Handy. Er ist etwas Besonderes. Von ausgefallener Kleidung hält er wenig, vor nicht langer Zeit genügten ihm zwei Rollpullis, einer gelb, der andere grau. Er braucht keine Familientage, Weihnachten oder Ostern hat man jedoch nun mal notgedrungen. Er ist genügsam, Pommes mit einem halben Hähnchen, mehr braucht`s nicht zum Mittag. Als ihn mal sein langjähriger Geschäftspartner Ulli Kasselmann auf dem Gestüt „Lewitz“ besuchte, ihn aber zunächst nicht fand und „Paul“ schrie, kam eine Stimme aus einem Wohncontainer: „Hier bin ich…“

 

Und dass einer aus dem Dorf Mühlen nicht ins benachbarte Steinfeld zieht, das juckte ihn auch nicht. Er wohnt mit seiner Ehefrau Bettina dort. Am kommenden Somntag wird dieser Paul Schockemöhle 70 Jahre alt: Der inzwischen grau gewordene Leitwolf des internationalen Springreitergewerbes  wirkt ruhiger, behutsamer, nicht mehr so impulsiv, aber er ist nach wie vor da. Und der Pferdesport hat ihn vielleicht nötiger denn je. Vor allem in Deutschland, wo die ganz großen Turniere inzwischen zu einer Rarität geworden sind.

 

Größter Eier-Produzent Europas

 

Als sein Bruder Alwin (77) auf Ferdl in Rom 1960 zusammen mit Hans Günter Winkler und Fritz Thiedemann  Mannschafts-Olympiasieger wurde, nagelte Paul Schockemöhle  auf dem über 400 Jahre alten elterlichen Hof  seine ersten Hühnerställe zusammen. Zwei Jahre später war er Europas größter Eierproduzent. Täglich legten seine Hennen 1,5 Millionen Eier. Nach dem Abitur ging er zuerst einmal zur Uni Münster, dort belegte er die Fächer Betriebswirtschaft, Kreditverkehr und Buchhaltung. Nach dem ersten Semester sagte er: "Das reicht. Mehr kann ich hier auch nicht lernen." Als 17-jähriger war er schon DM-Millionär.

 

Mit Springreiten befasste sich der Mann aus Südoldenburg nach den Anfängen  erst intensiv  mit 23 Jahren. "Ich bin kein Spätberufener", sagt er, "berufen war ich nicht." Doch was er anpackt, macht ein Paul Schockemöhle mit abgrundtiefer Leidenschaft, Ehrgeiz und Verstand, aber auch mit Dickköpfigkeit. Und nichts kann ihn dann mehr aufhalten. Was er als Springreiter und als Geschäftsmann erreichte, hat er sich alles allein erarbeitet. Als Gesellschafter verschiedener Firmen, mit  einer Spedition, im Baubereich, auf dem Kunststoffsektor, mit Immobilien (Deutschland und USA) und in der Pferdezucht  setzt er im Jahr rund 300 Millionen Euro um. Gut 5.000 Pferde besitzt er, 40 gekörte  Hengste, die Zucht ist Teil seines Lebens geworden. Die Zucht hat den Sport abgelöst, „den habe ich hinter mir.“ Etwa  1.000 Angestellte stehen auf den Lohnzetteln. Wenn er seine Fohlen sieht, weiß er auch gleich die Abstammung. In einem kleinen, zerfledderten Büchlein hat er alles aufgeschrieben, nicht nur die Zucht…

 

Spitzenpferde für 800.000 DM verkauft

 

An Selbstbewusstsein hat`s ihm auch nie gefehlt. Als er 1971 nicht für die Europameisterschaft nominiert wurde, verkaufte er seine vier Spitzenpferde im Lot für damals märchenhafte 800.000 Mark an den damaligen Baulöwen Josef Kun. 1975 überging ihn der Springausschuss erneut für die Europameisterschaft, darauf lud er zu einer Pressekonferenz nach Düsseldorf. Dort legte er dar, "wie ich belogen und betrogen wurde."

Er wuchs auch für die anderen seiner Zunft zu einer Persönlichkeit heran. Wenn die Bodenverhältnisse nicht stimmten, schickten die anderen ihn vor zum Protestieren. Er war der Buhmann, hinter dem sich der Rest der Kollegen duckte. Lob erhielt er nur im Stallbereich. In die „Bütt“ für ihn sprang keiner. Er hielt den Kopf hin. Oft wusste man nicht,  ob er in vielen Situationen mehr mit Herz oder Verstand operierte.

 

Paul Schockemöhle auf seinem Gestüt in Lewitz mitten in der Herde seiner jungen Pferde - da fühlt er sich am wohlsten...

(Foto: Werner Ernst)

 

Am 13.September 1981 in München gewann er erstmals die Europameisterschaft.  Er ritt und stritt auch damals, wie üblich. Einem Hamburger Journalisten, auch noch Sportchef,  blies er unmittelbar vor dem Einritt zur letzten Runde heftig den Marsch, als Europameister kam er aus dem Parcours…Als bisher einziger Springreiter noch zweimal hintereinander, jeweils auf dem Hannoveraner Wallach Deister, den keine Schönheit drückte, der aber für immer unvergessen bleibt. Schockemöhle: "Ich hielt mich nie für einen begnadeten Reiter. Was ich habe und hatte, das ist Ehrgeiz, Kampfgeist und Gefühl für Pferde. Aber vielleicht arbeitete ich auch ein bisschen mehr als andere."  Silber und Bronze brachte er mit von den Olympischen Spielen 1976 und 1984, mit dem Team wurde er 1982 Vizeweltmeister, sechs Mal legte man ihm die deutsche Championatsschärpe um die Schulter, erst sein ehemaliger Schüler Ludger Beerbaum löste ihn als Rekordhalter ab.

 

Den international sportlichen Abschied nahm er 1987 bei der Europameisterschaft in St.Gallen. Er wetterte gegen den schlimmen Boden, wurde daraufhin sogar öffentlich im Stadion verhöhnt, ausgepfiffen. Gegen seinen Willen sattelte er seinen Deister dennoch für einen Umlauf, der ihm nichts mehr bringen konnte, er lag Lichtjahre entfernt von einer Medaille,  "ich wurde gezwungen, vom Springausschuss. Ich habe Deister gesattelt für Deutschland, für die Mannschaft, wahrlich nicht für mich.“ Niemand habe ihn verstanden, „dass es nicht um mich ging, sondern um mein Pferd.“ Und er sagte: „Wenn Du gewinnst, bist Du der König, verlierst Du – bist Du der Arsch…“ Das sei sein schmerzlichstes Erlebnis im Sport gewesen, „dass ich mich dem Druck beugte." Im Schlamm des Stadions erlitt der Wallach fast einen totalen Sehnenabriss in der Vorderhand, für ein Springpferd normalerweise und in jener Ziet fast ein Todesurteil. Paul Schockemöhle über Deister: "Der Wallach war weit mehr als ein Pferd für mich, Partner und Freund."

 

Deister hatte 17.000 Mark gekostet

 

Für die Europameisterschaften 1989 in Rotterdam hätte man das Paar Schockemöhle/ Deister nochmals gerne nominiert, zumal die beiden bei der Deutschen Meisterschaft mit Silber Berlin verließen. Doch unmittelbar danach, am 19. Juli 1989, erklärte Paul Schockemöhle: „Deister wird keinen Parcours mehr gehen.“ Und er hängte an, er wolle selbst eine Schädelprellung erst einmal auskurieren. Die Verletzung hatte er sich wenige Monate zuvor zugezogen, als er ein junges Pferd im Training ritt, das plötzlich den Kopf zurückwarf und ihn voll am Kopf traf.

Ohne Deister wäre Schockemöhle nicht zum Champion geworden, der Wallach aber ohne den Südoldenburger Multiunternehmer auch nicht zum Begriff für Leistungsbereitschaft ohne Beispiel. Schockemöhle stellte den Diskant-Nachkommen fünfmal auf einer Europameisterschaft vor, beim Ersatz-Olympia in Rotterdam 1980, bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, dreimal bei einer Weltmeisterschaft, 13-mal beim CHIO von Deutschland in Aachen – eine einmalige Rekordleistung für ein Springpferd.

Deister, so genannt nach einem Bach, stammte aus dem Nachlass des 1978 bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzten Weltmeisters Hartwig Steenken. Paul Schockemöle legte 100.000 Mark hin, die gleiche Summe zahlte das Deutsche Olympiadekomitee für Reiterei (DOKR). An Preisgeld sprang der dunkelbraune Wallach, nur einmal krank, in seiner Karriere für damalige Verhältnisse unglaubliche 1.428.399 Mark ein. Auf der Auktion 1974 hatte Deister 17.000 DM gebracht. Bis zu seinem Tod mit 29 Jahren im August 2000 genoss Deister seinen Lebensabend bei Paul Schockemöhle in Mühlen.

 

Doch vor 20 Jahren groß gefeiert…

 

Über Doping und ärztliche Hilfe hat auch Paul Schockemöhle seine Meinung. Wer einem Pferd zu helfen suche, sei nun nicht auch schon gleich ein Doper, sagt er. Aber in der Reiterei sei eben alles verboten. Seine Forderung: „Was die Leistung nicht beeinflusst, darf auch nicht als Doping bezeichnet werden.“

 

Seit 1991 spielt Paul Schockemöhle, der Achtung hat vor den Behindertensportlern, neue Rollen. Die Reiter seiner Hauskavallerie waren einst Ludger Beerbaum, Otto Becker, Dirk Hafemeister oder Franke Sloothaak, wer für jemanden ein Fortkommen im Turniersport suchte, ging zu Paul Schockemöhle. Die dreimalige Weltcupgewinnerin Meredith Michaels-Beerbaum wurde nach Mühlen zu ihm geschickt, Jordaniens König Husein gab seine Tochter Haya – die spätere Präsidentin des Weltverbandes - zuerst nach Mühlen, die Söhne vieler Scheichs wurden in die Paul-Schockemöhle-Schule abgeordnet. Und sie gingen meist  mit ziemlich großen späteren Erfolg wieder weg.

 

Nach der aktiven Zeit wurde PS zusätzlich Turnierveranstalter. 1988 erfand er mit dem Tennis-Mogul Ion Tiriac die "German Classics",  mit Ulli Kasselmann veranstaltet er alljährlich die PSI-Auktion mit den besten Nachwuchspferden der Welt.  Die "Riders Tour" ist auch eine Erfindung des Paul Schockemöhle. Verheiratet ist er in zweiter Ehe mit Bettina Gerdts, die ihm auch mal Kontra gibt. Aus erster Ehe stammt Tochter Vivien (31), diplomierte Betriebswirtin und auch Springreiterin.

 

Auf die Frage, ob er an seinem Geburtstag etwas Größeres plane, sagte er: „Wieso, ich habe doch zu meinem 50. erst ein schönes Fest organisiert…“ So etwas kann eben nur ein Paul Schockemöhle sagen. Er ist übrigens am Sonntag weg, einfach so.

 

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