"Michi" - Der Gold-Jung(e) Drucken
Geschrieben von: Oliver Wehner/ "Die Rheinpfalz"/ DL   
Sonntag, 31. Juli 2016 um 14:33

Horb/ Rio.  Er hat alle Titel  gewonnen und tritt in Rio als Doppel-Olympiasieger der Vielseitigkeit von London 2012 an. Für manche ist er ein „Alien“, für andere ganz einfach der kompletteste Reiter der Welt. Doch eines ist der bescheidene Michael Jung nicht: abgehoben.

 

 

Die Frage irritiert Michael Jung einen Moment. „Nein, nichts geplant“, sagt er nach kurzem Zögern, „wir sind ja im Flieger.“ Sein heutiger 34. Geburtstag ist in diesen aufregenden vorolympischen Tagen so ziemlich das Letzte, womit sich der Star der deutschen Vielseitigkeitsequipe beschäftigt, es gibt so viel Wichtigeres. Vor allem, dass nach ihrem gestrigen Flug die Pferde sicher in Rio  gelandet sind und nun bereits in ihren Ställen im Austragungsort Deodoro Heu kauen und auf ihre Reiterinnen und Reiter warten. Ein Geburtstag, zumal kein runder, ist da nachrangig, auch wenn Andreas Ostholt, der Spaßvogel im deutschen Team, dann doch mal ins Cockpit vorgehen wollte: „Den Piloten informieren, dass er durchsagen soll, dass Michi einen ausgibt.“

 

Wahrscheinlich würde sich „der Michi“, wie ihn alle Reitsportwelt nur nennt, das gern aufheben für den 9. August, wenn er nach dem – hoffentlich – zweiten Springen als Abschlussdisziplin des reiterlichen Dreikampfs aus Dressur, Gelände und eben Parcours wieder mit zwei Olympia-Medaillen vor die Fotografen und Kameras tritt. Wie vor vier Jahren in London, damals strahlten beide Plaketten golden – er war damit der einzige deutsche Sportler, dem 2012 dieser Doppelcoup gelang. Gold mit der Mannschaft, in der schon damals Ingrid Klimke und Sandra Auffarth ritten, die auch dieses Mal – neben Ostholt – für die Equipe nominiert wurden. Und Gold im Einzel. Errungen beides mit seinem damals zwölfjährigen Wallach Sam, der nun wegen des krankheitsbedingten Ausfalls seines eigentlich für Rio vorgesehenen Pferdes Takinou, mit dem Jung 2015 beide EM-Titel gewann, doch noch mitgeflogen ist. „Und er ist bestimmt kein Plan B“, beteuert Bundestrainer Hans Melzer, „bei dem, was er alles gewonnen hat.“

 

Wie zum Beweis tütete Jung im Mai im englischen Badminton seinen nächsten großen Titel eben mit Sam ein: Sieg in der Vier-Sterne-Prüfung, in Kombination mit den Triumphen zuvor in Burghley und Lexington war das der extrem rare Grand Slam der Vielseitigkeit. Auch wenn ihm Teamgefährtin Sandra Auffarth vor zwei Jahren in der Normandie den WM-Titel wegschnappte – Jung zementierte einmal mehr seinen Ruf, der perfekte Alleskönner im Sattel zu sein. Für Andreas Ostholt ist er gar ein „Alien“ seines Sports. Für andere schlicht der kompletteste Reiter der Welt.

 

Dabei ist Michael Jung, der bescheidene und stille Schwabe, alles andere als ein abgehobener Superstar. Ein Besuch der familieneigenen Anlage, der Reitschule Jung,  in Horb am Rande des Nordschwarzwalds belegt dies, schon äußerlich. Ein nicht allzu großer, aber  „Kehrwoch“-sauberer Stall, gemütliches und mit unzähligen Schleifchen und Pokalen dekoriertes Reiterstübchen, funktionale Halle, große Koppeln. Am schönen Dressurplatz mit Blick  ins Tal flattern internationale Fahnen, was den nützlichen Nebeneffekt hat, dass die  Fluchttiere das auch schon mal gesehen haben. Herzstück der Anlage ist die Geländestrecke, deren Hindernisse  Jung oft selbst zusammengebaut hat – mit Holz, das er aus den nahen Wäldern holte.

 

Hier lebt und trainiert Michael Jung. Als Kind hat er mit Spaß Fußball und Tennis gespielt. Aber als er das erste Mal, kaum vier Jahre alt, auf dem Ponyrücken saß, war’s um ihn geschehen. „Der Michi“, erinnert sich Mutter Brigitte, „wollte immer nur reiten.“ Das ist so geblieben. Die Familie ist ihm heilig. Vater Joachim, selbst einst erfolgreicher Military-Reiter,  ist  Heimtrainer und Ratgeber. Freundin Faye Füllgraebe  lebt inzwischen ebenfalls in Horb, sie ist  Tierphysiotherapeutin. Ihr Schwerpunkt:  klar, Pferde.  Und um die dreht sich alles in Michael Jungs Leben. Auf die Frage, ob er sich um Sam Sorgen macht, wenn der ins ferne Brasilien ohne ihn fliegen muss, antwortet er: „Um die Pferde sorgt man sich täglich.“

 

Vielseitigkeitsreiten heißt auch: Spezialist in allem sein. Jung hat schon Nachwuchs-Dressurpferde im Burg-Pokal, der inoffiziellen deutschen Meisterschaft, vorgestellt. Er reitet anspruchsvollste Springprüfungen – etwa als Stammgast in Stuttgart, Balve oder Mannheim. Dass er für Rio gleich unter drei Pferden – Takinou, Rocana und eben Sam – auswählen konnte, ist höchster Luxus, den sich ein Berufsreiter aber auch hart erarbeiten muss. Nach dem Motto: Nie allein im Hier und Jetzt leben, heute schon mit den Pferden für morgen und übermorgen trainieren.

 

Wie immer auf Championaten hat jedes deutsche Equipemitglied auch in Rio eine spezielle CD dabei, zu der alle ein paar Songs beisteuern konnten. „Was Aktuelles und ein paar Klassiker“, verrät Jung. Das letzte Stück ist von Queen. Sie ahnen es: „We are the champions“. Wenn der Gold-Jung(e) das am 9. August hören darf, wird er sicher auch einen ausgeben. Auch als Schwabe, und die sind nicht unbedingt fürs Rundenschmeißen…

 

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