Reitmeister Wolfgang Müller wird 85 - und ein bisschen Nostalgie... Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Freitag, 30. September 2016 um 17:15

Löbnitz. Am 6. Oktober wird Reitmeister Wolfgang Müller (Löbnitz)  85 Jahre alt. Er ist einer der erfolgreichsten Dressurreiter der ehemaligen DDR. Ein Grund zum Rückblick auf die so schwierige Situation für Reiter hinter der Mauer, die dennoch immer eines nur im Sinne hatten: Reiten…

 

 

Ab 1967 war auch die sportliche Welt der DDR in Ordnung. Der Arbeiter- und Bauernstaat durfte endlich mit eigenen Teams bei Wettkämpfen antreten, unter dem Emblem von Hammer und Zirkel und natürlich unter der eigenen Hymne, der Becher-Hymne („Auferstanden aus Ruinen...“). Im gleichen Jahr wurde auch der Deutsche Pferdesport-Verband der DDR als selbständige Föderation von  der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) als vollwertiges Mitglied aufgenommen. Damit waren die DDR-Reiter, stets in Blau uniformiert egal in welcher Sportart, ebenfalls oben angekommen. Vorbei die schrecklichen Ausscheidungen mit den im Reiten - bis auf die Vielseitigkeit -  sonst so überstarken BRD/ Westberlin-Reitern.

 

Die vorletzte Ausscheidung zwischen Ost und West fand im Springen vor den Olympischen Spielen 1960 in Rom statt. Die Nationalen Olympischen Komitees der Bundesrepublik und der DDR hatten sich auf eine gemeinsame Equipe geeinigt. Fritz Thiedemann und Hans Günter Winkler wurden auf Beschluss beider NOK`s gesetzt, zur Ermittlung des dritten Starters vereinbarten die beiden Föderationen Ausscheidungen in Elmshorn und in Halle/ Saale. Printmedien waren zugelassen, Zuschauer auch, aber keine Fernseh- und Rundfunk-Reporter. Jede Seite durfte drei Reiter benennen. In Elmshorn und in Halle gewann Alwin Schockemöhle (Mühlen) mit insgesamt 14,25 Fehlerpunkten vor dem Meißendorfer Hermann Schridde (24,75)  und dem DDR-Reiter Manfred Nietzschmann (28). Damit war nach der Abmachung Alwin Schockemöhle der dritte Olympia-Reiter.

 

Doch mit allen nur möglichen Tricks versuchen die Polit-Funktinonäre der Sektion Pferdesport der DDR das Ergebnis in Halle zu kippen. Die Jury  ließ über Lautsprecher den 10.000 Zuschauern verkünden, das Verrücken einer Stange in der dreifachen Kombination von Fee unter Hermann Schridde wäre ein Fehler gewesen, das Ergebnis müsse auf 16,25 Strafpunkte korrigiert werden. Erst als auch die Besucher pfiffen und protestierten, kam das internationale Reglement zum Tragen, wonach das Verrutschen einer Stange in einer Auflage noch keinen Fehler bedeutet. Doch die Politruks gaben sich keineswegs geschlagen. Jetzt pickten sie sich Alwin Schockemöhle heraus. Was zunächst abgesprochen war, nämlich nicht das Pferd, sondern den Reiter zu bewerten, sollte keine Gültigkeit mehr haben. Schockemöhle hatte auf Bachus in Elmshorn gesiegt, war aber in Halle gestürzt. Die Ost-Funktionäre, im Auslegen von Paragraphen immer schon gewitzter als die Kollegen aus der Bundesrepublik, erreichten die Annullierung der Ausscheidungen und einen dritten Qualifikationswettkampf, und alles begann wieder bei null Fehlerpunkten. In Bochum siegte Alwin Schockemöhle auf Ferdl mit 9,75 Strafpunkten vor Nietzschmann auf Seegeist (11), Hermann Schridde gab mit Flagrant auf.  Schockemöhle wurde für Olympia in Rom nominiert und gewann mit Winkler und Thiedemann Team-Gold, Nietzschmann war als Ersatzmann dabei.

Vor Olympia in Tokio 1964 mussten die Springreiter nochmals „stechen“ zur Nominierung einer gesamtdeutschen Mannschaft aus Ost und West. Das DDR-Organ „Deutsches Sportecho“ giftete: „Auf Drängen psychologischer Kriegsratgeber werden die Sportler aus der Bundesrepublik ganz auf vorsätzliche Härte trainiert, um bei den Olympia-Ausscheidungen unbedingt den Sieg zu erringen… Möge jeder seine Augen einmal auf diese widernatürliche harte Gangart der westdeutschen Sportler richten. Es fällt ihm dann nicht schwer zu erkennen, welcher Unsinn diese Ausscheidungen sind – und als Quintessenz dieser nicht mehr sportlichen Schlachten – die sogenannte gemeinsame Olympia-Mannschaft ist.“

 

Als die bundesdeutsche Equipe in Weißensee om Ostteil Berlins am 31. Mai 1964 zur 1. Qualifikation – Parcourschef Rudi Irmer (Ost-Berlin) - eintrifft, schlägt ihr eine  durch Parteibonzen nicht steuerbare Sympathie entgegen. 13.000 Zuschauer im ausverkauften Radstadion. Hans Günter Winkler, Alwin Schockemöhle und Hermann Schridde beenden die erste Etappe der Ausscheidung mit je vier Fehlerpunkten. Zwei Tage danach im Olympiastadion von Westberlin bei der endgültigen Qualfikation für Tokio entwarf der Westdeutsche Hans-Heinrich Brinckmann die Parcourslandschaft mit Olympia-Anforderungen, denen naus der Ost-Mannschaft nur Manfred Nietzschmann gewachsen schien. Mitten im zweiten Umlauf wurde die Konkurrenz abgebrochen, das Desaster mit 30 Stürzen und Verweigerungen der ostdeutschen Reiter zum Glück für die Pferde beendet. In Tokio holten danach Winkler, Schridde und Kurt Jarasinki Team-Gold.

 

DDR-Dressur überrascht vor Mexiko

 

Wenige Wochen vor den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko erregte das DDR-Trio Horst Köhler auf Neuschnee, Gerhard Brockmüller auf Tristan und Wolfgang Müller auf  Marios durchaus  international Aufsehen, weil die UdSSR-Auswahl in Leipzig bei einem Internationalen Turnier geschlagen wurde. Danach belegten die drei Armee-Reiter aus der DDR in Mexiko City den vierten Platz und reisten deshalb selbstbewusst zur Europameisterschaft ein Jahr später nach Wolfsburg, „zusammen mit den Pferden im Zug“, wie  Wolfgang Müller erzählt. Doch ehe Horst Köhler in den Westen durfte, hatte er noch ganz andere Schwierigkeiten zu bewältigen. Der damalige Berliner Rundfunk-Sender „Rias“ hatte nämlich verbreitet, er habe sich in Mexiko von der Mannschaft abgesetzt, das wäre Republikflucht gewesen. Köhler, inzwischen 77: „Ich habe nie herausbekommen, wer die Falschmeldung in die Welt gesetzt hatte.“

 

Erstmals kam also nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1969 eine offizielle DDR-Mannschaft in die Bundesrepublik. Bei der Ankunft in Wolfsburg kam es zu den ersten Komplikationen, weil nämlich zunächst der nicht vorgesehene Funktionär die Begrüßungsblumen in Empfang nahm, und auch zugesteckte Kuverts mit Westgeld mussten abgegeben werden, „dafür erhielten wir später andere, da war noch mehr drin“, wie sich Wolfgang Müller erinnert. Und er traf in einer fast abenteuerlichen Geheimaktion auch seine Mutter für ein Plauderstündchen, die längst im Westen lebte.

 

Hinter der BRD/ West-Berlin, so der offizielle Sprachgebrauch der DDR, holten Wolfgang Müller, Horst Köhler und Gerhard Brockmüller die Silbermedaille der Europameisterschaft. Zwei Jahre später folgte das nächste Europachampionat in Wolfsburg, diesmal belegte das gleiche Trio – nur teilweise auf anderen Pferden – Rang 4.

 

Vier Pferde auf Grand Prix-Niveau – sonst nichts

 

Nach heutigen Anforderungen leisteten die drei Reiter der Nationalen Volksarmee, stationiert in Potsdam, schier Unglaubliches. Sie hatten gerade mal vier Pferde auf  Grand Prix-Niveau, keinen Trainer, keine Kontakte zu den westlichen großen Dressurreitern, „und auch die UdSSR-Kollegen halfen nicht“,  so Wolfgang Müller. Sie halfen sich jedoch gegenseitig, lernten vor allem im Zirkus, wie die Pferde auf Piaffe, Passage und Einerwechsel geschult wurden, „und wir hielten unglaublich zusammen“, so Müller, der 1999 von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung den Ehrentitel „Reitmeister“ verliehen erhielt. Er sagt auch, er sei gerne Soldat gewesen, „es hat uns ja an nichts gefehlt, vor allem: Wir konnten reiten. Das war doch das Wichtigste.“ Das Größte sei für ihn „der Gewinn der Silbermedaille bei der EM in Wolfsburg“ gewesen. Er erinnert sich aber auch noch daran, „dass Liselott Linsenhoff oft sagte: Kommt zu mir, wie trinken einen...“ Die damals allgemein üblichen verordneten Aufpasser hatte Ehemann Fritz Linsenhoff vorher jeweils abgefangen.

 

Gerhard Brockmüller erinnert sich noch gut daran, „dass die sowjetischen Equipen auf der Fahrt zum CHIO nach Aachen im Vorfeld darauf drängten, dass wir noch ein Turnier aufzogen, damit sie unter Wettkampfbedingungen trainieren konnten.“ Als echten Freund im Westen nannten alle drei den berühmten Ausbilder Willi Schultheis, der auch das spätere Olympiapferd Kassim vermittelte, das dann in Immanuel umbenannt wurde. Dass der Wallach mal Rosemarie Springer gehörte, durfte in der DDR nicht unbedingt publik werden, deshalb auch der Namenswechsel. Rosemarie Springer war schließlich die Ehefrau des Verlegers Axel Springer, und sein Blatt „Bild“ pflegte nicht unbedingt eine gut nachbarliche Beziehung zur damaligen DDR....

 

Die Dressurreiter der DDR hatten dann in München 1972 – wie die Springreiter bereits früher -  Abschied zu nehmen von der großen internationalen Bühne des Sports.  Nach München verschwanden auch die Vielseitigkeitsreiter nach einem fünften Rang mit der Dressur-Equipe in der Besetzung Horst Köhler auf Immanuel, Wolfgang Müller auf Semafor und Gerhard Brockmüller auf dem bisher von Müller vorgestellten Wallach Marios mit der gleichen Platzierung. Perspektivlosigkeit hieß die Begründung: Übersetzt: Keine Aussicht auf Medaillen.

 

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